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Full text of "Jahrbücher für Philologie und Paedagogik"

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JAHRBÜCHER 

F  ÜR 

PHILOLOGIE  UND  PÄDAGOGIK. 


Eine  kritische*  Zeitschrift 

in  Verbindimg  mit  einem  Verein  von  Gelehrten 

herausgegeben 
von 

M.  Joh.  Christ,  Jahn, 


Dritter  Jahrgang, 


Dritter  Band.     Erstes   Heft. 

Oder  der  ganzen  Folge 

AchterBand.     Erstes   Heft. 


Leipzig, 

Drqck  und  Verlag  von  B.  G.  Teubner. 

18     2     8, 


Si  quid  novisti  rectius  istis, 
Candidas  imperti;    si  non,    his  utere  mecum. 


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Hebräische  Spraclikunde. 


Erster  Artikel. 

1)  Anfangsgründe   der   hebräischen  Sprache ,   ent- 

worfen  von    D.   Ernst  Gottfried  Adolf  Böckel.   Berlin ,   bei  August 

Rücker.  1824.  92  S.  8.  nebst  zwei  Tabellen. 
[Vgl.  Jen.  Lit.  Zeit.  1825  No.  71.  AViner's  u.  Engelh.  Neues  krit. 
Journ.  der  theol.  Lit.  III,  3  S.  368  —  37!).  Leipz.  Lit.  Zeit.  1825 
No.  291.   Seebode's  Neue  krit.  Bibl.  1827,  1  S.81  — 89.] 

2)  Formenlehre    der   hebräischen  Sprache^  zum  Ge- 

brauch für  Schulen  und  zum  Selbstunterricht  von  Carl  Reyher. 
Gotha ,  bei  Carl  Glaeser.  1825.  ilV  u.  118  S.  8.  nebst  zwölf 
Tabellen. 

[Vgl.  Leipz.  Lit.  Zeit:  1825  No.  290.] 

3)  Die   hebräische   Sprache  für    den  Anfang    auf 

Schulen  und  AIi:ad,eJJlien.  Zunächst  zum  Gebrauch  bei 
seinen  Vorlesungen  \on 'tläphael  Ilanno,  der  Philos.  Doktor  und 
ausserord.  Prof.  an  der  Univ.  zu  Heidelberg.  In  zwei  Abtheiliingen. 
Heidelb.,  Neue  akademische  Buchh.  von  Karl  Groos.  1825.  XIII  u. 
153 S.   8.   [Erste  Abtheilung.] 

[Vgl.  Gott.  gel.  Anz.  1825  No.  135.      Seebode's  Neue  krit.  Bibl. 

1826,     6   S.   579  —  592.     Allgem.    Schulzeit.    1827     Litbl.    II 

No.  35.] 

4)  Hebräische  Paradigmen   tabellarisch    zusammengestellt 

von  M.  Julius  Friedrich  Eötlcher ,  Collaborat.  an  der  Kreuzschule 
zu  Dresden.  Dresd. ,  Wagnersche  Buchh.  1822.  XXV  Tab.  in  gv.  4. 
[Vgl.  Allg.  Schulz.  1826  Litbl.  II  No.  38.] 

Öo  erwünscht  dem  Freunde  der  Wissenschaft  das  Lehen  und 
die  Betriebsamkeit  sein  muss ,  die  sich  seit  einer  Reihe  von 
Jahren  auch  auf  dem  Gebiete  der  hebräischen  Literatur  gezeigt 
haben,  so  sehr  wird  bei  näherer  Betracbtung  diese  Freude  durch 
die  Wahrnehmung  getrübt,  dass  so  viele  jenem  Fache  ihreThä- 
tigkeit  zugewandt  haben,  welche  dazu,  nach  dem  Erfolge  zu 
urtheilen ,  keinen  innern ,  sondern  höclistens  einen  äussern  Be- 

1* 


4  Hebräische  Sprachkunde. 

ruf  hatten,  und  die  auf  keinem  andern  Gebiete  der  Sprachge- 
lehrsamkcit  als  Schriftsteller  aufzutreten  gehabt  haben  würden, 
ohne  sich  vorher  weit  sorgfältiger  auf  demselben  umgesehen 
und  selbst  noch  Vieles  gelernt  zu  haben.  Doppelt  unerfreulich 
ist  die  Erfahrung,  dass  selbst  Beurtheiler  in  nahmhaften Litera- 
tur-Zeitungen  solclie  Erzeugnisse  mit  einem  Lob  und  Beifall 
empfangen  können,  die  beweisen,  auf  welchem  niedrigen  Stand- 
puncte  sich  wenigstens  noch  ein  Theil  desjenigen  gelehrten 
Publicum's  befindet,  das  man  mit  allem  Recht  als  urtheilsfähig 
sollte  voraussetzen  dürfen.  Desto  angenehmer  sind  dann  aber 
die  Beispiele  eigenthümlicher  und  selbständiger  Forschung,  ei- 
nes in  die  Gründe  der  Erscheinungen  eindringenden  oder  we- 
nigstens denselben  nachspürenden  wissenschaftlichen  Geistes, 
der  dieErkenntniss  der  Wahrheit  einzig  weiter  zu  bringen  ver- 
mag. Zu  der  ersten  dieser  Bemerkungen  sieht  sich  der  Reo. 
zunächst  durch  die  beiden  ersten  der  genannten  Sprachlehren 
veranlasst,  durcli  deren  Bekanntmachung  weder  die  Wissen- 
schaft selbst  noch  der  Schulunterricht  etwas  Bedeutendes  ge- 
winnen kann;  sie  findet  auch  auf  einige  der  später  zu  beurthei- 
lenden  Uebungsbücher  ihre  Anwendung.  Dagegen  können  die 
zwei  letzten  der  oben  genannten  Schriften  allerdings  für  Wissen- 
schaft und  Unterricht  förderlich  werden,  die  von  Ilanno,  wenig- 
stens theilweise,  mehr  in  der  ersten,  die  von  Böttcher  mehr  in 
der  zweiten  Hinsicht. 

Was  zuvörderst  die  Anfangsgründe  von  B ö ekel  betrifft, 
seist  schon  von  Andern  mit  Recht  gerügt  worden,  dass  keine 
Vorrede  den  Zweck  des  Verf.  und  denStandpunct,  von  welchem 
sein  Lehrbuch  beurtheilt  sein  will,  näher  bezeichnet.  Zwar 
bemerkt  Ilr.  B.  in  der  ^egen  den  Rec.  in  der  Leipz.  Lit.  Zeit, 
gerichteten  Nachrede  zu  seinen  Anfangsgründen,  AUg. Lit.  Zeit. 
1826  No.  26,  „rföss  er  sie  zum  Leitfaden  jür  seine  Vorlesungen 
bestimmt  habe^  und  dass  nur  auf  ausdrückliches  Perlangen  des 
Verlegers  die  sich  darauf  beziehenden  JForte  auf  dejn  Titel 
weggelassen  sind.'-'-  Allein  hiegegen  darf  doch  erinnert  werden, 
dass  der  Verleger  hier  etwas  verlangte,  wozu  er  kein  Recht  hatte, 
worin  folglich  Hr.  Bö  ekel  als  Verfasser  demselben  durchaus 
nicht  hätte  willfahren  sollen.  Oder  sollte  es  dahin  gekommen 
sein,  dass  die  Scliriftsteller  nur  den  Zwecken  der  Buchhändler, 
nicht  denen  der  Wissenschaft  und  des  gelehrten  Publicum's  die- 
nen müssen?  Für  eben  so  unstatthaft  muss  Rec.  die  dort  ge- 
äusserte Ansicht  erklären ,  „rfffss  solch  ein  individuellen  Zwek- 
ken  dienendes  Compendium  auf  eine  Recension  keinen  Anspruch 
mache'-'- :,  denn  der  öffentliche  Lehrer  muss  es  sich  nicht  nur 
gefallen  lassen,  sondern  selbst  wünschen,  dass  die  öffentlich 
gemachten  Ilülfsmittel  seines  Unterrichtes  einer  unparteiischen 
Kritik  unterworfen  werden. 

Im  Allgemeinen  muss  der  Rec.  auch  nach  der  gegebenen 


Boclcel:  Anfangsgründe  der  Hebräischen  Sprache.  5 

nachträglichen  Erklärung  des  Vf.  sein  Urtlicil  daliin  abgehen, 
dass  die  „Anfangsgründe'"',  wenn  sie  schon  neben  der  Elemen- 
tar- und  Formenlehre  auch  die  Syntax  umfassen,  fi»r  jeden 
Zweck,  auch  für  den  ersten  Unterricht,  ungenügend  seien; 
überall  erscheint  diess  Corapendiiim  zu  dürftig,  oberflächlich, 
unbestimmt,  mit  zu  geringer  Sorgfalt  ausgearbeitet ;  daher  es 
oft  mit  sich  selbst  in  Widerspruch  geräth ,  und  bei  aller  Kürze 
doch  wieder  Ueberflüssigesund  Wiederhohlungen  enthält.  Mchts 
desto  weniger  anerkennt  Rec.  gern,  dass  sich  auch  Proben  eige- 
ner Beobachtung  und  richtige  selbständige  Ansichten  finden,  de 
nur  um  so  mehr  bedauern  lassen,  dass  der  Verf.  nicht  tiefer 
geforscht,  nicht  umfassender  und  besonnener  gearbeitet  hat. 
Dahingehören  besonders  folgende  Stellen,  §  15,  11:  „Vor  der 
Tonsylbe  bekommt  ein  leerer  Buchstab  oft  ein  Kamez;  bb3 
statt  Sb2,  api  statt  üpv"  Vgl.  §54,  3.  58,  5.  Durch  diese 
Beobachtung  wird  man  in  Beziehung  auf  Verbalbildung  mancher 
unnöthigen  Dialectsvergleichungen,  die  sich  in  den  meisten 
Grammatiken  noch  finden,  überhoben.  Nur  ist  an  der  Richtig- 
keit des  Beispieles  bba  sehr  zu  zweifeln,  da  sich  wohl  nur  Sb3 
oder  Ss3  findet;  aber  Beispiele,  wie  nrS,  n»X72,  sind  häufig. 
Richtiger  als  gewöhnlich  ist  auch  §  19,  2:  „Vor  Gutturalen 
mit  Kamez,  ausser  vor  m,  bekommt  der  Artikel  auch  wohl  Segol." 
Nicht  zu  missbilligen  scheinen  ferner  die  Benennungen  Verba 
deminutiva  §  31,  2,  und  Polel,  Polal^  Hithpolel  §  54,  10; 
die  Ansicht  §  56,4:  „Nach  einer  andern Quiescens  otiirt  n,  z.B. 
N^is^,  N^^jJDn";  denn  in  solchen  Fällen  kann  weder  vom  Quie- 
sciren  noch  von  Mobilität  des  n  die  Rede  sein;  die  Zusammen- 
stellung §  57,  4  und  5  über  die  Participia  der  Verba  nS,  und 
die  Bestimmung  §  76,  5,  dass  das  ^  copulativura  immer  im  ^ 
conversivura  mit  enthalten  sei.  Gern  wollte  der  Rec.  hierher 
auch  rechnen  §  75,  12:  „Statt  eines  Pronominis  reflexivi  wer- 
den die  Suffixa  personarum  gesetzt,  i'dh /äw,  auch  sich'-'-,  wenn 
nicht  der  Verf.  selbst  auf  die  Rüge  desLeipz.  Recens.  hin  diese 
nach  unserm  Dafürhalten  richtige  Beobachtung  in  der  Nachrede 
zurückgenommen  und  durch  ein  Versehen  bei'm  Abschreiben 
oder  Corrigiren  entschuldigt  hätte.  Indessen^  hat  sich  der 
Leipz.Rec.  selbst  nachher  (Leipz.  Lit.Zeit.  1826  No.67  S.534) 
zur  Behauptung  des  Vf.  bekannt ,  imd  die  Beweisstelle  Ezech. 
34,  2.  8.  10.  angeführt,  wo  nnt<  se  ipsos  bedeute;  und  ohne 
Zweifel  hat  er  in  der  Ansicht  jener  Stelle  ganz  recht,  wenn 
schon  Ewald  krit.  Gramm,  der  hebr.  Sprache  S.  623,  §  340, 1, 
es  nicht  will  gelten  lassen,  sondern  nnk  c-'yHn  und  Dnixii?*!"»  er- 
klärt: sie  weideten  jene,  wobei  man  sich  nichts  Deutliche«  den- 
ken kann.  Aber  es  lassen  sich  noch  mehrere  Beispiele  anführen, 
die  den  von  Ihn  Bö  ekel  unwissentlich  behaupteten  richtigen 
Satz  ausser  Zweifel  setzen:  2  <Sö;/i.  15, 25:  T\)r\''^  ■'?'*H5  ^f?.  ^^^.^  °i< 
nni3-nf<i   ^^**  ''^.^1'"!')  "'^.^'''^n.l«     Hier   geht 'doch  In«  ganz  ge- 


6  Hebräische  Sp  rachkundc. 

wiss  auf  das  Subject  des  Verbi  nij'in,  und  dass  diess  noch  ein 
anderes  Object  bei  sich  hat,  thut  ganz  und  gar  nichts  zur  Sache ; 
auch  wäre  es  hier  sehr  nahe  gelegen  zu  sagen  r3Q-ni<  statt  1ni<, 
wenn  in  solchen  Fällen  durchaus  eine  Umschreibung  gebraucht 
werden  müsste.  Bei  Jerem.  ü ^  19:  n"*  dn3  niD-'VD»  on  timh 
Cin^<  xibn,  lautet  der  zweite  Satz  vollständig  cnnk  ü'<C;_'>^:iv  Dn, 
und  DON  hängt  unmittelbar  vom  Verbo  (freilich  nicht  vom 
Subjecte)  ab,  die  Umschreibung  mit  tyaj  zu  gebrauchen  wäre 
aber  hier,  wie  in  mancher  andern  Stelle,  ganz  unschicklich.  End- 
lich trage  ich  auch  kein  Bedenken,  hieher  zu  ziehen  die  Stelle 
JKrorf.  5,  19:  Vja  nni<  SM";;\y";  •'^3  •'*icu? '):o''j) ,  wo  der  Zusammen- 
hang durchaus  zu  erfordern  scheint ,  dass  man  tzrva.  als  Reflexi- 
vura  nehme;  deim  wollte  man  onkauf  SN"ib>  •'J3  beziehen, so  ent- 
stände  ein  sehr  matter,  unbedeutender  und  schiefer  Gedanke. 
Die  Zahl  derjenigen  Regeln  aber,  worin  der  Yf.  sich  als 
einen  ungründlichen  und  oberfläclilichen  Grammatiker  zeigt,  ist 
ungleich  grösser,  und  es  ist  uns  unbegreiflich,  wie  der  Reo. 
in  der  Jen.  Lit.  Zeit,  die  Präcision  und  Deutlichkeit  derselben 
rühmen,  und  diess  Büchlein  für  eine  skizzirte  Darstellung  des 
Nothwendigsten  aus  der  hebr.  Grammatik  erklären ,  ja  gerade 
die  höchst  unklare  und  verworrene  Elementarlehre  vorzüglich 
lobenswerth  finden  konnte.  Diese  enthält  sehr  viel  Unrichtiges 
und  Unbestimmtes,  z.B.  §  ß,  13  die  Definition  des  n  mappika- 
tum :  „Ein  zur  Wurzel  des  Wortes  gehörendes,  also  weder  bloss 
formales ,  noch  die  Stelle  eines  andern  Consonanten  vertreten- 
des n  wird  am  Ende  ausgesprochen'^  u.s.  w.  Sonach  könnte  das 
Suff.  3  pers.  sing.  fem.  n—  kein  Mappik  erhalten.  §  8, 11:  „Diess 
(dass  zwei  Consonanten  nach  einem  gedehnten  Vocal  zur  fol- 
genden Sylbe  gehören)  ist  nur  da  nicht  der  Fall,  wo  die  Ety- 
mologie eine  andere Sylbenabtheilung  fordert,  z.B.  niSap",  jik- 
tol-nah."  Keineswegs  ist  die  Etymologie  Ursache  hievon; 
(sonst  müsste  auch  d"»ST3p  so  getheilt  werden),  sondern  dass 
Cholem  hier  wirklich  kein  gedehnter  Vocal  ist ;  wie  passt  aber 
zur  Ansicht  des  Vf.  die  Abtheilung  von  ?ip,^,  ^Y?i^'  welche  der 
Etymologie  geradezu  widerstreitet*?  Nicht  richtiger  ist  Regel 
15  dieses  §,  nach  welcher  man  ^iSVn  lesen  soll  ha-l'lu,  da  es 
vielmehr  hal-l'lu  heissen  muss;  zu  allgemein  §  11,  1  über  die 
Assimilation  des  3 ;  Reg.  10  über  die  Verwandlung  des  n  in  n, 
die  auch  der  Reg.  3  widerspricht,-  §  14,  3  über  die  Vocale  un- 
ter Gutturalen ,  u.a.m.  Nicht  genauer  ist,  wie  sich  leicht  er- 
achten lässt,  die  Abhandlung  der  Formenlehre.  So  wird  § 
17,  7  das  Femininum  r\n'\i*.  vom  Masc.  n"i'«  abgeleitet,  da  es 
vielmehr  von  n-ik  herkommt,  wie  hSd«  von  bpk,  während  n-jk 
das  Fem.  nn*iN  bildet.  Nach  §  18,  6  hätte  nSty»rj  im  Plur. 
nV^P^..  Aliein  da  im  Sing,  auch  die  Form  n'jxyib»  üblich  ist, 
so  müsste  wohl  der  Plur.  abs. ,  wenn  er  vorkäme ,  nib'i'c»  lau- 
ten,'  freilich  kommt  uurnlWcD  Ps.  136,9  und  vor  Suff.  Psi  114, 


Bückel:  Anfiingsgründe  der  Hebräischen  Sprache.  7 

2  vor,  allein  beide  Steilen  beweisen  nichts  für  den  Stat.  absol. 
Ebend,  Reg.  8  wird  von  rflV)  der  Plural    dtip-!  gebildet ,  wo; 
für  es  kaum  einen  Beweis  giebt;  denn  die  Stelleu  Rieht.  11,  37, 
vgl.  y.  38  und  Ps.45, 15,  auf  die  sich  des  Vf.  Ansicht  vielleicht 
gründet,  sind  ganz  dagegen.     Wie  unbestimmt  und  in  dieser 
Ausdehnung  irrig  ist  §  20,  ß:  „In  mehrsylbigcn  Wörtern  wer- 
den (im  St.  constr.)  die  veränderlichen  Vocale  der  erstem  Sifl- 
ben  weggeworfen'^  !    ünnöthige  Wiederhohlungen  und  Verwei- 
sungen ,  die  doch  dem  Schüler  nichts  anschaulich  machen,  fin- 
den sich  §  2i,  10;  §  25,  ß;  §  2«,  2  und  3;  §  39,  7.  Auch 
der  Vf.  ist  §32,  4,   so  wie  Reyher   §  64,   2,   c,  der  Mei- 
nung, dass  Fiel  eine  privative  oder  negative  Bedeutung,  habe, 
wogegen  Rec.  sicli  schon  anderwärts  ausgesprochen  hat;  man 
vgl. auchH anno  S.80,Ewald  S.  199  und  zumilohenl.  S.118. 
Aber  nach  §  33,  3  soll  sogar  Iliphil,  wiewohl  seltener,  priva- 
tive Bedeutung  haben,  z.B.  \in;  besitzen,  ^•'•^in  aus  dem  Besitze 
verdrängen.     So  hätte  in  diesem  Verbo  nicht  nurHipbü,  son- 
dern Kai  selbst  privative  Bedeutung;     denn   auch  u;*}';   findet 
sich  in  der  Bedeutung:  einen  aus  dem  Besitz  verdrängen.     Diess 
geht  aber  ganz  natürlich  zu;  denn  wenn  man   eine  Person  in 
Besitz  nimmt,   d.  Ii.    zinsbar  oder  zum  Sclaven   macht,   so  ist 
damit  nothwendig  verbunden,     dass  ihr    früheres  Eigenthum 
ganz  oder  theilweise  nicht  mehr  ihr  gehört,  sondern  in  die  Ge- 
walt des  Bezwingers,  Eroberers  kommt;  also  wird  sie  dann  aus 
dem  Besitze  verdrängt.     Ungenau  sind  auch  die  Regeln  über 
die  Bedeutung  des  Niphai  §  34,  1  und  4;  denn  hiesse  {<v  nur 
sich  fürchten^    nicht  auch    einen   fürchten^   so    könnte    i<"5ia 
nicht  die  Bedeutung  gefürchtet  werden  erhalten ,  und  sich  ver- 
U7ireinigen  ist  nicht  RefLexhum  von  unrein  sein^  sondern   von 
unrein  machen.     Nach  §  42,  2  wird  der  Imperativ  vom  Futuro 
gebildet,    indem    man    die    Präformativen    weglässt;    ähnlich 
Hanno  S.  70  u.  99.  Eine  sonderbare  Ansicht,  von  der  ich  mich 
wundere,    dass  neulich  auch  Ewald  §  159  ihr  beigepflichtet 
und  sie  zu  begründen  gesucht  hat.  Rec.  muss  sie  durchaus  für 
unrichtig  und  naturwidrig  erklären.     Das  Einfachste  ist  wohl  in 
der  Regel  als  dasAeltestc  anzunehmen;  und  das Bedürfniss  des 
Imperativs  musste  eines  der  frühesten  iji  der  Sprache  sein ,  da- 
her seine  grosse  Aehnlichkeit  mit  dem  Infinitiv;  weit  eher  liess 
sich  das  Futurum   eine  Zeit  lang  entbehren.     Auch  lässt  sich 
nicht  denken,   dass  gerade  die  wesentlichen  und  bedeutungsvol- 
len Präformative  weggelassen  worden  wären.     Welcher  Umweg 
muss  ferner  nach  dieser  Ansicht  für  die  Bildung  des  Imperativs 
in  den  Formen  Niphai ,  Iliphil  und  Hithpael   gemacht   werden, 
wie  sich  aus  Reg.  5  ergiebt,  wonach  in  den  genannten  Conjuga- 
tionen  das  durch  Contra ction  ausgefallene  n  wiederkommt!  Da- 
rum behauptet  aber  Rec.  nicht,  dass  das  Fut.  vom  Imper  kom- 
me, wie  diess  auch  nach  Gramm.  §35,  1  nicht  Hrii.  Gesenius 


S  HebräischeSprachkunde. 

entschiedene  Ansicht  ist  (wenn  schon  Ew.  S.  285  Note  9  sie  ihm 
wegen  Lehrg.  8.878  zuschreibt),  sondern  vom  Inßmtiv.  Ohne 
die  nöthige  Umsicht  ist  wieder  die  Regel  6  ebend.  abgefasst: 
„Wo  ein  Fut.  apoc.  statt  findet,  da  wird  der  Imperativ  von  die- 
sem abgeleitet."  Der  Vf.  meint  wahrscheinlich  nur  das  Fut. 
apoc.  Hiph.  im  regulären  Verbo,  und  es  ist  zu  wünschen,  dass 
die  Anfänger  diese  Regel  vergessen ,  bis  sie  von  andern  Futuris 
apoc.  bei  Verhis  iir,  '''v,  nS  hören ;  aber  selbst  beim  regulären 
Verbo  behauptet  die  Regel  zu  viel;  vgl.Seebode'skrit.  Bibl.  1826, 
S  S.  247  und  Threii.  5,1:  ts^^an,  wo  freilich  das  Keri  nü-'an 
verlangt;  aber  warum  sollte  niclit  ts^in  geschrieben  werden? 
Denn  wäre  die  abgekürzte  Form  des  Imper.  die  einzige  übliche 
gewesen,  so  könnte  auch  jenes  •>  nicht  stehen,  das  doch  auch 
Ps.l42,  5  sich  findet.  Nach  §  43,  3  sollte  man  denken,  in  den 
Verbis  med.  E  und  0  sei  das  Partie.  Benoni  immer  dem  Präte- 
rito  gleichlautend,  was  doch  keineswegs  der  Fall  ist;  denn  nie 
findet  sich  SN\y  für  petens ,  sriN  für  amans ,  sondern  immer 
hiiSi},  ariN.  Ebend.  Reg.  8:  „Auch  giebt  es  (im  Partie.)  eine 
Femininendung  auf  n—  — ,  jedoch  nicht  in  Hiphil  undHophal." 
Der  Vf.  behauptet  ziemlich  zuversichtlich  einen  Satz,  der  durch 
eine  bedeutende  Anzahl  von  Beispielen  widerlegt  werden  kann; 
vgl.  Genes.  35,  8:  np^ic.  Levit.  14,  21:  ni^y«.  Numer.  5,  15: 
n-^sin.  Esth.  2,  20:  n-r^n.  Proverb.  19,  14:  nS^^yc.  2  Chron. 
3,11:  nr^o.  IKön.  13,  2425.28.  Jerem.  36,  30:'n3S;yö.  Ge- 
nes. 38,  25:  riNisJi»  (aus  nNS!i»).  Jesaj.  12,  5:  ny']^»(Keri). 
Seine  eigenthümliche  Eintheilung  der  anomalischen  Verba  hat 
*keine  Vortheile  vor  der  gewöhnlichen,  und  verursacht  eher  un- 
nöthige  Schwierigkeiten.  Nach  §  60,  7  steht  das  Pronomen 
nt  dieser,  nähml.  Ort,  für  das  Adverbium  hier\  aber  wahrschein- 
licher ist  nj  eben  so  ursprünglich  Adverbium  als  Pronomen;  vgl. 
das  Griechische  öe,  wovon  erst  oös,  das  Deutsche  rfa,  wel- 
ches gewiss  älter  ist  als  das  und  der.  Auch  der  Vf.  folgt  in 
der  Syntax  (an  der  sich  allerdings  auch  noch  Manches  aussez- 
zen  lässt)  §  65 ,  1  der  gewöhnlichen,  aber  höchst  unphiloso- 
phischen Ansicht,  dass  der  unbestimmte  Artikel  im  Hebr.  durch 
den  bestimmten  vertreten  werde;  doch  ist  dieser  Irrthum  schon 
von  Andern  widerlegt  worden.  Falsch  ist  natürlich  auch  §  66, 
6:  „Der  Vocativ  wird  häufig  durch  den  Artikel  bezeichnet: 
z.B.  tiictön  o  Himmel!'^  eine  Meinung,  der  auch  Reyher 
§  103,  3  und  Hanno  S.  148,  vgl.  72,  folgen;  das  Richtigere 
giebt  Ew.  S.568,  §  295,  a,  f.  Manches  Andere  der  Art,  z.B. 
von  Ellipsen  u.  dgl.,  übergeht  Rec.  absichtlich,  weil  der  Vf. 
es  mit  den  meisten  bisherigen  Grammatikern  gemein  hat;  so 
auch  §  69,  4  über  den  Gebrauch  von  ni<»  oder  die  Verdoppe- 
lung des  Adjectivs,  um  einen  Superlativ  auszudrücken;  vgl. 
Reyher  §  109,  2,  c;  diess  ist  ja  nur  ein  rhetorischer  Ge- 
brauch des  Superlativs   bei  Griechen   und  Römern,    den  man 


Reyher:  Formenlehre  der  Hebräischen  Sprache.  9 

doch  billiger  Weise  den  Hebräern  nicbt  axicli  als  Pflicht  zumu- 
tlieii  darf.  Aber  allzu  obciflächlidi  ist  §  81,  2:  „Oft  haben 
sie  (zwei  mit  einander  verbundencPräpositionen)  die  Bedeutung 
der  einfachen ;  wenigstens  ist  die  Nuancirung  fast  unmerklich: 
i^nNü  =  "''^nisi  nacli;  Dy>9  =  ny  von."  Wie  man  nur  so  etwas 
schreiben  kann!  Wie  ist  es  gedenkbar ,  dass,  wenn  zwei  Prä- 
positionen von  so  ganz  entgegengesetztem  Begriffe  verbunden 
werden ,  diess  eine  nur  unmerkliche  Nuancirung  gebe !  Die 
Nuancirung  ist  keine  andere,  als  dass  durch  die  vorgesetzte 
Präposition  in  der  Regel  der  Begriff"  der  nachfolgenden  aufge- 
hoben, und  also  das  Aufhören  des  friiher  bestandenen  Verhält- 
nisses bezeichnet  wird.  Zwar  weiss  ich  wohl,  dass  auch  diese 
Ansicht  noch  Viele  mit  dem  Vf.  theilen;  aber  auch  Stellen, 
wie  Exod.  14,  19  ,  Josu.  8,  2,  Jerem.  9,  21,  Ezech.  40,  7  be- 
weisen sie  durchaus  nicht,  wenn  schon  ^c  dort  nicht  den  oben 
angegebenen  Begriff  hat;  aber  es  bezeichnet  die  Richtung,  wie 
im  Griech.  Tcgog  c.  gen. 

Der  Druck  des  Buches  ist  schön,  aber  an  Druckfehlern  ist 
grosser  üeberfluss ;  Rec.  hat  deren  nicht  nur  vier  bis  fünf,  wie 
der  Rec.  in  der  Jen.  Lit.  Zeit. ,  sondern  Avohl  die  vierfache  An- 
zahl bemerkt,  mit  deren  Aufzählung  er  jedoch  den  Leser  nicht 
behelligen  will. 

Der  Vf.  von  No.  2  hat  zwar  sein  Buch  mit  einem  Vorworte 
versehen,  worin  er  seinen  Zweck  angiebt,  aber  die  Erscheinung 
desselben  hat  er  dadurch  keineswegs  genügend  gerechtfertigt. 
Er  sagt  nähmlich  S.  V:  „Es  scheine  ihm  an  einetn  Buche  zu  feh- 
len., welches  die  einjachsten  Gesetze  der  hebr.  Sprache  einfach 
und  klar  entwickele.,  ohne  entweder  bloss  Bruchstücke  einer 
hebr.  Sprachlehre  zu  liefern.,  oder  durch  eine  grosse  Masse  vo7i 
Bemerkungen  das  Gedächtniss  des  Anfängers  zu  überfüllen. 
Durch  das  Eine  werde  dieser  eine  geunsse  Oberflächlichkeit  in 
seiner  grammatischen  Kenntniss  erhalten,  durch  das  Andere 
nur  mit  Mühe  und  Noth  seinen  gram?natischen  Cursus  beendigen 
können.  Denn  wenn  auch  die  geschickte  Leitung  des  Lehrers 
das  dem  Anfänger  nicht  nothwendig  zu  Lernende  heim  Unter- 
richt überschlage^  so  werde  doch  dieser.,  theils.,  um  die  Bemer- 
kungen ,  welche  der  Lehrer  beim  Unterricht  macht ,  ivieder  zu 
ßnden.,  theils  um  sich  die  bündige  Sprache  seiner  Gramma- 
tik zu  erklären.,  sehr  leicht  in  Versuchung  gerathen.,  das 
Ganze  seiner  vollständigeren  Sprachlehre  durchzugehen.  Wie 
viel  Zeit  und  Mühe  dabei  verloren  gehe.,  und  tvie  wenig 
der  Anfänger  im  Gedächtnisse  behalte.,  dürften  Sachverstän- 
dige wohl  kennen.'-''  Schon  hier  kann  Rec.  des  Vf.  Ansichten 
nicht  theilen.  Ihm  scheint  es  nichts  weniger  als  ein  Unglück, 
wenn  lernbegierige  und  zugleich  fähige  Schüler  in  Versuchung 
gerathen,  das  Ganze  einer  vollständigen  Sprachlehre  durchzu- 
gehen.   Diess  werden  sie  wohl  nicht  thuu,  bis  sie  schon  au  der 


10  Hebräische  Sprachkunde. 

Hand  des  Lehrers  einen  ersten  Cursus  gemacht  haben,  und 
dann  kann  es  nicht  anders  als  im  Ganzen  und  Einzelnen  der 
Griindlichkeit  und  Tiefe  ihrer  Erkenntniss  förderlicli  sein.  Mühe 
soll  und  muss  das  Lernen  einmalil  kosten,  und  diese  dem  Schüler 
ersparen  zu  wollen,  ist  ein  eitles,  sich  selbst  bestrafendes  Be- 
ginnen. Gesetztauch,  dass  der  Schüler  manche  einzelne  Er- 
scheinung wieder  vergesse:  diess  schadet  nichts;  hat  er  nur 
den  Bau  der  Sprache  überhaupt  erkannt  und  gefasst,  so  wird 
er  jene  beimWiedervoikommen  schon  einzureihen  und  in  ihrem 
Zusammenhange  zu  begreifen  vermögen.  Der  Vf.  indessen  ent- 
schloss  sich,  einen  Leitfaden  jener  Art  auszuarbeiten,  und  dem 
Publicum  zu  übergeben.  Als  Haupterfordernisse  schwebten  ihm 
dabei  vor :  „Z>/e  Hauptsache  sollte  kurz  ujid  b  ü  n  d  ig  dargestellt 
sein,  doch  zugleich  so,  dass  sie  tiefere  Blicke  in  den  Bau 
der  hebräischen  Sprache  thun  Hesse,  vor  Alem  aber  sollte 
Deutlichkeit  im  Ganzen  und  im  Einzelnen  stattfinden,  so 
dass  sich  der  Anfänger  einen  vollständigen  und  deutlichen  Ue- 
berblick  über  den  Bau  der  hebräischen  Sprache  machen  könnte.'''' 
Sehen  wir  nun,  ob  und  in  wie  weit  der  Vf.  seinem  Ziele  nahe 
gekommen  ist. 

Das  Ganze  besteht  aus  zwei  Haupttheilen ,  der  Ele- 
mentarlehre und  Formenlehre,  in  112  fortlaufenden  §§;  die 
Syntax  blieb  ausgeschlossen.  Die  Elementarlehre  enthält  zwei 
Abschnitte,  l)  Schriftzeichen  der  Hebräer ,  in  vier  Capiteln  1) 
von  den  Consonanten ;  2)  von  den  V^ocalen  a)  Haupt\oc^\Q,  b) 
/fa/6vocale  (Schwa  und  Chatheph)  ;  3)  vom  Bagesch,  Mappik  und 
Maphe;  4)  von  den  ^ccewiew,  Makkeph  und  Metheg.  II)  T  er- 
änderungen  der  Consonanten  und  Vocale,  von  der  Sylbenabthei- 
lung  und  dem  Tone,  wieder  in  vier  der  Hauptüberschrift  ent- 
sprechenden Capiteln.  Die  Formenlehre  hat  sieben  Abschnitte: 
1)  Abstammung  der  Wörter  und  Angabe  der  Redetheile ;  2) 
vom  Arlikel;  3)  vom  Pronomen^  (diese  beiden  Abschnitte  wä- 
ren wohl  logischer  in  Einen  verbunden  worden);  4)  vom  Verbo, 
in  drei  Capiteln;  5)  vom  Nomen,  in  zwei  Capiteln;  C)  vom 
Zahlworte',  T)  von  den  Partikeln.  Gegen  die  Eintheilung  ist 
nichts  einzuwenden,  aber  desto  mehr  ^Q^^n  die  Behandlung 
und  Ausführung,  aus  deren  etwas  näherer  Betrachtung  sich  er- 
giebt,  dass  der  Vf.  eine  eigene  Grammatik  zu  schreiben  nicht 
geeignet  war.  Er  scliliesst  sich  zwar  genau  anGesenius  an, 
wie  er  im  Vorw.  S.  VII  dankbar  bekennt,  aber  er  will  denn  doch 
zuweilen  selbständig  sein  und  aus  eigener  halber  und  einseitiger 
Beobachtung  Regeln  aufstellen,  was  ihm  aber  beinahe  jedes 
Mahl  misslingt;  daher  Mir  dem  llec.  in  der  Leipz.  Lit.  Zeit, 
kaum  glauben  können ,  wenn  er  versichert,  er  habe  das  Büch- 
lein sorgfältig  durchgegangen,  und  darin  wenig  Unrichtiges 
gefunden. 

Schon  dem  ersten  der  ausgesprocheneu  Erfordernisse,  der 


Reyher:  Formenlehre  der  Hebräischen  Sprache,  11 

Kürze  unA  Bündigkeit  ^  leistet  der  Vf.  kein  Genüge.  Im  Ge- 
gentheil  scheint  er  es  recht  eigentlich  darauf  angelegt  zu  haben, 
ohne  viel  zu  geben,  doch  durch  Unaständiichkcit  und  Breite 
sich  ein  gewisses  Ansehen  von  Gründlichkeit  zu  verschaffen ;  da- 
her es  nicht  an  liäufigen  Wiederliohhingen  fehlt.  So  sind  z.B. 
gleich  §  1  die  Consonantes  finales  hinten  am  Alphabet  vollstän- 
dig ausge^ietzt ;  dann  folgt  aber  doch  noch  Anna.  2 :  „Fünf  Con- 
sonanten  haben  am  Ende  der  Wörter  eine  andere  Figur;  man 
nennt  sie  Finalbuchstaben  u.  s.  w."  Auch  §  3  über  den  Ge- 
brauch der  Consonanten  als  Zahlzeichen  ist ,  nachdem  schon 
im  Alphabet  ihr  Zahlwerth  angegeben  worden,  ziemlich  über- 
flüssig ;  das  Neue  konnte  in  einer  kurzen  Anmerkung  beigebracht 
werden.  Die  §§8  und  9  enthalten  ebenfalls  viele  Wiederhoh- 
lungen,  vgl,  z.B.  S.12  in  d.M.  und  S.13  unten,  und  dazu  noch 
§35,  2.  Die  ungenaue  Bestimmung  §  17,  4:  „Indessen  ist 
vor  n  und  n  zuweilen  die  Verlängerung  unterblieben,"  wird 
auch  §  33,  1  und  §  52,  2,  a  beinahe  unverändert  wieder  ge- 
geben. §  36,  3  und  §  108  über  die  paragogischen  Buchsta- 
ben, theils  überhaupt,  theils  am  Nomen,  konnte  leicht  zusam- 
men gezogen  werden. 

Auch  gegen  die  erforderliche  Deutlichkeit  verstösst  diess 
Lehrbuch  sehr  oft,  indem  es  dem  Vf.  selbst  an  der  rechten 
Klarheit  zu  fehlen  scheint.  Was  soll  man  sich  z.B.  bei  §  47,1 
denken,  wo  unter  den  Wörtern,  die  den  Ton  auf  Penultima 
be sitzen^  weh^w  andern  Verbalformen  auch  die  mit  dem  Bildungs- 
zusatz p  (2  p.  praet.  sing,  fem.)  aufgeführt  wird?  Diese  An- 
gabe fand  sich  zwar  auch  in  den  frühern  Ausgg.  von  Gesenius 
Grammatik,  aber  sie  ist  wenigstens  schon  in  der  sechsten  von 
1823  weggelassen.  Ziemlich  unverständlich  ist  §  54,  Anm.: 
„Statt  N'»n  kommt  imPentateuch  xin  vor,  weil  sonst  die  dritte 
Fers.  sing.  masc.  zugleich  auch  die  dritte  Person  sing,  fem.  be- 
zeichnete.'' Der  Schüler,  der  noch  nichts  vonKeri  und  Chethibh 
weiss ,  kann  diess  unmöglich  fassen.  §  5S,  2  wird  ganz  allge- 
mein gelehrt:  „diejenigen  Verbalformen,  welche  mit  einem 
Consonanten  schliessen,  nehmen  Suffixa  zu  sich,  die  mit  einem 
Vocale  anfangen."-  Wie  wird  diess  der  Schüler ,  wenn  er  nun 
das  Paradigma  Taf.  VIII  erlernt,  mit  den  Formen  •'^nSüp, 
'ijnSt:;-!,  DD^cp,  ^V^p''.  in  üebereinstimmung  bringen  können? 
Denn  auch  §  94,  5  hilft  nicht  ganz  aus.  §  58,  5  (nicht  3),  a,  E 
werden  als  Präpositionen,  welche  Suffixa  nom.  plur,  zu  sich 
nehmen,  Q-'Ja'^  und  D''^s»,  genannt,  was  eben  so  unphilosophisch 
ausgedrückt  ist,  als  es  dem  Lernenden  keinen  klaren  Begriff 
von  der  Art  der  Verbindung  geben  kann.  Wie  vertragen  sich 
§85,  1  und  2,  3  mit  einander,  wo  die  erste  Regel  durch  die 
dritte  grossen  Theils  wieder  aufgehoben  wird.  Unklar  und 
Terwickelt  müssen  dem  Schüler  auch  die  Afformativa  composita 
§  97 ,  7,  b  erscheinen  *,  die  Sache  hätte  sich  viel  einfacher  und 


12  Hebräische  Sp  rachkunde. 

deutlicher  darstellen  lassen.  Zur  methodischen  Deutlichkeit 
kann  Rec.  es  endlich  auch  nicht  rechnen,  wenn  in  den  Para- 
digmen der  Nomina  Tat.  IX  —  XII  die  üuale  von  Noniinibus  an- 
gegeben werden,  von  denen  sie  nicht  vorkommen,  und  schon 
des  Begriffes  wegen  niclit  vorkommen  können.  Was  soll  man 
sich  z.  B.  bei  dic^,  D'in^'u:;  (von  nJiif  der  Schlaf)  u.  dgl.  denken*? 
Und  doch  bleibt  sich  der  Verf.  hierin  nicht  ganz  getreu,  son- 
dern giebt  unter  DN  den  Dual  C3''.3ty.  Dieser  Tadel  trifft  aber 
auch  die  Tabellen  von  Böttcher. 

Am  meisten  müssen  wir  endlich  bezweifeln,  ob  der  Schü- 
ler durch  diese  Grammatik  zu  einem  tiefern  Blicke  in  den  Bau 
der  hebr.  Sprache^  ja  zu  einem  vollständigen  Ueberblick  über 
denselben  gelangen  werde;  denn  es  finden  sich  im  Buche  selbst 
nur  zu  viele  Beweise,  dass  der  Verf.  nicht  weit  unter  die 
Oberfläche  eingedrungen  ist,  keine  umfassende  Kenntniss 
der  Sprache  und  über  Manches  aiis  der  Elcmeiitarlehre  wie 
aus  der  Formenlehre  ganz  unphilosophische  Ansichten 
hat.  Höchst  mangelhaft  ist  z.  B.  §  14,  Anm. :  „Zuweilen 
erhalten  die  Gutturalen  ein  einfaches  Schwa,  aber  nur  nach 
einem  kurzen  Vocal,  z.  B.  pyqi^."  Also  nach  allen  kurzen  Vo- 
calen,  und  in  allen  Stellungen'?  wäre  denn  aber  pyriJ  in  Pau- 
sa  nicht  auch  richtig'?  Vgl.  Deuter.  8,  10.  Nach  §  30  entsteht 
der  Plur.  ninrN  von  na«  durch  Epenthesis;  wie  ist  es  denn  aber 
mit  dem  Plur.  constr.  nlnaiz;  von  naw*?  §  40  lehrt  der  Verf.  aus 
sich:  „Umstellung  der  Vocale  erfolgt  zuweilen,  wenn  ein  An- 
hang zu  einem  Worte  tritt,  der  den  Ton  nicht  hat,  z.B.  •'JiSiJi^ 
statt '<:^'5i3;p^."  Wie  verhält  es  sich  denn  mit  üDn-i^tü  u.  s.  w., 
wie  mit  dem  Plural  der  Segolata*?  §  58,  5,  ß  wird  nnp  unter 
den  Pi  äposs.  genannt ,  die  theils  Suff.  nom.  s/wg.  theils  plur.  zu 
sich  nehmen,  mit  dem  Beispiel  •'Pnn  und  innp.  Das  letztere 
wird  sich  aber  kaum  irgendwo  finden;  wohl  kommt  neben 
Dn''rinn  auch  onnri  vor,  aber  hier  ist  die  Zusammenziehung  we- 
gen des  in  der  31itte  stehenden  n  sehr  natürlich.  Unlogisch 
werden  §  59,  1  nt  und  nt^T  nur  durch  ein  dem  letztern  vorge- 
setztes selle7t  unterschieden ;  denn  n;r^n  entspricht  nicht  dem  nr, 
sondern  dem  n;in;  dasselbe  gilt  von  den  Formen  gen.  fem.  und 
comm.  §ß5,  Anm,  wird  als  Beispiel  von  Hothpaal  nfsann  ange- 
geben; so  geschrieben  kommt  es  aber  nie  vor,  sondern  "if^Qnn 
sowie^TpQnn,  npsn^,  iTpsni;  vgl.  Ilanno  S.  i)2.  Der  Grund 
dieser  Erscheinung  lässt  sich  entweder  darin  suchen,  dass  p  als 
ein  lialber  Guttural  betrachtet  wird  (vgl.  Ew.  S.  104  oben), 
oder  es  lässt  sich  vielleicht  auch  annehmen ,  die  Form  Hithp. 
sei  zuweilen  nicht  von  Piel ,  sondern  unmittelbar  von  Kai  abge- 
leitet worden,  wenn  z.  B.  Kai  schon  transitive  Bedeutung  hatte. 
Die  grosse  Verwandtschaft  von  Kai  und  Niphal  sowohl  in  Form 
als  Bedeutung  scheint  der  letztern  Ansicht  nicht  ungünstig. 
§  69,  2  wird  die  für  Rec.  neue  Regel  aufgestellt,  dass  auch 
die  Vcrba  med.  0  hinter  dem  zweiten  Radical  im  Infin.  Patliach 


Rcylier :  Formenlehre  der  Hebräischen  Sprache.  IS 

erhalten,  und  mit  dem  Beispiele  ]'a\^  Inf.  ^üf^,  vgl.  Taf.  I,  be- 
legt. Allein  schon  bei  denVerbis  med.E  ist  diess  Pathach  nicht 
ausschliessend  herrschend,  bei  denen  med.  O  kommt  es  wohl 
gar  nicht  voi\  Uebcrhaupt  ist  die  Zahl  dieser  Verba  so  klein, 
dass  sich  von  ilineri  kein  vollständiges  Paradigma  bilden  lässt. 
Indessen  ist  die  Analogie  und  der  vorhandene  Gebrauch  viel 
eher  für  den  0-laut.  Denn  das  Verb.  \^*13  hat  auch  im  Infin. 
tüia,  (Rieht.  3,  25:  T:ii2-ny),  woher  das  Subst.  verb.  ntwa,  und 
von  bb>  kommt  mehrmahls  der  Inf.  constr.  nSb-;  vor,  der  doch 
eine  Grundform  bb*"  voraussetzt.  Eben  so  unrichtig  iet  §  80, 
3,  b:  „Der  Imper.  und  das  Fut.  Kai  (der  Verba  ^ä)  hat  meh- 
rentheils  statt  Cholem  entweder  Patach  oder  Zere  (letzteres 
ist  aber  nur  beim  Verbo  ]n3  der  Fall)."  So  wird  das  ,  was  in 
Einem  Worte  ausnahmsweise  vorkommt,  in  die  Regel  aufgenom- 
men, während  das,  was  sich  in  vielleicht  zwanzig  Beispielen 
findet,  zur  Ausnahme  gemacht  wird.  Diesen  Irrthum ,  derauf 
völligem  Missverständniss  der  Regel  bei  Gesenius  zu  beru- 
henscheint, theilt  aber  mit  Hrn.  Reyher  auch  der  Rec.  von 
Böckel  in  AVin.  u.  Eng.  n.  krit.  Journ.  8.377.  §  84,  2  wird 
von  nto^  das  Iloph.  3t: ^i  gebildet,  und  so  auch  Taf.  VII  unter 
den  Paradigmen  aufgeführt,  das  doch  wohl  nie  vorkommt,  und 
wenn  es  vorkäme,  leicht  von  21t3  abgeleitet  werden  könnte. 
Wenn  aber  wegen  i^i-»  Jesaj.  54,  17  ein  eignes  Parad.  Iloph. 
zu  bilden  war,  warum  nicht  auch  für  Niphal  Taf.  II,  9  wegen 
n:£i3  Jesaj.  43,  10*?  §  89  finden  sich  im  Verzeichniss  der  Verba 
defectiva  mehrere  ganz  willkiihrlich  gebildete  Formen  wie 
1^3,  n33,  *T>ro  u.  s.  w. :  aber  wer  tiefere  Blicke  in  den  Bau  der 
hebräischen  Sprache  getlian  hat,  sollte  auch  wissen,  dass  ■<  zu- 
weilen durch  ein  Dag.  f.  im  folgenden  Consonanten  ersetzt  wird; 
oder  sich  wie  h  und  j  assimilirt.  §  90 ,  1  wird  über  das  n 
parag.  am  Futuro  so  gesprochen,  als  ob  es  an  allen  Personen 
desselben  gleichmässig  vorkäme ,  wenn  sie  nur  auf  den  dritten 
Radical  ausgehen ;  auch  die  Erklärung  dieser  Fut.  parag.  durch 
„Futurum  Conjunctivi"  ist  sehr  ungenügend  und  unpassend.  Dass 
auch  der  Inf.  nach  Reg.  3  ein  parag.  n—  erhalte,  ist  in  dire- 
ctem  Widerspruch  mit  §  74,  wo  diess  n—  mit  Recht  als  Femi- 
ninendung dargestellt  wird.  Ein  starkes  Versehen  ist  §  97,  6, 
dass  HN^aj,  Prophezeiung,  unter  den  Nominibus  mit  Präform, 
erscheint,  da  doch  gleich  als  Stamm  das  freilich  in  Kai  nicht 
gebräuchliche  n3D  genannt  wird.  Im  Anhang  zu  §  99,  der  eine 
Uebersicht  der  Nominalbildung  von  Verbis  nach  Gesenius 
giebt,  finden  sich  neben  dem  aus  dem  Lehrgebäude  Ausgezo- 
genen auch  manche  Zusätze ,  die  zum  Theil  ohne  richtige  Ein- 
sicht eingeschoben  Murden;  auch  in  der  Auswahl  hätte  etwas 
kritischer  verfahren  werden  dürfen.  So  wird  No.  5  nSlna  ein 
Primitivum  genannt,  wofür  es  doch  kein  Etymologe  wird  gelten 
lassen;  vgl.  No.3C.  Unlogisch  ist  ebendas.  die  Verbindung  der 
Denominativa  «im  und  niT'pa.    Das  Wort  ^lo  wird  sowohl  un- 


14  Heliräische  Sprachkande. 

ter  Nr.  9  als  25  angeführt ,  da  es  doch  nur  an  einem  Orte  rich- 
tig sein  kann:  vgl.  Ges.  Lehrg.  S.  501.  505.  Nr.  17  compa- 
rirt  Viindq  als  Derivatnm  von  rib,  da  es  doch  gewiss  von  nn^ 
kommt.  Nach  21  ist  Dclpn  für  D»ipnj3 ,  wie  auch  Gesen.  S^ 
505  und  sogar  Ewald  S.  257  unt.  annehmen.  Rec.  gesteht, 
dass  er  von  solcher  Aphäresis  keinen  BegriflF  hat;  sollte  sich 
nicht  vielmehr  diese  Form  an  die  vom  Futuro  abgeleiteten  No- 
mina anschliessen'?  Man  vergleiche  neben  b^imn ,  ciTin ,  beson- 
ders auch  ntz/in  und  n"'nVn;  s.  Ew.  S.  26*0,  der  freilich  eine 
andere  Ableitung  annimmt.  Nr.  24  werden  nv/isa  und  n-inx  in 
Eine  Classe  gestellt,  was  unmöglich  richtig  sein  kann,  da  sich 
die  beiden  Wörter  vor  Suffixis  ganz  ungleich  verhalten;  vom 
erstem  kommen  die  Formen  Tiü^i^a,  "nnu^fia  u.  s.  w.  vor,  so  dass 
also  Kamez  nicht  pnrum  ist ,  von  ni?N  hingegen  ini'nN.  Daher 
ist  H'^nN  wahrscheinlich  nur  die  abgekürzte  Femininform  von 
nVHN,  wie  0*1:2;^  von  n*i''2.^,  und  wirklich  möchte  Ezech.  17,  8 
in  den  Worten  "rrinM  lasS  das  letzte  Wort  nichts  anderes  als 
das  Adjectiv  sein;  vgl,  v.  6  und  Ezech.  16,  30:  ntoW  von  t3->V;tü. 
Nach  §  105,  2  b  und  c  a.  E.  soll  der  Status  constr.  in  beiden 
Zahlen  durch  Wegwerfung  des  schweren  Suffixi  gebildet  wer- 
den; welche  unnatürliche  Ansicht!  Vorzüglich  dürftig  und 
oberflächlich  ist  die[Abhandlung  der  Partikeln  in  Einem  §,  112. 
Da  soll  ^"•^'nnN  nachdem  heissen ,  und  doch  Adverbium  sein 
(S.  117  oben),  ^"»ji-Sn  nur  zwischen^  f^nn-^M  unter  bedeuten, 
nya  nach^  eine  Bedeutung  die  auch  von  Gesenius  nicht  er- 
wiesen ist;  bif.^<.  neben  und  Ssn  nahe  bei  kommt  in  Einem  Satze 
vor. 

Auch  an  Druckfehlern  felilt  es  nicht ,  und  viele  sind  von 
der  Art,  dass  man  nicht  recht  weiss,  wofür  man  sie  ansehen 
soll:  z.  B.  S.  13  in  d.  M.  niSht  statt  fniSN;  S.  15  §  12,  1  n^ittj 
statt  nSöry,  welcher  Fehler  nicht  nur  S.  27  oben  mit  einem  neuen 
sich  zwei  Mahl  wiederhohlt,  sondern  auch  im  Parad.  Taf.XH 
die  ganze  Columne  lierunter.  Ein  falsches  Citat  ist  §  48  a.  E. 
e)Din-SM  Prov.  30,  G;  denn  in  der  angeführten  Stelle  heisst  es 
vielmehr  .^oin-^N.  Zwei  der  auffallendsten  Druckfehler  finden 
sich  aber  neben  andern  in  den  Zahlwörtern:  der  eine,  dass  es 
S.  112  und  114  regelmässig  nl.^ö  statt  nix»  heisst,  als  ob  es 
durchaus  so  sein  müsste;  der  zweite,  dass  S.  113  und  114  von 
nabu;  der  Stat.  constr.  Djiotü,  mit  Segol  statt  mit  Pathach,  an- 
gegeben wird.  Diese  Consequenz  ist  um  so  merkwürdiger,  weil 
sich  derselbe  Fehler  nicht  nur  in  Böttcher's  Tabellen 
(Nr. XXV.),  sondern  auch  bei  ühlemann  (Hebr.  Sprachlehre 
S.  112.)  und  dem  sonst  so  selbständigen  Ewald  (S.  492.) 
wieder  findet.  Alle  scheinen  ihn  Hrn.  Gesenius  (Lehrgeb. 
S.  609.)  zu  verdanken. 

Aus  allem  Gesagten  geht  hervor,  dass  wir  Hrn.  Reyher 
nicht  aufmuntern  können ,  die  am  Ende  seines  Vorwortes  ver- 


Ilanno :  DIo  Hebräische  Sprache.  15 

heissenen  ^^Vornbungen  zum  lieber  setzen  a.  d.  Deutschen  in's 
Hebräische'-'  nebst  der  kurzen  Syjitax  herauszugeben;  wenig- 
stens müsste  er  ihrer  Ausarbeitung  noch  ein  inelirjähriges  gründ- 
liches Studium  vorangehen  lassen.  ' 

Der  Verf.  von  Nr.  3  ist  keiner  der  gewöhnlichen  Nachtre- 
tcr  ,  sondern  geht  seinen  eigenen  Weg,  Er  hatte  den  Zweck, 
nach  Vorr.  S.IV,  einem  früher  schon  angekündigten  praktischen 
Tlieile  der  Grammatik  ^^eineu  theoretischen  vor  anzuschicken^  und 
zwar  einen ^  tvie  er  dem  Kritiker^  der  die  Sprache  ohne 
Puncte  sieht ^  gelte?!  könnte^  d.  i.  mit  andern  Worten^  die 
Sprache^  so  loie  sie  loar^  zn  nehmen.  Sein  Glaube  war, 
eine  solche  Bearbeitung  der  Sprache  müsse  dem  Philologen  un- 
gemein nützen,  ja  ohne  Durchdenkung  der  Sprache  beim  Ab- 
sehen der  Piinctation  (d.  i.  wohl  abgesehen  von  derselben*?)  sei 
fast  gar  keine  kritische  Sprachkenntniss  möglich.  Ein  solches 
Verfahren  hielt  er  für  eine  wesentliche  Erleichterung  des  An- 
fängers ,  und  versuchte  also ,  ohne  die  hergebrachte  Puncta- 
tion  überhaupt  zu  verwerfen,  vielmehr  die  Regeln,  welche  den 
Punctator  leiteten,  welche  ihn  und  Hunderte  vor  ihm  lesen 
lehrten,  theils  selbst  zu  entwickeln,  theils  auch  nur  den  Gang 
der  Entwickelung  zu  zeigen  (S.  VIII).  Zugleich  verspricht  er 
auch,  hier  manches  neue  Wort  mitzutheilen,  und  entschuldigt 
dadurch ,  was  man  ihm  sonst  allerdings  zum  Vorwurf  machen 
könnte,  dass  er  nicht  immer  die  kürzeste  Bahn  gehe,  sowie 
dass  er  oft  zuerst  die  alten  Meinungen  bekämpfen  müsse.  (S. 
VIII.  IX.) 

Der  Versuch  des  Verf.  ist  auch  wirklich  aller  Beachtung 
und  Anerkennung  werth ;  er  bringt  viele  neue  und  eigenthüm- 
liche  Ansichten  zur  Sprache,  wenn  schon  darunter  auch  viel 
Unreifes  und  nicht  gehörig  Erwogenes  sich  findet;  er  berich- 
tigt manchen  hergebrachten  und  stillschweigend  geduldeten Irr- 
thum  in  den  gangbarsten  Grammatiken  und  Wörterbüchern,  und 
giebt  beiläufig  den  einen  und  andern  nicht  zu  verachtenden  Bei- 
trag zur  Exegese  einzelner  Stellen  des  A.  T.  Dabei  zeigt  er  eine 
rühmliche  Belesenheit  besonders  in  rabbinischen Schriften,  de- 
ren oft  ziemlich  weitläufige  Auseinandersetzung  man  darum  we- 
niger tadeln  kann,  weil  er  nicht  nur  Anfänger,  sondern  auch 
Gelehrte  als  Leser  vor  Augen  hatte. 

Sehr  richtig  sind  die  Bemerkungen  iiber  die  Mienen  -  und 
Geherdensprache  der  Hebräer  imd  anderer  Naturmenschen, 
nahmentlich  auch  der  Kinder ,  Vorr.  S.  X  und  Einleit.  §  7  un- 
ten; beistimmen  muss  Rec.IIrn.  II anno  auch  in  der  Erklärung 
des  Bittwortes  '»a,  dass  es  nähmlich  Pronomen  sei,  und  seine 
bittende  Bedeutung  durch  den  Ton  und  die  Geberde  des  Spre- 
chenden erhalte,  und  nicht  zusammengezogen  aus  ■'IJS ,  Bitte! 
Gegen  die  letztere  Erklärung  darf  wohl  besonders  auch  noch 
der  Grund  geltend  gemacht  Averdcn,  dass,  während  die  Aus- 


)6  Hebräische  Sprachkunde. 

stossung  des  V  nur  in  spätem  Büchern,  und  hauptsächlich  im 
Clialdäischen  vorkommt,  das  Bittwort  -n  nirgends  in  der  ange- 
nommenen urspriinglichen  und  vollständigen  Gestalt  erscheint, 
und  doch  schon  in  den  ältesten  Biichern  sich  so  oft  findet;  solche 
Zusammenziehungen  aber  pflegen  insgemein  nur  allmählich 
herrschend  zu  werden.  Die  Einleitung  S.  1  — 16  giebt  grö- 
ssten  Theils  sehr  gute  Ansichten  iiber  die  Verwandtschaft  aller 
Sprachen,  iiber  den  natiirlichen  poetischen  Charakter  der  he- 
bräischen (wiewohl  ihr  dieser  etwas  zu  ausschliessend  zuge- 
schrieben wird),  und  über  die  mahlerische  Eigenschaft  dersel- 
ben ;  womit  zu  vergleichen  sind  die  sinnreichen  Erklärungen 
mehrerer  Qiiinquelitera  S.  HO  f.  Interessant  ist  dann  S.  4:7 
die  Zusammenstellung  der  Buchstaben,  die  sich  nie  mit  einan- 
der vertragen,  d.  h.  die  nie  weder  in  einer  noch  zwei  Staram- 
sylben  unmittelbar  auf  einander  folgen,  weil  der  Mund  wegen 
ihrer Lautähnliclikeit  sieneben  einander  auszuspreclien  vermied, 
z.  B.  N  und  1?,  die  doch  im  CJialdäischen  sich  gut  mit  einander 
vertragen.  Doch  dass  auch  n  und  iJ  liieher  gehören,  wird 
durch  nsj  (Jesaj.  9,  IX  33,  12.  Jerem.  2,  15.  9,  9.  11.  II 
Könn.  22,  13.)  und  das  oft  vorkommende  Stammwort  yno  wi- 
derlegt. Auch  die  Vergleichung  der  hebräisclien  Pronomina 
mit  denen  im  Griech.  und  Lat. ,  und  in  neuern  Sprachen  ist  be- 
lehrend ,  so  wie  mehrere  einzelne  Bemerkungen  über  den  Un- 
terschied der  hebr.  Verbalformen.  Das  über  vj^y^i  S.  71  gegen 
Gesenius  Erinnerte,  die  Einwendungen  gegen  desselben  Leh- 
re über  die  Verba  •>%  {^k)  S.  '^7  —  79;  vgl.  105  unten,  über 
das  Genus  von  nity  S.  125  Anm.  **),  über  S^3  S.  137  Anm.  *), 
über  i;  und  -»a  S.  139,  Anm.  *),  über  n^^»v?ö  S.  141  Anm.  *) 
scheinen  Rec.  alle  gegründet,  und  der  Wahrheit  näher  zu  füh- 
ren, wenn  auch  nicht  dieselbe  allemahl  ganz  zu  treffen.  Zu 
dem  über  nJoi.s^  Gesagten  fügt  Ilec.  hinzu,  dass  es  allerdings 
auch  in  einem  bejahenden  Satze  vorkommt,  II  Könn.  5,  20: 
:  nc^iNC  InN» 'fipjjS'i  i^^nt*  ''Pi:^"i-dn-"'3  nin*'.  >n.  Auch  in  der 
Erklärung  der  Worte  rftif-'S'iin  -in^  I  Sam.  20,  12,  dass  es  über- 
morgen bedeute  S.  143  Anm.  *),  und  in  der  Ansicht  S.  145  un- 
ten, dass  S  ein  Stammlaut,  und  "Sn  daraus  verlängert  sei,  traf 
Rec.  schon  früher  unbewusst  mit  Hrn.  H.  zusammen. 

In  der  Ilauptansicht  jedoch,  die  der  Verf.  in  diesem  Lehr- 
buche darzustellen  sucht,  dass  das  Hebräische  ohne  Puncte 
gelernt  werden  müsse,  ist  Rec.  nicht  iiberzeugt  worden,  und 
muss  sich  auch  gegen  mehrere  andere  grammatische  Ansichten 
desselben  verwaln*en.  Schon  das  muss  gegen  jene  Grundidee 
gerechtes  Bedenken  erregen,  dass  der  Verf.  selbst  doch  nicht 
aller  Punctation  entbeliren  kann,  und  dadurch  mit  sich  in  Wi- 
derspruch geräth.  Er  sagt  nähmlich  Vorr.  S.  VI:  „Die  Pun- 
ctation soll  also  allerdings  in  hohen  Ehren  gehalten,  und  um  die 
richtige  Ausspraclie  befragt  werden ,   aber  nur  insofern ,  als 


Hanno.  Dio  Hcbrälsclie  Sprache.  17 

sie  einerseits  die  allj?emcliieii  Leseregeln  auf bewalirte ,  ander- 
seits dieLeseüblicIikeit  der  vielen  unter  keiner  Uegel  stehenden 
Wörter,  so  gut  sie  konnte,  vererbte."  S. V  giebt  er  den  Punct 
in  der  Mitte  des  Consonanten  als  Pielbezeichnung  zn;  durch 
denselben  unterscheidet  er  S.  21  nr\n  dtt -von  noN  er  kam  ^  ma 
ihr  Stier  von  nis)  Af/h;  ja  S.  22  unten  räumt  er  sogar  ein,  dass 
die  Hebräer  seit  langer  Zeit  in  Nothlallen  Zeichea  lYir  die  Vo- 
cahinterscbeidung  gehabt  haben  mögen.  Aber  nenn  selbst  der 
Gelelirte  dieser  Nachhülle  oft  bedarf,  wenn  sogar  die  lebende 
Sprache  ihrer  nicht  ganz  entbehren  konnte:  warum  sollte  man 
sie  denn  dem  Lernenden  entzielien,  und  dadurch  seine  Erkennt- 
uiss  alles  geregelten  Fundamentes  berauben,  und  sie  zu  einer 
schwankenden,  unbestimmten  und  einseitigen  machen*?  Denn 
es  fällt  in  die  Augen,  wie  unzuverlässig  die  Aussprache  werden 
müsste,  wenn  man  nach  des  Verf.  Vorschlage  sie  nur  in  den 
Wörterbüchern  beliügen  und  noch  allenfalls  in  lateinischen 
Buchstaben  ausdrücken  wollte.  Wie  schwer,  ja  unmöglich  wäre 
es,  so  die  langen  und  kurzen,  Jialben  und  ganzen  \ocale  genü- 
gend zu  unterscheiden'?  Der  Verf.  sagt  freilich,  wenn  man 
D-'iüpnö  finde ,  so  Misse  man  gleich  ,  dass  es  CTyjSnö  oder  auch 
D'-Tüpar;  gelesen  werden  könite;  aber  könnte  es  nicht  auch  □"•u/i^3ö 
lieissen,  wie  S.  22  cifSj-r^'?  Ferner  wenn  ich  die  Buchstaben 
n3ti?S  finde,  wie  kann  ich  sogleich  wissen,  ob  n'^toV  oder  M^ü^S 
oder  n3ii?S  oderni'^'T  gelesen  werden  mnss*?  Wie  kann  ich  ikS?4 
(Imp.  Kai)  von  >inSo  (Imp.  Piel)  unterscheiden ,  was  sogar  vorf 
Gelehrten  bei  vorhandener  Punctation  oft  nicht  richtig  erkannt 
wird'?  Am,  verdächtigsten  «ird  das  System  des  Verf.  dadurch, 
dass  er  selbst  oft  Fehler  gegen  die  ricbtige  Aussprache  macht; 
z.  B.  S.  82  n'iüSö  lies't  er  mtiimmdah  statt  mlnmmodah ;  vgl. 
S.  83  oben,  S.  22  in  d.  M.,  S.  ß9  u.  d.  M.;  m^Ssa  St.  abs.  lies't 
>«r  bald  mlacm/fh^  bald  7nohhaiith  u.  dgl.  Ja  eine  Anmerkung 
S.  134,  nach  der  Abhandlung  des  Nomcns ,  lässt  vermuthen,' 
dass  der  Verf.  noch  mit  sich  selbst  niclit  ganz  einig  und  im  Rei- 
nen gewesen  sei.  Sie  lautet  so:  ,, Hinsichtlich  der  Vocale  hal? 
man  sich  schon  mehr  zu  merken,  wenn  man  sich  auch  nur  arii'ä^ 
Allgemeine,  d.h.  was  unter  Kegel  steht,  halten  mIH.  Docl* 
werden  diese  Regeln  in  der  zweiten  Abtheilung  vorgetragen  oritP 
mit  Tabellen  verbunden,  die  sich  dann  jeder  aufmerksaine  L'i^^ 
ser  auch  mit  Jgnorirung  der  Vocalpuncte  für  die  freie  Aussnya- 
che  bemerken  kann,'"  Ree.  glaubt,  dass  diese  Regeln  vor?!iTg$-- 
weise  eine  Stelle  in  der  ersten  Abtiieilung  verdient  hätten.  •'^'''' 
Der  Verf.  sucht  in  der  Anm.  zu  S.  VII  in  einer  Reihe  von 
Beispielen  zu  zeigen,  wie  schwankend  und  öftirrig  di"  überlie»-» 
ferte  Punctation  sei.  Allein  die  meisten  jen-er  Beispiele  hife>Vii{^' 
sen  vielmehr  das  Gegenthe<il,  >i'ie  genau  und  sorgfalti^g  ^i# 
Punctation  auch  im  Einzelnen  abgev>^ogen  woi^den  seir. •  So  islt  e^* 
keineswegs.  Willkühr,  dass  Jereni.!  22^  SO-in  Eifr^m  Ve^äe  zü^' 

Jahrb.f.FMl.u.  Vada^ng.  Jahrg.  lU.  Nejt9.  2 


JP  Hebräische  Sprachkunde. 

erst  '•p.i'^.i  dann  '•pv^,  geschrieben  ist;  das  letztere  steht  inPausa, 
und  soll  eben  darum  von  der  gewöhnlichen  Form  unterschieden 
werden.  Vgl.  IKön.  13,  IT:  n'iycii,  wo  ebenfalls  Chatheph- 
Kamez  vor  Schwa  simples  steht.  In  in'i,.;^  I  Sam.  13,  10  las- 
se,n  doch  nur  einige  Handschriften  das  Metlieg  weg.  Manches 
von  der  Art  mag  allerdings  von  Unachtsamkeit  der  Abschreiber 
herrühren ,  und  nahmentlich  einige  der  angeführten  Formae  da- 
gessatae ;  aber  gewiss  nicht  alle ,  und  ich  glaube  in  den  drei 
Stellen  Deuteron.  23,  11:  rripC,  Ps.  89,  45:  ^int;ü,  Nah.  3, 
17:  'ill'^13^.  lasse  sich  das  Dag.  forte  mit  guten  Gründen  verthei- 
digen.  In  der  ersten  und  zweiten  Stelle  soll  ö  seq.  Dag.  ohne 
Zweifel  Präposition  sein,  die  der  Zusammenhang  nicht  nur 
nicht  verwirft,  sondern  beinahe  nothwendig  fordert.  Darum 
braucht  man  aber  für  Deut.  23,  11  keine  besondere  Form  n^j^ 
anzunehmen,  sondern  das  Jz  von  .TipjX)  kann  des  Wohllautes 
wegen  nach  der  gleichlautenden  Präposition  :c  ausgefallen  sein. 
Vgl.  ISam.  26,  12:  SiN\y  ''ntLSN']^:  für  Sinw  inbN'i>3?3.  Genes. 
27,  28  und  39:  V'i.>'^n  •'^^^Jq  iur  y-iNn  "»r^iü^r.  Man  weiss,  wie 
viel  die  Euphonie  in  Sprachen ,  die  noch  nicht  auf  den  Punct 
vollendeter  Ausbildung  gelangt  sind  ,  selbst  ^^^^n  die  gramma- 
tische Richtigkeit  vermag.  In  Ps.  89,  45:  lin^JO  ns^ln  ist  die 
Setzung  von  ^r  ganz  dem  hebräischen  Sprachgebrauche  gemäss, 
indem  nähmlich  nach  dem  Verbo,  das  einen  negativen  Begrilf 
enthält,  noch  die  negative  Präposition  ]?:  gebraucht  wird.  Mau 
vgl.  die  Phrasen  n"j''3;Tö  Tton,  ^V?^.  tif^'o  und  die  Stellen  Jesaj. 
17,  1,  Hagg.  1,  10,  besonders  die  letztere,  wo  im  zweiten 
Gliede  statt  ]«  der  einfache  Accusativ  steht.  In  'n^']J^.^  scheint 
J  darum  dagessirt  zu  sein,  weil  es  hier  auf  eine  ungewöhnliche 
Weise  vor  dem  Zischlaute  nicht  assimilirt  worden  ist.  Nicht 
anders  verhält  es  sich  mit  den  Stellen,  in  denen  der  Verf.  die 
Artikelvocalisation  entfernen  will;  Jesaj.  24,  2  ?nn-i332  erfor- 
dert der  Parallelismus  den  Artikel  nothwendig;  jesaj.  9,  12 
inSßn  steht  er  auf  eine  gar  nicht  seltene  Weise  vor  dem  Parti- 
cipio,  welches  das  Suffixum  verbi  nach  sich  hat;  vgl.  Jesaj.  03, 
11;  Ps.  81,  11;  103,  4;  Deuteron.  13,  6.  In  der  dritten  Stelle 
Prov.  16,  4  ^npyßS  ist  der  Sinn  sehr  ungewiss,  doch  lässt  sich, 
vom  Parallelismus  abgesehen  ,  auch  eine  Erklärung  denken,  bei 
der  die  vorhandene  Punctation  bestehen  kann.  So  der  Chald. 
und  Andere.  Gesetzt  aber  auch ,  die  Punctation  sei  unrichtig, 
so  ist  es  eben  eine  falsche  Lesart,  dergleichen  es  auch  in  den 
Consonanten  genug  giebt. 

Viel  Eigenthümliches  hat,  wie  sich  voraussetzen  lässt,  die 
Lehre  über  die  s.  g.  Vocalbuchstaben  •',  i,  n,  »s;  aber  auch 
hier  kann  Rec.  ziun  geringsten  Theile  beistimmen,  Ueber 
n  sagt  Hr.  H.  S.  :28'^  es  sei  hebräischer  Grundvocal  =  a, 
o,  u,  e,  i,  und  könne,,  wenn  ein  Wort  mit  einem  Vocal 
anfangen   solle,    durchaus  nicht   entbehrt   werden,    noch  je 


Hanno  :  Die  Hcbrüische  Sprache.  19 

entbehrt  worden  sein.     Nach  Rec.  Ansiclit  hat  n  im  Anfang 
des  Wortes  immer  einen  leisen  guttnralen  Consonantcnlaut,  ei- 
nen Stoss  aus  der  Kehle,  und  ist  durchaus  nicht  blosser  Vocal. 
Ueberall  fängt  wohl  im  Hebräischen  kein  Wort  mit  einem  rei- 
nen Vocale  an,  auch  die  Sylbc  i  nicht  ausirenommen ,  wo  im- 
mer ein  Aveiches  /f  mitlauten  soll.     Zwar  wäre  es  sehr  natur- 
widrig anzunehmen,  die  semitische  Sprache  sei  durch  ihre  Buch- 
stabenschrift zu    dem    ausgezeichneten  Charakter    gekommen, 
dass  alle  ihre  Sylben  mit  einem  Consonanten  anfangen,  denn 
die  Sprache  hat  vor  der  Schrift  existirt ;   aber  die  Sache  selbst 
lässt  sich  durch  keinen  Machtspruch  ableugnen,  und  der  auf- 
merksame Beobachter  dürfte  überhaupt  finden,  dass  jeder  Yo- 
cal  im  Anfange  eines  Wortes  mit  einem  leisen  Cousonantenlaute 
begleitet  ist.     Für  uns  ist  dieser  letztere  freilicli  oft  kaum  be- 
merkbar,   aber  die  Völker,   welche  zuerst  schrieben,    deren 
Sprach-  und  Gehörwerkzeuge  noch  feiner  und  schärfer  waren, 
als  die  unsrigen,  müssen  diese  Laute  doch  stark  genug  gefun- 
den haben,    um  sie  mit    eigenen  Consonanten  zu  bezeichnen. 
Auch  das  übrige  über  «  Bemerkte  ist  nicht  haltbarer,  so  wie 
Rec.  auch  die  Lehre  über  n  nicht  vertheidigen  möchte.    Beson- 
dere Mühe  giebt  sich  der  Verf.,  ausführliche  Regeln  über  die 
Aussprache  von  i  und  i  zu  geben,  und  dadurch   wieder  Diph- 
thongen in's  Hebräische  einzuführen.     Hier  heisst  es  unter  an- 
dern S.  35:  ,0  sei  am  Ende  des  Wortes  Consonant  nach  •»,  auch 
dann  wann  das  i  ausbleibe,  wie  i^iat,  i''Sty  (gewöhnlich  iSty), 
schalev,    ruhig."     Aber  woran   kann  der  Lernende  erkennen, 
dass  '»eigentlich  stehen  sollte,  wenn  es  ausbleibt*?  woran  mer- 
ken, ob  lim  der  Plural  Tinn  oder  der  Singular  ii^T  sei"?   Eben 
so  dunkel  ist  die  dritte  Bestimmung :  „wenn  es  nur  als  gleicli- 
gültige  Divergenz  von  a  oder  f\  vorkommt;  z.B.  13,  gev  oder 
g-ay,  Rücken."    Wie  soll  ich  ferner  das  N.  pr.  "t'-ivv  vom  Verb, 
^lyy  unterscheiden?  wie  den  Monathsnahmen  IT,  der  doch  ge- 
wöhnlich defectiv  geschrieben  wird,  von  iT  und  >\^'i  Dagegen  sei 
n)  „T  Vocal  und  zwar  unrein,  wenn  das  nn  als  i  abbrevirt  ist, 
Avelches  mit  dem  vorangehenden  a  einen  Diphthong  bilde,  wie 
lN*ip  kraau  -=1  ".ni^'^p ^  inaoH  '^scq)hthmi  ='\7\r^ün^   ^y^:^  bsaraii 
=  iiT^c/:]."     Aber  in  Aew  wenigsten  Fällen  geht  ja  wirklich  ein 
a  vorher,  wie  gerade  in  -,*iti?3.     Mit  welchem  Rechte  könnte 
man  das  Futurum  iSüp*'  \\kilau  lesen,  da  das  Futurum  nicht  den 
Bindevocal  «,  sondern  e  hat;  und  nach  S.  112  ^in  bausch,  hin- 
gegen Tü3  öosch?  Und  wie  Hessen  sich  wieder   die  Suffixa  von 
den  gleichgeschriebenen  Afformativen  unterscheiden'?  Nach  S. 
36  muss  1  in  der  Mitte  eines  Wortes ,  und  zwar  des  Verbum, 
seine  bestimmte Ausspraclie  haben,  z.B.  viin  in  Hiphil  hauda^er 
liess  wissen  (wolier  hier  der  ^/-laut'?),  in  Hophal  liu^iida.  Aber 
könnte  nicht    drittens  dieselbe  Form   auch  noch  Niphal  sein, 
und  dann  hivvada  gelesen  werden  raüsseji '?  Aehnlich  sind  die 


2 


* 


20  Hebräische   Sprach kundc. 

Bestimmungen  über  ••.  Diess  soll  nach  S.  37  als  i  mit  vorlauteu- 
dem  a  gesprochen  werden,  und  mit  diesem  bei  Statt  findender 
Contraction  einen  Diphthong  bilden:  1)  „im  Dual  (in  d.  Wortver- 
bindung) wie  nN^  -'S:!-!  raglai  isch^  die  Füsse  eines  Mannes,  und 
vermuthlich  so  im  Plural',  2)  in  der  Wortverbindung  der  Wör- 
ter wie  n-'j*  n-'n,  das  Haus  eines  Mannes;  3)  in  den  Verbis  ''s, 
wie  •'p-'Jrn  hainiki^  säuge,  NS^n  hahe^  Genes.  8,  17  u.  s.w." 
Aber  so  verlöre  der  Status  constr.  (denn  diesen  versteht  der 
Verf.  unter  Wortverbindung)  seine  unterscheidende  Verkürzung, 
die  doch  auf  einer  sehr  natürlichen  und  in  vielen  Sprachen  vor- 
kommenden Zusammenziehung  von  cd  in  e  beruht.  Woher 
kommt  aber  auch  hier  wieder  der  -^-laut  in  •»p"':-',!?  Warum 
zieht  der  Verf.  gegen  seine  sonstige  Gewohnheit  Genes.  8,  IV 
das  Keri  njj'ti  (haize)  dem  Chetliibh  n:5ti  (Jiavze)  vor?  Wahr- 
scheinlich nur,  damit  er  den  geliebten  Diphthong  «verhalte. 
Doch  ist  auch  hierin  der  Verf.  keineswegs  überall  mit  sich  ei- 
nig. Denn  schon  S.  40  unten  müI  er  den  Plural  wie  nS  "'tüp 
gern  unentschieden  lassen,  und  S.54  lies't  er  Snrn  •»'nn  harei- 
hannachal^  dagegen  S.  72  D?''Sy  "Idichem^  S.  88  p"'J^^  heiJiik^ 
p"<j''}<  einik ^  p-^a-»»  meinik.  Welche  Ungleichförmigkeit ,  die 
doch  wahrlich  einem  Lehrbuche  sehr  übel  lässt!  Eben  so  ist 
der  Verf.  mit  sich  selbst  im  Widerspruche  in  der  Bestimmung 
über  •',  wo  es  Consonant  sei:  nähmlich  „immer  zu  Anfang  einer 
Sylbe,  wie  n-fD  bqjith  Haus;"  denn  schon  S.  38  in  der  Anm. 
nimmt  er  diess  halb  zurück,  und  giebt  zu,  dass  bäith^  am  aus- 
gesprochen w  Orden  sei ;  aber  S.  49,  2  nennt  er  solche  Sylben, 
wie  die  letzte  in  C';n;,  nur  unecht,  und  S.  54,  IV  führt  er  Sn3 
mit  Recht  unter  den  einsylbigen  Wörtern  an. 

In  der  Abhandlung  des  Verbi  nimmt  Hr.  H.  sieben  ver- 
schiedene Formen  an,  nähmlich  Kal^  Piel  (mit  dem  Pass.  Pual\ 
Poel  (das  er  weiterhin  auch  Panel  nennt,  mit  dem  Pass.  Poal), 
Hiphü  (und Hophal),  Hilhpael,  HithpoeK^IIithpauel)  imd  JSiphal^ 
wie  iin  Arabischen.  Ilec.  findet  diese  Anordnung  im  Hebr. 
nicht  zulässig,  weil  dadurch  einander  mehrere  Formen  coordi- 
nirt  werden,  von  denen  offenbar  eine  der  andern  subordinirt 
ist,  und  weil  im  Hebr.  bei'm  regelmässigen  Verbo  nicht  ein- 
mahl alle  vorkommen,  nahmentlich  Panel  und  Hithpauel.  Der 
Verf.  zwar  umfasst  gerade  diese  Formen  mit  besonderer  Voi'- 
liebe,  und  sucht  sie  allenthalben  anzubringen  und  unterzuschie- 
ben ,  auch  wo  sie  durchaus  nicht  hinpassen,  ja  sogar  wo  er  der 
Grammatik  offenbar  Gewalt  anthun  muss.  So  Avill  er  mehrere 
Participia  act.  Kai  zu  dieser  Form  stempeln,  als  Rieht.  14,  4: 
HüsW,  wo  V.  5  natüi  einen  richtigen  Fingerzeig  gab,-  rinM> 
Genes.  16,  11  und  Rieht.  13,  5,  wo  sich  doch  das  Participium 
nach  7\'\ri  ^an  so  gut,  ja  einzig  schickt;  ''pianN  Hos.  10,  11,  wo 
Reo.  doch  fragen  muss ,  in  welcher  Person  der  Verf.  es  genom- 
men wissen  wolle ;  nraliy  11  Sara.  13,  20  (S.  95  oben) ,  wo  der 


Hanno:  Die  Hebräische  Sprache.  21 

Begriff  des  Participü,  von  der  dauernden  Ilandlunff,  ganz  an- 
gemessen ist.  Vollends  aber  begreift  Rec.  den  Verf.  nicht, 
wenn  er  diesen  §12  S.  S7  jnit  dem  Ausrufe  schliesst:  „Und  wa- 
rum soll  nicht  auch  rJii-n  Jesaj.  3o,  1  (niclit  23,  1)  und  'pn-» 
niob  19,  23Fut.  III  Ü.2  (d.i.  Fut.  Paual  2pers.,  was  aber 
nur  fiir  die  erste  Stelle  passt)  sein  können!  —  Ist  es  nicht 
besser  in  der  Form  zu  bleiben,  als  aus  grammatischer  Analogie- 
Macherci  eine  (Hopb.)  dafür  zu  creiren?"  Rec.  muss  den  Verf. 
bitten,  die  genannten  Formen  etwas  näher  anzusehen,  und  dann 
sich  zu  fragen,  auf  Aven  der  ausgesprochene  Vorwurf  zuri'ick- 
falle.  So  viel  er  einzusehen  vermag,  so  müsste  es  in  der  Form 
Paual  ganz  anders  heissen,  nähmlich  Tiitr/n  und  ^p\:^p^'',  oder  in 
Pausa  ipi^rr». 

Ueberhaupt  wird  der  Vf.  vielleicht  schon  jetzt  durch  wei- 
tere griindliche  und  unbefangene  F'orschung  zur  Einsicht  ge- 
kommen sein  ,  dass  er  in  seiner  Neuerungssucht  oft  zu  weit  ge- 
gangen ist,  und  Dinge  bezweifelt  hat,  die  fiir  ausgemacht  an- 
gesehen werden  können.  Nur  um  seine  Unabhängigkeit  von 
fremden  Autoritäten  zu  zeigen,  hat  er  sich  oft  zu  einem  ganz 
unkritischen,  au  s  Unbesonnene  grenzenden  Verfahren  hinreissen 
lassen.  —  So  findet  er  es  S.  60,  1  ^^  ivahr scheinlich  ^  dass 
^iSni  niclit  nach  der  Punctation  watteladnah^  sondern  watte- 
ladti  (oder  allenfalls  wntteldon)  ausgesproclien  worden  sei ,  be- 
sonders da  diese  Verkürzung  nur  im  verkürzten  Fut.  (Fut. 
apoc),  wie  p^"»"!,  "'nn  ,  vorkomme."  Aber  die  erste  Form,  die 
der  Vf.  gerade  vorzieht,  ist  eine  Unform,  die  nicht  einmahl 
ordentlich  ausgesprochen  werden  kann;  fürs  zweite,  wie  soll- 
ten die  Formen  I^iPi,  Tv'.^'^l,  T'":''!"''^!  ?  ^V?.'!'^!  ^-  dergl.  gele- 
sen werden,  ohne  dass  man,  nicht  bloss  die  Punctation,  son- 
dern auch  die  Consonanten  veränderte*?  Auch  kann  Rec.  in 
diesen  ohne  n  finale  geschriebenen  Formen  kein  Fut.  apoc.  er- 
kennen ,  wenn  schon  auch  andere  neuere  Grammatiker  sie  da- 
für erklären.  —  S.  (50,  2  vermuthet  der  Vf.,  „das  3  in  IDO 
habe  sowohl  seiner  Natur  nach,  indem  es  ''2t<  und  ^jm  ausdrük- 
ken  könne,  als  auch  nach  Beispielen,  wie  Genes.  1,  2(i;  11, 
7",  29,  7;  Deuteron.  18,  21,  anfänglich  auch  die  erste  Person 
im  Singular  bezeichnet."  Die  allgemeine  Analogie  ist  richtig, 
aber  die  beigebrachten  Beispiele  sind  so  unhaltbar  als  etwas 
sein  kann.  Die  Erklärung  des  Plurals  in  den  beiden  ersten 
Stellen  ist  schon  längst  befriedigend  gegeben  worden;  auch 
hätte  der  Vf.  Genes.  1,  26  die  Suffixa  in  ^3ttS^3  und  ^an^Jo-jD 
ebenfalls  berücksichtigen  sollen.  —  Gen.  29,  27  kann  nJnj  , 
wenn  man  es  nicht  als  Plural  des  Fut.  Kai  nehmen  will,  sehr 
leicht  als  Praet.  Niph.  gefasst  werden.  Endlich  Deuteron.  18, 
21  ist  der  Plural  l?"i3  n3*'X  in  der  Ordnung,  da  das  Volk  redend 
eingeführt  wird.  Einen  ganz  abentheuerlichen  Gedanken  äu- 
ssert Ilr.H.  S.  Gl,  4,  dass  der  Praeformativ  n  in 3 Fem. Fut.  aus 


22  Hebräische  Sprach  künde. 

PMt  abgekürzt  sein  könne.  Welche  unerhörte  Art  zu  verkürzen 
wärediess!  Aehnliclien  Gehaltes  ist  die  Etymologie  S.  (52,  6,  «), 
dass  das  Pron.  ^^^^  an  sich  wohl  nichts  anderes  sei  als  das  Ver- 
buin  no,  und  die  Bemerkung  über  die  Endung  n—  am  Ende 
der  Wörter.  Diese  sei  nähmlich  nicht  eigentlich  Femininalbil- 
dung,  sondern  nur  genauere  Bestimmung  (also  wohl  der  Arti- 
kel'?), oft  Absonderung  vom  Allgemeinen,  und  so  eine  Bildungs- 
sylbe  vieler  Hauptwörter:  z.  B.  n-j^f  der  Zustand  eines  *^s,  Be- 
engten, die  Enge,  n^n^  das  Wesen  eines  Liebenden,  Liebe 
u.  s.  w.  Aber  die  Abstracta  sind  doch  wohl  allgemeiner  als 
die  Concreta,  nicht  umgekehrt;  und  die  Sprache  bedurfte  der 
concreten  Feminina  eher  als  der  Abstracta.  Eigentliche  Ab- 
stracta sind  wohl  in  allen  Sprachen  eine  spätere  Bildung ,  da 
sie  schon  eine  selbständigere  Reife  des  Verstandes  voraussez- 
zen,  und  darum  giebt  es  auch  unter  ihnen  wenige  Stammwör- 
ter, sondern  sie  haben  meistens  besondere  Ableitungssylben. 
Weil  aber  das  weibliche  Geschlecht ,  als  das  schwächere,  un- 
selbständigere, eine  auffallende  Analogie  mit  dem  sächlichen, 
und  das  sächliche  mit  dem  Abstracten  hat,  so  ging  es  ganz  na- 
türlich zu,  dass  die  Endung  der  concreten  Feminina  auch  auf 
Abstracta  übergetragen  wurde:  wie  sich  diess  leicht  in  raehrern 
Sprachen  nachweisen  liesse.  S.  92  bemüht  sich  Hr.  H.,  die 
Assimilation  (nicht  Auslassung)  des  n  vor  3  unwahrscheinlich 
zu  machen,  hauptsächlich  durch  den  Grund,  weil  sie  sich  nur 
auf  die  Punctatiou  gründe ,  und  nimmt  dabei  zu  sehr  gesuchten 
und  gewagten  Vermuthungen  oder  Erklärungen  seine  Zuflucht. 
Eben  so  S.  93,  um  die  Form  Nithpael ,  die  einmahl  unzweifel- 
haft dasteht,  zu  beseitigen.  Freilich  wenn  man  sich  nichts 
daraus  maclit,  drei  Stellen,  die  einander  gegenseitig  beschützen, 
auf  eigne  Faust  hin  zu  ändern,  wie  der  Verf.  beiNithpael  thut, 
so  hält  es  nicht  schwer,  eine  Lieblingsansicht  durchzuführen; 
aber  die  Erklärung,  die  er  von  Prov.  27,  15  giebt,  muss  jeden 
besonnenen  Kritiker  und  Exegeten  von  ähnlichem  Verfahren  zu- 
rückschrecken. Eben  so  willkührlich  geht  er  S.  100  Anm.*)  mit 
den  Formen  um,  wo  ■'  als  erster  lladical  im  Fut.  Niphal  beibe- 
halten ist,  „weil  sich  diese  Ausnahmen  auch  wieder  nur  auf  die 
Punctation  gründen;"  aber  sind  denn  wohl  diePunctatoren  dar- 
auf ausgegangen.  Unregelmässiges  in  den  Text  zu  bringen'? 
verrathen  sie  nicht  vielmehr  oft  deutlich  das  Bestreben,  nur  zu 
Vieles  unter  Eine  Regel  zu  bringen,  und  alles  davon  Abwei- 
chende zu  entfernen'?  Uebrigens  irrt  der  Verf.,  wenn  er  be- 
hauptet, das  Niphal  von  Sn^  komme  ausser  Gen.  8,  12  nicht 
vor;  das  Praeter.  nSnia  findet  sich  deutlich  Ezech.  19,  5,  wo 
nicht  an  ein  anderes  Verbura  zu  denken  ist.  Leichtfertig  und 
unwissenschaftlich  sind  Aesserungen ,  wie  S.  103  (vgl.  S.  114, 
d.) :  „Das  ganze  Geheiraniss  der  imperfecten  Classen  besteht 
darin,   dass  3,  n,  j*,,  n,  •<  einmahl  fehlen;  und  das  ist  Alles  h  ; 


Hanno  :  Die  Hebräische  Sjjrache.  23 

S.  105  über  SSs^  ,  Ezech.28,  23,  womit  vielmehr  zu  vergleichen 
war  Ps.  88,  17:  •'Jinn^x,  in  welchem  Beispiel  der  letzte  lladi- 
cal  noch  mit  dem  Flexionsvocal  wiederholilt  ist;  S.  107  über 
mi9,  S.  108  über  u^atpp,  Formen,  die  der  Verf.  nur  ungern 
als  Quadrilitera  will  gelten  lassen.  Auch  die  Etymologie  von 
n'^uixn  =  n'ns  niifn,  halbeng,  d.  i.  oben  e7ig  und  unten  iceit^ 
will  liec.  nicht  einleuchten,  indem  er  sich  nicht  vorstellen  kann, 
dass  musikalische  Instrumente  nach  einem  so  zufälligen  Umstän- 
de, wie  die  äussere  Form,  benannt  worden  seien  *),  da  viel- 
mehr auf  das  Wesentliche,  die  Beschattenheit  des  Tones,  Rück- 
sicht genommen  werden  musste.  Nicht  viel  besser  ist  die 
Ewaldische  Etymologie  S.  242  f.  „von  "lüfn,  sehr  dünne, 
enge,  von  der  langen,  schmalen  tuba."  Es  ist  ohne  Zweifel 
Oaomatopoiie,  und  ahmt  den  schmetternden  Ton  des  Instru- 
mentes treffend  nach.  S.  109  hält  sich  der  Verf.  darüber  auf, 
dass  man  Formen  Avie  «i^isis  gewöhnlich  auf  einen  Stamm  "jr  oder 
VV  zurückführe,  und  sie  daher  in  Wörterbüchern  unter  ^^  ge- 
sucht werden  müssen,  wo  es  dann  heisse:  „nur  im  Piel  "^^a^." 
Diess  sei  eine  Art  Systemfreigebigkeit,  gerade  als  wenn  wir* 
unser  deutsches  Wirrwarr  in  Wirrer  oder  Warrer  niederlegten. 
Aber  obgleich  die  Uebertragung  des  hebräischen  Wovttyptis 
auf's  Deutsche  für  den  Grammatiker  nicht  ganz  gut  lässt,  so 
widerlegt  doch  der  Verf.  gerade  durch  diese  Vergleichung 
sich  selbst.  Denn  ganz  gewiss  würde  man  nicht  sehr  irren,  wenn 
man  in  einem  etymologischen  Wörterbuche  der  deutschen  Spra- 
che das  Wort  Wirrwarr  unter  dem  Stamme  toirren  aufführte, 
gerade  wie  Singsang  unter  singen,  Klingklang  unter  klingen, 
Zickzack  unter  zicken  oder  zacken.  Vgl.  tintinno  mit  seinen 
Ableitungen  iintinnabulmn  ^  tintinnacidus  von  tinnio.  Nach  S. 
114  in  d.M. soll  „^^3  Andachtsbrot  sein,  von  ^ID,  Pi.  ^o  im  spä- 
tem Hebr.  auf  etwas  zielen,  Andacht  haben."  Aber  wer  kann 
sich  unter  Andachtsbrot  etwas  Vernünftiges  denken'?  und  wie 
darf  man  aus  dem  erweislich  nur  spätem  Sprachgebrauche  ei- 
nes Verbi  ein  Nomen  des  altem  Ilebraismus  herleiten*?  Rec. 
hält  die  Ableitung  von  no  für  die  richtige,  so  dass  li^o  das  Ge- 
brannte, Gebratene  oder  Gebackene  bezeichnet,  wie  Tisfxficc 
und  TioTtavov  von  tibtcco,  tÜööco,  und  Kuchen  von  Rochen  ;  denn 


*)  Aus  demselben  Grunde  kann  Rec.  die  g-ewöhnliclie  Ableitung 
des  Griechischen  cpOQ^iiyi,  nicht  billigen,  dass  es  von  (psQco  ,  cpögifiog 
herkomme,  „weil  die  Cither  mit  einem  Band  über  die  Schulter  gehängt 
und  getragen  Avurde."  Es  fällt  auf,  wie  unwesentlich  diess  an  der 
Cither  ist.  Sollte  cpögfity^  nicht  \ielmehr  von  cpQifico  =  ßQ£/ioi ,  lat. 
fremo,  herkommen,  und  das  Rauschen  xmd  Schwirren  der  Saiten  nach- 
ahmen? Die  Endung  ly^  u.  ä.  finden  sich  auch  bei  andern  Instrumen- 
ten, z.  B.  i'vy^,  cvQiy^;  vgl.  auch  tUtyl. 


24  Hebräische  Spra oll k und c. 

auch  die  Erklärung  das  Zubereitete  ist  viel  zu  allgemein.  In 
der  Lehre  von  den  Verbis  "üi;  und  ■>!>  herrscht  eitel  Verwirrung 
und  Willkühr;  wir  erinnern  den  Verf.  nur,  dass  er  die  Analogie 
der  Verba  vv  hier  ganz  vergessen  zu  haben  scheint,  wo  vor  den 
mit  einem  Consonanten  anfangenden  Afforraativen  doch  auch  1 
und  "i  —  einge!«choben  wird ,  ohne  dass  diess  irgendwie  von  ei- 
nem radicalen  i  oder  ■»  hergeleitet  werden  konnte;  jene  Laute 
sind  und  bleiben  einfache  Hülfs-  und  Bindelaute,  dergleichen 
sich  auch  in  andern  Sprachen  linden ,  ura  die  Härte  piehrerer 
zusammentreffenden  Consonanten  zu  mildern. 

Rec.  übergeht  absichtlich  mehreres  Aehnliche,  um  noch 
zum  Schluss  ein  Wort  i'iber  die  Sprache  des  Verf.  zu  sagen.  Sie 
ist  nicht  überall  so  rein,  als  man  sie  in  einem  Lehrbuche  wünsch- 
te. So  ist  gleich  im  Anfang  der  Vorrede  von  einer  ,,7iächstens 
zu  erscheinenden'-''  Grammatik  die  Rede;  S.  66,  5  „mit  mehren- 
theils  nachziehender  Verdoppelung  des  folgenden  Buchstaben.'' 
Hr.  H.  scheint  sich  in  einer  selbstgeschaffenen,  aber  die  Klar- 
heit nicht  befördernden  Terminologie  zu  gefallen,  wovon  schon 
beiläufig  das  eine  und  andere  Beispiel  vorgekommen  ist.  Das 
Dagesch  forte  nennt  er  S.  22  u.  a.  Starkpiwct ;  S.  21  spricht  er 
vom  rechtsbepiincteten  und  linksbepunctetefi  d."  S.  86 :  „Der 
Himmel  möge  aber  wissen  ,  wie  oft  mancher  Punct  -freigebi- 
ger Abschreiber  uns  durch  sein  Bepuncten  des  v diese 

Form  weggepunctet  hat.''  Ungewöhnliche,  beinahe  halsbre- 
chende Zusammensetzungen  sind  dem  Verf.  sehr  lieb,  als  S.  33 
oben:  „für  Buchstabenzahl-  und  Derivationsgleiche  Wörter." 
S.40:  „einen  a- haften  Kehlhauch."  S.  72  heisst  3  der  „//«-  U7id 
An-Bzichstabe.'"'-  Zuw  eilen  streift  sein  Ausdruck  an's  Unedle,  wie 
S.lOSAnm.*):  „Daher  entsteht  auch  bei'm  Anfänger  ^Wq  Schwu- 
lität beim  Beschauen  der  Tabellen,  die  aus  den  Augen  wie  eine 
Rauchtvolke  in  die  Seele  zieht."  Der  Druck  des  Buches  ist 
äusserst  incorrect ,  wenn  er  schon  nicht  übel  in's  Auge  fällt; 
unzählige  Citate  sind  falsch  in  der  Angabe  der  Bücher  oder 
Zahlen;  aber  selbst  im  deutschen  Texte  finden  sich  die  auffal- 
lendsten und  störendsten  Fehler,  die  in  den  Verbesserungen 
und  Zusätzen  nur  zum  kleinsten  Thcile  angegeben  sind.  Wann 
werden  doch  so  viele  unserer  Schriftsteller  und  Verleger  an- 
fangen ,  ihre  Ehre  zuerst  in  Correctheit  ihrer  beiderseitigen 
Producte  zu  setzen,  und  zur  Sorgfalt  und  Gewissenhaftigkeit 
früherer  Zeiten  zurückkehren  7  Es  heisst  doch  den  Lesern  wahr- 
lich viel  zugemuthet ,  wenn  sie  alle  sich  bemühen  sollen,  die 
Nachlässigkeit  eines  Einzigen  oder  Zweier  auf  eigne  Kosten 
gut  zu  machen!  Darum  kann  auch  Rec.  sich  nicht  berufen  füh- 
len und  kein  Verdienst  darin  finden,  alle  Druckfehler  liier  nah- 
raentlich  aufzuzählen;  dem  Verlangenden  stehen  sie  jedoch  zu 
Diensten.- 

Aller  ausgesprochenen  Einwendungen  und  Rügen  ungeach- 


Böttcher:  Hebräische  Paradigmen.  25 

tet  wimscht  Rec.  aufrichtig,  dass  Hr.  Hanno  auch  die  zweite 
Abtheilung  seines  Lehrbuches  ausarbeiten,  aber  dabei  die  Klip- 
pen alle  sorgfältig  vermeiden  möge,  die  ihm  bisher  gefährlich 
geworden  sind.  Sollte  sich  das  liuch  auch  nicht  zur  Einfüh- 
rung in  Schulen  eignen,  so  wird  es  doch  bei  denkendeii  Sprach- 
forschern manches  fruchtbare  Samenkorn  ausstreuen. 

In  Hrn.  liöttcher,  dem  \  erf.  der  Paradigmen  unter  Nr. 
4,  erkennt  man  den  erfahrenen  und  geübten  Lehrer  des  He- 
bräischen, und  einen  sorgfältigen  Beobachter  der  grammati- 
schen Formen.  Die  Einrichtung  der  Tabellen,  welche  der  Verf.  in 
einer  bald  naclifolgenden  Schulgramniatik  und  in  einer  besondern 
Abhandlung  über  hebr.  Schulunterricht  u.  dessen  Hülfsmittel  zu 
rechtfertigen  verheisst  (Vorerinnerung,  datirt  vom  Sept.  1825),  ist 
folgende.  Taf.  I  und  H  auf  Einer  Quartseite  enthalten  die  Con- 
sonanten  und  Puncte,  sowohl  Vocalpuncte  als  Lesezeichen  imd 
Accente;  die  folgenden  zusammen  enthalten  die  Formenlehre 
oder  Wort  formen^  mit  den  zwei  Abtheiluuffen  j4)  der  Wort- 
beuguiig  ("Taf.  lU  — XXllI),  B)  Aqv  Vi oxibüdung  (Taf.  XXIV 
und  XXV.).  A  hat  drei  Abschnitte,  JVo;/M/««/formen ,  Prono- 
jninaliormen  und  Ferboliormen ;  B  hat  deren  zwei ,  Nomina 
verbalia  und  Numeralid^  (welche  letzte  Zusammenstellung  aber 
Rec.  nicht  richtig  finden  kann,  da  den  Nominibus  verbalibus 
vielmehr  die  Primitiva  und  Denouiinativa  entsprechen  müssten; 
freilich  werden  auch  die  Numeralia  grössten  Theils  als  Primi- 
tiva zu  betrachten  sein,  aber  sie  sind  doch  nicht  die  einzigen). 
Von  den  Norainalforraen  nun  giebt  Taf.  III  die  Cosz^sbezeich- 
nung,  d.  h.  die  Praefixa  vor  gewöhnlichen  Nominibus  und  vor 
den  besondern  Formen ;  Taf.  IV  in  zwei  einander  gegenüber- 
stehenden Quartseiten  die  Declination  der  Mosmdmiormen^ 
Taf.  V  auf  Einer  Seite  die  der  Feminina;  Taf.  VI  in  demsel- 
ben Umfange  die  Nom.  anomala  (Ileteroclita  und  Metaplasmi). 
Die  Pronomiiialformen  füllen  fünf  Tabellen,  nähmlich  Taf.  VII 
in  2  Seiten  Pronomina peisonulia  (separata  und  suffixa),  demon- 
strativum^  relativ.^  und  interrogativum;  Taf.  VIII  und  IX,  1 
und  2  die  Siifßxa  verbi  und  Hominis ,  Taf.  X  die  Partikeln  mit 
Suffixis,  Taf.  XI  die  C'ffsz^sbezeichnung  am  Pronom.  personale; 
die  beiden  letzten  auf  Einer  Seite.  Taf.  XII  —  XXIII  umfas- 
sen die  Verbalformen,  und  zwar  Taf.  XII  und  XIII  auf  Einer 
Seite  die  Stanuntafel  des  gemeinen  Verbi  und  die  Personal- 
flesion  des  Kai;  Taf.  XIV  die  ^a.nze  Flexion  des  gemeinen  Verbi, 
Taf.  XV  die  Verbalformen  vor  Suffixis  ;  Taf.  XVI  (zwei  Seiten) 
die  drei  yeiT)a  gutturalia;  Taf. XVII  die  Verba  -(h,  Taf.  XVIII, 
1  Verb.  NS,  2  Verb,  ^s  (beide  Taf.  an  einander  hängend,);  Taf. 
XIX  Verb.  i?r,  Taf.  XX,  1  und  2  Verba  <v  und  ^'v\  Taf.  XXI, 
1  und  2  Verb.  i<h  und  riS;  Taf.  XXII,  1  (bei  welcher  so  wie 
bei  Taf.  XXIV  das  störend  ist,  dass ,  während  man  bei  den 
andern  gewöhnt  worden  ist,  von  der  Linken  zur  Rechten  zu 


26  Hebräische  Sp  raclikunde, 

lesen,  man  hier  mit  Einem  Mahl  von  der  Rechten  anfang'en 
rauss)  in  zwei  Seiten  vergleichende  Uebersicht  der  Ferbalformen ; 
Taf.  XXII,  2  Formen  der  besondern  Verba  vor  Suffuvis ;  Tat". 
XXIII  Verba  anomcda.  Die  Wortforraen  der  Wortbildung  enthält 
Eine  Tabelle  in  zwei  Seiten,  aber  nur  ^om.rerbalia,  Taf.  XXIV; 
denn  die  Numeralia  (Taf. XXV)  gehören,  wie  schon  bemerkt^ 
im  Grunde  nicht  nnter  diese  Rubrik.  Die  Zusammenstellung  ist 
corapendiös,  der  Druck  splendid  und  grösstentheils  sehr  cor- 
rect;  einige  Druckfehler  werden  nocli  in  den  Nacliträgen  und 
Berichtigungen  angegeben.  Die  Terminologie  und  Anordnung 
enthält  einiges  Neue  und  Eigenthüniliche ;  doch  gesteht  Rec, 
dass  er  darin  eben  nicht  viel  wesentliche  Verbesserungen  hat 
wahrnehmen  können.  Unstreitig  sind  diese  Tabellen  sehr 
brauchbar;  aber  so  weit  man  wenigstens  jetzt,  vor  Erscheinung 
der  versprochenen  Rechtfertigung,  urtheilen  kann  ,  so  scheint 
doch  ihre  Bekanntmachung  kein  eigentliches  Bediirfniss  gewe- 
sen zu  sein,  da  das  Meiste  von  dem  hier  Gegebenen  sich  auch 
in  G  e  s  e  n  i  u  s  Grammatik,  wenn  schon  in  verschiedener  Folge, 
eben  so  findet.  Wenn  denn  aber  einmahl  so  ausführliche  Pa- 
radigmen gegeben  werden  sollten,  und  da  der  Verf.  neben  den 
regelmässigen  Formen  zuweilen  auch  raindergewÖhnliche  aus- 
gesetzt hat,  wie  bei  den  Verbis  vi?  das  s.  g.  chaldaisirende  Fu- 
turum, so  wäre  es  angemessen  gewesen,  hierin  noch  etwas  wei- 
ter zu  gehen,  und  z.  B.  bei  den  Verbis  "(h  neben  der  Bildungs- 
weise  ns^jr^ippi,  niö-p^n  u.  s.  w.,  auch  die  andere  nsr'pn,  Pjppn 
auszusetzen,  da  diese  doch  ziemlich  oft  vorkommt,  und  dem 
Anfänger  immer  einige  Schwierigkeiten  verursacht.  Von  der 
vergleichenden  Uebersicht  der  Verbalfomen  Taf.  XXII  sieht 
Rec.  keinen  rechten  Nutzen;  der  Schiller,  der  die  einzelnen 
Verba  dem  Gedächtnisse  gut  eingeprägt  hat,  wird  ihrer,  denke 
ich,  nicht  bediirfen,  den  andern  werden  sie  auch  dadurch  nicht 
beigebracht  werden.  Ein  Missverhältniss  aber  scheint  es,  dass 
in  dieser  vergleichenden  Uebersicht,  die  doch  nur  die  Ilaupt- 
formen  enthalten  soll,  wieder  alle  Futura  apoc.  angegeben  sind, 
ja  zum  Theil  noch  vollständiger  als  in  den  in's  Einzelne  gehen- 
den Hauptparadigmen,  wo  sie  einzig  hingehörten.  Bei  den  Ano- 
raalis  (Taf.  XXIll)  scheint  die  tabellarische  Form  am  w  enig- 
sten  zweckmässig  gewählt ;  denn  gerade  das  Anomalische  lässt 
sich  nicht  leicht  in  Tabellen  bringen;  auch  ist  es,  als  ob  hier 
viele  der  schwierigem  und  sclnvierigsten  Formen  absichtlich 
weggelassen  waren. 

Für  eine  der  niitzlichsten  und  verdienstliclisten  Tabellen 
muss  gewiss  XXII,  2,  enthaltend  die  besondern  Verba  vorSuf- 
fixis,  erklärt  werden ;  denn  hieriiber  sind  die  Grammatiken  ins- 
gemein zu  dürftig,  und  hier  bedurfte  es  am  meisten  eigene  Be- 
obachtung. Das  Gegebene  ist  im  Ganzen  richtig,  wenn  schon 
mehrere  der  hier  vorkommenden  Verbindungen  ihrer  Härte  we- 


Böttcher:  Hebräische  Paradigmen.  27 

gen  kawra  je  von  den  Hebräern  selbst  gebraucht  worden  sind. 
Bei  Einer  Form  jedoch  scheint  sich  der  Vf.  zu  irren,  wenn  er 
nähmlich  von  den  Verbis  "»ä  das  Futur,  mit  Suff,  •'aj:;*''» ,  '•J'ipJ'j"« 
an2;iebt,  mit  Schwa  unter  dem  zweiten  Kadical,  während  es 
vorher  richtig  lieisst  ■'qrSq"',  "•J^'v^.';  "•  s.  w.  Denn  nicht 
nur  die  Verba  med.  und  tert.  giittur. ,  sondern  alle  Verba  Fut. 
^behalten  vor  Suffixis  den ^i- laut  bei;  also  sollte  es  heisseu: 
•'jpa*'''^,  "ü^p^"'";,  wie  Ilohesl.  1,  2  "'Jp'^'^. ;  8,  1  ^P">yN.;  1  Sam. 
lO/l  inp^y-'v,  Jesaj.  34,  17  vj^^"^')''.  u.  s.  w.  Bei  diesem  Aulass 
]<annRec.  seinen  Zweifel  an  den  Richtigkeit  auch  einer  andern 
Form  des  regulären  Verbi  mit  Suffi.vis  nicht  zurückhalten,  wie- 
wohl darin  Hr.  Böttcher,  soviel  llec.  bekannt  ist,  alle  bishe- 
rigen Grammatiker  auf  seiner  Seite  hat.  Es  betrifft  nähmlich  die 
Form  ^^nV^p,  d.  i.  3  pers.  sing.  fem.  praeter,  mit  dem  Suff.  2  p. 
raasc.  Diese  Form  scheint  Rec.  der  Analogie  zu  widerstreiten. 
Denn  überall  erscheint  sonst  das  Suffixum  ^  als  ein  leichtes 
und  doch  betontes,  nicht  nur  an  Nominibus,  wie  ^T^^^,  ^jn^rTS, 
sondern  auch  an  Verbis ,  als  ^^Kp,  !;^\ii'i'(i ,   ^.inji>f,   Genes.  15, 

4,  Hohesl.  8,  2.  Warum  sollte  es  nun  in  dieser  einzigen  Verbin- 
dung den  vorhergehenden  Vocal  Kamez  in Pathach  verkiirzen? 
Es  kommt  aber  auch  wirklich  Hohesl.  8,  5  so  punctirt  ^nSan 
vor,  und  damit  übereinstimmend  Hiob  22,  21  das  Futur,  mit 
dem  n  parag.  irjriMisn;  aber  dagegen  findet  sich  auf  der  andern 
Seite  Jerera.  22,  26  ^OlV*  Andere  Beispiele  dieser  Zusam- 
mensetzung kennt  Rec.  keine;  denn  Hiob  42,  5  ^hni  und  Ho- 
hesl. 8,  5  ''in'^'jl  können  wegen  der  Pausa  nicht  in  Betrach- 
tung kommen.  Da  nun  Ein  Beispiel  gegen  Eines  steht,  die  eine 
Schreibart  aber  nothwendig  unrichtig  sein  muss,  so  ist  es  doch 
wohl  vernünftiger  diejenige  vorzuziehen ,  welche  der  Analogie 
durchaus  gemäss  ist,  als  die  ihr  widerstreitende.     Ewald  Gr. 

5.  489  Note  6  meint  zwar,  ^nS^n  stehe  a.  a.  O.  nur  des  Gleich- 
klanges wegen  (vermuthlich  mit  S^rinS'');  aber  dagegen  ist  zu 
erinnern,  1)  dass  =?in^3n  nicht  araEude  des  Satzes  ist,  und  also 
nicht  wohl  einen  Gleichklang  mit  ^^IHtV  bilden  kann;  2)  dass 
^inVan  vorausgeht,  und  ^^~!h\  nachfolgt,  und  dass  sich  also 
wohl  eher  das  letztere  nach  dem  erstem  gerichtet  haben  würde, 
als  umgekehrt. 

In  der  Taf.  XXIV,  Nomina  verbalia,  könnte  auch  3Iehreres 
Zweifel  erregen ,  z.  B.  dass  nn^»  als  Infinitivform  eines  Verbi 
med.  gutt. ,  n-'nvjö  aber  als  Partie.  Hiphil  des  gemeinen  Verbi 
aufgeführt  wird.  Beide  Formen  scheinen  doch  nicht  wesent- 
lich verschieden,  sondern  nntün  nur  eine  Nebenform  von  nTiiyn 
zusein;  auf  keinen  Fall  ist  dieÄbweichung  von  r^ndv  eine  Folge 
des  Gutturals.  Eben  so  möchte  Rec.  nmv  auch  nicht  vermu- 
thungsweise  unter  den  lufinitivformen  anführen,  da  es  deutlich 
Partie.  Hiphil  ist,  welches  in  dieser  wie  in  mancher  andern 
Form  ein  Werkzeug,  um  die  Handlung  des  Verbi  zu  verrich- 


28'  Deutsche  Leseljücher, 

richten,  bezeichnet:  also  nns^  ein  OefFner,  wie  ya??  der  Ilara- 
mer,  und  im  Deutscliea  Bohier,  Drücker  u,  dgl.  Warum  auch 
hier,  wie  bei  Reylier,  den  einen  Wörtern  die  deutsche  Ue- 
bersetzung  beigefügt  ist,  den  andern  nicht,  sehe  ich  nicht  ein; 
es  sollte  bei  allen,  die  nicht  schon  vorgekommen  sind  ,  gesche- 
hen sein. 

Noch  könnte  Rec.  eine  kleine  Nachlese  von  Formen  liefern, 
die  in  den  Paradigmen  der  Nomina,  Pronomina  und  Verba  feh- 
len; doch  hat  das  Meiste  davon  sclion  der  Rec.  im  Päd.  philol. 
Litb!.  1826  No.  38  beizubringen  die  Mühe  genommen,  der,  selbst 
nicht  selbständig,  sich  natürlich  doppelt  freuen  musste,  in  Hrn. 
Böttcher  einem  selbständigen  Grammatiker  zu  begegnen. 

Johann  Ulrich  Fast. 


Deutsche   Lesebücher. 


Lesebuch  für  Mittel-  und  Ober classen  höherer 
Bürgerschulen  und  G ytiinasiefi.  \on  Br.  Theodor 
Tetzncr ,  Director  dei-  Stadtschulen  zu  Langensalza.  Auch  unter 
dem  Titel:  Aus geiü ählle  prosaische  und  poeti- 
sche Lesest  ücke,  in  zweckniässige  Stufenfolge  geordnet 
etc.  Langensalza,  hei  F.  W.  KnolI'(in  Commission  hei  Landgraf, 
in  Nordhausen).  1827.    VIII  u.  312  S.  8.  7-^  Gr. 

xVn  den  Hrn.  Verf.  erging  „der  Auftrag  seiner  Vorgesetzten,  fiir 
dieOberclassen  der  dortigen  Schulen  ein  Lesebuch  anzufertigen, 
welches  auf  das  schon  eingeführte"-  (Rec.  nicht  weiter  bekannte 
Lesebuch  für  Bürgerschulen.  Magdeburg ,  b.  Rubach.  1S23.) 
„weiter  fortbauen,  dabei  aber  dennoch  für  sich  ein  Ganzes  aus- 
machen sollte"  (richtiger:  welches  — fortbaue .,  dabei  aber  — 
ausmache ;  denn  das  sollte  liegt  schon  im  Auftrage).  Erwünscht 
war  ihm  dieser  Auftrag,  weil  es  ihm  an  einem  solchen,  sowohl 
den  formellen  und  materiellen  Forderungeu  entsprechenden  als 
auch  wohlfeilen  Lesebuche  noch  zu  fehlen  schien.  Aber  eben 
dieser  gefühlte  Mangel  trotz  der  Menge  der  zu  diesem  Zwecke 
geschriebenen  Bücher  hätte  ihn  zum  Forschen  nach  der  Ursache 
dieser  Erscheinung  auffordern  sollen,  und  wahrscheinlich  würde 
er  dann  eine  wesentliche  Ursache  davon  darin  gefunden  haben, 
dass  die  Verfasser  entweder  den  Kreis,  für  den  sie  sclirei- 
ben  wollten,  nach  den  vorauszusetzenden  Kenntnissen,  Fertig- 
keiten etc.,  nicht  scharf  genug  begrenzten  und  nicht  immer  klar 


Tetzncr:  Lesebach  für  Bürgerschulen  und  Gj-mnasicn.  21) 

Tor  Augen  hatten,  oder  ihre  Schriften  für  einen  mehrjährigen 
Gebrauch  verscJiiedcner  SchnlahtJieilungcn,  überhaupt  für  Kin- 
der verschiedenen  Alters,  verschiedener  Kenntnisse  und  Fertig- 
keiten bestimmten.  Dieses  hat  aber  auch  Hr.  Tetzner  nicht  er- 
wogen, und  also  auch  jene  Klippe  nicht  vernüeden:  denn  in 
seiner  Sammlung  findet  sich  (nach  gleichem  Verhältnisse) 
Leichtes  und  Schweres  (liinsichtlicli  des  Verständnisses), 
dem  zelin-  bis  zwölfjährigen  Knaben  und  dem  sechzehnjährigen 
Jünglinge  Angemessenes.  Es  kann  aber  der  Hr.  Verf.  gegen 
diesen  Tadel  sich  nicht  damit  rechtfertigen,  dass  seine  Schrift 
eben  zu  einem  mehrjährigen  Gebrauche  in  verschiedenen  Schü- 
lerabtheihmgen  bestimmt  sey.  Denn  dann  müsste  er  wollen, 
dass  man  in  einem  halben  Jalire  nur  50  bis  100  Seiten  lesen  und 
immer  wieder  bis  zu  Ende  dieses  halben  Jahres  wiederholen 
lasse;  daimGegentheile  das  ganze  Buch  bei  zwei  bis  vier  wöchent- 
lichen Lesestanden  in  einem  halben  Jahre  sehr  gut  durchgele- 
sen werden  kann,  ohne  darum  aucJi  nur  im  Geringsten  eilen  zu 
müssen.  Durch  ein  öfteres  unmittelbar  auf  einander  erfolgtes 
Lesen  solcher  JjO  bis  100  Seiten  aber  würde  der  Schüler  das 
Gelesene  halb  auswendig  lernen,  und  so  der  eigentliche  Zweck 
des  Leseunterrichtes  grossen  Theils  vereitelt  werden.  Aber  wenn 
es  auch  dem  Hrn.  Verf.  wünschlich  und  uns  räthlich  schien,  für 
bestimmte  Schüler  in  einer  bestimmten  Zeit  nur  einzele  Tlieile 
des  Buches  lesen  zu  lassen;  so  wird  er  doch  wohl  nicht 
verlangen,  dass  man  die  einzelen  Fabeln,  Erzählungen  etc.,  die 
der  Fähigkeit  der  Schüler  gerade  angemessen  sind,  hier  und 
dort  aufsuchen  solle.  Dieses  aber  müsste  beim  Gebrauche  des 
vorliegenden  Buches  geschehen.  Denn  obgleich  es  auf  dem 
zweiten  Titel  heisst,  dass  die  „Lesestücke  in  zweckniässige  Stu- 
fenfolge geordnet"  (ein  logisch -kölnischer  Ausdruck!)  seven* 
so  belehrt  uns  doch  das  Buch  selbst  eines  Andern,  wenn  auch 
nicht  Bessern.  —  Beides,  dass  dem  Hrn.  Verf.  kein  genau  be- 
stimmter und  gehörig  begrenzter  Kreis ,  für  den  er  schreiben 
wollte,  vorgeschwebt  habe  und  die  Folge  der  einzelen  Stücke 
oft  nichts  weniger  als  stufenmässig  sey ,  wollen  wir  nun  zuvör- 
derst zeigen,  indem  wir  den  Inhalt  des  Buches  etwas  genauer 
angeben  und  damit  zugleich  einige  allgemeine  Bemerkungen  ver- 
binden. Hierbei  versteht  es  sich  aber  von  selb.it,  dass  wenn 
vom  Stufenmässigen,  vom  Leichtern  oder  Schwerern  die  Rede 
ist,  mehr  dasVerständniss  des  zu  Lesenden,  als  das  Lesen,  des- 
sen mechanische  Fertigkeit  hier  schon  vorausgesetzt  wird  in 
Betracht  kommt. 

Schon  der  Titel  des  Buches:  firr  Mittel-  und  Oberclassen 
höherer  Bürgerschulen  und  Gymnasien  zeigt  das  Unbestimmte 
des  dem  Hrn.  Verfasser  vorireschwebten  Zieles.  Nach  dem  ei- 
gentlichen Sinne  der  Worte  wäre  also  das  Buch  niciit  für  Gym- 
nasien überhaupt,    sondern,  wie  bei  den  höhereu  ßürgerschu- 


30  Deutsche  Lesebücher. 

len,  nur  für  ihre  Mittel-  und  Oberclassen  bestimmt.  Das  aber 
wollte  der  Hr.Yf.  nicht  sagen,  und  hätte  schreiben  sollen :  imd  auch 
für  Gyynnasien^  wie  es  auch  im  Vorworte  heisst:  als  auch  selbst 
für  Gymnasien.  Durch  das  auch  wäre  dann  zugleich  angedeu- 
tet worden,  dass  er  wenigstens  die  Oberclassen  der  Gymnasien 
nicht  berücksichtigt  habe.  Aber  selbst  nach  dieser  Zweckbe- 
stimmung würde  die  Aufgabe  immer  noch  zu  verschiedenartig 
seyn ,  als  dass  man  eine  glückliche  Lösung  derselben  erwarten 
könnte.  Denn  wir  behaupten,  dass  nicht  sowohl  die  Form,  als 
besonders  das  Material  ein  anderes  für  Gymnasien,  ein  anderes 
für  Bürgerschulen  seyn  könne  und  müsse.  Jetzt  mag  es  diesem 
Doppelzwecke,  den  der  Hr.  Verf.  sich  gesetzt,  zugeschrieben 
werden,  dass  seine  Sammlung  im  Ganzen  ihres  Zweckes  ver- 
fehlt ,  imd  für  Niemanden  recht  passen  will.  Im  Ganzen  (denn 
einzele  Stücke  sind  allerdings  sehr  leicht)  eignet  sie  sich  am 
wenigsten  für  jüngere  Kinder ,  auch  nicht  einmal  für  höhere 
Bürgerschulen,  weil  zum  rechten  Verstehen  vieler  Stücke  geüb- 
ter Verstand  und  mannigfaltige  Kenntnisse  (besonders  mytho- 
logische, geographische  und  geschichtliche)  erfordert  werden. 
Auf  der  andern  Seite  aber  dürfte  sie  für  diejenigen,  die  diesen 
Erfordernissen  entsprechen ,  auch  nicht  in  Allem  angemessen 
seyn,  weil  Manches  darin  nur  für  den  eigentlichen  Kinderver- 
stand etc.  passt.  Am  meisten  möchte  sie  nocli  für  un- 
tere und  mittlere  Classen  gelehrter  Schulen  sich  eignen.  Denn 
bei  einzelen  Lesestücken  wird,  wenn  auch  nur  geringe,  Kennt- 
niss  der  lateinischen  (wie  in  Redensarten:  unter  dem  langen 
Gratias  —  und :  ergo  zeigt  die  Logik  mir.^  und  französischen 
Sprache  (z.  B.  S,  206  in  der  Meise  7iach  Aalbe.)  vorausgesetzt. 
Auch  spielen  in  dem  Buche  die  heidnischen  Götter,  Göt- 
tinnen, Halbgötter  etc.  eine  grosse  Rolle,  und  nichts  Selte- 
nes sind  Ausdrücke,  wie  folgende:  harmonisch .,  das  friedliche 
Asyl^i  Sirius^  Athemzephyr .,  ein  Zodiakallicht^  Elysimn.^  mai'^ 
lialisch.^  ein  Lied  der  Mäoniden.  S.  148  wird  sogar  der  Inge- 
nieur Gianibelli  der  Archimed  Antwerpen's  genannt.  Zu  einigen 
wenigenWörtern  (z.  B.  S.  38  zu  Schißspapiere,  S.  150  zu  Schuyten) 
hat  zwar  Hr.  T.  erklärende  Bemerkungen  gegeben ,  aber  bei 
vielen  andern  sucht  man  diese  vergebens.  SoS.  149  bei  Playten^ 
S.  182  bei  Lotosblätter ,  S.183  bei  Melodramen  u.  öfter. 

Unser  ausgesprochenes  Urtheil  wird  sich  nun  auch  durch 
eine  genauere  Angabe  des  Lihalts  bewähren.  Die  Sammlung 
enthält  einen  prosaischen  (S.  1  — 176)  und  einen  poetischen  Theil 
(S.177  —  312).  Erstercr  beginnt  A)  mit  Erzählungen  und  Fa^ 
beln  (S.3 —  103).  Diese  Abtheilung  dürfte  im  Ganzen  für  Kin- 
der von  9  bis  14  Jahren  geeignet  seyn.  Aber  auch  sie  ist  im 
Einzelen  höchst  ungleich  gehalten.  So  kommen  in  der  im  Gan- 
zen recht  eigentlich  für  Kinder  geeigneten  Fabel  des  Adlers 
Ministerwahl  Ausdrücke  vor,    wie   zierliche  Floskeln.     In  der 


Tetzner:  Lesebuch  für  Bürgerschulen  und  Gymnasien.  31 

Erzälilung  der  Pudelmüiue  sechs  und  zwa7izigsier  Geburtstag 
heisstes:  dass  ich  als Uofor^qimt  installirt  wurde.  Dage- 
gen scliliesst  sie:  Amen.,  rief  die  ganze  Gesellschaft.  Vivat 
die  Pudelmütze!  Jlle  Mützen  in  der  ganzen  JFelt  sollen  leben! 
etc.  Gleich  darauf  folgt  nun  aber  eine  Erzählung,  welclie  die 
hochtrabende  Ueberschrilt  führt:  Erster  Schattenpnnkt  aus 
meinem  Leben  —  und  doch  recht  possirlich  anfängt:  Guter, 
ehrlicher  Lorenz.,  Du  bist  schon  lange  dahin!  Lange  schon 
i'uht  Dein  Bügeleisen  und  Deine  kunstfertige  Nadel !  etc.  Hier 
werden  auch  prachtvolle  Mausoläen  erwähnt,  und  der  Erzähler 
spricht :  Hier  tvohnte  ich  einst ,  als  ich  zu  den  Füssen  meines 
Gatnaliel.,  des  trefflichen  Bauer  sass.  Wird  ein  gewöhnliches 
zwölfjähriges  Kind  diese  Bedeutung  des  Namens  Gamaliel  ken- 
nen'? Und  umgekehrt!  wird  ein  Kind,  das  sie  kennt,  an  dem 
Kindischen  der  Erzählung  Gefallen  finden*?  —  Eben  so  liest 
man  in  derselben  Satansengel — langes  Gratias.  —  Nein.,  rief  ich., 
das  (nämlich  dass  er  in  Gesellschalt  seinen  Stiefelabsatz  verlo- 
ren) ist  das  Traurigste.,  was  mir  begegnen  konnte  !  Wäre  mir 
Vater  und  Mutter  gestorben.,  iväre  ich  unschuldig  in  Ketten  und 
Bande?i  gelegt.,  mit  welchem  tr agischenE ffe cte  könnte  ich 
nicht  nach  Dolch  zrnd  Pistolen  greifen;  aber  nun'}  o  Him,mel! 
auch  wenn  ich  noch  so  anständig  der  sch7iöde?i  Welt  Valet  sag- 
te.,  würde  man  nicht  dennoch  über  den  Absatz  lachen?  O, 
wahrhaftig.,  niemals  wurde  es  ?nir  anschaidicher.,  dass  der  höch- 
ste Punkt  des  Tragischen  der  ist.,  wo  man  lächerlich  tvird  etc. 
(S.l  00.)— 2CÄ  selbst  aber  (steckte  mich)  ins  Bette.,  das  bald  in  sei7ien 
seligen  Wellen  den  Gram  und  Kummer  dieses  Tages  be- 
grub. Passt  so  Etwas  fiir  Bürgerschulen'?  Auch  die  Erzäh- 
lung der  Krieg  fordert  mehr  Kenntnisse  und  gereiftem  Ver- 
stand, als  viele  andere.  Dasselbe  gilt  von  Manchem  in  der  Er- 
zählung —  Der  General  Mastron.  Ebenso  findet  sich  in  der 
Erzählung  der  Gefangene  manches  ein  reiferes  Alter  und 
mancherlei  (namentlich  geographische)  Kenntnisse  Erfordern- 
des. z.B.  während  der  ivir  bei  der  grossen  Fischer bafik 
in  ztvei  Tagen  ein  und  fünfzig  Kabeljaue  fingen  —  französische 
Capern  —  orkadischen  Inseln  —  das  Vorgebirge  Finis  terrae. 
Auch  in  der  trefflichen  Erzählung  S.  67  IF.  dürfte  Folgendes 
über  dem  Horizonte  der  Kinder  seyn:  Der  älteste  war  ein 
sinnlich  -  lebhafter  ^  tüchtiger  Junge .,  dessen  vorlaut  derbe  Spä- 
sse  und  getneine  HerzeTisergiessungen  ankündigten.,  die  Welt 
der  Geister  habe  sich  von  ihm  ebe?i  nicht  viel.,  desto  rnehr 
aber  die  Welt  der  Äör per  zu  versprechen.  Indem  ich  diese 
Sylben  zu  einer  Charakteristik  der  Kinder  aus  ihrem  An- 
blicke zusammenbuchstabirte  etc.  Doch  wollte  ich  so  fort- 
fahren, so  würde  die  Rec.  zu  einem  Buche  werden.  Darum 
sey  hier  von  den  Erzählungen  so  wie  von  Aew  später  folgenden 
historischen  Darstellungen  nur  noch  gerühmt,  dass  sie  im  Gan- 


32  Deutsche  Lesebücher. 

zen  recht  lebendig  und  veranschaulichend  sind,  was  zum  Theil 
durch  Erwähnung  cinzeler,  unbedeutend  scheinender  Neben- 
umstände bewirkt  wird. 

Von  S.103  an  folgen  B)  Idyllen  und  auf  S.  111  C)  Schil- 
derungen und  Parabeln.  Das  erste  liier  vorkommende  Stück, 
die  Junius- Nacht  (von  J.  P.Fr.  Richter),  das  schon  philoso- 
phischen Blick  erfordert,  ist  hinsichtüch  des  Eindringens  in 
den  tiefen  Sinn  im  Verhältnisse  zu  dem  üebrigen  zu  schwer. 
Dagegen  ist  die  JSeujahmyiacht  eines  U nglilchlichen  sehr  gut  ge- 
wählt. Mit  S.  124  beginnen  D)  Historische  Darstellungen.  Hier 
Hesse  sich  wohl  mit  Kecht  fragen,  warum  unter  Ä)  und  nicht 
in  diese  Abtheilung  die  Erzählung  Ludwig  der  eiserne  gesetzt 
sey?  Oder  welchen  Unterschied  Hr.  T.  zwischen  den  geschicht- 
lichen Erzählungen  (wenn  man  anders  so  sagen  darf),  d.  h.  Er- 
zählungen, deren  Grund  factisch,  und  den  historischen  Dar- 
stellungen mache'?  Sollteer  unter  den  letztern  rein- geschicht- 
liche.,  nur  in  formeller  Hinsicht  mehr  ausgebildete  Erzählun- 
gen sich  denken;  so  diirfte  man  wohl  zweifeln,  dass  das  unter 
dieser  Abtheilung  vorkommende  Stiick  die  Horatier  und  Curia- 
iier  diese  Steile  in  Wahrheit  verdiene.  —  Unter  E)  folgen 
von  S.  159  an  Reden.  Hier  setzt  z.  B.  die  Rede  über  die  Ge- 
schichte von  Johannes  von  Miiller  gereiften  Verstand  und  viel- 
fache Kenntnisse  voraus,  und  vieles  daraus  passt  nicht  einmal 
für  Gymnacialclassen  (für welche  doch  die  meisten  übrigen  Stük- 
ke  passen),  geschweige  denn  für  Bürgerschulen. 

S.  172  ff.  steht  ein  Bruchstück  aus  Dräseke's  Rede,  Im 
Sturme  —  Hoffnung !  Da  hätte  nun,  um  dieses  gleich  hier  zu 
erwähnen,  Hr.  T.  nicht  vergessen  sollen,  diesem  aus  dem  Zu- 
sammenhange gerissenen  Theile  eine  nähere  Bestimmung,  Avas 
unter  Sturm  hier  verstanden  werde,  vorauszuschicken.  Denn 
wie  es  dasteht  erscheint  das  Stück  unbestimmt,  schwankend  und 
in  Einzelen  zu  falscher  Deutung  geschickt. 

S.  177  folgt  der  poetische  Theil  ^  der  mit  Fabeln  und  poe- 
tischen Erzählungen  beginnt.  Das  Meiste  von  dieser  Abthei- 
lung A)  scheint  für  dieselben  Kinder,  für  welche  die  erste 
Abtheiiung  des  prosaischen  Theiles,  berechnet  zu  sejn.  Da- 
rum drängt  sich  fast  unwillkürlich  die  Frage  auf,  in  welcher 
Ordnung,  hinsichtlich  des  prosaischen  Theiles  des  poetischen 
erste  Abtheilung  gelesen  werden  solle.  Da  der  Schüler,  der 
den  prosaischen  Theil,  besonders  die  letztern  Stücke  gelesen 
hat,  doch  nicht  jünger  gemacht  werden  kann,  um  für  den  An- 
fang des  poetisclien  Theiles  geeignet  zu  seyn;  ein  Stück  aus 
dem  prosaischen  Theile  und  dann  eins  aus  dem  poetischen  zu 
lesen,  aber  zu  störend  seyn  würde:  so  bleibt  fast  keine  andere- 
Wahl,  als  mit  einzelen  Abtheilungen  beider  Theile  zu  wech- 
seln. Aber  auch  in  jenen  Fabeln  und  poetischen  Erzählungen 
ist  Ungleichheit  in  Hinsicht  auf  die  (grössere  oder  geringere) 


Tetzner:  Lesebuch  für  Bürgerschulen  u.  Gymnasien.  S3 

Schwierigkeit  des  Versteliens  nicht  zu  verkennen.  So  erfordert 
das  Verstand niss  der  Fabel  der  relikau  mehr  als  andere.  Mau 
trifft  darin  auf  Nymphe  —  Hekatomben  —  Katakomben  —  Or- 
cus  —  Hydcrzuhn —  Faler  Zeus  —  Arotiide.  Unter  B)  ste- 
hen Le/j^enden^  Romanzen  und  Balladen^  und  unter  C)  Märchen^ 
Parabeln  und  Allegorien.  Von  S.  2.">1  folgen  nun  D)  Idyllen 
und  Heldengedichte  ^  und  von  S.  270  ii')  Lieder.,  Lehrgedichte., 
Oden  u.  dergl.  Das  Ganze  beschliessen  Dramatische  Dichtun- 
gen (S.  293  —  312). 

Bei  der  Mehrzahl  der  einzelenSti'icke  ist  zu  Ende  der  Verf. 
genannt  (einige  prosaische  sind  von  dem  Hrn.llerausgb.  selbst). 
Warum  dieses  bei  d^ix  andern  nicht  geschehen,  ist  oft  nicht 
abzusehen. 

Wenn  unser  hisheriges  Urtheil  mehr  das  Ganze  der  Sclirift 
betraf,  so  wollen  wir  nun  den  kritischen  Blick  auf  das  Einzele 
richten  und ,  indem  w  ir  die  besonders  durch  den  höhern  Lese- 
unterricht zu  erstrebenden  Zwecke  ins  Auge  fassen,  sehen,  wie 
das  vorliegende  Buch  denselben  entspreche. 

Der  Hauptzweck  des  Leseunterrichts,  wenn  dieser  anders 
Leseunterricht  seyn  soll,  ist  ohne  Zweifel  das  Lesenlernen; 
in  unserm  Falle  aber  nicht  sowohl  das  elemeutai'isch -richtige 
Lesen,  dessen  Fertigkeit  vielmehr  schon  vorausgesetzt  wird, 
als  das  fliessende,  ästhetische,  ausdrucksvolle  Lesen,  das  den 
Sinn  (richtig  verstanden:  das  Grundtliema)  des  einzelen  Satzes 
oder  der  ganzen  Rede  (Freude,  Trauer,  Staunen  etc.. —  Fra- 
gen, Ausrufen  etc.  —  Erzählen,  Belehren  etc.)  schon  durch 
die  Art  und  3Ioduiation  der  Stimme  ausdrückt.  Hierher  ge- 
hört auch  eiji  in  allen  Beziehungen  richtiges  Lesen  des  Poeti- 
schen.—  Wenn  nun  auch  die  Erreichung  dieses  Zweckes  gröss- 
tenTheils  von  dem  Lehrer  abhängt;  sq  kann  und  soll  doch  auch 
das  Lesebuch  durch  mannigfaltige  Abwechselung  der  Form 
dazu  beitragen.  Und  dieses  thut  aucli  gegenwärtige  Schrift  mit 
vielen  ihrer  Schwestern.  Gut  aber  (besonders  wegen  der  Bür- 
gerschulen ,  für  die  nun  einmal  unser  Verf.  mit  geschrieben 
haben  will)  dürfte  es  gewesen  seyn,  wenn  einzele  Stücke  oder 
auch  ganze  Abschnitte  mit  deutscher  Handschrift  und  mit  la- 
teinischen Buchstaben  wären  gedruckt  worden. 

Richtige  Aussprache  gehört  zu  jenem  Lesen  wesentlich; 
ja!  sie  ist  die  Grundbedingung  desselben.  Hire  Erlangung 
aber  wird  durch  häufiges  LesenunechterReimesehr erschwert. 
Freilich  sind  Gedichte  etc.  mit  nur  echten  Reimen  selten;  be- 
sonders pflegen  ä  e  und  ö,  i  und  ü  ,  ei  eu  und  mi  jals  gleichlau- 
ten4  gebi:aucht  zu  werden.  Nichtsdestoweniger  muss  in 
(namentlich  Bürger-)  Schulen  besonders  solcher  Gegenden,  wo 
solche  Vocalverwechselungen  im  Leben  gewöhnlich  sind,  das 
Lesjsn  unechter  Reime  vermieden  werden.  Gleichwohl  sind  sie 
in  dem  poetischen  Theile  vorliegenden  Buches  eben  nicht  seltei}, 

Jahrb.  f,  Phil.  u.Pädas.  Jahrg.  m,  lief t9.  3 


34  Deutsche  Lesebücher. 

z.  B.  reich — euch  ;  Menschenfreuden  —  beneiden  ;  kühn  —  ihn ; 
schickt  —  bückt ;  regen  —  mögen. 

Zu  jenem  Hauptzwecke  des  Lesenlernens  gesellt  sich  der 
Zweck  (formeller)  geistiger  Bildung  Viberhaupt.  Darum  muss 
Alles  in  einem  ganz  edlen  Tone  geschrieben  und  jedes  an  s  Un- 
edle auch  imr  Grenzende,  das  sonst  wohl  ohne  Tadel  gesagt 
werden  könnte,  vermieden  seyn.  Da  (subjective)  Religion  die 
Basis  aller  Bildung,  gleichsam  der  sie  anfachende,  belebende 
und  befruchtende  Hauch  seyn  soll  und  muss;  so  rechnen  wir  auch 
hierher  Beförderung  nicht  sowohl  der  theoretischen  Religion, 
als  vielmehr  der  Religiosität  (der  Frömmigkeit).  Darum  dünkt 
es  uns  besser,  nicht  einzele  von  den  Glaubens-  und  Sittenleh- 
ren handelnde  Abschnitte  in  solchen  Lesebüchern  *)  vorzubrin- 
gen, sondern  sie  in  die  Erzählungen  etc.  zu  verweben  und  Re- 
ligion innig  erfasst  und  im  Leben  bewährt  habende  Lidividuen 
oder  auch  solche,  von  denen  dasGegentheil  gesagt  werden  muss 
(wo  dann  aber  zugleich  eine  innige  Schilderung  der  traurigen 
Folgen,  welche  die  Irreligiosität  hatte,  an  ihrer  Stelle  ist),  dem 
Auge  der  Jugend  recht  lebendig  vorzuführen.  Dieses  ist  auch 
in  vorliegender  Sammlung  meist  beifallswürdig  geschehen,  so 
wie  sie  auch  obiger  Forderung  einer  edlen  Ausdrucksweise  in 
den  meisten  Theilen  entspricht.  Zuweilen  aber  auch  nicht,  wo 
es  dann  einen  Vibeln  Eindruck  macht,  neben  dem  Schönen,  Gu- 
ten und  Trefflichen  auch  Schiefem,  ja!  fast  Frivolem  zu  begeg- 
nen. So  findet  man  hier:  diesen  armen  Teufel  (\on  einer  Ratze 
gesagt),  —  der  Teufel  soll  mich  holen  und  in  Stücken  reissen, 
—  ich  hatte  niemals  ein  hundsvöttis  eher  e  s  Gesicht  ge- 
sehen., —  -ferV,  kr  ähete  der  Herr  Vetter  herab —  seht  mir  doch 
das  Lumpenpack!  Schert  euch  in's  JVirthshaus  etc.  — 
Schert  euch  zum  Henker^  und  Anderes.  —  Die  S.  ]98f.  aufge- 
nommene neue  Schulmethode  (von  Heinroth)  ist  abgesehen  von 
der  ünangemessenheit  für  Schiller  überhaupt,  nicht  edel  ge- 
nug. So  heisst  es  hier :  Wie  Gott  die  Regenbogen  macht,  wird 
er  wohl  Keinem  auf  die  Nase  binden.  —  Auch  das  Hufeisen 
(von  Göthe)  passt  für  keine  Schule.  Unter  Anderm  wird  hier 
von  Jesu  gesagt: 

„So   schlendert  er  in  Geistesruh  — 

Er  sagte  zu   Sanct  Petern  drauf: 

„Heb'   doch  einmal  das   Hufeisen  auf." 

Sanct  Peter  war  nicht  aufgeräumt, 

Hatte   eben  erst  geträumt  etc." 
Von  jenem  allgemeinen  Bildungszwecke  ist  aber  auch  die  For- 
derung bedingt,  dass  die  Leseübungen  (namentlich  solche,  von 


*)  Von  den  für  arme  Kinder  bestimmten  Lesebüchern ,  die  Alles 
in  Allem  seyn  sollen ,  ist  hier  natürlich  nicht  die  Rede. 


Tetzner:   LeseLuch  für  Bürgerschulen  u.  Gymnasien.  35 

denen  hier  zuvörderst  gesprochen  wird)  nicht  blos  dieKenntnisa 
der  Orthographie  (im  gewöhnlichen,  obgleicli  zu  engen,  Sinne), 
sondern  auch  Gewandtheit  im  Ausdrucke  und  Fertigkeit  im  rich- 
tigen Wort-  und  Satzverbinden  befördern.  Darum  muss  das 
Lesebuch  ganz  besonders  logisch-  und  grammatisch  richtig  im 
Style  und  consequent  in  der  ScJireibart  seyn.  Dieses  kann  aber 
von  vorliegendem  Buche  nicht  durchweg  gerühmt  werden,  un- 
geachtet der  Hr.  Verf.  im  Vorworte  versicliert,  dass  er  ,,grosse 
Sorgfalt  auf  die  grammatische  Richtigkeit  verwandt"  habe  und, 
,,um  hierin  keine  Verwirrung  zu  stiften ,  Ileyse's  Lehrbüchern 
durch  und  durch  gefolgt"  sey.  Selbst  die  grossen  Buchstaben 
sind  nicht  consequent  gebraucht,  indem  der  Verf.  von  neuem^ 
aber  von  Jf  eite?n,  Nichts  (wo  es  substantivisch  steht)  aber  bis- 
w  eilen  auch  ?iichts^  Euch  (in  der  Anrede)  und  euch^  Sie ,  Ih- 
nen^  aber  z"Ä/e  etc.  schreibt;  gewöhnlich  auch /?er/ew?^e,  Der^ 
Jeder  ^  sobald  kein  Substantiv  bei  diesen  Wörtern  steht.  Die 
Wörter  auf  ie  sind  bald  iee  bald  ie  geschrieben,  z.  B.  Kniee 
und  Knie^  und  der  Dativ  Singul.  wird  bald  mit  bald  ohne  e  ge- 
bildet, s.  z.  B.  das  Wort  Hain  S.  109  f.  Gleiches  Schwanken 
findet  sich  im  Gebrauch  des',  indem  z.B.  Österreich schen^ 
aber  Luthers^  Muhameds  gesetzt  ist.  Die  mit  trennbaren  Prä- 
positionen zusammengesetzten  Verba  sind  von  diesen  bald 
getrennt,  bald  nicht,  z.  B.  hineinkäme^  zurück  kam^  hin- 
zukomine7i^  hinein  g?ickten^  vorbeitrieb,  U7nher  sandte  etc. 
Falsch  schreibt  auch  Ilr.  T.  Miihamedaner  statt  Muham- 
medaner^  da  ja  das  Wort  bekanntlich  ein  arabisches  Passivpar- 
ticipium  ist.  Besonders  auffallend  ist  das  Schwanken  zwischen 
dem  Conjunctiv  des  Präs.  und  des  Imperf.  in  indirecter  Rede 
bei  übrigens  ganz  gleicher  Beziehung.  Z.  B.:  kam  dieser  selbst 
zu  ihm  und  erzählte ,  er  to ür de  seit  einiger  Zeit  oft  bestohlen 
und  tvüsste  nicht,  wie  es  zuginge^  da  sein  Geldkasten 
unbeschädigt  bliebe,  und  ausser  ih?n  Niemand  in  das  Zim- 
mer komm  e.  Der  einzige,  den  er  in  Verdacht  haben  könnt e^ 
wäre  der  Hund  — y  aber  es  scheine  ihm  unglaublich,  dass 
ein  Hund  Geld  wegnehmen  sollte.  Hinsichtlich  der  Interpun- 
ction  wollen  wir  nur  auf  den  schwankenden  Gebrauch  des  Komma 
aufmerksam  machen.  Richtig  pflegt  der  Hr.  Verf.  in  den  mit 
und  verbundenen  Sätzen,  deren  zweiter  kein  eigenes  Subjects- 
worthat,  dasselbe  wegzulassen;  allein  anderswo  wird  es  auch 
in  eben  denselben  Sätzen  gebraucht,  und  zwar  nicht  blos  dann, 
wo  dieses  U7id  mehr  emphatisch  steht,  sondern  auch  ohne  alle 
Emphase.  Sätze,  von  denen  jeder  sein  eigenes  Subjectswort 
hat,  werden,  wenn  sie  durch  und  verbunden  sind,  gewöhnlich 
durch  Komma  getrennt;  aber  auch  diess  ohne  gehörige  Conse- 
quenz.  —  Freilich  sind  das  alles  nur  Kleinigkeiten,  aber  doch 
in  einem  Schulbuch  viel  zu  wichtig,  als  dass  man  sie  nicht  ver- 
mieden wünschen  sollte.     Auch  werden  solche  kleine  Fehler 

3* 


36  Deutsche   Lesebücher, 

leicht  bedeutender,  wie  z.  B.  S.  44:  die  Insel  Malta  ist  felsig 
und  hat  ursprünglich  (?)  gar  keinen^  zur  Erzeugung  der 
Gartengeirächse  dienlichen^  Boden.  Hier  erscheint  der  Satz  zur 
.  .  .  dienlichen  durch  die  beiden  Komma  als  Zwischensatz,  was 
er  doch  nicht  seyn  darf,  da  er  wesentlich  zu  der  Be?nerkma- 
hmg  gehört,  dass  dieser  Boden  ursprünglich  gefehlt  haben  soll. 

\on  weit  grösserer  Bedeutung  aber,  als  jene  Inconsequen- 
zen  und  Unrichtigkeiten,  und  strenge  Rüge  verdienend  ist  die 
Menge  des  spi'achlich  Falsclien,  des  Unbestimmten,  kurz!  des 
formell  Unrichtigen,  selbst  in  den  Stücken,  die  berühmte  Män- 
ner zu  \erfassern  haben.  Hr.  T.  musste  entweder  diese  Stücke 
weglassen  oder  das  Falsche  darin  verbessern;  und  dieses  Letz- 
tere konnte  er  mit  demselben,  ja!  mit  noch  grösserra  Rechte, 
als  er  die  Schreibart  in  seiner  Schrift  conform  zu  machen  suchte. 
Allein  er  selbst  scheint  das  Unrichtige  nicht  gefühlt  zu  haben; 
wenigstens  fehlt  es  ihm  noch  ,  nach  dem  von  seiner  Hand  im 
Buche  Befindlichen  zu  urtheilen ,  an  philosophischer  mit  der 
aposterioristischen  verbundener  Sprachkenntniss  (oder  doch  we- 
nigstens an  der  Kunst,  sie  überall  anzuwenden)  und  an  Ge- 
wandtheit im  Ausdrucke.  Dieses  unser  Urtheil  wollen  wir  jetzt 
durch  einige  Beispiele  begründen,  und  zwar  so,  dass  wir  erst 
auf  das,  was  von  Andern  herrührt,  und  dann  auf  das,  was  von 
Hrn.  T.  selbst  ist,  Rücksicht  nehmen.  —  S.  7:  der  Betrüger 
musste  sich  schämen  zind^  selbst  (wozu  dieses  selbst'/)  ohne  sein 
Beil^  nach  Hause  icandern.  —  S.  T:  oder  Fuchs^  de?i  die  List 
nie  verla'sst ,  war  für  seine  Haut  und  sein  Leben  besorgt;  um 
aber  auch  bei  einem  schlitmnen  Spiele  sein  Bestes  zu  wagen. 
Welch'  ein  Unsinn!  Sein  Bestes  wollte  der  Fuchs  ja  nicht  wa- 
gen, sondern  retten!  Ebend.:  aus  tvelchein  er  nicht  zu  entfliehen 
im  Stande  ivar.  Logisch  richtiger :  aus  welchem  zu  entfliehen 
er  nicht  im  Stande  m  ar.  —  Selbst  Diejenigen.,  welche  den  Ver~ 
rath  lieben.,  hassen  den  Verräther.  Das  ist  ein  offenbarer  Wi- 
derspruch! Wer  den  Verräther  als  solchen  hasst,  muss  auch 
den  \errath  hassen.  Der  Verf.  wollte  sagen:  Selbst  diejenigen, 
die  den  aus  dem  Verrathe  ihnen  erwachsenen  Vortheil  wünschen 
oder  lieben,  hassen  den  Verräther.  Ueberhaupt  aber  passt  diese 
Anwendung  nicht  recht  auf  die  Fabel,  in  der  der  Löwe  nicht 
sowohl  aus  Rechtsgefühl  als  vielmehr  aus  List  und  Raubgier  den 
Fuchs  zerfleischt  zu  haben  scheint.  —  S.  8:  Der  Wolf  lag  in 
den  letzten  Zügen.  Da  hier  weder  von  den  Wölfen  überhaupt, 
noch  von  einem  schon  erwähnten  Wolfe,  auf  den  der  bestitn- 
me7ide  (nicht:  der  bestimmte!  wie  viele  Grammatiker  fälsch- 
lich sagen)  Artikel  zurückwiese,  die  Rede  ist,  vielmehr  mit  je- 
nen angeführten  Worten  dieFabel  beginnt;  so  ist  das  f/erfalsch 
und  in  ein  zu  verwandeln.  S.  36:  l7i  dem  Jahre  1817,  in  wel- 
chem sich  der  (dieser  Artikel  ist  ganz  unnötliig)  Schreiber  die- 
ses dort  (in  Schnepfenthal)  als  Lehrer  aufhielt.,  kam  auch  ein 


Tetzncr:  Lesebuch  für  Bürgerschulen  u.  Gymnasien.  37 

ehemaliger  Zögling  dorthin.  Das  mich  ist  falsch,  man  lua^  es 
aul'  kam  oder  auf  ehemaliger  Zögling  beziehen.  Denn  vorher 
ist  weder  von  eines  Andern  Gekoininenseyn ,  nocJi  von  einem 
andern  Zösflingc  gesprochen  worden.  S.  30 f.:  tvo  (in  Deutsch- 
land) sein  (des  eliemaligen  Zöglinjrs)  Vater  eine  bedeutende 
Handlung  besass.,  ohne  dadurch  (riclitiger:  darum,  deshalb) 
das  frühere  Geschäft  in  Cadix  aufzugeben  (richtiger :  aufgege- 
ben zu  haben).  S.  38:  Die  Räuber  hatten  nändich  ein  anderes 
Dänisches  Schiffe  eben  so  wie  uns  (besser  verbindend  :  eben  so 
wie  das  unsrige)  erbeutet.  —  S.  -40 :  wo  unsere  Räuber  zu 
Hause  (!)  gehörten.  —  In  dem  Stücke  der  eiserne  Arm- 
leuchter (von  Löhr)  liest  man  S.  51:  £^in  Mein  eh.,  der  einmal 
tmdankbar  in  seiner  Habsucht  geworden  ist ,  obwohl  er  jetzt^ 
statt  achtzehn  Pfentiige  des  Tages  sonst ,  einen  uner messlichen 
Reichthum  hatte ,  kennt  keine  Grenzen  etc.  Abgesehen  von  dem 
Unbeholfenen  dieses  Satzes ,  so  steht  der  Zwischensatz  mit 
dem  Hauptsätze  in  keinem  rechten  Zusammenhange;  denn  im 
letztern  w  ird  eine  Erfahrung  von  dem  Menschen  überhaupt  aus- 
gesprochen, im  erstem  dagegen  ein  bestimmter  Fall  von  dem  hier 
besprochenen  angegeben.  —  S.  52 :  Dass  er  von  seine7i  Sinnen  nicht 
(besser:  nichts)  wusste.     S.  53:  Der  Rabe  fasste  sie  also  etc. 

—  und  rief  die  Schildkröte.,  seine  Freundinn.  Aber  die  Schild- 
kröte kam  hervor  aus  ihrem  Teiche  etc.  Das  aber  ist  hier  sehr 
unglücklich  gewählt ,  denn  die  Schildkröte  entsprach  ja  ganz 
dem  Wunsche  des  Raben.  —  S.  57:  Du  sollst  mir  tüchtig 
aibeiten  müssen  (.').  Unklar  wird  S.  109  gesagt:  und  spann- 
te zwischen  den  zween  längern  Saiteti  an  die  kürzern  fest,  — 
S.  115  liest  man:  und  die  Schlangenzähne  der  Reue  gruben 
darin  in  den  Wunden  weiter.  Was  das  darin  bedeuten  solle, 
lässt  sich  nicht  einsehen.  —  S.  11(>  befindet  sich  die  Wortver- 
bindung: Einem  eine  Sache  beneiden.   —    S.  125:  Ihrer  jeder 

—  von  deren  Tapfern  ist  gegen  den  Wohllaut.  —  S.  147  sagt 
Herder  von  Jesu :  dass  er  in  seiner  Nation  viel  Anhänger  fand., 
aber  auch  von  Denen.,  die  das  Volk  scheinheilig  drückten ,  bald 
aus  dem  Wege  geräumt  ward.,  so  dass  (! !  welch'  eine  Logik!) 
wir  die  Zeit.,  in  welcher  er  sich  öffentlich  zeigte.,  kaum  bestimmt 
angeben  können.  — 

Doch  wir  müssen  hier ,  obsclion  wir  noch  melir  Beispiele 
der  \vi  in  Bereitschaft  haben,  des  Raumes  wegen  abbrechen 
und  wollen  nun  unser  über  Hrn.  T.  oben  ausgesprochenes  Urtheil 
mit  Uebergehung  des  etwas  unbeholfenen  und  tautologischeu 
Vorwortes  durch  zwei  der  von  ihm  selbst  herrührenden  Stücke 
begründen.  Wir  nehmen  die  Erzählung  Landgraf  Ludwig  der 
eiserne  (S.  31  —  36).  Hier  heisst  es  nun  S.  31:  Doch  Hess  er 
(der  Landgraf)  auf  der  Stelle  alle  seine  Lehnsleute  und  Vasal- 
len zu  sich  entbieten.,  mit  dem  Bedeuten.,  sie  sollten  sich 
schleunigst  auf  machen  und  in  ihrer  schönsten  Rüstung, 


38  Deutsche  Lesebücher. 

jedoch  nur  mit  wenigen  Begleitern ,  mor  gen  vor  dem  Schlosse 
erscheinen.  Wie  viele  Worte  für  einen  kurzen  Gedanken !  — 
zu  sich  entbieten  —  vor  dem  Schlosse  erscheinen^  sich  schleu- 
nigst aufmachen  —  morgen  erscheinen  (worin  das  schleu- 
nigst schon  heäingt  Uegt)  \  —  S.31:  Zur  bestimmten  Zeit  fan- 
den sich  alle  ein^  u?id  Ludwig  stellte  sie  etc.  Das  und  erscheint 
etwas  schleppend.  Schwerfällig  ist  auf  derselben  Seite  der 
Satz :  Ein  jeder  hatte  zwei  reisige  Knechte  beisich^  deren  einer 
vor  ihm  den  Schild  und  das  Wappen.,  der  andere  aber 
den  Helm  und  die  übrige?i  Aleinodieti  hinter  ihm  halten 
musste.  —  S.  32  f. :  Niemand  durfte  Beschwerde  führe?i.,  denn 
alle  Zugänge  zu  dem  Fürsten  umren  besetzt  von  seinen  angeb- 
lichen Freunden.  Diese  Wörterversetzung,  der  Rec.  im  rheto- 
rischen Style  nicht  abgeneigt  ist,  dürfte  in  einer  einfachen,  ru- 
higen Erzähhing  nicht  zu  billigen  seyn.  —  S,  33:  So  ging  es 
wohl  eine  Stunde  lang  durch  Dich  und  Dünn.,  bis  die  Nacht 
gänzlich  hereingebrochen  tmd  auch  (was  war  denn  noch  ausser 
dem  Wilde  verschwunden^)  das  Wild  verschwunden  war.  Nun 
erst  dachte  der  Landgraf  an  den  Rückweg  ;  doch  (.')  er  suchte 
umso?ist  nach  einem  gebahnten  Pfade.  —  S.  31:  Was  in  mei- 
nen Kr äft en  steht .^  edler  Herr.,  antwortete  der  Schmied., 
ist  Euch  zu  Diensten;  doch  werdet  Ihr  es  (was  denn?)  wohl 
besser  gewohtit  sei?i^  als  ich  es  geben  kann.  Mit  diesen 
Worten  führte  er  den  edle7i  Gast  in  die  niedere  Stube.,  trug 
a  uf  schwarzes  Brod  tmd  Käse  und  einen  Becher  gute7i  Bieres. 
Hr.  T.  fürchtete  wahrscheinlich ,  dass  das  auf.,  wenn  er  der 
gewöhnlichen  Wortstellungsweise  folge,  von  seinem  Verbo  zu 
weit  getrennt  werde.  Aber  warum  schrieb  er  denn  nicht:  — 
trug  schwarzes  Brod  auf  tind  Käse  etc.  *?  —  Endlich  fielen 
diesem  (dem  Landgrafen)  die  Augen  zu  und  (vor  z^wrf  sollte  nacli 
der  vonllrn  T.  gewöhnlich  befolgten  Weise  ein  Komma  stehen) 
der  Schmied  bereitete  ihm  ein  Lager  von  frischem  Stroh,  auf 
welches  sich  der  Ermüdete  hinstreckte  und  bald  in  einen  festen 
Schlaf  fiel.  Auch  der  Wirth  entfernte  sich ;  doch  am  andern 
Morgen.,  da  der  Tag  kaum  angebrochen  war.,  schlich  er  sich 
unbemerkt  aus  seinem  Kämmerlein  etc.  —  Wenn  doch  schon 
vorher  (z.  B.  S.31 :  Auch  der  Landgraf  schwieg  ;  doch  Hess  er) 
nicht  richtig  gebraucht  war,  so  ganz  besonders  in  der  ange- 
führten Stelle,  wo  auch  nicht  von  Weitem  ein  Gegensatz  sicht- 
bar ist.  Das  doch  kann  aber  nur  adversativ  gebraucht  werden 
und  vertritt  die  Stelle  von:  (^obgleich,  obschon — )  so  oder  so 
doch.  Das  Gesagte  gilt  von  nicht  wenigen  Stellen  gegenwärti- 
ger Sammlung.  —  S.  35:  und  scho?i  nachdem  (richtiger:  und 
nachdem  schon)  das  Liedchen  vollendet  ivar .,  hörte  Ludwig 
noch  immer  bei  jedem  Schlage  (da  müssten  die  Schläge  sehr 
langsam  gefallen  seyn)  das:  Landgraf  werde  hart!  hart!  — 
S.  36:  Aber  auch  die  Getreuen  Ludwigs  sammelten  sich  hau- 


Tetzner :  Lesebuch  für  Bürgerschulen  u.  Gymnasien,  39 

fi^  um  ihn.  Das  hänß^  ist  nicht  bestimmend  genii^ ,  denn  es 
kann  sowohl  auf  die  Zeit  des  sich  Sammeins,  als  auf  die  Menge 
der  sich  Sammelnden  bezogen  werden.  —  S.  36:  Auch  als  er 
(Ludwig)  starb ,  ?nachle  er  es  ihnen  noch  zur  Pflicht ,  seinen 
Leichnam  etc.  Wollte  Ilr.  T.  wirklich  sagen,  dass  Ludwig  im 
Momente  des  Sterbens  \(iiiGn  Befehl  gegeben*?  In  der  histori- 
schen Darstellung  der  Bauernkrieg  in  Thüringen  (S.  12(J — 135), 
die  auch  von  Hrn.  T.  verfasst  ist,  finden  sich  ebenfalls  hierher 
gehörige  Unrichtigkeiten.  S.  126:  und  hier  soll  durch  die  un- 
gerechte Hinrichtung  seines  Vaters  schon  der  erste  Grund  etc. 
gelegt  worden  sein.  Das  schon  bezieht  sich  auf  hier  und  sollte 
darum  unmittelbar  hinter  diesem  Wörtchen  stehen.  —  S.  127: 
£r  tmd  Pfeifer  setzten  den  alten  Rath  und  einen  neuen ,  den 
eivigeJi^  ein.,  zu  dessen  Vorsitzer  er  (dieses  er  ist  hier  höchst 
unbestimmt  und  nicht  einmal  grammatisch  richtig)  sich  aufwar  f. 
7iVl  allen  diesen  Zwecken  gesellt  sich  endlich  auch  noch 
ein  materieller^  der  die  grösste  Beachtung  verdient,  nämlich 
Erwerbung  von  Sachkenntnissen  (z.  B.  geschichtliche ,  geogra- 
phische). Hierher  gehört  auch  zum  Theil,  was  Mir  oben  von 
der  Religion  bemerkten.  Zwar  können  wir  es  nun  nicht  billi- 
gen, wenn  dieser  Zweck,  wie  in  den  meisten  Leseschulbüchern 
geschehen  ist*),  auf  Unkosten  der  andern  hervorgehoben  und 
dadurch  das  Anziehende  in  den  Erzählungen,  das  Gemüth- 
liche  etc.  verdrängt  wird;  aber  eben  so  müssen  wir  es  wie- 
der auf  der  andern  Seite  misbilligen ,  wenn  man  diesen  mate- 
riellen Zweck  ganz  vernachlässiget  und  nur  Erzählungen  (ohne 
factischen  Grund),  Fabeln,  Gedichte  etc.  vorbringt.  Bei  Le- 
sebüchern von  ähnlicher  Bestimmung  wie  das  vorliegende  dünkt 
es  uns  am  besten,  besondere  nur  zur  Erwerbung  von  Sachkennt- 
nissen bestimmte  Abschnitte  (wie  z.  B.  in  dem  bekannten ,  frei- 
lich für  Volksschulen  bestimmten,  Kinderfreund  von  Wilmsen) 
ganz  wegzulassen  (auf  jeden  Fall  mit  Allem  nach  sicherm  päda- 
gogischen Takte  abzuwechseln),  dafür  aber  in  die  Erzählungen 
etc.  geschichtliche,  geographische  etc.  Notizen  zu  verweben. 
Im  Allgemeinen  ist  diese  Weise  auch  in  vorliegender  Sammlung 
befolgt,  obgleich  der  materielle  Zweck  noch  zu  wenig  beach- 
tet zu  seyn  scheint.  Denn  der  Fabeln,  der  eines  historischen 
Grundes  ermangelnden  Erzählungen,  der  Gedichte  etc.  sind 
verhältnissmässi^  zu  viele  und  da,  wo  belehrende  Bemerkungen 
an  ihrer  Stelle  gewesen  wären,  sucht  man  sie  gewöhnlich  ver- 
gebens (s.  oben!).  So  ist  z.  B.  S.  4  zu  den  Worten:  Ein  Arzt 
hatte  verschiedene  Gerippe  von  todten  Metischen  in  seinem  liü- 
cherzimmer  —   gut  bemerkt:  denn  die  Aerzte  brauchen  der- 


*)  -Sind  sie  für  arme  Schüler  bestimmt,  6o  modificirt  sich  aller- 
dings unser  Urtheil. 


49-  Deutsche  Lesebücher.  ; ''ii' 

gleichen  ^  um  etc.  Nur  vermisst  man  hierin  die  Cönsequeriz 
fast  jjfänzlich,  denn  vieles  Unverständliche  und  eines  erklären- 
den Zusatzes  weit  mehr  als  jene  Worte  BedVirfende  steht  ohne 
einen  solchen,  und  Kinder,  die  dieses  verstehen,  bediirfen 
wahrlich  nicht  jene  Bemerkung  über  die  Aerzte  und  manche 
andere  im  Buche  befindliche.  Nun  noch  einige  specielleBeweise, 
dass  der  materielle  Zweck,  von  dem  wir  jetzt  sprechen,  in  der 
Sammlung  nicht  so,  wie  er  sollte,  beachtet  ist.  S.  31  hätte, 
von  welchem  Lande  Ludwig  der  eiserne  Landgraf  war,  be- 
merkt und  statt  nach  beendigter  Fehde  der  Ausgang  des  Strei- 
tes mit  nicht  viel  mehr  Worten  angegeben  werden  können,  — 
Die  historische  Darstellung  Die  Horatier  und  Curiatier  (von 
L.  Th.  Kosegarten)  fängt  S.  1 24  also  an :  Die  Albaner  wa- 
ren die  ersten^  die  dem  Hostilius  Gelegenheit  gaben ^  seinen 
Lieblingshang  zu  befriedigen.  Hier  hätte  Hr.  T.  schon  des 
leichtern  und  bessern  Verständnisses  wegen,  wer  die  Albaner 
gewesen,  wo  sie  gewohnt,  wer  Hostilius  gewesen,  wann  er  ge- 
lebt etc.,  kurz  bemerken  und  so  die  Darstellung  selbst  einlei- 
ten sollen.  Dieses  ist  auch  in  der  folgenden  (S.  120  ff.)  der 
Bauernkrieg  in  Thüringen  beifallswürdig  geschehen.  Dagegen 
vermisst  man  wieder  bei  dem  darauf  folgenden  Stücke  S.  135tf.: 
der  Ueberfall  bei  Hochkirch  (von  Archen  holz),  eine  ge- 
schichtliche Einleitung.  Die  historische  Darstellung,  die  den 
nächsten  Platz  einnimmt  (S.  141  ff. :  Die  Veriirtheilung  und  Hin- 
richtung Conradiris),  ist  aus  Friedrich  von  Raumer's 
Geschichte  der  Hohenstaufen  genommen,  aber  auch  zugleich 
ans  allem  Zusammenhange  gerissen.  Sie  beginnt:  Auf  unpar- 
teiischem, leidenschaftslosem  (ganz  streng  genommen  liegt  das 
Unparteiische  schon  im  Leidenschaftslosen),  rechtlichem  Wege, 
so  hiess  es,  müsse  über  das  Schicksal  der  Gefangenen  entschie- 
den werden  etc.  Hier  hätte  Hr.  T.  die  Geschichte  Carl's  von 
Anjou  und  des  hingerichteten  Conradin's  und  der  beiden  Par- 
teien kurz  erzählen  und  so,  geschichtliche  Kenntniss  bei  den 
Lesern  befördernd,  die  nun  folgende  Darstellung  einleiten  und 
dann  mit  von  Raumer's  Worten  fortfahren  sollen.  Aehnllches 
gilt  von  der  Scene  aus  der  Belagerung  von  Antwerpen  S.  148 ff. 
und  von  Magdeburgs  Zerstörung  S.  155 ff.  (beide  von  Friedr. 
V.  Schiller). 

Diesen  so  eben  gerügten  Mangel  kann  jedoch  ein  gewand- 
ter Lehrer  dadurch  gutmachen,  dass  er  die  nöthige  Einleitung 
entweder  selbst  (und  zwar  auf  anziehende  Weise)  giebt  oder 
von  einem  der  Schüler,  wenn  sie  schon  die  dazu  erforderliche 
Kenntniss  und  Fertigkeit  besitzen,  vortragen  lässt.  Eben  so 
wird  er  am  (wenn  für  die  Schüler  möglichen)  Verbessern  der 
im  Buche  vorkommenden  Unrichtigkeiten  die  Kraft  der  Schüler 
entwickeln,   üben  und  stärken,   doch  so,   dass  er  den  Haupt- 


Tetzner:  Lesebucb  für  Bürgerschulen  u.  Gymnasien,  41 

zweck  des  jedesmaligen  Unterrichtes  darüber  nie  aus  dem  Auge 
veriiert. 

Wenn  es  schon  diePflicht  eines  Jeden  ist,  alles  Halb  walire. 
Falsche  etc.  wie  im  Formellen  so  auch  und  besonders  im  Mate- 
riellen auf's  sorgfältigste  zu  vermeiden;  so  ist  sie  es  noch 
weit  mehr  für  den  Jugcndlehrer,  sey  er  es  nun  durch  mündli- 
ches oder  geschriebenes  Wort  oder  durch  beides  zuglcicJi.  In 
dieser  Hinsicht  miissen  wir  des  Hrn.  T.  Sanmilung  loben.  Denn 
nur  Weniges  findet  sich,  was  im  Materiellen  einer  Berichtigung 
bedürfte.  So  lieisst  es ,  um  zum  Schlüsse  auch  davon  Einiges 
anzuführen,  S.  116:  Es  war  der  Gott  der  Abend-  und  Mor- 
gensotine^  der  schöne  Phöbus.  Sollte  er  nicht  auch  der  Gott 
der  Mittagssonne,  kurz!  der  Sonne  überhaupt  seyn'?  Doch  liegt 
dieser  kleine  Fehler  vielleiclit  nur  ImFormellen.  MehresUnricli- 
tige  findet  sich  \\\  Jesus  Christus  (S.  146  ff.  von  Herder).  S. 
146  lesen  wir:  Siebenzig  Jahre  vor  dem  Untergange  des  jüdi- 
schen  Staats  ward  in  ihm  ein  Man?i  (.Jesus)  geboren.  Abgese- 
hen davon,  dass  bis  auf  den  heutigen  Tag  immer  nur  Kinder 
geboren  worden  sind,  noch  nie  aber  ein  Ma?in;  so  ist  hier  der 
chronologische  Irrthum,  dass  Jerusalem  HO  Jahre  nach  Jesu  Ge- 
burt (nach  der  gewöhnlichen,  vonDiojiysiusExiguus  herrühren- 
den, Jesu  Geburtszeit  um  3  bis  5  Jahre  verspätenden*) Zeitrech- 
nung) zerstört  worden  sey,  um  so  eher  zu  berichtigen,  je  ge- 
wöhnlicher er  ist.  Zwar  wurde  der  Tempel  zu  Jerusalem  schon 
am  5  Aug.  des  J.  tO  von  den  Römern  erobert,  die  ganze  Stadt 
aber  kam  erst  im  J.  %l  und  zwar  im  September  in  ihre  Hände. 
S.  147  sagt  Herder,  dass  Jesus  arm  geboren  sey.  Wie  lange 
und  oft  wird  man  noch  diese  eines  m  ahrhaft  historischen  Fun- 
daments ermangelnde  Behauptung  hören  müssen?!  Der  von  ganz 
andern  Ursachen  abzuleitende  Umstand,  dass  Jesus  in  einer 
Felsenhöhle  oder  doch  in  einem  Stalle  geboren  und  von  den 
Magiern  in  einer  Krippe  liegend  gefunden  ward,  und  die  Stelle, 
dass  Jesus  nicht  gehabt,  wo  er  sein  Haupt  hinlegen  konnte, 
scheinen  an  der  schon  sehr  früh  entstandenen  Erzählung  von 
Jesu  Armuth  nicht  geringen  Antheil  zu  haben  **).  Nach  vielen 
Umständen  zu  schliessen  gehörten  Jesu  Aeltern  weder  zu  den 
Kelchen  noch  zu  den  Armen.  Joseph  war,  nach  unserer  Weise 
zu  reden,  ein  schlichter  sich  redlich  nälirender  Hand v/erksmann. 
—  Jene  ganze  Erzählung  Herd  er 's  ist  wegen  des  Unbe- 
stimmten und  wegen  der  Schwierigkeit  des  richtigen  Verste- 
hens  und  Würdigens  für  den  Zweck  des  Lesebuchs  unpassend. 
Ueberhaupt  kann  ich  es  nicht  unterlassen ,  den  Schulen  im  Ge- 


•)   Besonders   durch  das   Evangelium  Luc.  ward  Dionysius  in  die 
Irre  geführt. 

•*)  Joh.  19,  26.  27  beweist  Nichts  gegen  uns. 


42  Deutsche  Leseliü eher. 

brauche  Herder 'scher  Erzeugnisse  grosse  Vorsicht  zu  em- 
pfehlen. AVas  er  an  Andern  streng  zu  tadeln  sehr  wohl  ver- 
stand, dazu  —  zu  kiilinen  und  gewagten  Behauptungen  hat  sein 
Feuergeist  ihn  nur  zu  oft  hingerissen.  Oft  wirft  er  nur  Ge- 
danken hin ,  die  zu  schiefen  Ansichten  und  Urtheilen  die  Ju- 
gend leicht  verleiten  können. 

Zu  diesen  materiellen  Unrichtigkeiten  gehört  auch  wohl 
eine  von  Hrn.  T.  gemachte  Conjectur,  die  wir  schon  an  sich  in 
einem  SchuUcsebuche  nicht  ganz  billigen  können.  Er  meint 
nämlich  S.  132,  dass  die  Benennung  einer  Anhöhe  bei  Franken- 
hausen Eulengeschrei  wohl  zu  verwandeln  sey  in  Heulen  und 
Geschrei  oder  Weibergeschrei.  Uns  scheint  der  Name  Eulen- 
geschrei—  wegen  des  heftigen  dem  der  Eulen  ähnlichen  Heu- 
lens der  Weiber  jener  unglücklichen  Theilnehmer  am  Bauern- 
kriege —  sehr  natiirlich. 

Wenn  in  dieser  unserer  Recension  einzele  Puncte  nicht  in 
streng  logischer  Geschiedenheit  erscheinen,  so  wird  dieses  hof- 
fentlich Niemanden  befremden.  Denn  Manches  gehörte  zu 
mehren  der  von  uns  einze'n  betrachteten  Zwecke.  Die  Ausführ- 
lichkeit aber  ward  von  der  Recensentenpflicht  gefordert  und  von 
dem  Wunsche  geleitet,  dass  docli  endlich  einmal  unter  der  gro- 
ssen Menge  von  Lesebüchern  eins  den  gerechten  Forderungen 
der  Schulwelt  entsprechen  möchte.  Neben  die  vielen  todten 
und  noch  lebenden  Schwestern  aber  kann  gegenwärtige  Samm- 
lung sich  getrost  stellen  imd  Verbreitung  auch  über  Langen- 
salza's  Mauern  hinaus  hoffen.  Letzteres  auch  schon  wegen  des 
wohlfeilen  Preises  und  correcten  Druckes.  Nur  wenige  höchst 
unbedeutende,  ganz  augenscheinliche  und  darum  nicht  des  Be- 
merkens werthe  Fehler  fanden  wir  in  dieser  Hinsicht.  Nur 
wäre  besseres;  Papier  zu  wünschen.  —  Da  es  übrigens  jetzt  Mode 
ist,  etwas  strengen  wenn  auch  auf  der  Wage  der  Gerechtigkeit 
genau  abgewogenen  Urtheilen  persönliche  und  andere  nnsäch- 
liche  (d.  h.  zur  Sache  nicht  gehörige)  Ursachen  unterzuschieben, 
wie  llec.  bei  einer  andern  Gelegenheit  selbst  hat  erfahren  müs- 
sen; so  bemerken  wir  nur  noch  zum  Schlüsse,  dass  unser  Ur- 
theil  von  der  Anerkennung  der  übrigen  Leistungen  des  Hrn.  Vf. 
ausging.  Denn  sein  anderweitiges  Wirken  ist  uns  nicht  unbe- 
kannt geblieben  und  sein  selbstständiges  von  der  Stimme  der 
Mode  und  einer  gewissen  sich  selbst  vertrauenden  Derbheit  sich 
nicht  bestechen  lassendes  Urtheil  hat  uns  gefreut.  Möge  er 
segensvoll  wirken  in  dem  mühsamen  Schulkreise,  wo  der  Leh- 
rer mit  Unverstand  von  Oben  und  Unten,  von  Alt  und  Jung 
nicht  selten  zu  kämpfen  hat. 

Carl  Friedr.   Wilh.  Giemen. 


43 

Geographie. 

Sammlung  geographischer  Gemälde^  oierco7npen- 
diöse  Bibliothek  der  alten  und  neuen  physi- 
schen^ historischen  und  politischen  Ge  ogra- 
phie.  Herausgegeben  vom  Obei^sten  Bory  de  Saint- Vincent. 
Erster  Band.  Gemälde  der  Iberischen  Halbinsel. 
Aus  dem  Französischen.  Mit  Karten.  Heidelberg,  bei  Joseph 
Engchnann.  1827.  8.  2  Thlr.  (Auch  unter  dem  besondern 
Titel:  Gemälde  der  Iberis  chen  Halbinsel^  oder 
Abriss  der  alten  und  neuen  physischen.,  histo- 
rischen und  politischen  Geographie  von  Spa- 
nien und  Portugal.  Zugleich  als  Handbuch  für  Reisende 
in  beiden  Ländern.  Vom  Obersten  Bory  de  Saint  -  T'incent.  Nebst 
einer  Karte,  gezeichnet  vom  Verfasser.  Aus  dem  Französischen. 
Mit  einer  Vorrede  und  Bemerkungen  von  Dr.  Franz  Joseph  Mone, 
Professor  der  Geschichte  und  Statistik  in  Heidelberg. 

J^i  achdem  die  Iberische  Halbinsel  so  lange  uns  eine  terra  inco- 
gnita  gewesen  ist,  inuss  es  jedem  Freunde  der  Erdkunde  eine 
innige  Freude  sein,  dieselbe  endlicli  von  einem  Manne  ins 
Licht  gesetzt  zu  sehen,  der  wissenschaftliche  Bildung  genug 
besass  ,  um  mehr  als  eine  blosse  Reisebeschreibung  zu  liefern. 
Obgleich  wir  fast  nicht  im  Stande  sind ,  den  Verfasser  anders, 
als  nach  sich  selbst  zu  beurtheilen  —  denn  dasjenige,  was  vor 
ihm  über  die  Iberische  Halbinsel  in  Deutschland  bekannt  ge- 
worden war,  ist  so  unbedeutend,  dass  es  gegen  das  vorliegende 
Werk  gar  nicht  in  Anschlag  kommt  —  so  tragen  doch  seine 
Nachrichten  und  Beschreibungen,  vorziiglich  in  dem  geogra- 
phischen Theile  des  Buches,  zu  sehr  den  Stempel  der  Wahr- 
heit, als  dass  man  ein  gegründetes  Misstrauen  in  dieselben  sez- 
zen  dürfte.  Die  wenigen  Werke  demnach,  welche  schon  frü- 
her als  das  vorliegende  einiges  Licht  über  die  Iberische  Halb- 
insel verbreiteten ,  die  aber  aus  mancherlei  Gründen  dem 
Schulmanne  fast  sämmtlich  nicht  zugänglich  wurden,  sind  die 
Geographie  physique  et  politique  de  VEspagne  et  du  Portugal 
par  Don  J.  Antillon.  a  Paris  1823.  I  vol.  8.  (Aus  dem  Spani- 
schen übersetzt);  ferner  ein  in  demselben  Jalire  erschienenes 
Werk  unseres  Verfassers  ,  betitelt:  Guide  du  Voyageur  en 
Espag7ie  par  M.  Bory  de  Saint-Vincent.  Avec  deux  car- 
tes  coloriees.  ä  Paris.  I  vol.  8.  (Von  den  beiden  Karten  be- 
zieht sich  die  eine  auf  die  physische  und  die  andere  auf  die  po- 
litische Geographie  der  Halbinsel.  Beide  sind  wohl  die  besten 
Karten  fiir  den  Handgebrauch^  welche  bis  jetzt  von  der  Halb- 
insel erschienen  sind.)  Ausser  jenen  beiden  Werken,  von  wel- 
chen unser»  Wissens  nur  das  erste  in  einer  deutschen  Ueber- 


44  Geographie. 

Setzung  (von  Reh  flies)  erscliienen  ist,  dürften  dem  Sclml- 
manue  vielleicht  noch  P.  J.  Rehfues:  Spanien  nach  eigener 
Ansicht  und  nach  unbekannten  Quellen  (4  Theiie.  8.  1813  ), 
AI.  de  la  Borde:  malerische  und  historische  Reise  durch 
Spanien  (3  Thle.  mit  Kpf.  12),  so  wie  Ramoud's  und  W.  v. 
Lüdemann's  Werke  iibcr  die  Pyrenäen  interessant  sein. 

Was  das  vorliegende  Werk  ganz  besonders  vor  allen  übri- 
gen ,  den  Guide  du  Voyageur  ausgenommen ,  auszeichnet ,  ist 
die  vortreffliche  topographische  Beschreibung  des  Landes. 
Doch  damit  unser  Urtheil  gehörig  motivirt  erscheine,  so  folge 
hier  gleich  eine  gediängte  Uebersicht  dessen,  was  der  Leser 
in  den  drei  ersten  Kapiteln  des  Buches,  welche  die  physische 
Geographie  der  Halbinsel  behandeln ,  zu  suchen  habe.  Das 
erste  Kapitel ,  welches  die  allgemeine  Uebersicht  enthält,  er- 
klärt, wie  der  Verf.  die  Erhabenheiten  der  Halbinsel  betrach- 
tet wissen  will.  Das  Vorhandensein  einer  Ilauptbergkette,  von 
welcher  alle  übrigen  ausgingen,  wird  mit  Recht  geleugnet,  da- 
gegen werden  sieben  von  einander  verschiedene  Bergsysteme 
angenommen,  welche  den  Bau  des  Landes  begründen.  Diese 
Systeme  nennt  der  Verfasser:  l)  das  Pyrenäische ;  2)  das  Ibe- 
rische; 3)  das  Carpetano-Vettonische;  4)  das  Lusitanische; 
5)  das  Marianische;  6)  das  Cuneische;  7)  das  Bätische  (der 
üebersetzer  schreibt  beständig  „Betische").  Zwischen  meh- 
reren Theileu  dieser  Bergsysterae,  heisst  es  weiter,  oder  ge- 
gen ihren  Gipfel  hin,  erheben  sich  Parameras,  d.  i.  oft  sehr 
beträchtliche  und  immer  bedeutend  hohe  Bergebenen.  Der 
Verf.  nimmt  ferner  vier  grosse  allgemeine  Abfälle  an,  welche 
ihre  Richtung  nur  durch  die  Abhänge  solcher  Bergebenen  ei*- 
halten,  und  benennt  sie  folgendermaassen:  l)  der  Cantabrische 
oder  nördliche;  2)  der  Lusitanische  oder  westliche;  3)  der 
Iberische  oder  östliche;  4)  der  Bätische  oder  südliche.  Eine 
jede  dieser  vier  physischen  Regionen  zeigt  einen  besondern 
Charakter;  eine  jede  hat  gewisse  ihr  eigenthümliche  Produkte, 
und  selbst  dem  3Ienschen  scheint  die  allgemeine  Lage  einen 
Original -Stempel  aufgedrückt  zu  haben.  Man  erkennt  hier, 
sagt  der  Verfasser,  eine  Art  Repräsentation  der  vier  Weltge- 
genden; so  dass  man  diesen  vier  Haupt- Abfällen  noch  die  Na- 
men des  Europäischen ,  Amerikanischen,  Asiatischen  und  Afri- 
kanischen beilegen  könnte.  Hierauf  folgt  eine  kurze  Ueber- 
sicht der  Flüsse  ersten  Ranges. 

Das  zweite  Kapitel  handelt  von  den  Bergen.  §  1  behan- 
delt das  Pyrenäische  System.  Gewiss  wird  es  hier  einen  jeden 
unbefangenen  Leser  anfangs  sehr  befremden  zu  sehen,  wie 
weit  der  Verfasser  den  Namen  Pyrenäen  ausdehnt ;  er  belegt 
nehmlich  damit  nicht  allein  die  gewöhnlich  so  benannte  Ge- 
birgskette zwischen  Spanien  und  Frankreich,  sondern  auch  den 
von  den  Quellen  des  Nive  (Nebenttuss  des  Adour)  beginnenden 


Bory  Ac  St.  Vincent:  Sammlung  geographischer  Gemälde.       45 

und  sich  gegen  W.  bis  nacli  Gallicien  und  Portugal  ausdehnen- 
den Gebirgszug.  Wenn  dieses  Ganze,  Mie  der  Verfasser  an- 
nimmt, und  Mie  es  sich  aui"  seiner  oben  erwähnten  physischen 
Karte  der  Halbinsel  darstellt,  wirklich  ein  Gebirgszug  ohne 
wesentliche  Unterbrechung  ist,  und  wenn  diese  Kette,  wie  der 
Verf.  behauptet,  auch  in  geologischer  Hinsicht  ein  Ganzes  aus- 
macht, so  steht  allerdings  der  Einfuhrung  des  erweiterten  Na- 
mens der  Pyrenäen  in  die  Geographie  nichts  im  Wege  als  die 
Unbequemlichkeit,  dass  man,  um  Irrthümer  zu  vermeiden, 
Pyrenäen  im  engern,  und  Pyrenäen  im  weitern  Sinne  stets 
sorgfältig  unterscheiden  mVisste,  da  man  bis  auf  diesen  Augen- 
blick den  Namen  Pyrenäen  nur  in  der  ersten  Bedeutung  zu 
nehmen  gewohnt  war. 

Dieses  Gebirge,  heisst  es  p.  10,  besteht  von  einem  Ende 
bis  zum  andern  aus  Granit.  Dies  ist  allerdings  für  die  Pyre- 
näen im  engern  Sinne  durch  Ramond  und  Lüdemann  erwiesen, 
und  wir  glauben  es  dem  Verfasser  auf's  Wort,  dass  es  gleich- 
falls von  dem  westlichen  Theile  des  ganzen  Gebirgszuges  gelte; 
aber  es  durfte  hier,  wo  von  den  Gebirgssystemen  im  Beson- 
dern gehandelt  wird,  wohl  nicht  ganz  verschwiegen  werden, 
dass  sich  grosse  Massen  sekundärer  und  tertiärer  Formation  zu 
beiden  Seiten  der  Granitkette  hinlagern,  zumal  da  gerade  mit 
die  höchsten  Gipfel  der  zweiten  ( Vignemale )  und  dritten 
(Montperdü)  Fonnation  angehören.  S.  W.  v.  Lüdemann's  Züge 
p.  128  u.  ff.  Die  Eintheilung  des  ganzen  Gebirgszuges  scheint 
uns  etwas  willkührlich.  Der  Verfasser  unterscheidet  nehralich: 
1)  die  Pyrenäen  des  Mittelmeeres  oder  die  östlichen;  sie  wer- 
den von  der  folgenden  Abtheilung  durch  dieCerdagne  getrennt, 
wo  der  Tet  und  die  Segre  entspringen ;  2)  die  Aquitanische  Ab- 
theilung mit  den  Quellen  der  Garoune  und  des  Adour.  Das 
westliche  F]nde  dieses  Theils  ist  offenbar  sehr  unbestimmt. 
Sollen  der  Montperdü  und  Marbore  noch  dazu  gerechnet  wer- 
den oder  nicht?  Einen  natürlichen  und  bestimmten  Abschnitt 
gäbe  hier  jedenfalls  das  Thal  von  Aran  an  den  Quellen  der  Ga- 
roune. 3)  folgt  die  Cantabrische  Abtheilung,  von  der  folgen- 
den durch  die  Quellen  des  Ebro  getrennt;  4)  die  Asturische, 
welche  wieder  durch  keinen  natürlichen  Abschnitt  getrennt  ist 
von  der  fünften  oder  der  Portugiesischen  (westlichen),  deren 
Verzweigungen  sich  gegen  die  Mündung  des  Duero  erstrecken. 
Es  Avird  niemand  behaupten  wollen,  dass  die  Eintheilung  an- 
drer Gebirgsketten,  wie  z.B.  der  Alpen,  nicht  minder  willkühr- 
lich sei;  denn  erstens  erheben  sich  dort  zwischen  den  einzel- 
nen Abtheilungen  grosse  natürliche  Gränzsteine  ( z.  B.  der 
Monte  Viso  zwischen  den  See-  und  Cottischen  Alpen,  der 
Mont  Cdnis  zwischen  den  Cottischen  und  Grajischen,  der  klei- 
ne St.  Bernhard  zwischen  diesen  u.  den  Penninischen  Alpen  u.  s. 
w;),  u.  wo  zweitens  die  Gränze  eines  Zuges  nicht  von  der  Natur 


46  Geographie. 

vorgeschrieben  wäre ,  da  ist  sie  historisch  fixirt  und  der  lange 
Gebrauch  hat  die  JNanien  geheiligt.  Wo  es  aber  darauf  an- 
kömmt, erst  Unterscheidungen  zu  suchen,  und  den  unterschie- 
denen Theiien  neue  Namen  zu  geben,  da  muss  WillkVihr  so 
viel  wie  möglich  ausgeschlossen  bleiben.  Was  der  Verf.  übri- 
gens von  der  fiinften  Abtheilung  des  Gebirges  sagt,  dass  ihre 
Verzweigungen  sich  gegen  die  3Iiindung  des  Duero  erstrecken, 
kann  zwar  nicht  geleugnet  werden,  doch  darf  man  nicht  ver- 
kennen, dass  sich  die  Zweige  dieses  Gebirgssystenis  auch  glei- 
chermaassen  gegen  N.  zum  Cap  Ortegal  und  gegen  W.  zum  Cap 
Finisterre  ausdehnen,  so  dass  hier  auf  dem  Westende  der  Py- 
renäen eine  ähnliche  fächerförmige  Ausbreitung  und  zugleich 
Verflächung  statt  findet,  wie  auf  dem  Ostende  des  Alpengebir- 
ges. —  Der  Verfasser  geht  darauf  zu  den  Strassen  iiber,  wel- 
che die  Pyrenäische  Kette  durchschneiden.  Die  Zwischenstra- 
ssen  sind  sehr  vollständig  angegeben  (p.  11  ). 

§  2.  Das  Iberische  System.  Es  beginnt  im  N.  mit  den 
Sierren  von  Oca  und  Moncayo ,  die  sich  mit  ihren  beschneiten 
Gipfeln  bis  in  die  Wolken  erheben;  der  Duero  hat  hier  seine 
Quellen.  Der  Verf.  erklärt  sich  beiläufig  gegen  die  Meinung 
derer ,  welche  die  genannten  Sierren  als  ein  Widerlager  (  Cou- 
trefort)  der  Pyrenäen  angesehn  wissen  wollen,  und  zeigt  das 
Ungereimte  jener  Ansicht.  Von  jenen  nördlichen  Iberischen 
Bergen  senkt  sich  in  südlicher  Richtung  die  Sierra  Molina  mit 
den  Gebirgen  von  Albaracin  und  Cueiica  herab.  Der  Vereiui- 
gungspunkt  dieser  drei  Gebirgsmassen  (die  Sierra  Albaracin) 
giebt  vier  Flüssen  ihre  Entstehung,  dem  Tajo,  Xucar,  Cabiiel 
und  Guadalaviar.  Von  dieser  Gruppe,  einem  Kalkgebirge,  zie- 
hen sich  gegen  das  Mittelmeer  mehr  oder  weniger  ansehnliche 
Bergketten  herab,  von  Strömen  überall  zerrissen.  Ausserdem 
erhebt  sich  zwischen  dem  Rio  Gabriel  und  der  Tauria*)  eine 
andere  Verzweigung,  in  welcher  man  zahlreiche  Spuren  von 
Vulkanen  und  namentlich  sieben  Krater  entdeckt  hat.  Die  letz- 
ten südlichen  Widerlagen  weichen  etwas  S^g^n  W.  von  ihrer 
bis  dahin  verfolgten  Richtung  ab.  Die  beiden  grossen  Strassen 
von  Valencia  nach  Madrid  durchschneiden  den  Mittelpunkt 
dieser  Gebirge;  der  Reisende  aber,  welcher  von  Valencia 
kommt,  bemerkt,  wenn  er  die  Höhe  der  Pässe  erreicht  hat, 
mit  Erstaunen,  dass  er  beinahe  gar  nicht  wieder  hinabsteigen 
darf,  indem  die  westliche  Seite  des  Iberischen  Systems  sich 
unmerklich  veiflächt,  und  in  die  mehr  oder  weniger  ausge- 
dehnten Hochebenen  der  mittleren  Halbinsel  übergeht. 

§  3.  Das  Carpetafio-  rettonische  System.  Es  beginnt  mit 
seinem  östlichen  Ende  auf  der  ungeheuren  Hochebene ,  welche 


*)   Soll  wohl  Turla  heissen,    welches  der  jetzige  Guadalaviar  ist. 


Bory  de  St.  Vincent :  Sammlung  geographischer  Gemälde.       47 

auf  ihrer  Ostseite  durch  das  Iberische  System  begränzt  ist. 
Von  da  erstreckt  es  sich  mit  mancherlei  Krümmungen  beinahe 
von  Nord-Osten  nach  Siid-Westen.  Die  Hauptkette  ist  schmal  u. 
meistens  steil.  Aul"  einem  der  Carpetanischen  Gebirge  des  AI- 
terthums  hatten  sich  die  Vettonen  als  Kolonisten  niedergelas- 
sen, und  von  ihnen  hat  der  Verfasser  den  Namen  entlehnt.  Er 
theilt  ferner  dieses  Gebirgssystem  in  drei  Hauptgnippen:  l)  in 
die  östliche,  von  der  Somo- Sierra  und  dem  Guadarrama  ge- 
bildet; 2)  die  Mittelgruppe,  die  lierge  von  Gredos  genannt; 
3)  die  westliche,  welche  aus  der  Sierra  de  Gata  besteht,  an 
deren  Ende  sich  die  Sierra  Estrelia  erhebt.  Diese  drei  Grup- 
pen sind  ziemlich  sichtbar  getrennt ;  die  erste  nehiulich  von 
der  zweiten  durch  die  Parameras  (Hochebenen)  von  Avila,  und 
die  zweite  von  der  dritten  durch  das  Thal  des  ilio  Alagon.  Das 
Carpet.  -  Vetton.  System  besteht  aus  grobem  Granit  von  grauli- 
cher Farbe,  und  drei  grosse  königliche  Strassen  durchschnei- 
den dasselbe. 

§  4.  Das  Lusitanische  System  (zwischen  Tajo  und  Guadia- 
na)  ist  viel  niedriger  als  die  drei  vorhergehenden;  keiner  sei- 
ner Gipfel  bietet  ewigen  Schnee.  Es  gehören  dazu  im  Osten 
die  Berge  von  Toledo  und  westlich  von  diesen  die  Sierra  Gua- 
dalupa  (eine  der  Carpetanischen  des  Alterthums).  Verschiedene 
Glieder,  die  sich  ins  Portugiesische  erstrecken  und  sich  viel- 
fältig verzweigen ,  machen  den  Beschluss  dieses  Systems.  Eine 
einzige  königl.  Strasse  (von  Madrid  über  Truxillo  nach  Merida) 
durchschneidet  diese  Kette. 

§  5.  Das  Mariemische  System^  so  genannt,  weil  der  grösste 
Theil  desselben  im  Alterthume  unter  dem  Namen  Montes 
Mariani  bekannt  war,  hat  eben  so  wenig  Eisgipfel,  als  das  vo- 
rige System;  die  erhabensten  Punkte  erhalten  den  Schnee  nur 
höchstens  neun  Monate  im  Jahr.  Die  Gestalt  des  Gebirges  ist 
wellenförmig  mit  sanften  Abhängen;  sein  Ansehn  ist  kahl.  Die 
Hauptkette  führt  den  Namen  Sierra  Morena  (schwarzer  Berg); 
sie  zeigt  eine  völlige  Schieferformation,  ist  reich  an  Metallen 
und  von  vielen  Wasserzügen  durchschnitten.  Zwei  schöne 
Strassen  führen  über  ihren  Rücken. 

§  0.  Das  Cuneische  System  erstreckt  sich  von  den  Mün- 
dungen der  Guadiana,  durch  welche  dasselbe  von  der  Sierra 
Morena  getrennt  wird,  bis  zum  Cap  St.  Vincent,  dem  Cuneus 
der  Alten.  Die  Richtung  desselben  geht  (parallel  mit  der  Süd- 
Küste  Portugals)  von  Osten  nach  Westen.  Sein  besonderes 
Aussehn  und  seine  physische  Zusammensetzung  unterscheiden 
es  von  dem  vorhergehenden  System;  es  besteht  nehmlich  aus 
Sandstein,  zeigt  aber  Spuren  von  bedeutenden  vulkanischen 
Revolutionen,  besonders  finden  sich  zahlreiche  erloschene  Kra- 
ter in  der  Sierra  Calderona. 

§  7.     Das  Bätische  System  ist  das  südlichste  von  allen, 


48  Geographie.  oli  ^iofl 

doch  trägt  es  trotz  des  heissenKlima's  ewigen  Schnee  und  Glet- 
scher, indem  es  durch  seine  Höhe  an  mehreren  Stellen  die  der 
Pyrenäen  übertrifl't.  Die  höchste  der  Cordiileras,  welche  es 
bilden,  läuft  von  Osten  nach  Westen.  Es  beginnt  westlich  in 
der  Nähe  der  Meerenge  von  Gibraltar  mit  der  Serrania  de  Ron- 
da,  und  nach  des  Verf.  Meinung  ist  es  nicht  zu  bezweifeln, 
dass  das  Bätische  System  zu  den  grossen  Afrikanischen  Alpen 
gehört  habe.  Schon  auf  dem  höchsten  Punkt  der  Serrania  de 
Konda  verschwindet  der  Sclinee  nicht  jedes  Jahr.  Diese  Ser- 
rania de  Honda  ist  auf  ihrer  Ostseite  durch  den  Guadaljore 
begränzt,  auf  dessen  entgegengesetzten  Ufern  sich  eine  zweite 
Gruppe  dieses  Systems  erhebt,  bestehend  aus  der  Sierra  Arais, 
der  Sierra  des  Torqual,  der  Sierra  Prieta,  Alhama  und  der 
Sierra  Tejada  (auf  der  physischen  Karte  unsers  Verfassers  ist 
auch  noch  die  Sierra  deLoxa  verzeichnet).  Oestlich  von  der 
Sierra  Tejada  erhebt  sich  endlich  die  Sierra  Nevada  drei  tau- 
send fünfzig  und  einige  Meter  Viber  die  Fläche  des  Mittelmeers. 
Der  erhabenste  Punkt  ist  der  Mulahacen,  der  eine  Höhe  von 
3000  bis  3700  31eter  erreicht  und  mit  ewigem  Schnee  bedeckt 
ist.  Ihm  steht  am  nächsten  —  denn  er  ist  kaum  einige  vierzig 
Meter  niedriger  —  der  Picacho  de  Veleta  (p.  30).  Die  natür- 
liche Beschaffenheit  der  Sierra  Nevada  ist  Schieferforniation. 
In  ihren  höchsten  Gipfeln  ist  der  Grundstoff  Glimmerschiefer, 
anderswo  Gneis;  an  ihrem  Fusse  streichen  Marmorkalk  und 
schöner  Marmor.  In  den  südlichen  Niederungen  der  Sierra 
Nevada,  welche  reichlich  bewässert  sind ,  gedeiht  die  Baum- 
wollenstaude und  das  Zuckerrohr.  Ananas,  Cactus,  Bananien 
zieren  selbst  den  Garten  des  Armen.  Mit  der  Sierra  Nevada 
hängen  nach  S.  und  0.  hin  noch  mehrere  kleine  Sierren  zusam- 
men,  wie  die  Sierra  von  Gador  und  die  von  Filabres  (p.  32). 

Indem  wir  den  Verf.  im  Vorstehenden  fast  überall  mit  sei- 
nen eignen  Worten  eingeführt  haben,  ging  unsere  Absicht  da- 
liin,  theils  zu  zeigen,  wie  sehr  der  Verf.  seinen  Stoff  be- 
herrscht, theils  dem  Leser  eine  üebersicht  dessen  zu  geben, 
was  er  im  Buche  zu  suchen  hat.  Einzelne  Kleinigkeiten,  die 
wir  wohl  hätten  erinnern  mögen,  haben  wir  absichtlich  an  den 
Schluss  dieser  Bemerkungen  verwiesen,  um  den  würdigen  Verf. 
auf  dem  Pfade  seiner  Darstellung  nicht  aus  den  Augen  zu 
lassen. 

Das  dritte  Kapitel  (p.  33  —  61)  handelt  von  den  Abfällen, 
grossen  physischen  Regionen  und  Klimaten  der  Halbinsel  und 
ist  unstreitig  eins  der  interessantesten  des  ganzen  Buches.  Wir 
lassen  den  Verf.,  der  Kürze  und  grösserer  Anschaulichkeit  we- 
gen, wieder  selbst  sprechen: 

Es  werden,  wie  schon  oben  erwähnt,  vier  Hauptabfälle  an- 
genommen. 

§  1.    Der  Cantabnsche.oüer  nördliche  Abfall  hat  das  Mei- 


Bory  de  St.  Vincent:  Sammlung  geographischer  Gemälde.       49 

ste  vom  allgemeinen  Europäischen  Charakter.  Er  erstreckt  sich 
von  9^  bis  gegen  17"  0.  L.  von  Teneriffa  und  ist  zwischen  dem 
43sten  und  44sten  Parailelkreise  eingeschlossen.  Er  hat  etwas 
mehr  als  ISO  Meilen  (was  für  welche?)  in  der  Länge,  aber 
nicht  viel  über  15  in  seiner  grössten  Breite.  Von  dem  folgen- 
den Abfall  ist  er  durcli  die  westliche  Verlängerung  des  Pyre- 
näischen  Systems  (in  des  Verfassers  Sinne)  getrennt;  er  hat 
nur  nach  den  Küsten  hin  Ebenen  und  zwar  von  geringer  Aus- 
dehnung. Das  Klima  ist  im  Allgemeinen  feucht  und  milde.  Die 
vegetabilischen  Erzeugnisse  haben  die  grösste  Aehnlichkeit  mit 
denen  der  Bretagne,  des  Ländchens  Cornwallis  und  selbst  mit 
denen  der  Provinz  Wallis  (soll  heissen  Wales)  *).  Die  Bewoh- 
ner dieses  Abfalls  stammen  von  den  Vasken  oder  Basken,  Can- 
tabrern  und  Asturern  ab. 

§2.  Der  Lusäunische  Abfall  (d.  i.  der  westliche)  liegt 
zwischen  7*',  17'  und  15"  Ost- Länge  (im  Buche  steht  „west- 
licher" Länge)  und  zwischen  37"  und  4S"  Br.  Der  vorherge- 
hende Abfall  begräiizt  ihn  nördlich,  der  Atlantische  Ocean 
westlich,  die  zwei  folgenden  Abfälle  östlich  und  zum  Theil 
südlich.  Seine  Oberfläche  ist  ungefähr  der  Hälfte  der  Halb- 
insel gleich.  Vier  grosse  Ströme,  der  Minho,  Duero,  Tajo 
und  Guadiana,  nebst  zahlreichen  Nebenflüssen  bewässern  ihn, 
wobei  sie  dem  allgemeinen  Abhänge  von  0.  nach  W.  folgen. 
Auf  so  weiter  Ausdehnung  muss  natürlich  eine  grosse  Mannich- 
faltigkeit  von  Lokalitäten  statt  finden.  Zu  den  charakteristi- 
schen Eigenheiten  dieses  Abfalls  rechnet  der  Verf.  zuvörderst, 
dass  hier  eine  viel  wärmere  Temperatur  statt  finde  als  auf  dem 
Cantabrischen  Abfall,  jedoch  wieder  eine  viel  gemässigtere  als 
auf  dem  folgenden  (dem  Iberischen,  der  unter  derselben  Breite 
liegt).  Das  Erstere  niögte  jedoch,  wegen  der  meist  bedeu- 
tenden Erhebung  des  Landes,  grosse  Einschränkungen  erleiden 
und  nur  von  dem  westlichen  und  südlichen  Theile  dieses  Ab- 
falls mit  Recht  gesagt  werden  dürfen.  Der  Verfasser  spricht 
selbst  an  einer  andern  Stelle  (p.  323)  von  dem  strengen  Klima 
Castiliens.  Darum  raögten  wir  glauben,  dass  auf  diesem  Ab- 
falle nur  die  Differenzen  von  Wärme  und  Kälte  grösser  sind, 
als  auf  der  durch  die  Nachbarschaft  des  Meeres  gemässigten 
nördlichen  Abdachung.  —  Der  Weinstock,  heisst  es  weiter, 
gedeiht  beinahe  überall  (beweist  niclit  viel ;  man  denke  an  die 
Rheinlande)  und  der  ()li\enbaum  fängt  an  siel»  zu  zeigen.  Nach 
den  Küsten  zu,  besonders  in  dem  mittäglichen  Theile  Portu- 
gals (ohne  Zweifel !  ),  nimmt  die  Vegetation  beinahe  ganz  den 
Charakter  der  Atlantischen  Inseln  an.  Die  Amerikanischen  Pflaa- 


*)  Der  Uehersetzer  macht  hierbei  die  Bemerkung,  dass  Cornwal- 
lis in  Frankreich ,   Wallis  in  England  liege  I 

Jahrb.  f.  Phil.  u.  Fädag.  Jahrg.  111.  Heft  9.  ± 


50  Geographie. 

zen  gedeihen  hier  so  sichtbar,  und  vermehren  sich  mit  solcher 
Leichtigkeit,  dass  viele  derselben  jetzt  als  einheimisch  betrach- 
tet werden  können  (p.  40);  ja  manche  Vlberziehen  auf  Kosten 
einheimischer  Pflanzen  ausgedehnte  Bezirke,  als  wenn  sie  sich 
in  ihrem  eigenen  \aterlande  befänden.  —  Gravität  und  Stolz 
sind  einllauptzug  in  dem  Charakter  der  Bewohner  dieses  Abfalls 
und  finden  sich  bei  den  Portugiesen  wie  bei  den  Castilianern. 
Noch  verdankt  ganz  Spanien  der  Bevölkerung  des  Lusitanischen 
Abfalls  den  Ruf  der  Trägheit,  welcher  auf  die  Bewohner  der 
andern  Abfälle  nicht  bezogen  werden  darf  (p. 41). 

§  3.  Der  Iberische  Abfall  ist  nördlich  durch  den  Canta- 
brischen  und  den  Aquitanischen  Abfall,  der  ganz  Französisch 
ist,  westlich  durch  den  vorhergehenden,  so  wie  durch  den  Bä- 
tischen Abfall,  und  endlicli  nach  O.  durdi  das  Mittelmeer  be- 
gränzt.  Er  nimmt  den  ganzen  östlichen  Theil  der  Halbinsel  ein, 
indem  er  sich  von  N.  nach  S.,  wo  er  sich  in  einer  Spitze  endigt, 
von  42°  30'  40"  bis  37°  Br.  erstreckt.  Eine  Linie,  die  zwischen 
12°  und  14°  östlicher  (im Buche  steht  wieder  westlicher)  Länge 
von  Teneriffa  sich  hinzieht,  begränzt  ihn  nach  Abend.  Dieser 
Abfall  ist  vielleicht  der  wärmste  der  Halbinsel  (dieser  Behaup- 
tung widerspricht  das,  was  der  Vf.  p.  46  über  den  Bätischen 
Abfall  sagt):  der  Olivenbaum  gedeiht  im  ganzen  Umfange  des- 
selben; ausserdem  der  Johannisbrod-  und  der  Mastixbaiira,  die 
Agave,  der  Cactus,  der  Lorbeer,  die  Feige  und  der  Granaten- 
baum. Die  Dattelpalme  wird  kultivirt  und  an  einigen  Stellen 
findet  man  schon  den  kleinern  Palmbaura  (Chamaerops).  Die 
gegenwärtige  Bevölkerung  des  Iberischen  Abfalls  ist  aus  einem 
Geraisch  der  verschiedensten  Völker  hervorgegangen. 

§  4.  Der  Bätische  Abfall^  dessen  physische  BeschaflFenheit, 
nach  dem  Verf. ,  viele  Aehnlichkeit  mit  der  Afrika's  haben  soll, 
liegt  zwischen  36°  und  39°  Br.,  und  ungefähr  9^°  bis  14°  öst- 
lich von  Teneriffa.  Seine  Ebenen  sind  die  brennendsten  Euro- 
pa'« (vergleiche  den  vorigen  §);  es  friert  nie;  in  den  Thälern 
geniesst  man  aber  selbst  im  Sommer  einer  angenehmen  Tempe- 
ratur. Schon  auf  dem  Süd -Abhänge  des  3Iarianischen  Systems 
gedeiht  die  Kerraes -Eiche,  die  Myrthe  u.  s.  w.  Am  Fusse  die- 
ser Höhen  zeigen  sich  haufenweise  Afrikanische  Doldengewächse, 
Sperlingwurz,  Malven  und  Labien.  Bald  umzäunen  lange  Aloe- 
hecken die  Grundstücke  und  die  Dattelbäurae  vermehren  sich. 
Bei  Sevilla  findet  man  in  mehreren  Gärten  Pisang.  Exotische 
Bäume,  z.  B.  den  Peruvianischen  Mastix,  den  Korallenbaum, 
die  zweihäusige  Scharlachbeere  und  selbst  das  Drachenblut 
trifft  man  hier  häufig  auf  freiem  Felde.  Man  erreicht  endlich 
Seeorte,  wo  die  Europäische  Vegetation  beinahe  verschwunden 
ist,  um  exotischen  Gewächsen  Platz  zu  machen,  oder  wenigstens 
solchen,  welche  man  bisher  der  Flora  Aegyptens,  Arabiens  und 
der  Barbarei  (statt  Berberei)  eigeuthümlich  geglaubt  hatte.  Der 


Bory  de  St.  Vincent:  Sammlung  geographischer  Gemälde.        51 

Kapernstrauch  nimmt  ganze  Distrikte   in  Besitz  n.  s.  w.     (p. 
46  —  50). 

Gleich  den  Bewohnern  des  Iberischen  Abfalls  scheinen  die 
des  Bätischen  eine  Mischung  der  Nationen  zu  sein ,  welclie  sich 
zu  verschiedenen  Epoclien  an  die  Ufer  des  Mittelmeeres  bega- 
ben. Griechen,  Karthaginienser ,  Römer,  Vandalen,  Gothen, 
vermischten  sich  liier  mit  Autochthonen  von  sichtbar  Atlanti- 
scher Race.  (Der  Verf.  geht  nehmlich  iiberall  von  der  Voraus- 
setzung aus ,  dass  Afrika  frViher  nicht  durch  die  Meerenge  von 
Gibraltar  von  Spanien  getrennt  gewesen  sei,  und  dass  da- 
lier  das  sVidliche  Spanien  und  das  nördliche  Afrika  eine  ge- 
meinsame Bevölkerung,  Vegetation  u.  s.  w.  gehabt  habe.)  End- 
lich drangen  im  achten  Jahrhundert  die  Mauren  und  Sara- 
zenen in  diese  Landschaft  ein,  in  welcher  (in  dem  Königreich 
Granada  und  in  den  Alpujarras)  sie  sich  länger  hielten ,  als  in 
irgendeinem  andern  Tlieile  der  Halbinsel.  Der  Charakter  der 
Vertriebenen  hat  sich  aber  vollkommen  im  Lande  erhalten,- 
auch  erinnern  mancherlei  Sitten,  Gewohnheiten,  der  Sprach- 
accent  u.  s.  w. ,  an  die  Muhamedanischen  Beherrscher  (p, 
50  —  52). 

Werfen  wir  noch  einen  RVickblick  auf  die  eben  dargelegte 
Eintheilung  der  ganzen  Halbinsel,  so  können  wir  zwar  nicht 
leugnen,  dass  sie  zum  Tlieil  durch  die  Natur  des  Landes  so 
vorgeschrieben  ist ,  machen  aber  liier  wie  überall  die  Bemer- 
kung, dass  sich  die  Natur  nicht  in  Linien  zwängen  lässt,  und 
dass  man  ihr  Gewalt  anthut,  sobald  man  sich  bemüht,  vollstän- 
dige Symmetrie  hineinzubringen.  Wir  wollen  nicht  wiederlio- 
len,  was  wir  schon  oben  beim  Lusitanischen  Abfall  im  Vorbei- 
gehn  bemerkten,  dass  man  klimatische  Einheit,  wenigstens  auf 
dem  ebengenannten  nicht  suchen  dürfe,  sondern  noch  einen  an- 
dern Uebelstand  berühren ,  der  aus  dem  Bestreben  des  Verf. 
hervorgegangen  ist,  die  grosse  Verschiedenheit  der  räumlichen 
Ausdehnung  dieser  vier  Abfälle  möglichst  zu  mindern.  Da  man 
nun  einmal  an  nichts  anderem,  als  an  dem  Laufund  der  Rich- 
tung der  Flüsse  die  Abdachung  erkennen  kann ,  so  mögten  wir 
fragen,  was  den  Verf.  bewogen  habe,  zwischen  dem  Lusitani- 
schen und  Bätischen  Abfall  das  Marianische  System  als  Gränz- 
scheide  anzunehmen  und  das  Gebiet  des  Guadalquivir  dem  Bä- ' 
tischen  Abfalle  zuzurechnen,  da  do9h  der  Guadalquivir  nicht  al- 
lein in  den  Ocean  geht,  sondern  auch  seiner  Hauptrichtung 
nach  von  O.  nach  W.  fliesst  und  sich  bei  weitem  nicht  so  sehr 
als  der  Guadiana  gegen  S.  wendet.  Freilich  würde,  wenn  der 
Verf.  noch  das  ganze  Becken  des  Guadalquivir  zum  Lusitani- 
schen Abfalle  gezogen  hätte,  für  den  Bätischen  nur  ein  gar 
zu  schmaler  Küstenstreif  übrig  geblieben  sein,  denn  es  hätte 
nun  dieSerrania  de  Ronda  und  die  Sierra  Nevada  sammt  ihren 
Fortsetzungen   zur  Nord-Gränze  dieser  südlichen  Abdachung 

4* 


52  Geographie. 

gemacht  werden  mVisseu  ,  wodurch  allerdings  das  Missverhält- 
niss  der  vier  Abdachungen  noch  gewachsen  wäre.  Solche  Miss- 
verhältnisse in  der  Gestaltung  der  Länder  kommen  aber  nicht 
in  Betracht,  oder  sind  vielmehr  keine,  und  dürfen  uns  nicht 
verleiten,    der  Natur  eine  andere  Form  aufdringen  zu  wollen. 

Auf  einer  gewiss  sehr  richtigen  Naturanschauung  beruht 
dagegen  die  Eintheiiung  der  Halbinsel  (§  5)  nach  den  Einwir- 
kungen ,  welche  die  verschiedene  Erhöhung  des  Landes  über 
die  Oberfläche  des  Meeres  auf  Klima,  Vegetation  u.  s.  w.  äu- 
ssert. Der  Verf.  unterscheidet  danach  auf  der  Halbinsel  zwei 
grosse  physische  Regionen,  eine  hohe  Mittel-  und  eine  niedrige 
Ufer -Region.  Er  zeigt,  was  freilich  von  selbst  folgt,  dass  der 
Reisende,  wenn  er  die  obern  Gränzen  der  Ufer -Region  über- 
schreitet (z.B.  von  S.  her  die  Sierra  Morena),  nicht  in  dem 
Maasse  wieder  bergab  steigt,  als  er  aufwärts  gestiegen  ist.  Die 
Temperatur  der  Ufer- Region  ist ,  wie  überall,  gieichmässiger 
als  die  der  Mitte.  Während  im  Allgemeinen  die  Ufer -Region 
sehr  lachend  ist,  besclireibt  der  Verf.  den  Anblick  der  Mit- 
tel-Region als  traurig  und  trostlos;  selbst  die  urbar  ge- 
machten Striche  tragen  hier  den  Charakter  ermüdender  Eintö- 
nigkeit. Das  baumlose  Land  zeigt  überall  trockene  Becken  und 
Thäler  ohne  Wasser;  die  Atmosphäre  ist  brennend  und  dunk- 
ler Staub  erhebt  sich  beim  Hauch  des  Windes  in  erstickenden 
Wolken.  Die  der  Kultur  empfänglichen  Theile  der  Mittel- Re- 
gion bringen  zwar  eine  ungeheure  Menge  Cerealien  hervor,  aber 
leider  werden  die  Felder  von  den  Zügen  der  Merino's  verheert. 
—  Wenn  man  die  Bewohner  der  Ufer -Region  im  Allgemeinen 
civilisirt  nennen,  und  als  die  Verständigen  bezeichnen  darf,  so 
sind  die  Bewohner  der  Mittel  -  Region  unwissend,  ernst,  verschlos- 
sen und  stolz. 

§  6  handelt  von  den  beiden  natürlichen  Klimaten  der 
Halbinsel.  Man  sollte  meinen ,  es  gäbe  keinen  natürlicheren 
klimatischen  Unterschied  als  den,  welcher  durch  die  Ufer-  und 
durch  die  Mittel-Region  bedingt  ist;  der  Verf.  hat  aber  eine 
andere  Ansicht,  welche  wir  hier  so  kurz  wie  möglich,  doch 
ohne  etwas  Wesentliches  zu  verschweigen,  wiedergeben  wollen. 
Er  theilt  die  ganze  Halbinsel  in  zwei  klimatische  Hälften,  und 
zieht  die  Linie,  welche  beide  von  einander  scheiden  soll,  nörd- 
lich vom  Ausfluss  des  Tajo  längs  dem  Carpetano- Vettonischen 
System,  bis  sie  das  Iberische  berührt;  von  hieraus  verlängert 
er  dieselbe  in  nordöstlicher  *)  Richtung,  so  dass  sie  nördlich 
an  Saragossa  vorbeigeht,  da  wo  die  Quellen  der  Ariege  und  der 
Segre  liegen.     Der  nördlich  von  dieser  Linie  liegenden  Hälfte 


*)  Nicht  „nordwestlicher",   wie  es  im  Buche  p.58  heisst. 


Bory  de  St.  Vincent:  Sammlung;  geographischer  Gemälde.      53 

giebt  erden  Namen  der  fremässig^ten ,  Oceanischen  oder  Euro- 
päischen Region;  die  südliche  benennt  er  die  heisse,  Afrikani- 
sche oder  die  Ke^non  des  3Iiltehneers.  Die  Verscliicdenlieit 
des  Klima's  beider  Regionen  weist  er  endlicli  an  der  Vegetation 
und  an  mehreren  Thierarten  nach,  welclie  diese  Linie  gegen  N. 
oder  S.  hin  nicht  iiberschreiten. 

Dass  man  es  mit  dieser  Trennnngslinie  der  Klimate,  na- 
mentlich im  östlichen  Theile  der  Halbinsel,  wo  sie  das  Thal 
des  Ebro  quer  durchschneidet,  niclit  allzu  genau  nehmen  dürfe, 
sieht  wohl  jeder  ein.  Die  hohe  Mittel -Region  ist  zerschnit- 
ten, und  die  Hälften  derselben  sind  eine  jede  mit  der  zunäclist 
liegenden  Ufer -Region  zu  einem  klimatischen  Ganzen  verbun- 
den ;  es  ist  aber  ganz  unbezweifelt,  dass  die  beiden  Theile  der 
Mittel  -  Region  ihrem  Klima  nach  mit  einander  verwandter 
sind,  als  mit  der  ilmen  zunächst  liegenden  Ufer- Region,  deren 
Extreme  von  Wärme  und  Kälte  der  mildernden  Nähe  des  Mee- 
res wegen  geringer  sein  müssen. 

Das  vierte  Kapitel  handelt  von  den  Gewässern  und  ihren 
Becken.  Sehr  richtig  und  beherzigensw  erth  ist  die  Benwerknng, 
welclie  der  Verf.  seiner  Darstellung  der  einzelnen  Flüsse  voraus- 
schickt. Wir  sehen  darin  (in  den  Becken),  sagt  er  S.62,  keine 
Landausdehnung  von  hohen  Mauern,  von  ununterbrochenen 
Wällen  umschlossen,  die  sich  stolz  in  die  Wolken  erheben,  als 
wenn  sie  jede  Gemeinschaft  mit  entgegengesetzten  Abhängen 
unmöglich  machen  wollten.  Nirgends,  fährt  er  fort,  ist  diese 
erste  Regel  der  Topographen  und  Kartenraacher  mehr  widerlegt 
als  in  Spanien,  wo  oft  die  Quellen  der  Ströme  oder  der  Flüsse, 
welche  sich  in  jene  ergiessen,  vorzugsweise  ihre  erste  Nahrung 
durch  Ketten  und  Bergsysteme  in  irgend  einem  angränzenden  Bek- 
kensuclien,von  dem  ohne  hinreichenden  Grund  angenommen  wird, 
dass  es  von  jenen  umschlossen  werde.  Es  folgt  hierauf  in  den 
ersten  sechs  §§  desKap.  die  Darstellung  der  sechs  Haupt -P'luss- 
gebiete,  nehnilich  des  Ebro,  Guadalqui\ir ,  Guadiana,  Tajo, 
Duero  undMinho,  und  endlich  im  siebenten  §  werden  die  Strö- 
me der  zweiten  Klasse  abgehandelt.  Die  Bestätigung  der  vor- 
ausgeschickten allgemeinen  Bemerkimg  wird  oftmals  nachge- 
wiesen, z.  B.  beim  Flussgebiet  des  Guadiana  (p.73),  beimGua- 
daljore,  welcher  die  Serrania  de  Ronda  und  die  von  Abdalazis 
trennt  (p,  88)  u.  s.  w.  Einen  sehr  merkwürdigen  Beleg  dazu  giebt 
der  Rio  Fresneda,  welcher  in  dem  Becken  des  Guadiana  seinen 
Ursprung  nimmt,  sich  aber  in  einer  diesem  Fluss  entgegenge- 
setzten Richtung  der  Sierra  Morena  zuwendet,  diese  im  Des- 
peiia-Perros  durchbricht,  und  sich  dann  in  den  Gnadalquivir 
ergiesst  (p.  70).  Ausserdem  finden  sich  in  diesem  Kapitel  in- 
teressante und  schätzbare  Notizen  über  die  Natur  und  Beschaf- 
fenheit des  Landes,  welches  jene  Flüsse  durchströmen,  z.B. 
über  die  Hochebenen  am  Guadiana,  und  über  die  hier  befindli- 


54  Geographie. 

chen  erloschenen  Vulkane  (p-TS),  so  wie  über  die  Bergebenen, 
durch  welche  der  Duero  sich  seinen  Weg  bahnt  (p.  8-1).  Möge 
diese  gedrängte  Uebersicht  dem  Leser  zeigen,  Avie  viel  mehr 
gründlichere  und  umfassendere  Untersuchungen  über  die  phy- 
sische Geographie  der  Halbinsel  er  in  diesem  Buche  suchen 
darf,  als  in  jedem  andern  geographischen  Werke.  Zugleich 
tritt  Alles  lebendig  und  klar  vor  die  Augen  des  Lesers ,  da  der 
Verf.  nicht  nach  fremden  Berichten ,  sondern  nach  eigener  An- 
schauung schildert. 

Die  zweite  Abtheilung  oder  der  historische  Theil  beginnt 
mit  p.91.  Das  erste  Kapitel  handelt  von  den  ürbewohnern  der 
Halbinsel ,  und  da  es  dem  Verf.  darauf  ankömmt,  die  Afrikani- 
sche Abstammung  der  Bewohner  Süd -Spaniens  zu  beweisen,  so 
erläutert  er  zuerst  die  Möglichkeit  oder  vielmehr  die  Wahr- 
scheinlichkeit eines  Durchbruchs  des  Mittelmeeres  bei  Gibral- 
tar, indem  er  auf  ein  ähnliches  Verhältniss  mehrerer  Flüsse 
der  Halbinsel  selbst,  z.B.  des  Minho,  des  Duero,  des  Guadiana, 
aufmerksam  macht.  Ehe  sich  nehmlich  diese  Flüsse  ihren  Weg 
zum  Meere  öffneten ,  bildeten  sie  Seen  und  zwar  Seen  mit  sal- 
zigem Wasser,  wie  der  noch  jetzt  mit  Salz  geschwängerte  Bo- 
den und  an  manchen  Stellen,  welche  sich  in  weiter  Entfernung 
vom  Ocean  befinden,  sogar  eine  sonst  nur  den  Meeresgestadeii 
eigenthümliche  Vegetation  beweisen.  Der  Verf.  berührt  hier- 
auf (p.  100)  die  geologische  Aehnlichkeit  der  gegenüber  ste- 
henden Küsten  von  Gibraltar  und  von  Ceuta  und  macht  zuletzt 
aufmerksam  auf  die  ähnliche  Vegetation  und  auf  gewisse  beiden 
Küsten  gemeinsame  Thierarten,  unter  denen  er  besonders  das 
Cliamäleon  hervorhebt.  Wenn  sich  aber  Pflanzen  und  Thiere 
von  Afrika  nach  der  Halbinsel  verbreiteten,  so  musste  dies 
(schliesst  der  Verf.  weiter)  auch  den  Menschen  nicht  unmög- 
lich sein.  Diese  Fremdlinge  (der  Verf.  nennt  sie  Hesperische 
Atlanten)  wurden  die  Iberierder  spätem  Zeit  (p.  102);  sie  blie- 
ben in  der  südlichen  Klimahälfte  des  Landes ;  die  nördliche 
Seite  der  Halbinsel  war  zu  kalt  für  die  Afrikaner.  Daher  (fährt 
der  Verf.  p,  103  fort)  dieser  Afrikanische  Typus,  der  sich  so 
bestimmt  jenseits  der  Pyrenäen  findet  und  um  so  auffallender 
wird ,  je  mehr  man  sich  dem  ehemaligen  Berührungspunkt  nä- 
hert: der  Boden  theilt  ihn  (den  Afrikanischen  Typus)  immer 
den  Bewohnern  mit.  Was  des  Verf.'s  Ansicht  eigentlich  sei, 
geht  aus  diesem  Satze  in  der  That  nicht  klar  hervor;  denn  wenn 
der  Afrikanische  Typus  deshalb  vorhanden  ist,  weil  die  Be- 
wohner des  südlichen  Spaniens  aus  Afrika  herstammen,  wozu 
braucht  ihnen  dann  derselbe  erst  durch  den  Boden  raitgetheilt 
zu  werden*?  Als  Gegensatz  zu  dieser  letztern  Behauptung  (dass 
den  Bewohnern  des  Südens  der  Halbinsel  ein  gewisser  Afrika- 
nischer Typus  durch  den  Boden  mitgetheilt  werde)  führt  der 
Verf.  an,  dass  in  keinem  Lande  Europa's  unter  gleicher  Breite 


Bory  de  St.  Vincent ;  Sammlung  geographischer  Gemälde.       55 

eine  Verschmelzung  eingewanderter  Völker  mit  den  Urbewoh- 
nern  statt  gefunden  habe,  wobei  er  vorziiglicli  auf  Griechen- 
land und  Italien  hindeutet.  Diese  Behauptung  scheint  uns  aber 
durchaus  unhaltbar;  die  Gescbichte  und  der  heutige  Zustand 
jener  Völker  lehren  im  Gegentheil,  dass  sie  in  der  angedeute- 
ten Beziehung  demselben  Schicksale,  wie  die  Spanier  unterwor- 
fen waren ;  alle  Reste  barbarischer  Völker  und  ganze  Horden, 
welche  Italien  und  Griechenland  heimsuchten,  und  in  einem 
oder  dem  andern  von  beiden  Ländern  zurückblieben,  sind  durch 
Vermischung  mit  den  frühern  Bewohnern  und  durch  Einfluss 
von  Boden  und  Klima  eben  so  gut  zu  Italienern  und  Neugriechen 
geworden ,  wie  sich  Vandalen  und  Gothen  durch  Vermischung 
mit  den  Ureinwohnern  und  Römern  auf  der  Iberischen  Halbin- 
sel in  Spanier  verwandelten.  Wir  geben  es  sehr  gerne  zu,  dass 
Boden  und  Klima  von  grossem  Einfluss  auf  die  Bevölkerung  Spa- 
niens waren,  diesen  Einfluss  aber  bei  Italien  und  Griechenland 
leugnen  zu  wollen,  scheint  uns  unmöglich.  Auch  im  Folgenden 
bemerkt  man,  dass  der  Verf.  die  historischen  Thatsachen  sei- 
ner Hypothese  anzupassen  sucht.  Die  Römer  (heisst  es  p.  105), 
nachdem  sie  nach  langen  Anstrengungen  Herren  des  Landes  ge- 
blieben waren,  verschmolzen  dergestalt  ihre  Gebräuche  und 
Sitten  mit  denen,  welche  sie  vorfanden,  dass  sie  sich  bald  in 
Spanier  verwandelt  hatten.  Wo  ist  aber  ein  Beispiel  in  der  Ge- 
schichte, dass  das  siej:ende  und  kultivirtere  Volk  dem  besiegten 
und  bei  weitem  unkultivirteren  gleich  geworden  sei  *?  Oder  ist 
etwa  das  Klima  der  Iberischen  Halbinsel  so  excentrisch ,  dass 
es  für  die  Kultur  durchaus  hemmend  wäre?  Dies  kann  des 
Verf.'s  Meinung  nicht  sein;  denn  die  für  ihre  Zeit  hochgebil- 
deten Araber  würden  den  besten  Gegenbeweis  liefern.  Ziem- 
lich ungenügend  muss  man  auch  dasjenige  nennen,  was  der 
Verf.  über  die  Besitznahme  des  nördlichen  Theiles  der  Halb- 
insel durch  die  Celten  und  über  den  Ursprung  der  Celtiberier 
sagt  (p.  105  ff.). 

Da  der  Verf.  sich  im  Folgenden,  bis  er  zur  politischen  Geo- 
graphie der  Halbinsel  kommt,  einer  grössern  Kürze  befleissigt, 
so  möge  es  uns  vergönnt  sein  ,  nur  durchaus  übersichtlich  dem 
Gange  seiner  Darstellung  zu  folgen,  um  so  mehr,  als  wir 
schon  oben  bemerkt  haben,  dass  der  rein  geographische  Theil 
des  Buches  der  bei  weitem  interessantere  sei.  Das  zweite  Ka- 
pitel „von  den  Phöniziern  und  Karthaginiensern,''  nimmt  nur, 
zwei  Seiten  ein,  und  ist  deshalb  höchst  dürftig  und  unvoll- 
ständig. Das  dritte  Kapitel  handelt  von  den  Römern  und  den 
Völkern  des  Nordens.  Auch  hier  wagt  der  Verf.  nicht  eher 
auf  eine  Untersuchung  der  ethnologischen  Verhältnisse  und  hi- 
storischen Fakta  eiiizugehn,  als  bis  mit  dem  Augustus  der  ru- 
hige Besitz  des  Landes  durch  die  Römer  beginnt,  und  auf 
diese  Weise  ein  helleres  Licht  über  die  Halbinsel  verbreitet 


56  Geographie. 

wird.  Augustus  theilt  ganz  Hispanien  in  drei  gros-se  Provinzen. 
Gegen  das  vierte  Jahrhundert  nach  Chr.  Geb.,  lieisst  es  ferner, 
wurde  Tarragonien,  als  zu  ausgedehnt,  in  die  Gallecische  und 
Karthagiuensische  Provinz  getheilt.  Abgesehen  von  der  ün- 
deutlichkeit  des  Ausdrucks,  welcher  zu  der  Meinung  verleiten 
könnte,  als  habe  dieProvincia  Tarraconensis  seit  dieser  Zeit  auf- 
gehört zu  existiren;  so  geschähe  ja  diese  zweite  Eintheilung  nicht 
gegen  das  vierte  Jahrhundert,  sondern  im  vierten  Jahrhundert 
selbst,  nehmlich  im  Jahre  324  nach  Chr.  Geb.  Hierauf  werden 
die  verschiedenen  Völkerschaften  genannt,  welche  in  einer  je- 
den der  fünf  Römischen  Provinzen  des  Spanischen  Festlandes 
wohnten  (p.  114  —  110).  Spanien,  von  verschiedenen  nordi- 
schen Völkerschaften  überschwemmt,  bleibt  endlich  im  Besitz 
der  Gothen  (p.  116—119).  Im  vierten  Kapitel  (p.  120  — 127) 
erscheint  die  Halbinsel  unter  Muselmännischer  Herrschaft.  Auch 
hier  muss  der  Leser  keine  historischen  Forschungen  erwarten; 
alles  ist  nur  in  sehr  allgemeinen  Umrissen  gehalten,  und  über 
die  statistischen  Verhältnisse  ist  wenig  gesagt.  Der  Verf.  lobt 
die  gegen  die  Christen  bewiesene  Duldung  der  Araber,  und 
rühmt  die  Bildung  derselben;  sie  waren,  behauptet  er,  ohne 
Zweifel  viel  weiter  in  der  Civilisation  vorgerückt ,  als  die  Spa- 
nier es  gegenwärtig  sind.  (Mögte  sich  in  mancher  Hinsicht  be- 
weisen lassen,  ist  aber  so,  ohne  alle  Einschränkung  ausgespro- 
chen ,  offenbar  unrichtig.) 

Die  dritte  Abtheilung  des  Buches  umfasst  die  politische  Ge- 
ographie; das  erste  Kapitel  ist  dem  Äo/i?^re/cÄ  Por/Mg^a/  gewid- 
met. §  1  enthält  allgemeine  Bemerkungen.  Fast  unglaublich 
klingt  es ,  wenn  man  hier  erfährt,  auf  welcher  niedrigen  Stufe 
die  meisten  Künste  bis  diesen  Augenblick  in  Portugal  standen, 
ungeachtet  des  wohltliätigen  Einflusses,  den  die  Anwesenheit 
zahlreicher  Engländer  auf  die  Civilisation  ausübte.  So  wird 
man,  heisst  es  p.  135,  in  ganz  Poi'tugal  keinen  Maler  oder  Bild- 
hauer, noch  weniger  einen  Kupferstecher  vom  geringsten  Ta- 
lent finden  ;  die  Verfertigung  der  Münzen  selbst  ist  hier  so  un- 
vollkommen, dass  es  nirgends  leichter  ist,  ihr  grobes  und  veraltetes 
Gepräge  nachzumachen;  die  Uhrmacherkunst  ist  gänzlich  ver- 
nachlässigt, so  wie  das  Papiermachen;  die  Buchdruckerkunst 
selbst  ist  so  sehr  zurück,  dass  man  nicht  eine  einzige  erträgli- 
che Ausgabe,  welche  die  Pressen  des  Landes  geliefert  hätten, 
aufweisen  kann.  Um  das  Gemälde  des  Portugiesischen  Volkes 
zu  vollenden,  spricht  der  Verf.  nacheinander  vom  Unterneh- 
mungsgeist, von  den  Schifffahrten  und  Entdeckungen  der  Por- 
tugiesen; darauf  vom  Nationalruhm,  von  der  Portugiesischen 
Geistlichkeit,  den  Orden,  dem  Heere,  wie  es  war  und  wie  es 
ist,  und  von  der  Marine;  endlich  von  dem  Nationalhass  zwischen 
Portugiesen  und  Spaniern,  von  der  Portugiesischen  Sprache  und 
den  Werken  über  Portugal.     Dies  Alles  ist,    so    unerfreulich 


Bory  de  St.  Vincent :  Sammlung  geographischer  Gemälde.       57 

oft  das  Einzelne  erscheint,  zu  einem  interessanten  Gemälde  zu- 
sammengestellt. In  den  folgenden  sechs  §§  findet  sich  nun 
die  Darstellung  der  einzelnenProvinzen,  ihrer  physischen  Natur, 
ihrer  Produkte,  Bewohner,  und  besonders  ihrer  wichtigsten 
Städte.  Einzelne  Notizen  hier  hervorheben  und  bekritteln  zu 
wollen,  kann  unser  Zweck  nicht  sein^  auch  muss  wohl  in  einem 
Falle,  wie  der  vorliegende  ist,  jeder  Recensent  mit  seinen  Zwei- 
feln um  so  behutsamer  und  bescheidener  auftreten,  als  der  Verf. 
überall  selbst  gesehn  und  selbst  gehört  liat.  Was  über  die  Städte 
gesagt  ist,  ist  im  Allgemeinen  nicht  zu  weitläuftig,  aber  genü- 
gend. Nur  bisweilen  ist  etwas  nicht  hierher  gehöriges  einge- 
mischt, wiez.B.  p  172,  wo  bei  Torres  Vedras  von  den  Feh- 
lern und  Erfolgen  LordWellington's  geredet  wird.  Etwas  Aehn- 
liches  findet  sich  p.  175  beiEvora  und  an  mehreren  andern  Stel- 
len. Man  erkennt  deutlich  des  Verf.'s  Bestreben,  durch  der- 
gleichen eingestreute  historische  Bemerkungen  die  Darstellung 
interessant  zu  machen.  Rec.  hält  es  aber  immer  für  einen  Miss- 
griff, die  Erdkunde  durch  die  Geschichte  würzen  zu  Avollen ; 
denn  einmal  enthält  die  erstere  des  Interessanten  so  viel,  dass 
sie  ihre  eigenen  Schätze  nicht  einmal  zu  erschöpfen  braucht,  ura 
dem  Geiste  hinreichende  Nahrung  zu  geben,  und  zweitens  sind 
gerade  historische  Bemerkungen,  in  eine  Darstellung  der  wich- 
tigsten Orte  eines  Landes  eingestreut,  ohne  allen  Zusammen- 
hang, und  ohne  alle  Bedeutung.  Eher  könnte  man  dieselben  in 
die  topographische  Beschreibung  des  Landes  verflechten,  indem 
sie  hier  dazu  dienen  würden,  den  Einfluss  der  Lokalitäten  auf 
den  Gang  der  Geschichte  in's  Licht  zu  setzen. 

Zweites  Kapitel.  Von  Spanien.  Den  ersten,  aber  verhält- 
nissmässig  sehr  langen  Paragraphen  (p.  182 — 291)  füllen  wie- 
der allgemeine  Bemerkungen.  Der  Verf.  wirft  zuerst  einen 
flüchtigen  Blic!.  auf  die  Geschichte  der  Halbinsel ,  seit  den 
Zeiten  des  Pelagius ,  fertigt  sie  aber  zum  Theil  sehr  kurz  ab, 
mit  der  Behauptung,  es  sei  hinreichend  erwiesen,  dass  die  Ver- 
gangenheit der  Gegenwart  nicht  zur  Lehre  diene.  Wäre  hier 
der  Ort,  auf  philosophische  Untersuchungen  einzugehn,  so  wür- 
den wir  die  allgemeine  Gültigkeit  eines  Satzes ,  wie  der  ange- 
führte ist,  bestreiten  müssen;  man  kann,  meinen  wir,  mit  dem- 
selben Rechte  das  Gegentheil  behaupten,  und  dieses  Gegen- 
theil  hat  man  sogar  lange  als  ein  Hauptmotiv  zum  Studium  der 
Geschichte  angesehen,  worin  sich  wenigstens  dies  ausspricht, 
dass  die  Wahrheit  erst  aus  der  Vermittelung  beider  Sätze  hervor- 
gehen werde.  Von  der  Geschichte  wird  der  Uebergang  ge- 
macht zum  Volkscharakter  der  Spanier,  der,  nach  der  Darstel- 
lung des  Verf.'s,  nicht  im  besten  Lichte  erscheint.  Wollen  wir 
auch  zugeben,  dass  der  Verf.  die  Schattenseite  desselben  nicht 
mit  zu  schwarzen  Farben  gemalt  habe,  denn  die  Belege,  wel- 
che er  anführt,  wie  z.  B.  die  unmenschliche  Freude  an  Stier- 


S8  Geographie. 

gefechteu  und  Autos-da-fe,  lassen  sich  allerdings  nicht  weg- 
leugnen; so  mögten  wir  dem  Verf.  docli  den  Vorwurf  machen, 
dass  er  die  Liclitseite  des  Spanischen  Charakters  zu  wenig  habe 
hervortreten  lassen,  und  dass  eine  solche  überhaupt  vorhanden 
sei,  wird  gewiss  niemand  bestreiten.  Interessant  ist  jedenfalls 
die  Beschreibung  der  Stiergefechte  p.  18S  —  203  und  der  Au- 
tos-da-fe p.  204  —  211.  Es  folgt  eine  Uebersicht  der  Bevöl- 
kerung des  ganzen  Landes  und  der  einzehien  Provinzen;  An- 
gabe der  Ursachen,  warum  sich  seit  der  Vertreibung  der  Mau- 
ren und  Juden  die  Bevölkerung  der  Halbinsel  immer  mehr  ver- 
mindert habe.  Chausseen,  Verbindungswege  und  Kanäle  p. 
217 — 221 ;  ihre  geringe  Zahl  ohne  Zweifel  ein  Hinderniss  der 
Civilisation  der  Halbinsel.  Nicht  minder  unerfreuliche,  ob- 
gleich für  die  Geschichte  der  Menschheit  interessante  Züge 
dieses  Gemäldes  bilden  die  beiden  folgenden  der  Staatsver- 
waltung und  der  Religion  gewidmeten  Absclinitte  (p.  221  — • 
228).  Bei  dieser  Gelegenheit  spricht  er  auch  von  der  Vertrei- 
bung der  Mauren,  welche  wir  zwar,  wenn  Avir  vom  Stand- 
punkte unsrer  Zeit  aus  urtheilen,  mit  ilim  für  grausam  und  un- 
politisch *)  halten  (da  man  nicht  einsieht,  warum  die  gewerb- 
fleissigen  Mauren,  wenn  gleich  ein  fremdartiger  Bestandtheil 
der  Bevölkerung,  nicht  eben  so  gut  unter  den  Spaniern  hätten 
leben  können,  wie  unter  andern  Völkern  die  Juden),  welche 
aber  dem  Geiste  der  Zeit  und  dem  Spanischen  Volkscharakter 
ganz  gemäss  war.  Sie  ging  nicht,  wie  der  Vf.  sagt,  aus  einem 
wahren  Geiste  der  Polizei,  sondern  aus  einer  nothwendigen  Re- 
aktion der  von  den  Mauren  fi'üher  bedrohten  christlichen  Kir- 
che selbst  liervor.  Den  Beschluss  dieser  das  Staatswesen  be- 
treffenden Betrachtungen  macht  ein  Blick  auf  die  Land-  und 
Seemacht  (p.  2-10  —  240).  Der  Span.  Lit.  ist  ein  nicht  unbedeuten- 
der Abschnitt  (p.249 — 282)  gewidmet;  aber  eine  gewisse  Einsei- 
tigkeit und  Befangenheit  des  Verfassers  ist  hier  nicht  zu  ver- 
kennen. Dass  die  Keime  der  Spanischen  Literatur  bei  den 
Künste  und  Wissenschaft  liebenden  3Iauren  gesucht  werden 
müssen,  lässt  sich  allerdings  historisch  beweisen,  eben  so,  dass 
der  Rittergeist  einen  v/esentlichen  Einfluss  auf  die  Richtung 
dieser  Literatur  ausgeübt  habe;  dass  aber  die  Spanier  diese 
ritterlichen  Ideen  erst  von  ihren  Feinden,  den  Mauren,  an§^e- 
nommen  hätten,  ist  offenbar  zu  viel  gesagt.  Diese  ritterli- 
chen Ideen  und  die  durch  sie  bedingte  Literatur  sind  in  dem 
Geiste  des  ganzen  Zeitalters  begründet  und  fanden  sich  da- 
mals auch  I  bei  allen  übrigen  Romanischen  und  Germanischen 
Völkern ,   welche  nicht  in  so  unmittelbare  Berührung  mit  den 


*)  Einen  Beleg  giebt  Andalusien,  wo  man  die  riätze  von  drei 
and  fünfzig  bedeutenden  Orten  zeigt,  welche  blos  seit  Vertreibung  der 
Mauren  verfalleu  uod  nicht  wieder  aufgebaut  worden  sind ,  p.  369. 


Bory  de  St.  Vincent:    Saramlungf  geograpluäclier  Gemälde.       59 

Arabern  kamen  wie  die  Spanier.  Den  Vorwurf  der  Einseitig- 
keit aber  müssen  wir  dem  Verfasser  besonders  machen 
in  Bezug  auf  seine  Ueberscliälzung  der  Französischen  Dichter, 
namentlich  Molii-re's,  welcher  der  griindlicliste  der  Pliiioso- 
phen  und  der  vollkommenste  Sittennialer  genannt  wird  (p.  2(55), 
und  von  dem  es  an  einer  andern  Stelle  (p.  2(M>)  heisst,  dass 
der  grosse  Cervantes  unter  allen  altern  und  neuern  Genies  al- 
lein würdig  sei ,  ihm  gleich  gestellt  zu  werden.  Ueberhaupt 
spricht  sich  jene  Befangenheit  des  Verfassers  in  einer  allzu- 
grossen  Herabwürdigung  der  Spanischen  Literatur,  beson- 
ders der  dramatischen ,  aus  (p.  271  und  if.).  Mit  mehr  Aner- 
kennung spricht  der  Vf.  von  der  Malerei  und  Baukunst  p.  282 
und  ff.  Es  folgen  nun  die  bis  jetzt  vorhandenen  Werke  über 
Spanien  und  die  Karten.  Was  die  letzteren  betrifft,  so  durfte 
der  Leser  offenbar  mehr  erwarten;  hätte  der  Verf.  auchlland- 
karten,  wie  die  von  La  Pie  und  Piquet,  welche  keine  besonde- 
ren Vorzüge  besitzen,  übergehen  wollen,  so  verdiente  doch  ge- 
wiss die  vortreffliche  Englische  Karte  vonNantiat  und  die  Fran- 
zösische von  Donnet  genannt  zu  werden,  anderer  minder  lo- 
benswerther  Karten  nicht  zu  gedenken. 

In  den  folgenden  fünfzehn  §§  werden  alsdann  die  einzel- 
nen Provinzen  Spaniens  mit  ihren  wichtigsten  Städten  beson- 
ders durchgegangen ,  und  es  gilt  von  diesem  Theil  der  Darstel- 
lung dasselbe,  was  wir  schon  oben  über  denselben  Abschnitt 
der  Geographie  Portugals  geäussert  haben. 

Nachdem  wir  so  dem  Gange  der  ganzen  Darstellung  bis 
an's  Ende  gefolgt  sind,  haben  wir  vergessen  auf  diese  und  jene 
Kleinigkeit  einen  Seitenblick  zu  werfen,  was  wir  aber  hier 
nachholen  wollen.  Ueber  einzelne  excentrische  Ausdrücke  mit 
dem  Verf.  zu  rechten,  ist  nicht  unsere  Absicht,  nur  was  die 
Sache  selbst  angeht ,  soll  kurz  berührt  werden.  Pag.  27  heisst 
es  vom  Bätischen  System :  „Unter  einem  schon  brennenden 
Klima  bedeckt  es  sich  mit  Schnee ,  der  nie  schmilzt  und  sich 
endlich  in  Gletscher  aufhäuft."  Sollte  dem  Verf.  die  Natur  u. 
Entstehungsart  der  Gletscher  unbekannt  sein?  Da  dies  nicht 
denkbar  ist,  so  müssen  wir  diesen  Ausdruck ,  selbst  wenn  er 
nur  bildlich  gebraucht  sein  sollte ,  als  unstatthaft  tadeln,  in- 
dem die  Gletscher  ja  nicht  die  kulminirenden  Punkte  der 
Schneefelder,  sondern  im  Gegentheil  die  Ausflüsse  derselben 
sind  und  daher  tiefer  liegen  als  jene.  Etwas,  worüber  wir  uns 
keine  Auskunft  geben  konnten,  ist,  dass  der  Verf.  an  mehreren 
Stellen  (p.  144,  227,  204  u.  s.  w.)  auf  den  9ten  Band  von  Mal- 
te-Brun's  Geographie  verweist  und  sogar  die  Seitenzahl  ci- 
tirt;  ja  p.  14!)  wird  ein  langer  dem  9ten  Bande  entlehnter  Satz 
Malte -Brun  nach  erzählt.  Unseres  Wissens  sind  aber  von  M. 
Br.'s  Geographie  nur  sechs  Bände  erschienen ,  mehr  wenigstens 
in  Deutschland  nicht  bekannt  geworden ,  und  in  diesen  ffndet 


60  Geographie. 

sich  nichts  üher  die  Iberische  Halbinsel;  es  scheinen  daher  die- 
se Citate  aus  einer  handschriftlichen  IMittheiluns:  herziirüliren, 
welche  dem  Yerf.  von  dem  nun  verstorbenen  Malte -Brun  ge- 
macht worden  ist. 

Die  absolute  Höhe  der  Lage  Madrid's  ist  (p.  337)  niedriger 
angegeben,  als  man  sie  sonst  gewöhnlich  angiebt;  der  Verf. 
setzt  nehmlich  fiir  die  Plaza  major  zu  3Iadrid  6U0  (ungefähr 
18(^0  Fuss)  3Ieter  an,  während  iiacli  der  gewöhnlichen  Annah- 
me Madrid  über  2000  Par.  Fuss  hoch  liegt;  Antillen  *)  giebt 
ihm  sogar  2412  Par.  Fuss.  —  Stellenweise  ist  dieses  Gemälde 
der  Iberischen  Halbinsel,  was  wir  Vibrigens  nicht  tadeln  wollen, 
nur  als  ein  Auszug  aus  dem  Guide  du  Voyageur  unsers  Verf's. 
zu  betrachten  und  mitunter  stimmen  fast  ganze  Seiten  beider 
Werke  beinahe  wörtlich  iiberein ,  wie  z.  B.  p.  4()  mit  p.  202  u. 
203  des  Guide  du  Yoyag.,  p.  41  u.  42  mit  p.  204  u.  205  jenes 
Buches.  Was  die  Uebersetzung  betrifft,  so  lässt  sie  manches 
zu  wünschen  übrig;  hier  und  da  haben  sich  Härten  eingeschli- 
chen, und  an  mehreren  Stellen  ist  sie  offenbar  fehlerhaft,  wo- 
bei wir  noch  bemerken  müssen,  dass  uns  mancher  Fehler  ent- 
gangen sein  mag,  da  wir  das  Französische  Original  nicht  zur 
Hand  hatten.  Solche  harte  oder  undeutsche  Wendungen  fin- 
den sich  z.  B.  p.  4ß:  „wenn  nicht  etwa  die  strengen  Winter  des 
nördlichen  Europa's,  ihren  Einfluss  hier  auf  diese  Klimate  aus- 
dehnend, ihren  Eiswind,  seiner  Bahn  entirrt ,  herübersen- 
den." Desgl.  p.  81:  „die  Ilauptzuflüsse  des  Tajo,  welche  bei- 
nahe überall  bis  nach  Alcantara  durchwadet  werden  können, 
und  deren  Becken  vom  Lusitanischen  Systeme,  so  wie  von  dem 
Carpetano-Yettonischen  umgränzt  ist,  erhält  er  auf  seinem 
rechten  Ufer  durch  die  Gewässer  der  mittäglichen  Abhänge 
der  zweiten  dieser  Ketten."  Eben  so  heisst  es  p.  88  vom 
Guadaljore:  „aber  anstatt  hinein  (in  den  Genil)  zu  fallen,  wie 
man  bei  Untersuchung  des  Landes  voraussetzen  könnte,  dass 
er  sollte,  durchschneidet  er  u.  s.  w."  Pag.  119  wird  die  Ent- 
ehrung der  Tochter  des  Grafen  Julian  durch  den  König  Rodri- 
go  eine  blutige  Beschimpfung  genannt.  Geradezu  fehlerhafte 
Ausdrücke  sind  z.B.  p.  136:  „—  wenn  gleich  ihre  weitläufti- 
gen  Besitzungen  des  mittäglichen  Amerika's  mehr  vortrelfiiche 
Ochsenhäute  zu  niedrigeren  Preisen  liefern,  als  vielleicht  alle 
übrigen  Theile  der  Erde  zusammen  nicht  ^  u.  s.  w."  Eben  so 
p.  200  und  p.  207  der  Ausdruck  „sich  knien.''  Desgl.  p.  388: 
„da  das  Königreich  Granada  das  südlichste  und  am  besten  be- 
wässertste  (sie)  ist  u.  s.  w>'  Endlich  müssen  wir  noch  auf  ei- 
nen Fehler  aufmerksam  machen,    der  wahrscheinlich  auch  aus 


•)  Antillen,  Geographie  de  l'Espagne  et  du  Portugal ect. Paris, 
1823  p.  XV. 


Bory  de  St.  Vincent :    Sammlung  geographischer  Gemälde.      61 

einem  Irrtliiim  des  Uebersetzers  hervorg^e^angen  ist,  indem  es 
nicht  glaublich  ist,  dass  sich  ein  Druckfehler  so  oft  hätte  wie- 
derholen können.  Die  Länge  der  Oerter  ist  nehmlich  nach  dem 
Meridian  von  Teneriffa  bestimmt,  und  ungeachtet  auf  diese 
"Weise  die  Iberische  Halbinsel  nur  östliche  Länge  Iiaben  kann, 
so  ist  doch  an  sehr  vielen  Stellen  von  westlicher  Länge,  meist 
mit  dem  Beisatze  „von  Teneriffa"  die  Rede.  S.  p.  9,  22,  39, 
43,  4(»,  58  (zwei  Mal),  (f3  (zwei  Mal),  'J3  und  80.  Höchst 
wahrscJieinlich  hat  die  Verwechslung  der  Wörter  oriental  und 
Occidental  zu  diesem  Feliler  Veranlassung  gegeben. 

Druckfehler  sind  zwar  nicht  augezeigt,  finden  sich  aber 
im  Buche  nicht  selten;  doch  sind  sie  meistens  von  der  Art,  dass 
sie  der  aufmerksame  Leser  selbst  entdecken  und  verbessern 
wird.  So  steht  p.  10  Ardour  statt  Adour;  p.  41  Z.  4  von  unten 
Lusitanischen  statt  Cantabrischen;  p.  80  Abaracin  statt  Albarai- 
cin;  ebend.  70*^  statt  7*^  und  ausserdem,  wie  schon  vorher  be- 
merkt, „westlicher  Länge"  statt  östlicher  Länge;  p.  113  Gal- 
lecinische  statt  Galläcische  oder  Gallicische  Proviuz;  ebend. 
Carthaginensche  statt  Carthaginiensische;  p.  3S9  Madrid,  un- 
ter dem  47"  25'  N.  Br.  statt  unter  dem  40"  25'  N.  Br  ;  p.  411 
Murviedo  statt  Murviedro ;  und  mehrere  andere  unbedeutende. 

Zum  Beschluss  sei  uns  erlaubt,  noch  wenige  Worte  über 
die  dem  Buche  beigegebene  Karte  hinzuzufügen.  Sie  ist  nach 
den  obenerwähnten  beiden  Karten  unsers  Verfassers  in  verklei- 
nertem Maassstabe  gezeichnet ;  da  aber  hierdurch  Berge  und 
Schrift  etwas  in  einander  gedrängt  worden  sind,  das  Ganze  fer- 
ner ein  Steindruck  und  noch  dazu  nicht  der  beste  ist,  so  ist 
die  Karte  dadurch  undeutlich  geworden  und  macht  auf  das  Auge 
einen  unangenehmen  Eindruck:  besonders  schwach  sind  die 
Gebirge  ausgedruckt,  so  dass  die  Pyrenäen  um  nichts  dunkler 
(d.h.  Iiöher)  erscheinen,  als  die  Bei'ge  von  Toledo  oder  die 
Sierra  Morena.  Glücklicher  Weise  sind  die  Abdachungen,  die 
Scheidungslinie  der  Klimate  und  die  Provinzen  mit  farbigen 
Rändern  umzogen,  sonst  würde  man  nichts  herausfinden  kön- 
nen. Einen  Uebelstand  haben  wir  ferner  darin  gefunden,  dass 
auf  der  Karte  als  erster  Meridian  der  von  Paris  angenommen 
ist,  während  im  Buche  überall  die  Länge  nach  dem  Meridian 
von  Teneriffa  gereclinet  wird.  Dass  sich  auf  der  Karte  bei  ih- 
rem kleinen  Maassstabe  ausserdem  viel  Mängel  und  UnvoU- 
kommenheiten finden  müssen,  ist  nicht  anders  zu  erwarten;  so 
sind  z.  B.  mehrere  Strassen  nicht  eingetragen  und  fehlen  häufig 
die  Namen  der  ^lüsse,  von  welchen  im  Buche  die  Rede  ist, 
wie  z.  B.  des  Jarama,  Guadarrama,  Arberche,  Tietar,  Ala- 
gon,  Zezere,  Zatas ,  derEsla,  des  Rio  Coa,  der  Tamega  u. 
8.  w.  Der  beschränkte  Raum  entschuldigt  dies  indessen  und 
wer  sich  genauer  über  die   Iberische  Halbinsel  unterrichten 


62  Programme. 

will ,  wird  ohnedies  eine  grössere  und  bessere  Karte  znr  Hand 
nehmen. 

Wir  schliessen  unsere  Bemerkungen  mit  dem  Wunsche, 
dass  niemand  in  unsern  Ansstelhingen  die  Absicht  finden  möge, 
als  hätten  wir  die  Verdienste  des  Verfasssrs  verkleinern  wollen ; 
sondern  wir  haben  imGegentheil  dieUeberzeugung,  dass  durch 
dieses  Buch  die  Kenntniss  der  Iberischen  Halbinsel  bedeutend 
gefördert  worden  ist ,  und  dass  wir  in  dieser  Beziehung  selbst 
dem  Verf.  sehr  Vieles  verdanken.  Das  Buch  ist  deshalb  auch 
allen  Lehrern  der  Erdkunde  mit  Recht  zu  empfehlen. 

Walter. 


Programme, 


Domitius   Marsus. 

Mßie  löbliche  Sitte ,  die  wohl  auf  den  meisten  Gymnasien  und 
gelehrten  Schulen  Deutschlands  nun  allgemein  eingeführt  wor- 
den, oder,  wo  sie  es  noch  nicht  ist,  eingeführt  zu  werden 
verdient,  die  Feier  eines  öffentlichen  Aktus  durch  ein  Programm 
wissenschaftlichen  Inhalts  zu  verherrlichen  u.  derselben  durch 
das  grössere  oder  mindere  Interesse  des  behandelten  Gegen- 
stands zugleich  ihre  Stelle  in  der  Geschichte  der  Deutschen 
Litteratur  zu  sichern,  hat  bereits  durch  glückliche  Wahl  oft 
von  den  ausgezeichnetsten  Männern  bearbeiteter  Gegenstände 
so  erspriessliche  Folgen  für  die  Wissenschaft  gezeigt,  dass  es 
ein  überfliissiges  Geschäft  sein  würde,  jener  Sitte,  die  nie  ver- 
alten möge ,  eine  Lobrede  zu  halten.  Wir  müssen  aber  die  ge- 
lehrten Erzeugnisse,  die  diesem  Institut  ihr  Leben  verdanken, 
um  so  willkommner  dann  nennen,  wenn  wir  finden,  dass  der 
Verfasser  seinen  Gegenstand  nicht  nur  nach  Möglichkeit  er- 
schöpft, sondern  auch  einen  solchen  Gegenstand  gewälilt  habe, 
dem  nicht  nur  nicht  Bedeutendheit  abgeht,  sondern  welcher 
auch  seines  Urafangs  nach  geeignet  ist,  in  einer  kleinen  Schrift 
von  engen,  vorgesteckten  Gränzen  bis  zur  Befriedigung  bear- 
beitet zu  werden.  Nicht  Alle,  denen  die  Verfassung  von  der- 
gleichen sogenannten  Gelegenheitsschriften  obliegt,  treffen 
hierin  eine  richtige  Wahl,  indem  sie  nur  zu  oft  Gegenstände 
behandeln,  welche  die  Bearbeitung  innerhalb  eines  durch  äu- 
ssere Umstände  beschränkten llaums  nur  auf  Kosten  der  Gründ- 
lichkeit gestatten.  Demolingeachtet  bietet  gerade  die  Philolo- 
gie ihrem  Wesen  nach  mehr  als  irgend  eine  andere  Wissen- 
schaft Stoff  zu  wissenschaftlichen  Erörterungen  dar,   welcher 


Weichcrt :  De  Domitio  Marso  poeta  commcntatio.  63 

eine  ziemlich  abgesonderte  Behandlnn^  erlaubt  und  selbst  oft 
bei  der  geringsten  räumlicben  Ausdehnung  in  seiner  Behand- 
lung als  ein  für  sich  bestehendes  und  geschlossenes  Ganze  er- 
scheint. Vor  allen  Gegenständen,  die  in  diesen  Kreis  philolo- 
gischer Studien  gehören,  rechnen  wir  hieher  vorzüglich  das 
Sammeln  und  Bearbeiten  der  Fragmente  verloren  gegangener 
Schriftsteller,  und  wenn  nach  dieser  Seite  hin  in  neuerer  Zeit 
für  Griechische  Litteratur  Erfreuliches  und  Ehrenwerthes  ge- 
schehen, so  muss  jedoch  ötfentlich  bekannt  werden,  dass  die- 
ses weniger  der  Fall  gewesen  in  Bezug  auf  Römische  Schrift- 
steller, wovon  die  Gründe  hier  nicht  aufgesucht  zu  werden 
brauchen.  Um  so  anerkennungswerther  ist  daher  das  Ver- 
dienst des  Hrn.  llector  Weichert  in  Grimma,  der  seine 
Müsse  bei  vorkommenden  Gelegenheiten  gerade  für  diese  Art 
gelehrter  Beschäftigung  benutzt  und  durch  eine  Reihe  von  nun 
bereits  vorliegenden  Monographieen  über  dergleichen  Gegen- 
stände aus  der  Römischen  Litteraturgeschichte  die  grösste  An- 
erkennung sich  erworben  hat,  die  auch  wir  hier  aus  wahrer 
Ueberzeugung  dankbar  aussprechen.  Die  Zahl  dieser  Mono- 
graphieen, Römische  Litteraturgeschichte  betreffend,  hat  Hr. 
Weichert  in  diesem  Jahre  durch  eine  neue  vergrössert,  die 
ebenso  wie  die  früheren ,  die  ausgebreitete  Gelehrsamkeit  des 
Hrn.  Verfassers  wie  dessen  Scharfsinn  in  glücklichen  Combi- 
nationen  beurkundet.  Es  handelt  diese  zu  Grimma  erschienene 
Gelegenheitsschrift  de  Domitio  Marso  poeta ,  und  wir  glauben 
kein  fruchtloses  Geschäft  zu  übernehmen,  die  Resultate  dieser 
gründlichen  Abhandlung  unsern  Lesern  um  so  mehr  hier  ira 
Auszuge  mitzutheilen,  als  diese  Schrift  ihrer  Natur  nach  nicht 
für  eine  allgemeine  Verbreitung  durch  den  Buchhandel  bestimmt 
ist  und  daher  nur  ein  kleines  Publicum  finden  wird. 

Domitius  Marsus ,  dessen  Vorname  uns  unbekannt  ge- 
blieben, war  ein  Zeitgenosse  und  Freund  des  Horatius  und 
Virgilius,  welchen  letzteren  er  noch  überlebte,  ja,  wie  Hora- 
tius, selbst  auch  in  der  Schule  des  bekannten  Orbilius  erzogen. 
Näher  lässt  sich  aus  Mangel  an  Nachrichten  nichts  über  die 
Lebenszeit  des  Domitius  bestimmen.  Ebenso  ungewiss  muss  es 
auch  bleiben,  ob  er  von  dem  Volk  der  Marser  abstammte,  was 
Hr.  Weichert  aus  seinem  Beinamen  Marsus  vernnithete.  Da- 
gegen wissen  wir  gewiss ,  dass  sein  Ruhm  vorzüglich  als  Ver- 
fasser von  stark  gewürzten  Epigrommen  nicht  nur  zu  seiner 
Zeit,  sondern  auch  noch  später  allgemein  verbreitet  war,  so 
dass  des  Domitius  Epigramme  eine  Schule  der  Nachahmung  und 
Nacheiferung  des  Martialis  wurden,  der  seiner  an  raehrern 
Stellen  auch  in  dieser  Hinsicht  gedenkt;  welcher  Umstand 
Hrn.  Weichert  die  Veranlassung  giebt  viele  Stellen  dieses, 
leider  viel  zu  sehr  noch  vernachlässigten  Dichters  treffend  zu 
erläutern,   zuweilen  auch  kritisch  zu  verbessern.    Ausser  den 


64  Programme. 

Epigrammen,  in  deren  Verfertigung  sich  des  Doraitius  Geist 
am  meisten  gefallen  zu  haben  scheint  und  darum  auch  am  mei- 
sten geleistet  hat,  sclirieb  er  epische  Gedichte,  von  welchen 
wir  eine  Amazonis  dem  Namen  nach  kennen,  welclie  laut  Mar- 
tialis'  Erwähnung  ein  Gedicht  von  sehr  grossem  Umfange  ge- 
wesen zu  sein  scheint.  In  dieser  Gattung  der  Poesie  erreichte 
zwar  Domitius  keineswegs  den  lluhm  eines  Maro,  reihete  sich 
aber  dennoch  den  ausgezeichnetsten  Dichtern  des  historischen 
Epos  an.  Ferner  ist  er  der  Vei'fasser  eines  wie  es  scheint  ele- 
gischen Gedichts,  das  den  Namen  Melaenis  führte,  also  nach 
dem  Namen  eines  von  ihm  geliebten  Mädchens  genannt,  wie 
auch  schon  zum  Apuleins  de  Orthogr.  S.  18  vermuthet  wurde. 
Ob  dieses  ein  einzelnes  Gedicht,  oder  ein  Complex  mehrerer 
Elegieen  gewesen,  nach  Art  der  Leontion  desHermesianax  und 
anderer  Sammlungen  elegischer  Gedichte,  wie  Hr.  Weichert 
vermuthet,   nuiss  als  ungewiss  dahin  gestellt  bleiben. 

Zu  dieser  Gattung  der  Poesie  müssen  endlich  auch  Fabellae 
gerechnet  werden,  die  dem  Domitius  Marsus  zugeschrieben 
werden,  und  welche,  einem  daraus  erhaltenen  Fragmente  nach, 
augenscheinlich  in  elegischer  Form  verfasst  waren.  Zu  diesen 
poetischen  Versuchen  gesellen  sich  nun  noch  auch  einige  pro- 
saisclie  Schriften  des  Domitius ,  von  welchem  wir  namentlich 
ein  Buch  de  urbanilate  kennen. 

Den  Beschluss  dieser  gelehrten  Monographie  macht  die 
Sammlung  der  poetischen  Bruchstücke  dieses  Diihters,  die  lei- 
der die  Zahl  von  sieben  nicht  überschreiten,  und  wir  sind  auch 
ausser  Stande  noch  ein  achtes  Iiinzuzufügen.  Bemerkt  muss  da- 
bei werden,  dass  dieselben  schon  von  II.  Stephanus  und 
Broukhuäius  zusammengestellt  worden,  jetzt  nun  aber  erst 
ihre  gebührende  kritische  Behandlung  erfahren  haben.  Das 
erste  ist  das  schöne,  bekannte  Epitaphiiun  Tibulli^  welches 
nicht  eigentlich  den  Namen  eines  Bruchstücks  verdient.  Zum 
siebenten  Fragmente  wollen  wir  beiläufig  bemerken,  dass 
in  der  Anführung  der  Stelle  aus  Priscianus  S.  23  wohl  durch 
ein  typothetisches  Versehen  der  Name  Marsus  vor  dessen 
Worten  Adipis  pondo  viginti  velustae  ausgefallen  ist.  In  Bezug 
auf  die  Behandlung  der  einzelnen  Gegenstände  haben  wir  nichts 
zu  erinnern  gefunden  und  stimmen  im  Allgemeinen  Hrn.  Wei- 
chert vollkommen  bei.  Es  muss  zugleich  auch  noch  bemerkt 
werden,  dass  gelegentlich  mit  Gründlichkeit  über  einige  andere, 
gleichfalls  wenig  bekannte  Römische  Schriftsteller  und  Perso- 
nen gesprochen  wird ,  m  ie  über  L.  Tüliics  Ciinber  S.  4 ,  Domi- 
tius Af  er  ^  Redner,  S.  7,  Gaetulicus ,  Epigramm -Dichter,  S. 
10,  Sexlus^  Dichter,  welcher  bisher  verkannt  wurde,  S.  11, 
Pudens^  S.  13.  lieber  letzteren  erlauben  wir  uns  einen  Zu- 
satz, um  doch  auch  nicht  ganz  äöv^ßüXas  von  Hrn.  Wei- 
chert zu  scheiden.     Hr.  Weichert  nennt  diesen  Pudens  einen 


Welcliert:  De  Domitio  Marso  poeta  coramcntatio.  Cf5 

nescio  quis,  und  allerdings  sind  wir  über  ihn  schlecht  berich- 
tet. An  ihn  ist  ein  Epigramm  des  Martialis  (IV,  29)  gerich- 
tet, welclies  Ilr.  Weich  er  t  gut  erklärt.  Wir  sehen  daraus, 
dass  sich  Pudens  mit  der  Leetüre  von  poetischen  Werken  be- 
schäftigte, und  es  wäre  niclits  dagegen,  ihn  selbst  uns  als  ei- 
nen Dichter  zu  denken.  Ferner  findet  sich  nach  Hrn.  W ei- 
che rt  seiner  noch  Erwähnung  in  einem  andern  Epigramm  des 
Martialis  IV,  13,  welches  von  der  Vermählung  dieses  Pudens 
mit  einer  uns  sonst  unbekannten  Claudia  Peregrina  liandelt. 
Daselbst  heisst  es  im  Anfange : 

Claudia ,  Rufe ,  meo  nubit  Peregrina  Fudentl : 
niacte  esto   tasdis ,     o  Hyraenaee ,    tuis. 

Tarn  bene  rara  suo  niisccntur  cinnama  nardo , 
Masäica  Theseis  tarn  bene  vhia  favis. 

Der  Sinn  des  letzteren  Distichons  ist  klar  und  leicht  verständ- 
lich: selten  verbinden  sich  so  gut  Cinnamum  und  Narde,  sel- 
ten so  gut  Massiker  mit  Attischem  Honig  (wozu  zu  vgl.  Aitfi- 
dius  forti  miscebat  mella  Falerno  bei  Horaz  Sat.  1,4),  wie 
Pudens  mit  Claudia  durch  die  Ehe.  Nichts  desto  weniger  be- 
haupten wir,  die  Stelle  sei  ihrer  Vollständigkeit  nach  noch 
nicht  verstanden,  indem  hier  eine  witzige,  ganz  im  Charakter 
des  Martialis  liegende,  Zweideutigkeit  im  Hintergründe  liegt, 
die  den  Erklärern  bis  jetzt  verborgen  geblieben  und  iiber  jenen 
Pudens  selbst  ein  unerwartetes  Licht  verbreitet.  Wie?  wenn 
es  wirklich  einen  Dichter  Pudens  gegeben  hätte,  welcher  den 
Beinamen  Nardus  gefiihrt  habe?  Bekäme  dann  nicht  das  gan- 
ze Bild  miscentur  cinnama  nardo  seine  wahre  Beziehung 
durch  einen  launigen  Scherz ,  der  von  dem  Namen  des  glückli- 
chen Bräutigams  hergenommen  wäre?  Und  so  ist  es  in  der 
That.  Diese  gewiss  willkommene  Erklärung  verdanken  wir 
folgender,  in  einem  Pentameter  bestehenden ,  Grabschrift  bei 
Gruter  S.  1118,  6: 


NARDV 

POETA 

PVDENS 

HOC 
TEGITVR 
TVMVLO 


Wir  meinen ,  wo  die  Umstände  sich  so  wie  von  selbst  zu  einer 
Combination  darbieten,  kann  kein  Zweifel  statt  finden,  dass 
der  hier  genannte  Pudens  Nardus  der  Pudens  des  Martialis  sei, 
wodurch  dessen  Erwähnung  beim  Martialis  nun  ein  ganz  neues 
Verständniss  erhält.  Wir  haben  nun  einen  Dichter  Pudens  aus 
dem  Zeitalter  des  Martialis  gewonnen:  ja,  wir  glauben  unsere 

Jahrb.  f.  Phil.  u.  Pädag.  Jahrg.  III.  Heft  ü.  g 


66  Programme. 

Combination  über  denselben  noch  weiter  führen  und  von  ihm 
Dinge  berichten  zu  dürfen,  von  denen  mau  noch  keine  Ahndung 
hatte.  Denn  wir  getrauen  uns  mit  Wahrscheinlichkeit  niclit  nur 
seinen  ganzen  Namen,  sondern  auch  sogar  sein  Vaterland  ange- 
ben zu  können.   Zuerst  werde  bemerkt,  dass  der  Name  Pudens 
als  Cognomen  zu  nehmen  sei,  wie  dieses  auch  sonst  vorkommt. 
So  wird  ein  Coelius  Pudens  erwähnt  auf  der  Tabula  alimentaria 
ed.  Wolf  S.  37,   ein  M.  Taminius  Pudens,  Grut.  S.  128,  1,  ein 
L.  Helvius  Pudens ,  das.  S.  240,  col.  3,  ein  Titus  Statins  Pu- 
dens, das.  S.  250  col.  3.     Es  könnten  nocli  viele  Beispiele  nam- 
haft gemaclit  werden.     Demnach  erscheint  der  Name  Nardus 
als  Agnomen.  Nun  findet  sich  aber  allerdings  noch  ein  Dichter  /*z^ 
rfews  auf  einer  Inschrift  erwähnt,  mildern  Vor-  u.  Familiennamen 
L.  Valerius,  welchen  wir  keinen  Anstand  nehmen  für  identisch  zu 
halten  mit  dem  obigen  Pudens  Nardus.  Dass  daselbst  das  Agnomen 
weggelassen  ist,  giebt  nicht  den  mindesten  Anstoss ,  da  dieses 
aus  verschiedenen  Gründen  wegbleiben  konnte.  Der  Stein  selbst, 
auf  welchem  sich  diese  Inschrift  befindet,  scheint  nicIit  mehr 
vorhanden  zu  sein:    wir  verdanken  ihre  Aufbewahrung  einem 
Schriftsteller  des  fünfzehnten  Jahrhunderts,  Tortellius,  auf 
dessen  Wichtigkeit  für  Philologie  wir  neulich  aufmerksam  ge- 
macht haben.    Unter  dem  Worte  heder a  Fol.  96  b  (die  Ausga- 
be, die  uns  zur  Hand  liegt,  ermangelt  der  Paginirung)  in  sei- 
nem Buch  de  orthographia  erzählt  Tortellius :  sane  coronaban- 
tur  hedera  poetae:  cum  in  certamitiibus  ex  iudicum  sententia 
approbati  fuissent :  ut  inventum  epigramma  apud  histoniumfren- 
tanorum  oppidum  saxo  insculptum  his  verbis  indicat  (nun  folgt 
die  Inschrift) :   L.  Valerio  pudenti.   L,  F.  hie  cum  esset  anno- 
rum.  JLIII.  Romae  certamine  sacro  Jovis  capitolini  lustro.  VII. 
claritate  ingenii  coronatus  est  inter  poetas  latijios  omnibus  sen- 
tentiis  iudicmn.   hiiic  plaebs    universa   municipium  (wohl  ver- 
druckt st.  municipum)  histoniensium  stattiam  aere  collato  decrevit. 
An  der  Aechtheit  dieser  Inschrift  im  Allgemeinen  zu  zweifeln, 
ist  um  so  weniger  Grund  vorhanden,  als  uns  ja  sogar  der  Ort 
angegeben  worden,    wo  sie  gefunden  sein  soll,  und  wenn  sie 
jetzt  nicht  mehr  im  Original  vorhanden  ist,    so  theilt  sie  das 
Schicksal  mit  vielen  andern  Monumenten  dieser  Art,  die  auf 
unsere  Zeit  nur  durch  das  Mittel  schriftlicher  Ueberlieferung 
gekommen  sind.     Jedoch  ist  es  keineswegs   glaublich,  dass  je- 
nes Epigramm  in  der  von  Tortellius  angegebenen  Form  im  Ori- 
ginal wirklich  abgefasst  gewesen  sei,  vielmehr  scheint  uns  Tor- 
tellius nur  den  auf  seine  Weise  anfgelössten  Siim  der  Aufschrift, 
nicht  eine  Copie  der  Inschrift  selbst  raitgetheilt  zu  haben.    Be- 
trachten wir  aber  nun  den  Inhalt  der  Inschrift  etwas  näher. 
„Die  Rede  ist  von  L.  Valerius  Pudens  (dem  wir  dem  Obigen  zu 
Folge  nun  wohl  auch  das  Agnomen  Nardus  hinzusetzen   dür- 
fen) ,  Sohn  des  Lucius ,  welcher  schon  in  seinem  dreizehnten 


Weichert:  De  Doraitio  Marso  poeta  coraiuentatlo.  67 

Jahre  *)  zu  Rom  bei  den  Festspielen  des  Juppiter  Capi- 
tolinus  sicli  den  Preis  als  Dichter  erwarb."  üekannt  ist, 
dass  bei  diesen  ludis  Capilolinis ,  welche  vom  Domitian  ein- 
gerichtet und  nacli  den  Capitolinischen  Fasten  zuerst  im 
Jahr  839  ü.  C.  gefeiert  wurden  (siehe  Lindenbr.  ad  Censorin. 
18),  Wettkämpfe  von  Dichtern,  lllietoren  und  sonstigen  Schrift- 
stellern statt  fanden.  Vgl.  Scaligeri  Lect.  Auson.  10.  Ferner 
dass  diese  Spiele  alle  5  Jahre  gefeiert  wurden ,  und  dass  sie 
demnach  nach  Lustren  berechnet  wurden,  wie  auch  Censorinus 
18  andeutet.  In  der  Inschrift  heisst  es  nun  dass  Pudens  im  sie- 
benten Lustrum  als  Dichter  aufgetreten  sei,  d.  i.  im  Jahr  8ti(i. 
Diese  Zeitbestimmung  passt  vollkommen,  um  mit  Sicherheit 
annehmen  zu  dürfen,  dass  dieser  Pudens  der  vom  Martialis 
geraeinte  sei.  Nehmen  wir  nun  an,  und  warum  nicht'?  dass 
Pudens  sich  im  zwanzigsten  Lebensjahre  verheirathet  lialie,  so 
fällt  dieses  Ereigniss  in  die  ersten  Jahre  der  Regierung  Hadri- 
ans,  und  bis  dahin  dürfen  wir  getrost  die  Lebenszeit  der  Mar- 
tialis ausdehnen ,  von  welchem  wir  weder  das  Jahr  seiner  Ge- 
burt noch  das  seines  Todes  kennen.  Endlich  der  Umstand, 
dass  Aiewiiversa  plebs  mu?iicipum Histoniensimn*^)  dem  Pudens, 
eine  eherne  Statue  zu  errichten  beschlossen  habe,  lässt  mit 
Sicherheit  annehmen,  dass  Pudens  aus  diesem  Municipium  ge- 
bürtig war,  nämlich  aus  der  Stadt  Ilistonium  (zuweilen  fälsch- 
lich Istonium  geschrieben)  in  Samnium. 

So  viel  über  einen  Dichter,  dessen  Namen  schon  der  Merk- 
würdigkeit wegen,  dass  er  in  seinem  dreizehnten  Lebensjahre 
den  Ruhm  öli'entlich  gekrönt  zu  werden  errang,  verdient  in 
der  Geschichte  der  Römischen  Litteratur  genannt  zu  wer- 
den. Es  ist  augenscheinlich ,  dass  unsere  Combination  zwar 
auf  einigen  nur  wahrscheinlichen  Annahmen  beruht;  wir  mei- 
nen aber,  wo  alle  Umstände  sich  so  wie  von  selbst  aneinander 
reihen,  kann  nur  ein  Skeptiker  an  dem  Innern  Zusammenhang 
derselben  zweifeln.  Auf  jeden  Fall  wäre  es  uns  lieb,  Hrn. 
Weichert's  Urtheil  über  diesen  Gegenstand  zu  vernehmen  und 
wir  wollen  liiermit  die  freundliche  Aufforderung  dazu  zugleich 
mit  der  Bitte  ergehen  lassen,  seine  schon  früher  gethane  Ver- 
heissung,  welche  auch  nun  S.  23  wiederholt  wird,  uns  näm- 
lich mit  einer  Monographie  über  den  Dichter  L.  Varius  zu  be- 
schenken ,  recht  bald  in  Erfüllung  gehen  zu  lassen. 

*)  Nach  der  Vita  Virgilii  schrieb  \  irgilius  auch  schon  in  seinem 
fünfzehnten  Jahre  Gedichte. 

'*)  Diese  Formel  ist  gewiss  aus  der  Inschrift  selbst  entnommen : 
"plebs  ist  der  eigentliche  Name  des  Volks  in  den  Municipien.  So  ylchs 
urbana  Pisaurensium  bei  Grut.  S.  322,  8.  Auch  JtA^d'os  wird  auf  eine 
ähnliche  Art  gebraucht:  siehe  Syllog.  inscr.  fasc.  VIII  S.  386. 

Friedrich  Osann. 


68  Programme. 

Zur  Feier  des  Andenkens  zweier  Stipendienstifter  hat  Hr. 
Prof.  L  o  b  eck  auf  den  22  u.  23  Juni  d.  J.  mit  einem  Programme 
eingeladen:  De  Graecorum  placentis  sacris.  Dissert. 
I.  Ausser  der  Einleitung  enthält  dasselbe  ein  Anecdoton  des 
Goropius  Becanus  „e  codice  Troghemensi  tro7isscriptum.'^ 
Obschon  die  Tragheimer  Bibliothek  durch  Andr.  Dunk  er  be- 
kannt geworden,  der  Emendationen  Virgils  aus  einer  Hand- 
schrift iV/o/2ßc/«7  IZVog^Äe/^ews/s  herausgegeben  hat,  so  wird  es 
doch  manchem  Leser  lieb  sein  zu  erfahren,  dass  der  Tragheim 
ein  Bezirk  der  Haupt-  und  Residenzstadt  Königsberg  in  Preu- 
ssenist.  Das  Werk  Job.  Gor  p's  ist  iiberschrieben:  Thaiimato- 
scopion  symboliciim  sive  Mijthologine  Gr.  et  Rom.  ehicidatio  etc. 
Die  Handschrift,  sagt  der  Herausgeber,  sei  selir  liickenhaft,  und 
der  grösste  Theil  derselben  verloren  gegangen:  aus  dem  noch 
üebrigen  werden  höchst  interessante  Ansichten  des  sonderba- 
ren Mannes  mitgetheilt.  Er  nennt  seine  Behandlung  der  Mytho- 
logie die  spirituale  und  zieht  gegen  die  littercde  der  Philologen 
gewaltig  los,  besonders,  weil  sie  zu  historisch  verfahren  und 
aller  unmittelbaren  Anschauung  ermangeln.  Sein  Hauptge- 
danke ist:  ,,//2  Graecorum  fabvlis  et  religioiiibus  contineri  .... 
artem  coquinariam.'-'-  Da  die  Schrift  keines  gedrängten  Auszu- 
ges fähig  ist ,  mögen  hier  nur  einige  Proben  aus  ihr  Plaz  fin- 
den,  —  denen  ich  aus  späteren  Excerpten  und  Zusäzen  des 
Gorpschen  Buches  Einiges  einschalten  werde.  Auch  diese  be- 
finden sich  handschriftlich  in  der  Traglieimer  Bibliothek.  J7o- 
jrot,  sagt  Gorp,  die  älteste  Benennung  der  Götter,  bezeichne 
Köche,  von  tÜtcco.,  öal^ovsg  aber  eptdones,  von  dalg ;  Zsvg 
sei  von  ^eIv,  sieden.  (Hier  schalte  ich  ein:  Z>^'v  sei  t,rjv^  wel- 
ches das  Consequens  von  t,Biv  sei,  indem  erst  gesotten,  dann 
gegessen  werde.  An  dalg  schliesse  sich  das  Aeolische  zJsvgy 
und  odovg  mit  vorgeschlagenem  o.  Unser  Deutsches  Zah7i  stellt 
er  mit  dem  Dorischen  Zdv  zusammen.)  —  "/Igre^igi  von  agtog^ 
also  Bäckerin.,  welche  mit  der  Köchin  dieselbe  war.  KccßsiQOL, 
exempta  littera  Aeolica,  KaBLQOi^  focarii.  IJäv  proprie  Ilcicjv, 
gustator,  a  %cco^ai.  (Einschalt.:  \ on  Iläv  \»t  anch.  panis  pa- 
nicum.,  Bnchweizen^  und  der  Name  der  Stadt  Pana  bei  Strabo.) 
'Eg^^g.,  Tie^narog  elöog  ap.  Hesych,  (Einschalt.:  Ops  ist  einer 
der  reichhaltigsten  Artikel;  daher  hier  uur  das  Bedeutendste 
daraus,  Ops  ist  die  Göttin  des  gesammtcn  Tafelreichthums  und 
daher  mit  Recht  die  Gemalin  des  Gottes  der  Sättigung,  Satur- 
nus.  Ihre  Kinder  sind  Pesta.,  die  Göttin  des  Küchenfeuers, 
Ceres,  die  Göttin  des  vegetabilischen  Theiles  der  Mahlzeit, 
luno  alyocpdyog  ^  Jupiter  HlaTUvaGxiqg.,  Neptunus ,  \on  ViTCra, 
der  FJrfinder  des  bei  den  Alten  vor  der  Malzeit  gebräuchlichen 
liändeivaschens ^  wälirend  ihn  die  Griechen  vom  Darreichen 
des  Getränkes  ^  tioölv  ÖLÖövaL,  UoöEiötov  nannten;  endlich 
Pluto.    Diesen  lässt  Gorp  erst  bei  der  späteren  Vertheilung  der 


Lobeck :  De  Graccorum  placcntls  eacrii?.  69 

Weltherrschaft  Gott  der  Unterwelt  werden,  zuvor  war  er  ihm 
Gott  des  in  der  Erde  verborgenen  Ileichthumes,  Dis^  d.  i.  di- 
res,  jiXovTog^  also  der  zu  Küchengeräthen  erforderlichen  Me- 
talle, besonders  aber  des  Sahes^  oline  das  keine  Kochkunst 
denkbar.  Hier  folgen  27  Hexameter  zum  Lobe  des  Salzes,  die 
icli  übergehe.  Den  cns^en  Zusammenhang  Plulos  mit  Speise  und 
Trank  sucht  Gorp  auch  dadurch  zu  beweisen,  dass  er  nur  des- 
halb im  Besiz  der  Proserpina,  der  Toclitcr  der  Frucht-  und 
Kiicliengöttin  Ceres,  blieb,  weil  diese  an  seiner  Tafel  von 
einem  Granatapfel  gekostet  hatte.  Von  der  Ops  heissen  auch 
Jupiter  und  Diana  Opis,  leztere  vorzugsweise,  weil  sie  die  Ta- 
fel mit  einem  Hauptartikel,  dem  Wildpret,  versorgte.  Rhea 
nannte  man  die  Ops  von  ytco,  weil  durch  sie  den  Menschen  der 
Seegen  der  Tafel  reichlich  zufloss.  Und  in  so  fern  die  Freu- 
den der  Tafel  allen  übrigen  wegen  ihrer  Realität  vorgezogen 
werden  (Hom.  Od.  IX,  5  — 11.),  dürfe  man  sich  nicht  wundern, 
wenn  der  Römer  das  Fette  opimum^  d.  i.  opiimiim^  und  jedes 
Beste  optiimwi  st.  opitimum^  nannte,  und  sein  Verlangen  da- 
nach durch  o/;i«/-e,  AA.opüare^  ausdrückte.  Ojwe«  sein  Kriegs- 
macht und  Truppen ,  weil  sie  viel  verzehren  und  am  tapfersten 
fechten ,  wenn  sie  zuvor  eine  tüchtige  Mahlzeit  gehalten  Iiaben. 
Arbeit  heisse  Opus^  weil  die  erste  Arbeit  der  Menschen  auf 
Nahrung  gericlitet  sei,  und  weil  sie  vor  allem  nöthig  sei,  hei- 
sse auch  nöthig^  noth  opus.  Im  Griechischen  sei  von  Ops  ail^a, 
tipia,  re/gnügen^  nämlicli  eigentlich  Vergnügen  der  Tafel, 
6^01'  und  ojpaviov,  desgleichen  oVog,  Snß^  wovon  sapor^  und 
(Joqpog,  indem  die  älteste  Weisheit  im  Gebrauche  des  Feuers 
zum  Kochen  bestanden.  Wider  seine  Gewohnheit  bedenklich 
stellt  Gorp  den  Saz  auf,  dass,  da  Ops  die  Göttermutter  sei, 
stÖTioi  ursprünglich,  ohne  das  vorgesezte  tc,  otcol  geheissen 
habe.)  —  DerEinfluss  der  Kochkunst  auf  die  Frömmigkeit  wird 
mit  einer  Dichterstelle  bei  Athenaeus  (XIV,  6ß0,  E)  erwiesen. 
Die  Popen  heissen  ihm  so  von  popatia.  Schol.  Pers.  VI,  76. 
MdyoL  sei  (.idystgoL.  Dann  folgen  2li6vv6og  ravQoq)d'yog,  'AnoK- 
Awv  oj^oqpayog  etc.,  dann  Feste  IIvavBxpLa,  Xvzqol,  f^ay^öia 
cet. ;  dann  Städte,  Coptus  von  Copta  (ß.hyA.  de  menss.  p.  CO), 
PLacentia^  Pistorium.  (Einsclialt.  Conf.  Plaut.  Captivi,  I,  2, 
58  sqq.)  —  Auch  die  Mysterien  enthielten  nach  Gorp  zum  Ge- 
genstande nichts  anderes  als  eine  sublimere  Rochkunst  ^  wel- 
ches noch  die  aus  ihnen  entsprungene  Miisoneria^  oder  Frei- 
maurerei, beweise. 

Von  den  späteren  Excerpten  kann  ich  nicht  umhin  hier 
folgendes  aus  der  vor  mir  liegenden  Handschrift  in  gedrängter 
Kürze  mitzutheilen.  Es  betrift  die  Mythe  des  Prometheus.  Die- 
ser habe  die  Menschen  nicht  wirklich  aus  Wasser ,  Erde  und 
Feuer  geschaffen,  sondern  nur  in  sofern,  als  er  sie  die  Berei- 
tung der  Lebensmittel,  welche  Land  und  Wasser  darbieten, 


W  Programme. 

durch  Anwendung  des  Feuers  gelehrt  hahe,  wodurch  sie  denn 
erst  aus  Q'rJQsg  dfiocpRyoL  Menschen  und  ihnen  eine  vita  vitalis 
zu  Theii  geworden.  ^^Jtipiter  cum  factum  rescisset  ^^''  schreibt 
Hygin  Astron.  II,  15,  ^,ammo  permoto  mortaUbus  eripuU  igjiem, 
ne  carnis  usus  utüis  homimbus  inderelur ,  cjim  coqui  non  pos- 
set.'-'-  Und  wer  sieht  nicht  ein,  fährt  Gorp  fort,  dass  Jupiter 
den  Adler  auch  nur  sandte,  damit  er  dem  vom  Vulcan  und  Mer- 
cur  angeschmiedeten  Prometheus,  d.  h.  dem  in  der  Kiiche  am 
Feuer  (Vulcanus)  mit  Mercurialischer  List  und  Verstecktheit 
unablässig  Kochenden,  die  besten  Gerichte,  Hecht-  und  Gän- 
selebern, wegfrässe*?  Auch  Pandora  bezeichne  nichts  als  die 
zu  grosse  Uepj)igkeit  der  Tafel ,  wodurch  der  beleidigte  Jupi- 
ter, um  sich  an  Prometheus  und  den  Menschen  zu  rächen,  diese 
lezteren  in  Schwelgerei,  Laster,  Krankheit  und  Elend  versin- 
ken liess. 


Nachschrift.  So  eben  wird  mir  Hrn.  Prof.  Lob  eck  s  Pro- 
gramm gebracht,  worin  er  zur  Feier  des  Geburtstages  unseres 
allergnäd.  Königs  einladet,  und  worin  die  zweite  Dissertation 
„rie  placentis  sacris'-''  enthalten  ist.  ^^Q^uanta  fuerit  artis 
pistoriae  et  coquinariae  cum  vetere  Theologia  necessitudo  ^''  be- 
ginnt das  Schriftlein,  .^^superiore  Becani  disputatione  pate- 
factum  est;  idque  nunc  propius  argumentis  confirmabimus  a 
placentarum  sacrarum  usu  vario  repetüis.''''  Demnach  wird  der 
Leser  zu  Athenaeus ,  PoUux  und  Flesychius  reichbesezten  Ku- 
chentischen gefiihrt  und  bei  jeder  Kuchenart  von  ihrem  beson- 
dern usus  sacrißculus  unterrichtet,  wobei  sich  abermals  ergiebt, 
wie  so  mancher  uralte  Gebrauch  sich  bis  auf  unsere  Zeiten  fort- 
gepflanzt hat.  Denn  wer  hätte  geglaubt ,  dass  wir  unsere  mit 
brennenden  Kerzen  geschmückten  Geburtstags-Kuchender  heid- 
nischen Diana  verdanken*?  Unddoch  ist  dem  so:  dennihr  wurde 
am  Zehnten  des  Munychion  der  dficpicpav  xaofieva  ökölcc  ev 
xuxA«  £;i^a3v  dargebracht,  ein  Gebrauch,  der  nach  Goetz  de 
Pistrm.  f^ett.  p.  317  in  die  Griechische  Kirche  überging.  Ein 
anderes  Beispiel.  Wie  31ancher  wird  sich  am  nächsten  St. 
Martinstage  die  Martinshörner  oder  Hornaffen  wohlschmecken 
lassen,  ohne  zu  wissen,  dass  er  dies  Vergnügen  den  grauen 
Pelasgern  verdankt,  welche  den  sogenannten  ßovg^  d.  i.  eine 
gewisse  gehörnte  Kuchenart,  dem  Apoll,  der  Diana,  der  He- 
kate  und  der  Luna  darbrachten*? 

Ferner  wird  nachgewiesen,  dass  die  Formen  der  alten 
Opferkuchen  alle  symbolisch  waren;  und  so  fällt  denn  wohl  in 
die  Augen,  dass  auch  unsere  spirae^  circuli^  rottdae^  laterculi 
und  wie  sie  weiter  gedolmetscht  sind,  nicht  zufällig  diese  oder 
jene  Gestalt  haben.     Junge  Symboliker  mögen  daher  die  Ku- 


Werdermann :  ob  Gymnasien  höh.  Bürgerschulen  seyn  können,     ^l 

cheiiläden  vielmehr  aus  Antrieb  der  Symbolik  besuchen,  als 
um  einen  blossen  Appetit  auf  Backwerk  zu  befriedigen.  Ja  ich 
bin  nach  Lesung  dieser  Dissertation  zweifelhaft  geworden,  wie 
ich  es  anzusehn  iiabe,  dass  sich  täglich  beim  Schlüsse  der  Lehr- 
stunden einige  Kuchenweiber  vor  unserm  Gymnasium  einfinden, 
und  dass  dies  gestattet  wird.  Sonst  glaubte  ich,  man  habe 
vielleicht  kein  Recht  die  Weiblein  dort  fortzujagen ,  jezt  aber 
komme  ich  auf  die  Vermuthung ,  dass  man  auch  die  Horazi- 
schen  Crustula  in  den  Körben  unserer  modernen  Kanephoren  für 
ein  zweckmässiges  Förderungsmittel  der  Alterthumsstudien 
ansehe. 

Dies  Pröbchen  wird  hinreichen  unsere  philologisch -päda- 
gogischen Gourmands  auf  diese  Dissertationen  aufmerksam  zu 
machen.  Am  Schlüsse  der  zweiten  werden  die  neuen  Preisauf- 
gaben und  die  Namen  der  Studirenden  bekannt  gemacht,  wel- 
che sich  durch  Lösung  der  vorjährigen  Aufgaben  den  Preis  er- 
worben haben.    . 

Friedrich  August  Gotthold. 


Zu  geneigter  Anhörung  der  jugendlichen  Redeübungen  am  Namens- 
feste Sr.  Königl.  Majestät  Friedrich  Wilhelm's  des  III.  ladet  — 
ein  Johann  Carl  Gotihelf  JFerdermann ,  Rector.  Liegnitz ,  1826. 
16  S.     8. 

Der  Vf.  vorliegenden  Programmes  sucht  die  Frage  zu  be- 
antworten :  ob  und  in  wiefern  Gymnasien  höhere  Bürgerschu- 
len seyn  können ?  Hr.  Rector  Werdermann  trägt  über  sein 
Thema  das  Bekannte  vor.  Er  bemerkt,  dass  man  in  dem  Falle, 
wenn  man  die  Gymnasien  von  den  höheren  Bürgerschulen  tren- 
ne, mehrere  Lateinische  Stunden  anzuordnen  im  Staude  sey. 
Die  Stunden  stehen  vielleicht  im  Verhältnisse  der  Quadratzah- 
len, so  dass  die  Wirkung  von  6  gegen  3  Stunden  wie  36  gegen 
ö  oder  viermal  so  gross  sey.  Indessen  sey  in  den  unteren  Klas- 
sen die  Verbindung  weniger  schädlich,  übler  in  den  oberen 
Klassen.  Hier  auf  gleiche  Weise  für  die  Studierenden  und 
Nichtstudiereuden  zu  sorgen,  sey  eine  schwierige  Aufgabe. 
Diese  Aufgabe  zu  lösen,  habe  der  geschickte  Schulmann  man- 
che Mittel.  Bei  der  Masse  des  in  unseren  Zeiten  so  gehäuften 
Reichthumes  an  Kenntnissen  aller  Art  sey  wohl  zu  überlegen, 
ob  es  rathsam  werde,  die  höheren  Bürgerschulen  von  den 
Gymnasien  zu  trennen,  oder  ob  es  gut  sey,  bei  den  Gymnasien 
neben  den  beiden  obersten  Klassen  der  Studierenden  eine  Real- 
klasse zu  bilden,  in  welche  die  Nichtstudiereuden  eintreten. 

Insofern  der  Vf.  über  den  fraglichen  Gegenstand  nur  von 
der  pädagogischeu  Seite  spricht,  ist  die  Sache  damit  lauge 
nicht  erschöpft.     Die  pekuniäre  Seite  und  andere  Umstände 


72  Kürzere  Anzeigen. 

hätte  er  nicht  übersehen  sollen.  In  kleineren  Provinziaistädten 
wird  eine  solche  Absonderung  wegen  bedeutender  Kostenerhö- 
hung immer  grosse  Schwierigkeiten  verursachen.  Niclit  allein 
dass  in  Beziehung  auf  die  neue  höliere  Bürgerschule  neue  Leh- 
rer angestellt  werden  müssten ,  sondern  auch  dass  den  Lehrern 
an  manchen  Gymnasien  ein  beträclitlicher  Antheil  am  Schul- 
gelde durch  die  bedeutend  verminderte  Frequenz  entgehen 
würde,  der  ihnen  durch  anderweitige  Zuschüsse  zu  ersetzen 
Märe.  Doch  wenn  sich  diess  aucli  aus  Liebe  zur  Sache  überall 
beseitigen  liesse,  so  möchte  es  bei  manchen  Gymnasien  kaum 
der  Mühe  werth  seyn,  wegen  der  allzukleinen  Anzahl  solcher 
Zöglinge,  die  wirklich  studieren,  ein  reines  Gymnasium  zu  er- 
richten. Rec.  sind  mehrere  Gymnasien  bekannt,  die  nicht  ein- 
mal 100  Schüler  zählen,  und  von  denen  in  der  Regel  die  we- 
nigsten sich  dem  gelehrten  Stande  widmen. 

J.  A.   G.  Steuber. 


Kürzere  Anzeigen. 

Formenlehre   der    Griechischen   Spr ache,    besonders 

des  Attischen  und  allgemeinen  Dialects.      Von  Dr.  Gustau  Pinzger. 

Breslau,    Verlag  von  J.  F.  Korn's  des  alt.  Buchhandlung.      1828, 

XIV  «nd  281  S.   gr.  8. 

Auch  unter  dem  Titel: 
Elementarwerk  der  Griechischen  Sprache.    Erster 

Cursus  u.  s.  w. 

"urch  Amtsverhältnisse  und  an  ihn  ergangene  Aufforderung 
bewogen,  wie  Hr.  P.  in  der  Vorrede  bemerkt,  entschloss  sich 
derselbe  zu  der  Ausarbeitung  dieses  mehr  Mühe  kostenden  als 
Ruhm  bringenden  Elementarwerkes.  Im  Elisabethauischen 
Gymnasium  zu  Breslau,  an  welchem  der  Vf.  Lehrer  ist,  wird 
nämlich  das  Griechische,  obwohl  in  vier  Klassen  gelehrt,  doch 
erst  in  Tertia  angefangen,  das  mithin  einen  anderen  ersten 
Kursus  als  die  vierte  Klasse  erfordert.  Ueber  die  Zweckmä- 
ssigkeit desselben  werden  Männer,  die  unter  gleichen  Umstän- 
den das  Griechische  lehren,  die  vollgültigsten  Richter  sein. 
Ausserdem  sezt  eine  entscheidende  Beurtheilung  auch  genaue 
Kenntniss  der  noch  nicht  erschienenen  Kurse  voraus.  Nichts 
desto  weniger  lässt  sich  auch  so  über  den  bereits  erschienenen 
nicht  bloss  ein  Bericht,  sondern  sogar  ein  ziemlich  vollständi- 
ges Urtheil  abgeben. 

Von  vorn  herein  muss  einem  Missverständnisse  begegnet 
werden ,  das  der  Titel  leicht  veranlassen  könnte  durch  die 
Worte:    ^^besonders  des  Attischen  und  gemeinen  Dialects'"'", 


Pinzger :    Formenlehre  der  Griechischen  Sprache.  73 

denn  der  erste  Kursus  behandelt  in  der  That  nur  den  Attischen 
und  gemeinen  Dialekt  ^^mit  strenger  Aussonderu7ig  aller  übri- 
gen^'' wie  es  in  der  Vorrede  heisst. 

Der  Vf.  nennt  diese  Formenlehre  vollständig ,  und  das  ist 
sie,  wenn  keine  absolute,  sondern  nur  eine  das  Wesentliche 
umfassende  Vollständigkeit  gemeint  ist,  also  eine  relative,  bei 
der  unentschieden  bleibt,  ob  die,  wie  Anderes,  hier  iibergan- 
gene  Lehre  von  der  dvaßißaöLS  rovov  in  der  Anastrophe  we- 
sentlich oder  unwesentlich  sei.  AuchAärze^  Bestinmitheit  u. 
Deutlichkeit  mit  Ausschliessung  „alles  Rüsonneinents  über 
Sprucherscheinungen'-'-  muss  an  diesem  Buche  im  Allgemeinen 
gelobt  werden.  Nach  jedem  Abschnitte  folgen  Griechische 
Säze  zur  Uebertragung  ins  Deutsche  ,  und  dann  Deutsche  Säze 
zur  Uebertragung  ins  Griechische,  beide  in  Einer  fortlaufen- 
den Zählung,  die  mit  Nr.  834  schliesst.  Die  Griechischen  bil- 
den die  grössere,  die  Deutschen  die  kleinere  Hälfte.  Deide 
gleichen  den  Säzen  im  ersten  Kursus  des  Jacobsischjeu  Elemen- 
tarbuches der  Griechischen  Sprache,  aus  Mclchem,  wie  aus 
ähnlichen  Büchern ,  der  Verf.  auch  Manches  entlehnt  zu  haben 
aufrichtig  bekennt.  Ich  glaube  jedoch  bemerkt  zu  haben,  dass 
sich  des  Entlehnten  mehr  im  Deutschen  als  im  Griechischen, 
unter  anderen  Rubriken  und  zum  Theil  etwas  abgeändert  be- 
finde, eine  Vorsicht,  welche  unsere  so  gern  mit  fremdem  Kal- 
be pflügende  Jugend  durchaus  uöthig  macht.  Das  Wortregi- 
ster am  Ende  des  Buches  ist  nicht  alphabetisch ,  sondern  nach 
der  Folge  der  Säze  eingerichtet.  Dass  zahlreiche  Substantiva, 
Adjectiva  und  Verba  zur  Uebung  im  Dekliniren  und  Konjugi- 
ren  den  Paradigmen  folgen,  versteht  sich  fast  von  selbst. 

So  urafasst  dieses  Buch  Formenlehre ,  Lesebuch  und  An- 
leitung zum  Uebersezen  ins  Griechische,  und  zwar  nicht  ge- 
trennt, sondern  in  einer  organischen  Verbindung.  Diese  Ein- 
riclitung  finde  ich  überaus  zweckmässig  und  kann  mich  nicht 
genug  wundern,  wie  sie  nicht  längst  auch  von  Andern  ange- 
wandt ist.  Ich  selber  liabe  sie  vor  einigen  Jahren  dem  Heraus- 
geber eines  Lateinischen  Lesebuches ,  der  mich  um  mein  Gut- 
achten befragte,  auf  das  dringendste  angerathen. 

Gegen  die  innere  Anordnung  dürfte  sich  im  Ganzen  nichts 
Wesentliches  einwenden  lassen ;  allein  die  äussere  Bezeichnung 
der  verschiedenen  Ober  -  und  Unterabtheilungen  sollte  aller- 
dings bequemer  sein.  Es  ist  nämlich  der  vorliegende  Kursus  in 
43  §§  getheilt,  welche  250  Seiten  umfassen,  so  dass  einige 
dieser  Paragraphen  zwei  Bogen  und  darüber  einnehmen.  Zur 
Veranschaulichung  der  Anordnung  der  Paragraphen  stelle  ich 
hier  einen  einzelnen  auf:  §  29.  1.  2.  3.  Ausnaraen.  a.  An- 
merkung 1.  2.  b.  c.  Anmerkung  3.  d.  4.  a.  Ausname  I.  An- 
merkung 4.  Ausname  II.  Anmerk.  5.  b.  c.  d.  u.  s.  w.  Fer- 
ner befinden  sicli  neben  den  fortlaufenden  Anmerkungen  noch 


74  Kürzere  Anzeigen. 

andere  unter  dem  Text,  welche  bald  den  Schüler  belehren, 
bald  den  Lehrer  selbst  angehn,  wie  die  Verweisungen  auf 
Buttmann,  3Iatthiä,  Mehlhorn,  Poppo,  Phrynichus,  Eusta- 
thius  u.  s.  w.  Ausser  den  Paragraphen  endlich  läuft  auch  noch 
eine  andere  Eintheilung  nach  denRedetheilen  unter  Römischen 
Zahlen  durch  das  Buch  mit  ünterabtheilungen  A.  B.  und  einer 
Bezeichnung  der  Paradigmen  abermals  durch  Römische  Zah- 
len I.  II.  III.  Wäre  es  nun  gleich  unbillig,  bei  einer  ziemlich 
Terwickelten  Sache  eine  durchaus  einfache  Eintheilung  zu  for- 
dern, so  bietet  sich  doch  hier,  wie  in  allen  ähnlichen  Fällen 
Eine  Erleichterung  dar,  die  von  aller  Logik  unabhängige  Be- 
zeichnung der  einzelnen  Absäze  durch  fortlaufende  Randpara- 
graphen, wie  ich  mich  ihrer  in  meinem  Hephästion  bedient 
habe.  Da  wird  nicht  citirt :  §9,3,  Anmerkung  3  oder  noch 
weitläufiger ,  sondern  bloss  §  J).  Diese  Kürze  beugt  den  zahl- 
reichen Irrungen  der  Meitläuligen.Citate  vor,  zumal  bei  dem 
Schüler,  Weim  er,  seine  Exercitia' schriftlich  verbessernd,  das 
Einzelne,  Avie  sich  gebürt,  mit  den  dahin  gehörigen  Regeln 
seiner  Grammatik  belegen  soll. 

So  viel  muss  man  von  dem  ersten  Kursus  wissen,  wenn 
man  sich  eine  vorläufige  Vorstellung  von  dem  ganzen  Werke 
des  Vfs.  machen  will.  Diese  geben  wir  nunmehr  dem  Leser  in 
Hrn.  P.'s  eigenen  Worten.  i^Der  ziceite  Cursus^'''-  heisst  es  S. 
VIII,  ^^wird  die  Formenlehre  des  epischen  und  Ionischen  Di- 
alects^  der  dritte  die  Syntax  ebenfalls  mit  griechischen  und 
deutschen  Uebersezmigsstücken  enthalteji.  Beide  sind  für  die 
dritte  griechische  Classe  bestimmt^  und  sollen  .  .  .  ?ioch  in  die- 
sein  Jahre  erscheinen.  Die  drei  Cursus  zusammen  werden  eine 
j)r actische  Schulgrammatik  bilden  .^  welche  auch  für  die  zweite 
Classe  noch  ausreiche?id  sein  tvird  imd  erst  in  Prima  mit  den 
ausfilhrlichen  Sprachlehren  von  Buttmann  ujid  Matthiä  ver- 
tauscht werden  mag. " 

Hier  zeigen  sich  bedeutende  Schwierigkeiten.  Sezt  man 
den  Schulbesuch  der  drei  oberen  Gyranasialclassen,  also  der 
vier  Griechischen  Klassen  des  Hrn.  P.  auf  sechs  Jahre  —  und 
das  wird  wahrscheinlich  das  höchste  sein  —  und  rechnet  bei 
gleicher  TJieilung  andeithalb  Jahre  auf  jede  der  vier  Klassen, 
so  muss  der  erste  vorliegende  Kursus  in  anderthalb  Jahren  be- 
endet werden,  und  der  Vf.  fordert,  dass  ^^dann  die  Schüler 
Alles,  was  darin  steht,  gehörig  tvisseii.''''  Nach  einem  Pro- 
gramme des  Elisabethanischen  Gymnasiums  vom  J.  1827  sind 
dort  dem  Unterrichte  der  vierten  Griechischen  Klasse  nur  vier 
Stunden  wöchentlich  gewidmet.  Aber  selbst  bei  sechs  Stun- 
den würde  sich  das  gesteckte  Ziel  nicht  erreichen  lassen.  Die 
erste  Uebung  im  Lesen  und  Schreiben  raubt  bedeutende  Zeit, 
dann  das  Uebersezen  und  die  mündliche  Verbesserung,  vor  Al- 
lem das  Abfragen  der  aufgegebeneu  hier  so  umfassenden  Pensa. 


Pinzger:  Formenlehre  der  Griechischen  Sprache.  75 

Bei  sechs  Stunden  in  der  Woche,  und  hei  hegahten  und  in  den 
unteren  Klassen  auf  das  sorgfältigste  vorbereiteten  ScliVilern  ei- 
ner nicht  zahlreichen  Tertia  —  etwa  von  20  bis  30  Knaben  — 
mag  es  möglich  sein,  dass  ein  saclikundiger  Lehrer  von  beson- 
derer Lelirgcschicklichkeit  und  gleich  grossem  Eifer,  ein  Leh- 
rer, der  keine  Minute  frei-  oder  unfreiwillig  versäumt,  und 
den  die  Vibrigen  Lehrer  und  Lehrgegenstände  nicht  verhindern 
so  viele  und  so  grosse  Pensa  aufzugeben  als  er  will,  —  nur  un- 
ter solchen  Voraussezungen  mag  es  mögiicli  sein,  dass  der 
Lehrer  wirklich  erreicht,  was  der  Vf.  fordert  und  erwartet. 
Allein  wo  findet  sich  das  alles  vereint'?  In  der  Hegel  wird  kei- 
ner der  obigen  Voraussezungen  vollkommen  geniigt ,  und  einer 
und  der  anderen  wohl  gar  in  liöchst  geringem  Grade.  In  bei- 
den Fällen  —  das  ist  meine  feste  Ueberzeugung  —  bleiben  Hrn. 
P.'s  Forderungen  unerreicht;  denn  den  Ausdruck  ^^Alles  gehö- 
rig wissefi'"'  irgend  wie  zu  beschränken,  verbieten  die  Natur 
der  Sache  und  die  dem  Vf.  gebiihrende  Achtung. 

Auch  die  Beendung  des  zweiten  und  dritten  Kursus  diirfte 
Schwierigkeiten  finden,  wiewohl  in  geringerem  Grade.  Beide 
zusammen  muss  die  dritte  Klasse  in  anderthalb  Jahren  abtliun, 
also  den  zweiten  etwa  in  sechs  Monathen,  den  dritten  in  einem 
Jahr;  denn  die  Ionische  und  epische  Formenlehre  kann  der 
Schüler  allerdings  in  sechs  Monathen  erlernen,  vorausgesezt, 
dass  er  mit  der  Attischen  bereits  so  vertraut  ist ,  als  es  Hr.  F. 
verlangt.  Uebrigens  wird  man  Uebersezungen  aus  dem  Deut- 
schen in  den  Ionischen  (und  vielleicht  auch  in  den  epischen) 
Dialekt  schwerlich  billigen.  So  wenig  Ernesti  recht  that  die 
Griechischen  Exercitia  ganz  zu  verwerfen ,  so  wenig  darf  uns 
dieser  Missgriff  auf  der  andern  Seite  zu  übertriebenen  Forde- 
rungen verleiten.  Auch  das  kann  ich  nicht  gut  finden,  dass 
die  Erlernung  der  Syntax  bis  ins  dritte  Jahr  verschoben  wird. 
Bei  Tertianern  und  Sekundanern,  denen  ja  die  Lateinische  Syn- 
tax bereits  bekannt  ist,  findet  das  Bedürfniss  strenger  Sonde- 
rung nicht  statt,  wie  bei  Sextanern  und  Quintanern.  Wenn 
endlich  in  Prima  die  ausführlichen  Grammatiken  von  Buttmann 
und  Matthiä  eintreten  sollen  oder  mögen  —  die  Buttmannische 
ohne  Syntax  bedarf  allerdings  der  Vervollständigung  durch  die 
Matthiäsche  —  so  sezt  das  bemittelte  und  sehr  studirlustige 
Jünglinge  voraus ;  denn  beide  Werke  zusammen  dürften  leicht 
sieben  Thaler  und  darüber  kosten  und  umfassen  ohne  die  Regi- 
ster 2330  Seiten. 

So  viel  über  den  Plan  des  ganzen  Werkes.  Was  den  er- 
sten Kursus  insbesondere  anlaugt,  so  halte  ich  ihn  für  ein  Lehr- 
buch, das  sich  nicht  nur  neben  die  besseren  der  mir  bekannten 
stellen  darf,  sondern  sie  auch  in  Manchem  übertriff't,  nament- 
lich in  sofern  es  Grammatik  ,  Lesebuch  und  Exercitienbuch  or- 
ganisch verbindet.     Seine  Ausführlichkeit  wird  der  Einführung 


70  Kürzere    Anzeigen. 

auch  da  nicht  geradezu  entgegenstehn,  wo  schon  die  Quartaner 
und  vielleicht  nur  in  vier  bis  fiinf  Stunden  wöchentlich  im  Grie- 
chischen unterriclitet  werden,  indem  man  nur  weglassen  darf, 
was  zuviel  ist,  z.B.  das  Meiste  iiber  den  Accent  und  eine  Men- 
ge der  selten  vorkommenden  Verba  irregulmia.  Nur  Einen  Ue- 
belstand  darf  ich  hiebei  nicht  ^  erschweigen.  Sowohl  der  Grie- 
chischen als  der  Deutschen  Säze  sind  nur  so  viel  als  erfordert 
werden,  so  dass  man  immer  zu  denselben  zuriickkehren  muss, 
so  oft  man  diesen  Kursus  von  vorn  anfängt.  Nun  ist  aber  bekannt, 
welcher  Unfug  mit  Uebersezungen  und  Arbeiten  der  erwach- 
senern Schiller  getrieben  wird,  wann  die  jiingercn  in  jener  Stel- 
len einrücken.  Dazu  kommt,  dass  die  nicht  versezten  Schüler 
die  schon  gelesenen  Stücke  abermals  lesen  müssen.  Soll  das 
vermieden  werden,  so  bedarf  es  einer  Beilage,  welche  Lesestoff 
für  eine  zweite  und  dritte  Lesung  darbietet. 

Von  dem,  was  ich  beim  Durchlaufen  des  ersten  Kursus  im 
Einzelnen  angemerkt  habe,  möge  Folgendes  hier  Plaz  finden. 

S.  5  erklärt  der  \f.  den  Buchstaben  ^  durch  r/s,  welche 
Aussprache  nicht  ausgemacht,  ja  nicht  einmal  wahrscheinlich 
ist.  Ausserdem  wird  das  ^  jezt  nicht  so  ausgesprochen.  Will 
der  Vf.  Neues  einführen,  so  wird  er  des  lläsonnements  nicht 
entbehren  können.  Besser  wäre  daher  ^=  Z  gewesen.  —  S.6. 
Die  Erläuterung  £v=  eu,  ^i;  =  äu  enthält  einen  unbegründe- 
ten Unterschied;  denn  dass  7;  wie  ä,  oder  nur  wie  ä  ge- 
klungen habe,  ist  nicht  erweislich ;  überdies  ist  unser  ä  sowohl 
kurz  als  lang,  z.B.  in  Schwäche  und  schämen.  Soll  ein  Untei-- 
schied  bezeichnet  werden,  so  würd'  ich  ihn  lieber  so  bezeich- 
nen: £i>  =  ee/,  (d.h.  aber  nach  wirklicher  Ausspraclie  der  Deut- 
schen«//); rjv=eti  (cTii).  Der  Grieche  dürfte  wohl  jenes  ew, 
dieses  eü  gesprochen  haben.  — Ebenda  lieisst  es,  in  «,  7;undcj 
diene  das  Jota  subscriptnm  dazu  dieAbleit.  kenntlich  zumachen. 
Richtiger  hiesse  es,  dass  die  späteren  Griechen  es  nicht  mehr 
aussprachen,  aber  als  etwas  Ilerköramliches  beibehielten.  — 
S.  7  ist  die  Entstehung  der  Doppelkonsonanten  zu  eng  angege- 
ben: I  z.  B.  entsteht  nicht  bloss  aus  xg,  sondern  auch  aus  yg 
und  1?.  —  S.  8  wird  die  bei  den  Attikern  übliche  Quantität 
der  Position  rniita  cum  liquida  gelehrt;  allein  der  Schüler  liest 
vor  den  Attischen  Dichtern  den  Homer,  auf  den  sie  keine  An- 
wendung leidet,  Avie,  genau  genommen,  nicht  einmal  auf  die 
Tragiker;  den  Aristophanes  aber  pflegt  man  auf  Schulen  nicht 
zu  lesen.  —  Was  S.  8  u.  i)  über  das  Orthotoniren  der  Oxytona 
gesagt  wird,  kann  insofern  nicht  getadelt  werden,  als  es  das 
bisherige  Verfahren  angiebt.  Indessen  scheint  mir,  die  Sache 
müsse  so  dargestellt  werden:  wo  das  Komma  als  wirkliche 
Pause  das  Vorhergehende  vom  Nachfolgenden  trennt,  da  findet 
die  Orthotonirung  der  Oxytona  statt,  wo  aber  das  Komma  nur 
logisch,  nur  eine  Art  von  Diastole  ist  und  keine  Pause  bezeich- 


Pinzgcr :  Formenlehre  der  Griechischen  Sprache.  77 

net,    da  trit  der  Gravis  ein.     Die  Inkonsequenz  der  Editoren 
rührt  daher,  dass  sie  die  zweifache  IJedeiitunj:^  des  Komma  un- 
beachtet lassen,  —  Was  ebenda  über  die  Properispomena  ge- 
sagt wird,  ist  unvollständig,  weil  Wörter,  wie  xaiavQOil^  und 
Xotvi^  {i)-,    dabei  nicht   beachtet  sind.  —  S.  10  vermisse  ich 
unter  den  aufgestellten  Wörtern,    die  der  Schüler  accentuiren 
soll,  mehrsylbige,    bei  welchen  er   selber  über  die  Betonung 
der  vor-  oder  drittlezten  Sylbe  entscheiden  muss ;    doch  wird 
diesem  Mangel  in  den  folgenden  Uebungsbeispielcn  eini^erma- 
ssen  abgeholfen.  —  S.  12:   Bei  der  Kegel  über  die  Inklination 
von  Tcäc,^  no&iv  u.  s.  w.  w  äre  der  Zusaz :  Indefmila  nicht  über- 
flüssig gewesen.     Dass   sie  der  Accent  von  näg  und  jroO'CV  un- 
terscheidet, genügt  nicht;  und  selbst  dieser  Unterschied  konn- 
te ausdrückiich  bemerkt  werden.    —    S.  21  wird,    wider  das 
Herkommen  und  alle  Wahrscheinlichkeit,   vvv  angesehn  als  aus 
vv  durch  Anhängung  eines  v  entstanden.     Die  Folge  der  Ver- 
änderungen ist  vielmehr  diese:    vvv ^   vvv,    vv  ^   wie  bei  uns 
w^7;^,    7iün^   nü^   nur   dass  Avir  auch  nü  haben,   während   der 
Grieche  kein  w  kennt ,   Avie  er  doch  avoIiI  müsste,    Avenn  des 
Verfassers  Voraussezung  gegründet   wäre.     Auch  das  Lateini- 
sche nunc  spricht  gegen  ihn.  —     Die  Ausname   S.  22:    „^//e 
Dimimitiva  sind  ohne  B erücksichtigiüig  ihres  natürlichen  Ge- 
schlechts Neutra'-''^  ist  falsch:  nur  die  auf  tov  sind  Neutra,  nicht 
die  auf  löxog,    iöxt],  vkXog-,  vlXig^  ixvri.  —    S.  25  sagt  eine 
Anmerkung:    ^^Anstatt  des  Vocativs  des  Artikels  dient  in  allen 
ISumeris  die  Interjection  co."     Obschon  Ilr.  P.  q  nicht  zum  Ar- 
tikel macht ,  Avie  früher  hin  oft  geschah ,  so  ist  doch  auch  jenes 
falsch;    a3  und  der  Artikel  haben  eine  durchaus  veischiedene 
Bestimmung.  —  S.  32  heisst  es:    „^e?  den  Attischen  Dichtern 
findet  sich  auch  dvoLa  mit  langer  Endsylbe.'-''      Wird  aber  das 
bemerkt,    so  muss  es   auch  bei  ua  von  bvco   erinnert  werden. 
Uebrigens     ist     das     keine    Dichterfreiheit ,      sondern    älte- 
rer Atticismus.    —     S.  83  mussten    die    unkontrahirten   For- 
men von  T^iü  und  aldcog  als  ungebräuchlich  bezeichnet  werden. 
—  Was  S.  96  und  J)7  über  den  Unterschied  zwischen  jiaxQO- 
nxövog    (aktiv)    und    natgoKtovog    (passiv)    und     ähnlicher 
Zusaramensezungen    gesagt   wird,    leidet    so    viele  Ausnamen, 
dass  die  Regel,    wie  sie  aufgestellt  ist,   keine  Gültigkeit  hat. 
Ich  erinnere  nur  an  alyloxog,   yai^oxog  u.  s.  w. ,    an  olvoxoog, 
fpvlX6%oog  u.  s.  Av.    Bei  den  Compositis  von  (piQo  wird  zwar  die 
aktive  Bedeutung  durch  q)6Qogi    aber  die  passive  durch  rpögri- 
rog  ausgedrückt.     Vielleicht  thut  man  am  besten,  sich  auf  die 
Notiz  zu  beschränken ,  dass,   avo  beide  Betonungen  neben  ein- 
ander bestehn,    die  eine  aktive,    die  andere  passive  Bedeutung 
habe.     Ueberhaupt  sollte  man  dem  ersten  Anfänger  Avohl  nur 
Avenige  Hauptregeln  über   den  Accent  einschärfen,   mit  einer 
ausführlichen  Lehre  aber  selbst  die  Primaner  verschonen.     Die 


18  Kürzere  Anzeigen. 

Lesung  der  Autoren  und  das  Lexikon  müssen  liier  das  beste 
thun ;  der  künftige  Philologe  mag  das  Felilende  auf  der  Uni- 
versität und  aus  Büchern  ergänzen.  —  Wenn  S.  101  gelelirt 
wird,  dass  naxriQ  in  aTtäroQ  übergehe,  so  konnte  dasselbe  auch 
von  ^rixriQ  und  avriQ  gesagt  werden.  —  S.  107  hätte  bei  der 
Kontraktion  der  Participia  in  i.cov  der  Ausname  TCvsav^  q8(ov 
u.  s.  w.  gedacht  werden  sollen,  obschon  sie  in  einem  späteren 
Abschnitte  S.  174  nicht  fehlt.  —  S.  109  bemerkt  der  Vf.  zu 
toknt]B6rarog :  ,,Dock  möchte  dies  wohl  das  einzige  Beispiel 
eines  Vergleichungsgrades  von  einem  solchen  Adjectivum  sein.'-'' 
Ihm  fiel  also  das  Homerische  ri^iTjeöteQog  und  tL^Tjeötarog  nicht 
bei.  —  S.  117  fehlt  bei  ^vqlol  das  Femininum  und  Neutrum. 
Auch  fivQioi  (paroxytonon)  konnte  hier  bequem  unterschieden 
werden.  —  S.  125  werden  oöog,  olog  und  rjUxog  im  Para- 
digma bloss  durch  n'ie  übersezt  statt  wie  gross  u.  s.  w.  Dass 
der  Deutsche  wie  statt  ivie  gross  u.  s.  w.  zu  sagen  pflegt,  geht 
die  Grammatik  nichts  an.  —  S.  136,  wo  von  dem  Augment  des 
Verbi  X^yca  in  der  Bedeutung  sanuneln  die  Rede  ist,  war  auch 
des  andern  Augments  ausdrücklich  zu  gedenken  —  S.  142 
Anm.  1  fehlt  die  Bedeutung  auch  bei  den  Verbis,  welche  nach- 
her im  Verzeichniss  nicht  aufgeführt  sind.  Gewöhnlich,  aber 
nicht  immer,  fügt  der  Vf.  zu  den  als  Beispiel  gebrauchten  Grie- 
chischen Wörtern  auch  die  Uebersezung.  —  Als  Paradigma  S. 
156  ist  Tvmco  gegeben.  Thiersch  liat  A£t;rö,  welches  mir 
zweckmässiger  scheint.  —  Von  S.  176  folgt  ein  Verzeichniss 
von  Verbis  in  co ,  das  451  Nummern  enthält.  Wo  es  nöthig 
war,  ist  das  Futurum  und  was  der  Lernende  sonst  wissen  muss, 
beigefügt.  —  Nach  den  Verbis  in  y.L  folgt  S.  222  das  Verzeich- 
niss der  unregelniässigen  und  mangelhaften  Verba ,  und  zwar 
nicht,  wie  bei  Buttmann,  alphabetisch,  sondern,  wie  bei  ei- 
nigen Vorgängern ,  in  Klassen  getheilt.  In  jeder  Klasse  aber 
hätten  die  Verba  auch  jezt  nach  dem  Alphabet  stehn  können. 
—  S.  248  werden  ynyalaöri  und  navötj^Si  zu  den  „ursprüng- 
lichen (^flicht  abgeleiteten)  Adverbien'-'-  gezählt.  Hier  irrt  der 
Vf.  augenscheinlich ,  oder  ich  verstehe  ihn  nicht.  —  Die  Prä- 
positionen, Conjunktionen  und  Interjektionen  nehmen  nur  den 
Raum  einer  einzigen  Seite  ein. 

Einen  Anhang  bildet  Lucians  Dialog  Charon.,  ohne  Erläu- 
terungen und  Wortregister.  Nach  der  üeberschrift  fehlt  die 
Angabe  der  Personen  'EQfirjg.  Xccqov. 

Noch  muss  ich,  bevor  ich  schliesse,  eine  Stelle  aus  des 
Vfs.  Vorrede  hersezen:  „Uebrigens  bot  sich  zur  Berichtigung 
und  bessern  Begründung  granmiatischer  Einzelheiten  hier  und 
da  Gelegenheit  dar ,  was  ich  zwar  von  gelehrten  Sprachkennern 
nicht  übersehn  wi'msche  ^  bei  dem  Zwecke  dieses  Buches  je- 
doch nur  als  Nebensache  betrachten  mussJ-'-  Ich  bekenne  dem- 
nach allerdings  auf  einiges  mir  Neue  gestossea  zu  sein;  da  aber 


Müller :  Lehre  der  Deutschen  Sprache,  79 

«cÄ  wenigstens  mir  mit  grosser  Mühe  bestimmen  könnte,  was 
dem  Vf.  angehört,  oder  was  er  aus  Schriften  entleliiit  liat ,  die 
ich  bis  jezt  nocli  nicht  gelesen,  so  begniige  ich  micli  mit  die- 
ser kurzen  Anzeige. 

Consequenz  in  der  Orthograplüe  gränzt  an  das  Unmögli- 
che; nacli  dem  Möglichen  aber  muss  wenigstens  in  Scliulbü- 
chern  gestrebt  werden.  Der  Vf.  wolle  daher  folgende  Uemer- 
kung  nicht  übel  deuten.  S.  145  wird  geschrieben:  „33ciba 
lUluida^'-  dann  „23erbi^,"  dann  ^^Verbis  Uqiddis^'-  dann  wieder 
„25erba  liqidda^'-''  dann  „iion  foUten  23crbcn/'  Ebenso  findet 
sich  „^erf.  Hqx.  ^aff./'  und  ,,Perf.  Aor.  Pass,''  ,,Adj.  Verb.'' 
und  „ibjecttüa  SSerballa,"  ..^Futuriun  ylUicum'-'-  und  „^'.  att.^"- 
„2(ttifd)"  und  „attifd)/'  ,,T  Laut,  P  Laut.,  K  Lauf-'  statt 
T-  Laut  u.  s.  w. 

Druckfehler  sind  nicht  angezeigt,  und  viele  sind  mir  auch 
nicht  aufgestossen ,  meistens  in  den  Accenten  der  Griechischen 
Wörter.  Ohne  Accent  stehn  S.  11  Z.  1  öwfiaTog,  Z.  18  av^gca- 
ncov.  —  S.  26  Z.  IT  yvcopLri.  —  S.  93  Z.  9  Hv.  —  S.  155  lezte 
Z.  önaQtog.  —  S.  106  vorlezte  Z.  6a6g  st.  eäog.  —  S.  119  Z. 
21  rj  fiövag  st.  ij  ^ovdg.  —  S.  142  Z.  22  v  st.  y.  —  S.  12  Z.  8 
V.  unten  verlieht  st.  verliert.  —  S.  40  Z.  13  Fällst.  Fell.  — 
S.  93  Z.  11  V.  unt.  Schilden  st.  Schilde.  —  S.  98  Z.  18  Vorrgen 
st.  Vorigeii. 

Der  Druck  ist  gut,  und  —  nach  meinem  Exemplare  zu 
schliessen  —  auch  das  Papier. 

Friedrich  August  Gotthold. 


Lehre  der  teutschen  Sprache  gründlich  und  neu  gefasst 
saramt  ausübender  Ton  -  und  Sylbenraaasslehrc  von  Dr.  Jos.  Mül- 
ler, Director  am  königl.  kathol.  Gymnasinra  zu  Conitz  in  West- 
preussen.  Selbstverlag,  im  Verschleiss  bei  A.  Hirschwald.  Ber- 
lin, 1826.   8.   445  S.  nebst  LVI  Vorrede.      1  Thlr.  8  Gr. 

Was  zunächst  die  auf  dem  Aushängeschild  angepriessene 
Gründlichkeit  betrifft,  so  bedauern  wir  den  Verfasser  dieses 
Buches  unter  diejenigen  rechnen  zu  müssen,  welche  durch  eig- 
nes Lob  auf  ihre  Fehler  eben  erst  desto  aufmerksamer  machen. 
Streben  nach  Gründlichkeit  ist  die  schönste  Eigenschaft  jedes 
Gelehrten:  dass  aber  Jemand  gerade  heraussagt,  etwas  von 
ihm  bereits  Ausgearbeitetes ,  das  eben  dem  Publicum  zur  Prü- 
fung vorgelegt  werden  soll,  sei  auch  gründlich,  grenzt  jeden- 
falls an  Anraassung.  Will  aber  Jemand  seine  Forschungen  in 
der  Deutschen  Sprache  gründlich  anstellen ,  so  muss  er  vor  al- 
len Dingen  so  weit  zurückgehen,  als  ihn  schriftliche  Denkmale 
auf  seiner  Fahrt  begleiten,  d.  h.  er  muss  das  Studium  der  Spra- 
che historisch  betreiben  u.  sich  nie  auf  Vermutliungen  a  priori 


80  Kürzere    Anzeigen. 

einlassen,    die    ohne   ein   historisches   Substrat    in  jeglicher 
Sprachforscliung  vom  Uebel  sind ,  und  nur  leerer  Griilenfänge- 
rei  desto  freiem  Spielraum  gewähren.     Herr  Müller  bekennt 
aber  selbst  Vorrede  S.  V,    dass  umständliche  eigne  Forschung 
im  Gebiete  des  Altdeutschen  (er  versteht  wohl  darunter  haupt- 
sächlich das  Gothische,   Alt-  und  Älittelhochdeutsche)  seine 
gegenwärtige  Lage  nicht  erlaube.     Wie  ist  es  also  möglich,  bei 
einer  solchen  Behandlungs weise  auf  sichern  Fiissen  zu  stehen*? 
Daher  kommt  es  denn  freilich  auch ,   dass  der  Verf.  jeden  Au- 
genblick ausgleitet  und  ohne  genommenen  Schaden  nicht  wie- 
der aufzustehen  vermag.     Trotz  diesem  Geständniss  entblödet 
sich  Ilr.  M.  dennoch  S.  VI  Viber  die  Meinung  derer  keck  abzu- 
urtheilen  ,  welche  dem  Althochdeutschen  einen  grössern  ,    ge- 
diegnen lieichthum  an  wahrhafter  Wortbeugung  und  eine  stär- 
kere Quelle  des  Wohllautes  beilegen.    Wer  die  Richtigkeit  die- 
ser Ansicht  mit  Bezug  auf  Formen  und  Flexionen  noch  nicht 
einsehen  sollte,   der  darf  nur  einen  flüchtigen  Blick  in  Grimms 
Deutsche  Grammatik  werfen,    um  sich  jedes  weitern  Zweifels 
zu  überheben;  hinsichtlich  des  Wohllautes  verweisen  wir  nur 
auf  das  einzige  Ludwigslied ,    das  FIr.  M.  erst  lesen  und  verste- 
hen lernen  muss,    ehe  er  fade  und  luftige  Uitheile  in  die  Welt 
schickt.     Um  seinen  Satz  zu  beweisen,   vergleicht  Hr.  M.  alt- 
hochdeutsche Wörter  mit  neuhochdeutschen,    als  ob  damit  der 
Schlüssel  in  das  Leben  und  den  Geist  der  Sprache  gefunden 
werden  könnte.     Der  eigentliche  Geist  der  Sprache  offenbart 
sich  nie  in  todten  Worten,   sondern  in  ihrem  lebendigen  Orga- 
nismus.    Um  aber  diesen  gehörig  zu  erfassen,  bedarf  es  mehr, 
als   einer  oberflächlichen  Kenntniss  einzelner  Wörter ;    Hr.  M. 
versteht  aber  nicht  mehr  davon:    also  ist  er  auch  nicht  befugt 
zu  urtheilen.     Das  Allerlächerlichste  ist  noch  dieses ,  dass  Hr. 
M.  den  organischen  Bau   des  Althochdeutschen  nach  den  be- 
kannten Interlinearversionen    und    exegetischen  Commentaren 
biblischer  Bücher,  in  denen  oft  Deutsche  und  Lateinische  Wör- 
ter promiscue  gebraucht  werden,    zu  bestimmen  sich  abmüht. 
Gerade  so ,    wenn  man  die  Bildungsstufe  der  heutigen  Sprache 
nach  schlechten  Uebersetzungen  aus  Griechischen  und  Lateini- 
sclien  Auetoren  in  jeglicher  Beziehung  beurtheilen  wollte.     Es 
gibt  freilich  der  liülfsmittel  ausserordentlich  wenige,   die  uns 
einen  ganz  sichern  Blick  in  den  innern  Organismus  der  althoch- 
deutschen Sprache  verstatten;  aber  selbst  diese  wenigen  vermö- 
gen Hrn.  M.'s  Ansicht  leicht  ad  absurdum  zu  führen.  Ein  eben- 
so voreiliges  Urtheil  findet  sich  S.  XLII,   wo  über  Grimms 
Deutsche  Grammatik  ins  Gelag  hinein  gesprochen,   über  Man- 
gel einer  sichern ,  leitenden  Einheit  und  über  den  Unrauth  ge- 
klagt wird,    welchen  das  Studium   dieses  über  jedes  Urtheil 
des  Hrn.  M,  erhabenen  Riesenwerks  (  es  wäre  besser  gewesen, 
wenn  er  mit  der  vom  Göttinger  Anzeiger  so  genannten  lieimli- 


Müller:  Lehre  der  Deutschen  Sprache,  81 

eben  Anf!;st  an  das  Buch  gci^angen  wäre ,  das  allerdings  in  viel- 
fältiger Bezieliung  zu  gut  ist  lur  diese  Welt)  ihm  verursacht 
Iiabe:  „Ausserdeui",  heisst  es,  „schien  mir  bei  der  Auffassung 
der  Laute  zu  viel  Bestimmtheit  und  Absichtlichkeit  den  ersten 
unbewussten  (!!)  Sprachbildnern  beigelegt  zu  sein.  Der  rohe 
Sprachgeist  (!!)  rang  wol  damals  noch  vergeblich  nach  Ein- 
heit ,  wie  eben  die  bunte  unstete  3Ianchfaltigkeit  zur  Geniige 
bekundet,  dalier  aueh  das  öftre  missliche  „vielleicht''  des  Ver- 
fassers." Freilich  Hr.  M.  ist  mit  seinen  Hirngespinsten  nicht 
s«  be?c]!eiden,  als  der  anspruchlose,  mit  ruhiger  und  kaltblü- 
tiger Besonnenheit  auf  dem  Pfade  der  Geschichte  einherschrei- 
tende  Spvachforsclier:  er  modelt  und  zwingt  die  Sprache  mit 
Gewalt  in  seinen  Leisten,  und  scheint  sich  gar  die  Unver- 
schämtheit zuzutrauen,  der  ganzen  Deutschen  Welt  eine  Ortho- 
graphie und  eine  Terminologie  aufbiirden  zu  wollen,  die  gröss- 
tentheils  aus  seinem  (  des  Individuums )  Gehirn  hervorgegan- 
gen auch  nicht  den  Schatten  Aon  objectiver  Erfassung  des 
Sprachgeistes  an  der  Stirne  trägt.  Solch  ein  Grammatiker 
luuss  entweder  über  Grimm  ganz  schweigen,  oder  sich  höch- 
stens dazu  bequemen,  ihm  die  Schuhriemen  aufzulösen.  Hätte 
Hr.  M.  die  Grimm'schen  Forschungen  Viber  die  Elementarlehre 
etwas  besser  studirt,  so  wiirde  er  auf  dem  Titel  sein  Buch 
nicht  eine  teutsche ,  sondern  eine  Deutsche  Sprachlehre  ge- 
nannt haben.  Er  würde  den  folgerecht  durch  die  ganze  Spra- 
che durchgreifenden  Gesetzen  der  Lautverschiebung  gemäss 
sich  bald  und  leicht  überzeugt  haben  (insofern  die  Vorurtheile 
noch  nicht  zu  fest  eingerostet  sind),  dass,  sowie  im  Althoch- 
deutschen, also  auch  im  Neuhochdeutschen  da  ein  D  stehen 
inuss,  wo  im  Griechischen  oder  Lateinischen  T  und  im  Gothi- 
schen  TH;  also  Ttiisco  (Tacit.  Germ.  c.  2),  Gothisch  thiuda 
(gens),  Althochdeutsch  r//o^,  im  Latein  des  Mittelalters  Tlie- 
otisciis^  Mittelhochdeutsch  Tiusch  oder  Twtsch ,  Neuhoch- 
deutsch Deutsch.  Ueber  die  Veränderung  des  Mittelhoch- 
deutschen iu  in  das  Neuhochdeutsche  eu  s.  Grimm  I  S.  523. 
Für  den  ersten  Fall  vergleiche  man  Lat.  tu^  Goth.  thu,  Ahd. 
dti ,  Nhd.  du;  tSLVSLV^  t ender e.,  ihaujan^  denen ^  dehnen '^ 
TQSig,  tres^i  threis^  drt ,  drei  \\.  s.  w.  S.  Grimm  I  S.  586. 
Göttiug.  Anzeiger  1820  S.  KiOO.  ,i  .r'/  ü'/n-,., 

Von  der  Vorrede  und  der  ihr  folgenden  Programmabhand- 
lung  (solche  monströse  Wörter  gehen  aus  der  Fabrik  des  Hrn. 
M.  hervor,  obgleich  nach  allgemeiner  Anerkennung  in  dem  ein- 
fachen P/o«^/-«7«m  schon  der  Begriff  einer  Abhandlung  enthal- 
ten ist)  über  den  teutschen  Sprachunterricht  im  weitern  Sinne 
catf  teutschen  gelehrten  Schulen  wollen  wir  nicht  umständlicher 
sprechen,  weil  Mir  zur  Widerlegung  einer  Unzahl  grillenhafter, 
flüchtig  hingeworfener  Aeusserungcn  weder  Zeit  noch  Lust  ha- 
ben.    Die  Grammatik  selbst  zerfällt  nach  der  allgemein  angCT 

Jahrb.  f.  Phil.  u.Pädag.  Jahrg.  m.  Heß9.  Q 


82  K  ü  r  z  e  r  e  A  n  z  e  i  g  e  n. 

noraraenen  Eiiitheilung  in  Elementarlehre,  Formenlehre  und 
Syntaxis,  von  Hrn.  M.  genannt  JVortbildung  ^  Beugung  der 
Wörter  (warum  nicht  kürzer  nach  Analogie  des  vorigen  und 
folgenden  JFortbeugung?) ^  Wort-  und  Satzfugung.  Die  von 
Hrn.  M.  befolgten  Unterabtheilungen  hier  durchzugehen  und 
näher  zu  beleuchten  würde  viel  zu  weit  fülireu,  da  es  sowohl 
den  Grundsätzen  dieser  Jahrbücher  als  der  Neigung  des  Rec. 
zuwider  ist,  ein  seiner  ganzen  Anlage  und  Grundbeschaifenheit 
nach  ziemlich  zweckloses  Buch  einer  weitläuftigen  Beurtheilung 
zu  unterziehen.  Es  genüge  daher,  die  erste  beste  Seite  aufzu- 
schlagen und  in  ihr  gehöriges  Licht  zu  stellen. 

Zuvörderst  wollen  wir  einige  Proben  von  Hrn.  M.'s  Ter- 
minologie geben.  Snbject  nennt  er  Satzgrundloge  oder  Grund- 
ding ^  Prädlcat  —  Aussage^  Copula  —  Bindling^  alle  drei  zu- 
sammen Urredestände ;  Substantivum  —  Hauptnamuwrt  (war- 
um nicht  nach  längst  anerkannter  Deutscher  Umbildung  Haupt- 
tüortl  Das  verträgt  sich  nun  einmal  nicht  mit  der  pedantischen 
Wortstempelei  des  Hrn.  M. ,  die  überall  das  Gepräge  der  Ori- 
ginalität an  sich  tragen  soll),  Artikel  —  Deuteivörtchen^  Ad- 
jectivum  —  Beinajutvort  etc.  Praefixa  —  Vorlinge ,  Siiffixa  — 
Endüjige ,  Quantität  —  Zeitverhalt ,  Prosodie  —  Tonverhalt  u. 
s.  w.  Was  jeder  andre  anspruchlose  Grammatiker  Anmerkun- 
gen nennt,  das  stempelt  Hr.  M.  in  Bemerke  um  in  keiner  Sache 
mit  den  Ungeweiheten  etwas  geraein  zu  haben.  Von  ähnlichen 
Wörtern,  wornach  der  Verf.  ordentlich  hascht,  strotzt  das 
ganze  Buch,  die  es  ,  je  mehr  man  es  ansieht,  desto  unleidlicher 
machen. 

Ganz  unlogisch  ist  die  Eintheilung  der  Buchstaben  gefasst, 
indem  die  Consonanten  {Grundlaute  ^  wie  sie  Hr.  M.  nach  ei- 
ner willkührlichen ,  aus  keiner  tiefern  Sprachforschung  hervor- 
gegangenen Definition  zu  nennen  beliebt)  den  Vocalen  {Selb- 
laute  statt  des  gewöhnlichen  Selbstlaute^  vorangestellt  sind; 
denn  sowie  der  Geist  vorzüglicher  ist,  als  der  Körper,  und  die- 
ser ohne  jenen  nichts  auszurichten  vermag,  ebenso  müssen  die 
Vocale,  der  belebende  Hauch  des  Wortes,  den  Consonanten, 
als  den  materiellen  Bestandtheilen,  erst  Leben  einflössen,  ehe 
sie  sich  frei  bewegen  können.  Huldigt  aber  etwa  Hr.  M.  (was 
wir  nicht  hoffen  wollen)  auch  in  der  Philosophie  dem  Ma- 
terialismus, dann  halten  wir  es  unter  unserer  Würde,  länger 
mit  ihm  zu  rechten.  Mit  der  allgemein  angenommenen,  in 
dem  Geiste  und  in  der  Natur  der  Sprachen  begründeten  Ein- 
theilung der  Consonanten  ist  Hr.  31.  abermals  nicht  zufrieden : 
er  rechnet  das  m  zu  den  Lippenlauten,  während  es  doch  als 
Vcrmittlungslaut  zwischen  Vocalen  und  Consonanten  zu  den  Li- 
quidis  zu  "rechnen  ist;  warum  er  die Liquidas  (ohne  Grund  wer- 
den sie  milde  oder  Leiter  genannt)  unter  die  mutas  gemengt 
und  sogar  den  Labialen  nachgestellt  hat,   mag  er  ebenfalls  hiit 


Müller:    Lehre  der  Deutlichen  Sprache.  83 

seiner  Logik  alimaclien.  Der  gesunde  Menschenverstand  lehrt, 
dass  in  allen  Dingen  eine  gewisse  Stufenleiter  sichtbar  ist,  die 
gleichwie  in  einer  unermesslichen  Kette  den  Organismus  des 
geistigen  und  physisclien  Lebens  zusammenhält.  Demzufolge 
ist  in  den  Elementen  der  Sprache  keineswegs  ein  schroffer  Ue- 
bergang  von  Vocalen  zu  Consonanten ,  sondern  eine  Mittelstufe 
in  den  Liquidis  erkennbar.  —  Bei  den  abgeleiteten  Wörtern 
unterscheidet  Ilr,  M.  ganz  richtig  den  Stamm  des  Wortes  von 
der  Form  oder  von  andern  zufälligen  Zuthaten  am  Anfange  und 
am  Ende  des  Stammes,  z.B.  Of-en^  Bod-en^  Vat-er^  Somm- 
er^ Ge-lisp-el^  Kr-Jind-ung^  Bürg -er -schuft  u.  s.  w.,  aber 
eine  solche  Abtheilung  in  die  lebendige  Sprache  liineinzwängen 
zu  wollen,  ist  doch  wieder  ein  grenzenloses  Wagstück.  Gleich- 
wie der  menschliche  Körper,  wenn  er  todt  ist,  ganz  andre 
Zwecke  fiir  den  Anatomiker  hat,  als  der  in  Verein  mit  der 
Seele  gemeinschaftlich  wirkende ,  wenn  er  noch  in  kraftvoller 
Blüthe  lebt,  für  den  Künstler  und  Bewunderer  der  Schönheit 
der  Natur;  ebenso  ist  die  Sprache  etwas  anderes  für  den  Gram- 
matiker, so  oft  er  nach  den  einzelnen  Bestandtheilen  eines  je- 
den Wortes  zu  forschen  hat,  um  den  Organismus  des  Ganzen 
bis  in  seine  feinsten  Verzweigungen  kennen  zu  lernen ,  und  et- 
was anderes  für  denjenigen,  welcher  die  einzelnen  Glieder  der 
Sprache  nur  so  betrachtet,  wie  sie  in  einem  lebendigen  Körper 
vereinigt  sind.  Will  aber  Jemand  ein  Glied  aus  seinen  Fugen 
reissen,  so  thut  er  dem  Ganzen  Gewalt  an,  und  das  Leben 
wird  nothwendigcr  Weise  gestört.  Das  Seciren  des  Stammes 
der  Wörter  von  den  Flexionen  führt  also  unfehlbar  zu  einer 
Verunstaltung  und  Verstümmelung  der  Sprachorgane,  wobei 
gleichsam  die  Nerven  und  Sehnen  der  Sprache  vom  Fleisch 
und  von  den  Knochen  gewaltsam  losgerissen  worden,  während 
doch  die  Aussprache  ganz  wie  in  einem  lebendigen  Leibe  eine 
Art  von  Gelenken  wie  von  selbst  darbietet,  welche  die  Beweg- 
liclikeit  aller  Tlieile  möglich  machen  und  bestimmen.  Das 
Wort  als  todtes  Gerippe  (d.  h.  die  radix)  ist  wohl  zu  unter- 
scheiden von  dem  mit  warmem  Blut  und  lebendigen  Sehnen 
(d.  h.  mit  Flexionen)  ausgerüsteten.  Die  Beweglichkeit  der 
Sprachgelenke  wird  durch  das  Leben  des  Volkes  ,  d.  h.  durch 
die  äusserliche  Aussprache  bedingt:  kein  Mensch  aber  spriclit 
aus:  Of-en^  Bod-en,  Er-fmd-ung^  sondern  0-fen^  Bo-den^ 
Kr-fin  -  düng  u.  s.  w.  Verlange  also  Hr.  M.  nicht,  dass  seine  Secir- 
raethode  auch  ins  Leben  übergehn  soll;  sonst  wäre  gar  zu  be- 
fürchten, dass  unsre  gute  Muttersprache,  zuletzt  in  tausend 
Stücke  zerschnitten  und  schmählich  verstümmelt,  wie  ein  We- 
sen da  stünde,  in  dem  Leib  und  Seele  grässlich  vow  einander 
gerisseil  wären.  Seine  anatomischen  Sprachforschungen  treibe 
er  hinfort  in  seinem  stillen  Kämmerlein  ,  und  lasse  die  llesulta- 
te  derselben  nur  insoweit  ins  Leben  treten,  als  dadurcli  der 

6* 


84  KürzereAnzelgeii. 

Wissenschaft  ein  erspriessliches  Heil  erwächst;  die  Operation 
selbst  aber  übe  er  nicht  au  einem  gesunden  Gliede,  so  lange 
es  nicht  verrenkt  ist.  Darnach  beurtheile  mau  Hrn.  M.'s  Be- 
merkung S.  128:  „Die  bisherige  Abtheilung  der  Sylben  nach 
dem  Gehör  reisst  die  Worttheile  widersinnig  auseinander,  und 
verstösst  im  Sprechen  selbst  gegen  das  Grundgesetz  der  Aus- 
sprache." — 

S.  81  f.  ist  ein  Register  von  kerndeutsclien  Eigennamen 
gegeben,  deren  Erklärung  zum  Tlieil  zu  grosser  Willkühr  aus- 
gesetzt ist.  So  ist  es  z.  13.  unbegreiflich  ,  wie  ein  Unterschied 
zwischen  Bernard  und  Bernhard  statuirt  werden  kann:  jenes 
wird  erklärt,  znm  Beschützer  geboren;  dieses,  das  kraftvolle 
Kind.  Die  Endsylbe  ard  oder  art  findet  sich  in  vielen  Deut- 
schen Eigennamen,  aus  deren  Vergleichung  sich  für  selbige 
der  Begritt"  des  tapfern.,  starke?!.,  muthigen  ergiebt.  Nun  aber 
scheint  es  uns  bei  weitem  am  wahrscheinlichsten,  dass  der 
Stamm  des  Wortes  Bern  auf  die  im  Mittelalter  so  berühmte 
Stadt  Bern  {J erona:  wir  dürfen  nur  an  Dietrich  von  Bern 
erinnern,  Mibelungennoth  1656,  2.  1659,  3.)  zu  beziehen  ist ; 
Bernard  würde  also  heissen  der  tapfere  Berner  (in  der  Nibe- 
lungennoth  2241)  der  Bernaere^.,  sowie  Gothard  der  tapfere 
Gothe^  Burkar d  der  tapfere  Vertheidiger  der  Burgen  u.  s.  w. 
Dass  aber  Bernahard  mit  eingeschobenem  h  etwas  anderes  be- 
deuten sollte  ,  widerspricht  allen  Gesetzen  der  Sprache.  Noch 
im  Mittelhochdeutschen  trat  zur  Vermeidung  des  Hiatus,  wie 
im  Griechischen  das  Digarama,  ein  m>  ein,  das  im  Neuhoch- 
deutschen grösstentheils  h  geworden  ist.  Nach  Eckewart  (  ta- 
pfer mit  der  Schäl fe^  ecke,  des  Schwertes)  in  der  Nibelungen- 
notli  y,  3  und  andern  Hesse  sicli  eine  frühere  Form  Bernewari^ 
Gothoivart  festsetzen.  Da  nun  in  späterer  Zeit  das  e  oder  je- 
der andre  Vocai  vor  art  ausgestossen  ist,  so  lässt  sich  auch 
kein  vernünftiger  Grund  denken,  warum  eine  Spirans  zur  Aus- 
füllung des  nicht  mehr  vorhandenen  Hiatus  eintreten  sollte. 
Richtiger  also  und  den  Entwickelungsgesetzen  der  Sprache  ge- 
mässer  ist  die  Schreibweise  Bernard  (wie  auch  im  Lateinischen 
und  in  den  Romanischen  Sprachen),  Burkard.,  Eckard .,  Goth- 
ard statt  Bernhard.,  Burkhard.,  Eckhard,  Gotthard^  wel- 
ches letztere  seiner  Zusammensetzung  nach  eine  weniger  rich- 
tige Schieibung  zu  sein  scheint:  auf  jeden  Fall  würde,  selbst 
wenn  wir  auf  den  Stamm  Got  (deus)  nicht  Gothe  zurückgehen 
müssten,  die  Gemination  des  t  auf  eine  neuliochdeutsche  üm- 
raodelung  führen,  die  sonst  bei  Zusammensetzungen  der  Art 
nicht  statt  findet,  z.  B.  Godesberg  (^Godes  Gen.  von  goi^  d  statt 
t,  wie  es  der  T-Laut  erlieischt),  nicht  Gottesberg. 

S.  128  wird  mit  Recht  bemerkt,  die  einzig  richtige  und 
sichre  RechtscJireibung  der  Worte  gründe  sich  auf  die  Einsicht 
der  Deutschen  Wurzelsilben,  und  nur  wer  diese  gehörig  kenne 


Müller:  Lehre  der  Deiitäclien  Sprache.  85 

vermöge  auch  mit  Sicherheit  rieht!;?  zu  schreiben.     Um  aber 


zu  dieser  Kenntiiiss  zu  ffelaiiireii,    Ut  doch  tiefes   Iiistorische 


US 


Sprachstudium  ein  unbedingtes  Erlorderniss,  weiches  Ilrn.  M, 
ganz  und  gar  abgeht.  Dass  die  lieutigc  Orthograpliie  im  Ar- 
gen liegt,  ist  eine  Bemcrivung  Grimms  I  Yorr.  S.  XVIII,  de- 
ren lliclitigkeit  Jedermann  bald  anerkennen  wird,  wenn  er  nur 
einen  fluchtigen  Blick  auf  die  in  gedruckten  Biichern  gemeinhin 
eingeführte  Schreibung  wirft.  Grimm  beraubt  uns  der  Iloifnung 
gerade  nicht,  dass  ihr  noch  in  mancliem  Stück  zu  helfen  sei, 
lindet  es  aber  bedenklich  zur  Ausführung  zu  schreiten ,  da 
verjährte  Missgriffc  nunmehr  schon  auf  den  Reim  der  Dichter 
und  selbst  die  wirkliche  Aussprache  übel  eingeflossen  hätten. 
Seinen  Abweichungen  steht  aber  immer  ein  geschichtlicher 
Grund  zur  Seite,  ohne  welchen  jedwede  Aenderung  als  Frevel 
erscheinen  muss.  Weniger  gewissenhaft  und  bescheiden  ist 
Hr.  31.  Nach  seinem  Ermessen  wäre  durch  die  von  ihm  gege- 
benen Lehren  alles  Orthographische  ein  für  allemal  beseitigt. 
Wer  mit  so  anraaassenden  Redensarten  um  sich  wirft,  muss 
schon  desswegen  auf  Erweckung  eines  günstigen  Vorurtheils 
Verzicht  leisten;  denn  man  wird  bald  inne,  dass  der  Verf. 
seine  Schwächen  hinter  ein  leeres  Renommiren  verstecken  will 

Die  Begründung  der  Deutschen  Declination  S.  130  ff.  ist  so 
verworren  und  willkührlich  ausgeführt,  dass  Einem  Alles  zum 
wahren  Ekel  wird:  denn  anstatt  der  von  Grimm  historisch 
nachgewiesenen,  durch  alle  Deutschen  Sprachstämme  durch- 
greifenden Unterscheidung  starker  und  schwacher  Form  zu  fol- 
gen, finden  wir  hier  einen  unlogischen  Wirrwarr,  aus  dem  ein 
Schüler  sehen  mag,  wie  er  sich  heraushelfe.  Man  kann  ohne 
alles  Bedenken  den  Satz  aufstellen:  Jede  Deutsche  Formen- 
lehre, die  nicht  von  Unterscheidung  starker  und  schwacher 
Form  ausgeht,  muss  in  sich  selbst  zerfallen,  wie  ein  Haus, 
das  auf  Sand  gebaut  ist.  Besser  steht  es  mit  der  Conjugation, 
wo  Hr.  M.  die  starke  und  schwache  Form  zum  Grunde  gelegt 
hat,  die  er  nacli  seiner  pedantischen  Terminologie  Sjrrachähn- 
lichkeiten  nennt. 

Nun  noch  zwei  Pröbchen  aus  der  Syntaxis.  S.  178  heisst 
es:  „Satzgrundlage  [Snbject]  ist  entweder  das  Hauptnamvvort 
oder  jeder  hauptnamwörtlich  gebrauchte  Redetheil."  Diese 
Definition  ist  nicht  erschöpfend;  denn  wenn  wir  sagen:  „Zu 
gehorchen  ist  Pflicht,"  so  ist  das  Subject  zu  gehorchen  weder 
selbst  ein  Substantivum,  noch  auch  substantivisch  gebraucht, 
wie  etwa,  wenn  wir  sagten  das  Gehorchen.  S.  184:  Jehren 
hat  die  Person  im  Zvveckfall  [Dativus]  und  den  Gegenstand 
des  Lehrens  im  Gegenstandsfall  [Accusativus].  —  Man  findet 
CS  aber  auch  nach  Art  der  alten  Sprachen  mit  zwei  Gegenstf." 
Hier  haben  gewiss  nicht  die  alten  Sprachen  zur  Richtschnur  ge- 
dient ,   da  die  ältesten  Deutschen  Sprachdenkmale  die  Constru- 


86  Kürzere  Anzeig;en. 

ction  mit  doppeltem  Accusativus  darbieten ,  und  somit  die  Be- 
griindung  dieser  Constructiou  in  den  Gesetzen  der  Sprache 
selbst  erweisen.  Beispiele  finden  sich  in  Adelungs  Wörterbuch 
in  Menge,  dessen  Bemerkung  Hr.  M.  melir  hätte  beriicksichti- 
gen  sollen ,  die  Construction  mit  doppeltem  Acc.  sei  schon  so 
alt  und  in  Schriften  nunmehr  so  allgemein,  dass  sie  für  Schrift- 
steller beinahe  zu  einer  verbindlichen  Regel  geworden  ist. 
Göthe  und  seinesgleichen  beobachten  unsers  Wissens  stets 
diese  echt  Deutsche  Construction ,  und  lassen  sich  nicht  irre 
machen  durch  englierzige,  mit  Haaren  herbeigezogene  Schul- 
regeln pedantischer  Grammatiker,  deren  es  trotz  der  längst 
erfolgten  Hinscheidung  Gottscheds  und  trotz  der  Abschaf- 
fung der  Alongeii-Periicken  (in  der  Deutschen  Grammatik  haupt- 
sächlich durch  Grimm)  noch  immer  zu  viele  giebt.  Trefflich 
sagt  ein  geistreicher  Dichter  *) ,  ein  wahrer  Aristophanes  fiir 
uns  Deutsche,  der  vielleicht  noch  zu  wenig  gekannt  und  richtig 
beurtheilt  ist: 

A)  Zwar  Gottsched  starb,  man  bewahrt  nur  noch  iu  Ger- 

manien seine  Perücke, 
Doch  geht  sie  allda  von  Kopfe  zu  Kopf,  ihr  dürfen  wir 
bringen  ein  Vivatl 

B)  Wer  trägt  sie  denn  jetzt? 

A)  Das  hält  man  geheim ;  doch 
wie  es  dem  Midas  ergangen, 
So  ergeht's  auch  hier,  und  ich  fürchte  beinah,  dass 

irgend  ein  Badergeselle 
In  ein  Binsengebüsch  an  der  Elster  und  Spree  sanft  li- 
spele: Diesem  und  Jenem 
Umtrottelt  das  Haupt,  bis  fast  an's  Knie,  die  Alon- 
genperücke  von  Gottsched. 
In  dem  Anhange  zur  Ton-  und  Sylbenmaasslehre  S.  325  ff. 
sind  Proben  für  die  verschiedenen  Versarten  aus  mustergültigen 
Dichtern  gegeben,  und  im  Schlusswort  ein  Grundriss  über  die 
Geschichte  des  Metrums  der  Alten  bei  den  Deutschen  entwor- 
fen.    Unter  den  angeführten  Quellen  vermissen  wir  ungern  die 
Verweisung  auf  A.  W.  von  Schlegels  geistreiche,  in  der 
Indischen  Bibliothek  niedergelegte  Ansichten. 

Oppeln,  1828.  Dr-  Bach. 

Te  uts  che  S  Ha  ndbuch  für  mittlere  Classen  der  Gymnasien. 
Eine  Vorschule  der  Leetüre  ganzer  Ciassiker  mit  steten  Winken 
zum  Nachdenken  über  Sprache ,  Styl  und  Geschmack ,  und  mit 
Zusammenstellung  älterer  und  neuerer  Schriftsteller,  von  Christ. 
H.  Hänle,  Prof.  am  Gymn.  zu  Weilburg.      Zweite,  mit  umgear- 

')  A.  Graf    v.  P 1  a  t  e  n  Hallermünde ,   die    verhängnissvolle  Ga- 
bel.    Eia  Lustspiel.     Stuttgart  und  Tübingen.   1826. 


Ilünle:  Deutsches  Ilanilbucb.  87 

beitetcr  prosaischer  Abtheihtn«^,  verbesserte  Ausgabe.  Frankfurt 
a.  M.,  in  der  Andreäischeii  Hiichhiindhinf,'^  182(»    4C<»S.  gr.  H.  1  Tlilr. 

lieber  die  INothweiuli^keit,  der  Ausbildung  und  Uebunji?  in 
der  Muttersprache  in  allen  Gyinnasialclassen  eine  angemessene 
Anzahl  von  Lehrstunden  zu  Midnien,  ist  man  wohl  jetzt  im  All- 
gemeinen einverstanden.  Die  Methoden  aber  sind  auch  hier  sehr 
verschiedenartig.  In  der  IlauplsacJie  diirfte  es  jedoch  nicht 
schwer  sein,  sich  bald  zu  einigen.  Nach  vieljährigen  Eriali- 
rungen  billigt  Ref.  folgenden  einfachen  Entwurf  fiir  den  Gang 
dieses  Unterrichtes:  In  der  sechsten  und  fVinften  Classe  sind 
nur  orthographische  Uebungen  rathsam,  wöchentlich  wenig- 
stens in  drei  Stunden.  Daneben  sorge  der  Lehrer  für  verstän- 
diges Lesen  und  fiir  Fertigkeit  in  der  Bildung  der  Sätze.  Das 
Lese-  und  Sprachbuch  von  Diesterweg  (Essen  1820)  Avird, 
geschickt  benutzt,  vorzVigliche  Dienste  thun.  In  der  vierten 
Classe  reichen  Anleitung  und  Uebung  im  Briefschreibeii  voll- 
kommen aus.  Für  die  Lesestunden,  welche  schon  hier  für  Er- 
klärung und  Besprechung  des  Gelesenen  vielseitig  benutzt  wer- 
den müssen,  wird  der  sechste  und  siebente  Abschnitt  im  Die- 
sterweg Stoff  genug  darbieten.  In  der  dritten  Classe  keine 
schriftlichen  Aufsätze ,  oder  doch  nur  selten  einen  als  Dokima- 
stikon.  Dagegen  in  wenigstens  drei  Stunden  Lesen  eines  Deut- 
schen Handbuchs,  welches  im  Ganzen  gerade  so  eingerichtet 
sein  muss,  wie  das  obige.  In  der  ziveiten  Classe  einCursus  der 
Deutschen  Grammatik.  Daneben  Correctur  von  Aufsätzen  in  den 
leichteren  Gattungen  prosaischer  Schreibart,  und  Leitung  der 
Privatlectüre  Deutscher  Classiker.  In  der  ersten  Classe  um- 
ständliche Erklärung  prosaischer  und  poetischer  Musterstellen 
aus  allen  Gattungen,  Uebungen  im  freien  Vortrage,  Correctur 
metrischer  und  prosaischer  Arbeit  -n  aller  Art.  Daneben  ein 
kurzer  Abriss  des  Wichtigsten  aus  u.r  Deutschen  Literaturge- 
schichte, und  sorgfältige  Leitung  des  Privatstudiums  Deutscher 
Classiker.  — 

Was  den  Gebrauch  des  obigen  Handbuchs  anlangt,  so  gilt 
im  Allgemeinen,  was  S.  4  der  Einleitung  gesagt  ist,  dass  die 
musterhaften  Stücke  nicht  blos  gelesen  und  erklärt,  sondern 
auch  laut  vorgetragen  und  auswendig  gelernt  werden  sollen. 
Die  beigefügten  Anmerkungen  enthalten  theils  ausführlichere 
Andeutungen,  theils  nur  einzelne  Worte  als  treffliche  Winke 
für  den  Lehrer  und  zur  Erweckung  des  Nachdenkens  der  Schü- 
ler. Damit  es  nicht  nothwendig  sei,  noch  ein  besonderes  Lehr- 
buch der  Deutschen  Schreibart  nebenbei  den  Schülern  in  die 
Hände  zu  geben,  hat  der  Verfasser  sehr  zweckmässig  bei  allen 
schicklichen  Gelegenheiten  die  Grundsätze  des  edleren  Styles 
und  der  verschiedenen  Redegattungen  bündig  und  lichtvoll  an- 
gegeben. Weil  edle  Muster  erst  dann  recht  bilden ,  wenn  sie 
mit  schlechten  Beispielen  in  Vergleichung  kommen ,  sind  auch 
von  dieser  Art  überall  mehrere  aufgenommen  und  jenen  entge- 


88  Kürzere  Anzeigen. 

gengestellt.  Der  Einrichtung  des  Ganzen  geben  wir  also  un- 
sern  Beifall.  Folgende  Ausstellungen  gegen  Einzelnes  wird  der 
Hr.  Verf.  vielleicht  bei  einer  neuen  Auflage  berücksichtigen: 
Die  Beziehungen  auf  Horaz,  Ovid  und  Cäsar,  welche  z.  B.  S. 
17,  25''5,  365  vorkommen,  sind  wohl  auf  dieser  Bildungsstufe 
niclit  passend  angebracht.  Wiederholungen  sind  uiclit  immer 
vermieden,  z.  B,  „Trotft  schaftt"  S.  182  und  221.  Dass  die  Grie- 
chischen Wörter,  welche  hier  und  da  verglichen  sind  (z.  B.  S. 
331)  ohne  Accente  gedruckt  worden  sind  ,  ist  nicht  zu  billigen. 
Wenn  S.  25  unter  den  Aufgaben  als  Uebungen  in  einfachen  Er- 
zählungen auch  folgende  stehen:  Geschichte  Hamiibals  ;  Napo- 
leons jRückzTtjs;  aus  Russland ;  seine  Flucht  von  Elbai  so  weiss 
Ref.  diese  Wahl  nicht  zu  rechtfertigen.  Ebenso  unpassend 
sclieint  ihm  in  einem  Handbuche  für  mittlere  Classen  die  Wahl 
der  Gedichte:  der  Wanderer^  von  Göthe,  S.  223;  und:  die 
Frühlingsfeier ^  von  Klopstock,  S.  255.  Nur  in  den  ober- 
sten Classen  dürfte  es  dem  Lehrer  möglich  sein,  zu  bewirken, 
dass  seine  Schüler  die  Schönheit  und  Erhabenheit  dieser  Pro- 
ductc  fassen  und  verstehen  lernen. 

An  folgender  Ueberschrift  auf  der247sten  S.:  „Ein  Stück  aus 
dem,  von  Einigen  so  hochgepriesenen  übrigens  meistens  leeren, 
matten,  unpoetischen  Lied  der  Nibelungen,  dessen  Werth  mehr 
im  Alter  besteht;"  nimmt  Ref.  keinen  Anstoss;  aber  es  konnte 
das  ganze  Bruchstück  wegbleiben  ;  zumal  da  der  Verf.  mit  den 
fehlerhaften  Stellen  beinahe  zu  freigebig  ist.  Zuweilen  dürfte 
auch  der  Ausdruck  in  den  Noten  nicht  ganz  richtig  und  der 
Bildungsstufe  dieser  Schüler  angemessen  sein,  z.  B.  S.  259  wo 
es  heisst:  Er  (der  Dichter)  ist  gleichsam  ausser  sich,  und  rasst 
mit  Vernunft ,  d.  i.  erdenkt  sich  den  Begeisterten,  und  stellt 
ihn  dar  nach  den  Gesetzen  und  Zügeln  der  Verimnft,  des  Ge- 
schmacks, der  Poesie.  Ln  Vollgefühl  ist  der  Mensch  in  seinen 
Gedanken  kurz,  u.  s.  w.  Doch  diese  Einzelheiten  thun  der 
Brauchbarkeit  des  Ganzen  keinen  wesentlichen  Abbruch. 
Cöslin,  Müller. 


1)  Chronologischer  Abriss  der  Weltgeschichte 
zunächst  für  den  Jug'cnd  -  Unterricht.  Von  Friedr.  Kohlrausch. 
Siebente  verbesserte  und  mit  einer  synchronistischen  Tabelle  der 
europäischen  Staatengescliicbte  vermehrte  Auflage.  Elberfeld, 
Büscblinsche  Verlags -Buchhandlung  und  Buchdruckerey.  1828.  IV 
u.  51  S.  gr.  4.   8  Gr. 

2)  Kleiner  historischer  Schul- Atlas  zur  allgemeinen 
Weltgeschichte  für  den  Schulgcbraucb ,  zunächst  zu  dem  chrono- 
logischen Abriss  der  Weltgeschichte  von  Fr.  Kohlrausch ,  nach  des- 
sen Angaben  entworfen  von  A.  W.  Möller.  (Zweyter  Abdruck.) 
Elberfeld,  in  derselben  Buchhandlung.  1826.  Queer-Folio.  10  Blät- 
ter.   18  Gr.  netto. 


Kohlrausch :  Chronol.  Abriss  d.Wcltgcsch.  ii.  Möller*«  hist.Schul-Atlas.  8ü 

Der  um  den  Jujrend-Unterriclit  in  der  Welt^^cschicTite  so 
hochverdiente  Verf.  fährt  mit  rülimiichem  Eifer  fort,  seinen  so 
lobenswerthen  Zweck  mit  sicherni  Schritt  immer  weiter  zn  ver- 
loifjen  und  seine  diesem  Zwe(;k  iiewidnieten  Schriften  dem  Be- 
dürfnisse der  Zeit  immer  mehr  anzupassen.  Und  dass  dessen 
BemiihunfTen  auch  vom  Publikum  dankbar  anerkannt  werden 
müssen,  liegt  klar  am  Ta2,e.  Denn  von  dessen  clironoloiriscliem 
Abriss  der  Weltgeschichte  ist  schon  die  siebe?Ue  Auflage  er- 
schienen, welche  hier  anzuzeigen  TIez.  die  angenehme  Pllicht  hat. 

Die  zur  6ten  Auflage  geschriebene  Vorrede  ist  auch  dieser, 
ohne  weitern  Zusatz,  vorgedruckt  worden,  was  vielleicht  als 
ein  Zeichen  anzusehen  seyn  möchte,  dass  die  vorliegende  Aufl. 
keine  wesentlichen  Abänderungen  und  Zusätze  darbiete. 

Die  in  der  erwähnten  Vorrede  niedergelegten  Bemerkungen 
über  den  Vortrag  der  Gescliichte  von  Seiten  der  Lehrer,  so  wie 
über  das  Studium  derselben  von  Seiten  der  Schüler  sind  gewiss 
Jedem,  dem  der  Unterricht  in  diesem  Fache  zu  Theil  geworden 
ist,  aus  der  Seele  geschrieben;  aber  auch  bereits  ohne  Zwei- 
fel so  bekannt,  dass  Rez.  solche  hier  nicht  zu  wiederliohlen 
braucht.  Eben  so  wird  Allen,  welche  die  frühern  Aufl  kennen, 
noch  im  Andenken  seyn,  dass  darin  der  Verf.  schon  den  —  aller- 
dings sehr  empfehlenswert!!  scheinenden  Vorschlag  macht,  den 
Tollständigen  Geschichts-Unterricht  auf  Gymnasien  in  3  Kursus 
abzutheilen,  in  deren  jedem  das  ganze  Feld  der  Geschichte  zu 
durchmessen  wäre. 

Die  vorliegende  Aufl.  theilt  bereits  mit  der  vorhergehen- 
den den  grossen  Vorzug  vor  den  frühern ,  dass  ihr  eine  syn- 
chronistische Tabelle  der  Europäischen  Staatengeschichte  als 
Anhang  beygegeben  worden  ist,  durch  welche  die  praktische 
Brauchbarkeit  dieses  Hülfsbuchs  allerdings  wesentlich  gewonnen 
hat.  Diese  Zugabe  warumsonöthiger,  als  in  dem  Abrisse  seihst, 
zumahl  in  der  neuern  Geschichte  nur  in  den  Daten ,  insofern 
sie  Deutschland  betreffen,  grosse  Vollständigkeit  herrscht,  letz- 
tere dagegen  bey  den  übrigen  Staaten ,  sobald  die  Ereignisse 
auf  das  Ganze  keine  grossen  Folgen  haben  und  nicht  bedeu- 
tenden Einfluss  auf  die  Kulturgeschichte  äussern,  mehr,  hin 
und  wieder  vielleicht  zu  sehr,  in  den  Hintergrund  tritt.  Diesem 
Mangel  oder  richtiger  dieser  Ungleichheit  in  der  Behandlungs- 
weise  ist  nun  in  der  synchronistischen  Tabelle  mit  preiswürdi- 
gem Fleisse  abgeholfen  worden,  indem  in  derselben  von  Deutsch- 
land weiter  nichts  als  die  Nahmen  der  Römischen  Kaiser  und 
die  Dauer  ihrer  Regierung  angemerkt,  bey  den  übrigen  Rei- 
chen hingegen  —  nur  die  Schweiz  ausgenommen,  welche  in- 
dess  schon  im  Abrisse  näher  ins  Auge  gefasst  worden,  —  jedes 
bemerkenswerthe  Ereigniss  kurz  angedeutet  worden  ist.  Und 
so  erscheinen  beyde  Abschnitte  gewissermaassen  streng  zu  einem 
Ganzen  verbunden,  Avelches  nicht  füglich  getrennt  werden  kann. 
Da   nun  eudiich  zugleich  der  kleine  hiiätonsche   Schul- 


90  Kürzere  Anzeigen. 

Atlas  Ton  Möller  ganz  vorzüglich  zum  Gebrauche  mit  vorlie- 
gendem Abriss  bestimmt  ist,  so  sind  gewiss  alle  Anforderungen, 
die  man  an  ein  Ilülfsbuch  in  diesem  Fache  billiger  Weise  ma- 
chen darf,  mit  strenger  Sorgfalt  berücksichtigt  worden,  und 
um  so  mehr,  da  dem  Lehrer  in  diesem  Zweige  der  Wissenschaft 
im  Werke  selbst  freyer  Spielraum  gelassen  ist,  die  ausgehobe- 
nen Data  je  nach  dem  Kurs ,  in  welchem  die  Geschichte  vorge- 
tragen w  erden  soll ,  weiter  auszumahlen. 

Dem  Abriss  geht  eine  kurze,  nur  auf  1  Seite  zusammenge- 
drängte Einleitung  voraus ,  in  welcher  vorzüglich  die  -i  Kultur- 
stufen der  Menschheit  berücksichtigt  werden.  Der  Abriss  selbst 
(S.  2  —  38)  ist,  wie  gewöhnlich,  in  Tabellenform  behan- 
delt und  nach  3  Gesichtspunkten,  welche  die  Ueberschriften: 
Jahr  (vor  oder  nach  Chr.)  ;  Hauptrnornente  aus  der  Völker-  und 
Staatengeschichte ^  und  Kulturgeschichte  führen,  dargestellt. 
Er  zertheilt  sich  in  die  alte  (S.  2  — 11),  in  die  mittlere  (S.12  — 
23)  und  in  die  neuere  Geschichte  (S.  23 — 38).  Die  alte  Gesch. 
zerfällt  wiederum  in  4  Zeiträume,  von  welchen  der  Iste  die 
älteste  Geschichte  bis  auf  Cyrus,  der  2te  von  Cyrus  bis  auf 
Alexander,  der  dritte  von  Alexander  bis  Augustus,  und  der  4te 
von  Augustus  bis  zum  Untergange  des  abendländischen  Kaiser- 
thums  reicht.  Die  mittlere  Gesch.  begreift  ebenfalls  4  Perio- 
den, von  welchen  die  erste  von  Odoaker  bis  Karl  den  Grossen, 
die  2te  von  Karl  bis  zu  Gregor  VII ,  die  3te  von  Gregor  bis  zu 
Rudolph  von  Habsburg  und  die  4te  von  Rudolph  bis  Karl  V  geht. 
Die  neuere  Gesch.  besteht  dagegen  nur  aus  2  Zeitabschnitten, 
zwischen  denen  die  Französische  Revolution  die  Scheidelinie 
zieht.  Diese  10  Zeiträume  haben  aber  im  W^erke  selbst  fort- 
laufende Nummern,  so  dass  der  zweite  Zeitraum  der  neuern 
Gesch.  (der  von  der  Französ.  Revolution  an  bis  auf  unsere  Zei- 
ten [J.  1826]  reicht),  hier  der  lOte  heisst. 

In  diesem  mit  rühmlicher  Sorgfalt  und  ausgezeichneten! 
Fleisse  entworfnen  Abriss  sind  nun  alle  bemerkenswerthen  Mo- 
mente in  gedrängter  Kürze,  bey  welclier  es  selbst  nicht  an  Ab- 
breviaturen fehlt,  niedergelegt  worden.  Sollte  man  ja  hin  und 
wieder  darin  wichtige  Ereignisse  vermissen  ,  wie  z.B.  die  Hin- 
richtung der  Maria  Stuart,  die  Vereinigung  Englands  mit  Schott- 
land ,  den  Fall  des  Grafen  von  Bernstorf ,  Hollands  Besetzung 
durch  die  Preussen  in  J.  1787  etc.,  so  darf  jnan  nur  die  beyge- 
fügte  synchronistische  Tabelle  nachsehen,  und  man  wird  gewiss 
dann  über  alles  dort  Fehlende  hinlängliclfe  Auskunft  erhalten. 

Um  aber  nach  Rez.-Art  doch  etwas  zu  tadeln,  bemerkt 
Rez.,  dass  S.  35  der  Schweiz  im  J.  181(5  st.  22  nur  19  Kantone 
gegeben  worden  sind,  und  dass  S.  38,  wo  es  heisst:  ,,Die  letz- 
ten von  fcV/op.  besetzten  Oerter  in  Süd- Amerika,  Ulloa,  Cal- 
lao  und  Chiloe  fallen,"  das  Wort  Kurop.  genauer  in  Spanier 
umgewandelt  werden  sollte,    weil  Britten,    Niederländer  und 


Kohlrausch:  Chronol.Abrissd.Weltgesch.u.Müllcr's  hist.  S(:hul-Atlas.9l 

Franzosen  noch  immer  Besitzungen  in  Süd  -  Amerika  haben. 
Ebenso  ist  bey  der  übrigens  sehr  umfassend  dargestellten  Kul- 
turgeschichte noch  zu  erinnern,  dass  darin  zwar  das  Erdbeben 
in  Quito  vom  J.  1797,  aber  niclit  die  für  uns  noch  wichtigern 
Erdbeben,  welche  Lissabon,  Messina  und  einen  grossen  Thcil 
von  Kalabrien  verwüsteten,  erwähnt  worden  sind. 

Der  noch  auf  der  letzten  Seite  übrige  Platz  ist  zu  einem  klei- 
nen Aufsatz  verwendet  worden,  welcher  die  Ueberschrift  führt: 
Zur  Hülfe  für  Gedächtiiissäbtingen.  In  diesem  sind  jedem  Fin- 
ger beyder  Hände  4  (dem  Daumen  jedoch  nur  3)  in  der  Geschichte 
berühmte  Nahmen  ausgezeichneter  Männer  zugetheilt  worden, 
die  in  chronologischer  Ordnung  auf  einander  folgen.  So  hat 
der  Daumen  der  linken  Hand,  der  den  Anfang  macht,  Abraham 
2000  J.  V.  Chr.  Mose  1500  und  Priamos  1200,  und  der  der 
rechten  Hand ,  mit  welchem  sich  der  Aufsatz  schliesst ,  Peter 
den  Grossen  1700,  Friedrich  den  Gr.  1740  und  Napoleon  1804 
oder  die  Leipziger  Völkerschlacht  1813  zu  merken. 

Die  synchronistische  Tabelle  zur  neuern  Staatengeschichte 
nimmt  den  Rest  des  Werks  ein ,  und  reicht  folglich  von  S.  39 
—  51.  Jede  Seite  derselben  ist  anfangs  in  7,  weiterhin  in  8 
Spalten  zerlegt,  welche  die  üeberschriften  führen:  Jahre  n. 
Chr.^  Deutschland^  Italien,  Franheich,  England  (warum  nicht 
lieber  Gross-Britannien?),  Nordische  Reiche;  Spanien  und  Por- 
tugal und  Niederlande.  Sie  beginnt  mit  dem  J.  843  und  endigt 
sich  ebenfalls  mit  1826-  In  der  Rubrik  Deutschland  sind  über- 
all nur  die  Nahmen  der  Kaiser  genannt,  weil  dasselbe,  wie  schon 
oben  bemerkt,  im  Abrisse  selbst  vollständig  abgehandelt  wor- 
den ist.  Bey  allen  übrigen  sind  dagegen  alle  interessante  Be- 
gebenheiten herausgehoben,  so  dass  kein  Lehrer  der  Geschichte 
über  UnVollständigkeit  Klage  erheben  wird.  Auch  in  dieser 
Tabelle  sind  endlich  Abbreviaturen  nicht  gespart  worden. 

Schliesslich  erwähnt  Rez.  noch,  dass  dieser  Abriss,  wie 
auch  der  Verf.  in  der  Vorrede  meint ,  auch  schon  bey  der  all- 
gemeinen Uebersicht  der  Geschichte  zum  Grunde  gelegt  wer- 
den könne ,  indem  die  dazu  grossgedruckten  Zahlen  dabey  als 
Leitfaden  zu  dienen  bestimmt  sind. 

Druck  und  Papier  sind  übrigens  vortref  lieh  und  lassen  nichts 
zu  wünschen  übrig.  Auch  der  Druckfehler  sind  nur  wenige. 
Und  so  darf  die  geachtete  Verlagshandlung  nicht  allein  wegen 
dieser  eleganten  Ausstattung ,  sondern  auch  wegen  des  sehr  bil- 
ligen Preisses  dieses  so  empfehlenswerthen  Werkchens  auf  den 
vollen  Dank  des  Publikums  gerechten  Anspruch  begründen. 

2)  Auch  über  diesen  historischen  Atlas  muss  ein  sehr  rühm- 
liches Urtheil  gefällt  werden,  da  die  einzelnen  Charten  dem 
beabsiclitigten  Entzweck  vollkommen  entsprechen,  und  durch- 
gängig frey  von  groben  Irrungen  gehalten  sind ,  unbedeutende 
dagegen  bey  der  Bestimmung  dieses  Atlasses  nicht  in  Anschlag 


92  Kürzere  Anzeigen. 

gebracht  werden  dürfen.  Rez.  hat  demnach  im  Ganzen  nichts 
dagegen  zu  erinnern,  als  dass  auf  allen  Blättern  die  Längen - 
und  Breitengrade  ganz  vergessen  worden  sind,  und  dass  hin 
und  M'ieder  die  Schrift  etwas  ausdrucksvoller  ausgefallen  seyn 
könnte,  und  geht  daher  sofort  zur  Anzeige  der  einzelnen  Blät- 
ter selbst  über. 

Jedes  der  7  Blätter,  die  nur  Eine  Charte  enthalten,  ist 
16  Z.  breit  und  lOj  hoch.  Die  6  kleinern  Chärtchen,  welche  die 
3  übrigen  Blätter  in  sich  schliessen ,  haben  dagegen  eine  Höhe 
von  10| ,  und  eine  Breite  von  71  Z. 

]No.  1.  Karte  zur  ältesten  Geschichte  bis  zu  Trojas  Fall 
um  11 14  V.  Chr.  Sie  stellt  Meit  mehr  dar,  als  zu  jener  Zeit 
bekannt  war,  nähnilich  grosse  Theile  von  Europa,  Asien  und 
Afrika.  Doch  sind  nur  diejenigen  Länder  mit  Farbe  begränzt 
von  welchen  man  näliere  Kenntniss  hatte.  Schon  erblickt  man 
auf  derselben  den  Seeweg  der  Phönizier  nach  der  Küste  Tar- 
tessus  auf  der  Iberischen  Halbinsel,  ingleichen  den  Karawanen- 
zug derselben  ostwärts  nach  Bactra.  Schon  findet  man  in  Klein- 
Asien  die  Nahmen  der  Landsch.  Cilicien,  Lycien,  Carien,  Mäo- 
nien,  Lydien,  Mysien,  Troas,  Bithynien,  Bebrycien,  Paphla- 
gonien  und  Phrygien.  Den  leeren  Raum  von  Afrika  füllt  sehr 
zweckmässig  ein  Chärtchen  von  Griechenland  bis  zur  Zerstö- 
rung von  Troja  aus. 

Nr.  2.  Weltkarte  für  die  Geschichte  von  Troja  s  Fall  bis 
nach  Cynis  (J.  1174  bis  gegen  500  /.  v.  Chr.).  Sie  stellt  diesel- 
ben Länderraassen  wie  die  vorige  dar.  Man  übersieht  das  ganze 
grosse  Persische  Reich  bis  zum  Indus,  Griechenland,  Phönizien, 
Karthago  mit  ihren  Kolonien  u.  s.  w.  Auch  ist  auf  derselben 
bereits  die  vom  König  Necho  von  Aegypten  veranstaltete  Um- 
schiffung Afrikas  um  d.  J.  610  angedeutet. 

Nr.  3.  Karte  der  Länder  am  Mittelmeere  nnd  Pontiis  fiir 
die  Zeit  der  Griechisch- Persischeii  Kriege.  Dieses  Blatt  liat 
viel  engere Gränzen,  daher  auch  einen  grössern  Maassstab,  wes- 
halb die  Krümmungen  der  Küsten,  die  kleinen  Inseln  etc.  schon 
deutlicher  hervortreten.  Die  Italische  Halbinsel  ist  hier  schon 
in  Gallia  cisalpina,  Italia  propria,  und  Gross  -  Griechenland, 
die  Hämus-IIalbinsel  in  Griechenland,  Makedonien,  Thrakien 
und  lUyrien,  und  die  Nordküste  von  Afrika  in  Aegypten,  Mar- 
marica,  Cyrenaica,  Syrtenland,  und  Nimiidien  unterschieden. 
Phönizien  hat  zwar  noch  besondere  Gränzen  erhalten,  ist  aber 
schon  in  die  Illumination  von  Syrien  gezogen. 

Nr.  4.  ist  der  Länge  nach  gespalten.  Die  eine  Hälfte  bie- 
tet eine  Karte  von  Thracien^  Macedonien.,  lUijrien  und  Grie- 
chenland., die  andere  eine  Karte  vom  alten  Itcdien  dar.  Auf 
der  ersten  liaben  in  Hellas  und  im  Peloponnesus  die  Unterab- 
theilungen illuminirte  Gränzen.  Auch  sind  die  Inseln  Scyros, 
Lesbos,  Chios ,  Samos,  Icaria ,  Cos,  Thera,  Melos  und  andere 


Kohlrautjch :  Clu'onol.  Abrlss  d.Wültgescli.  u.MöUer's  hist.Schul-Atlas,  93 

mit  der  Farbe  von  Makedonicii  bezeichnet.  Auf  der  andern 
ist  Italien  nach  der  auf  der  vorij^en  Cliarte  an^ef^ebenen  Eiiir 
tlieilung  beliandeit.  Ausserdem  sind  auch  die  Clräazen  der  Pro- 
vinzen iiluniinirt. 

Nr.  5.  Das  Römische  Reich  in  seinem  grössten  Umjange. 
Der  liier  aufgenommene  Tlicil  Europas  ist  so  weit  nach  N.  vorr 
gerückt  worden,  dass  noch  Jütland  und  die  Südspitze  Skandi- 
jjaviens  sichtbar  sind.  Die  Ilauptbestandthcile  sind  mit  beson- 
dern Farben  und  die  Provinzen  derselben  mit  den  nähmlichen 
Farben  umgränzt.  Nur  Italien  und  Klein-Asien  machen  davon 
sonderbarer  Weise  eine  Ausnahme.  Im  letztern  sind  nur  Kap- 
padocien  und  Pontus  besonders  genannt  und  begränzt.  Unter 
den  Bestandtheilen  des  llömerreichs  hat  ßez.  aber  das  s.  g. 
Zehendland  verjnisst. 

Nr.  6  ist  wiederum  der  Länge  nach  gespalten.  Die  eine 
Charte  enthält:  Europa  um  das  J.  511  nach  Chr.,  und  die  an- 
dere: Europa  utn  das  J.  814.  Auf  der  ersten  fehlt  der  Nähme 
des  Ost -Römischen  Reichs ,  und  auf  der  andern  ist  das  Reich 
Karls  des  Grossen  in  N.  bis  jenseits  der  Elbe  vorgerückt. 

Nr.  T.  Karte  von  Europa.^  Asien  und  Afrika  um  d.  J.  1100 
nach  Chr.  Auf  dieser  Charte  sind  die  Reiche  und  Länder  sehr 
Zweckmässig  nach  den  Religionen  iiluniinirt  worden.  Die  christ- 
liclien  Länder  sind  nähmlich  roth,  die  muhamedanischen  grün, 
die  heidnischen  gelb,  und  diejenigen,  wo  das  Christenthum 
im  Kampf  mit  dem  Ileidenthum  war,  blau  bezeichnet. 

Nr.  8.  JFeltkarte  zu  den  Entdeckungen  im  \bten  undlGten 
Jahrhundert.  Auf  dieser  sehr  instruktiven  Charte  sind  die  Ent- 
deckungen und  Besitzungen  der  Europäischen  Seemächte  durch 
verschiedene  Farben  unterschieden  worden. 

Nr.  9  ist  abermahls  gespalten.  Die  eine  Hälfte  gewährt 
eine  Ansicht  von  Europa  um  d.  J.  1520,  und  die  andere  von: 
Europa  um  das  J.  1812.  Auf  der  letzten  sind  ausser  den  Haupt- 
städten auch  mehrere  durch  Schlachten  und  Verträge  berühm- 
te Orte  verzeichnet.  Alle  Staaten  liaben  hier  ihre  besondere 
farbige  Uragränzung  empfangen,  nur  Gross -Britannien  ist  völ- 
lig farbenlos  geblieben,  vielleicht  um  anzudeuten,  dass  dieses 
Reich  das  einzige  w  ar ,  welches  sich  ganz  frey  vom  Französi- 
schen Einfluss  zu  erhalten  wusste. 

Nr.  10.  Karte  der  Europäischen  Besitzungen  in  den  frem- 
den Erdtheilen.  Diese  Weltcharte  ist  eine  schätzbare  Zugabe 
des  Atlasses.  Auch  liier  sind  die  Besitzungen  der  Europäer 
durch  besondere  Farben  angedeutet  worden.  Schade  ist  es 
aber,  dass  bey  Amerika  auf  die  neuern  Veränderungen  noch 
gar  keine  Rücksicht  genommen  worden  ist.  Auch  sind  hier  noch 
Benkulen  (auf  Sumatra)  und  die  Nordspitze  von  Borneo  als  Britti- 
8ch0y,Cochiu  nnd  Malakka  hingegen  als  Niederländische  Kolo- 


04  Kürzere     Anzeigen. 

iiien  bezeichnet.     Endlich  hat  auch  die  Ostkiiste  Madagaskars 
unter  dem  Nahmen  Pametari  eine  Brittische  Kolonie  erhalten. 

Die  3 Seiten  des  farbigen  Umschlags  sind  zu  einem  passen- 
den Vorworte  benutzt  worden ,  welches  sich  jedoch  nur  auf 
^ine  kurze ,  w  iewohl  sehr  sachgemässe  Erläuterung  der  einzel- 
nen Charten  beschränkt. 

Rec.  schliesst  diese  Anzeige  mit  der  Versicherung,  dass 
das  Papier  zu  diesen  Blättern  von  gehöriger  Stärke  und  der 
Preis  des  Atlasses  äusserst  billig  gestellt  sey,  und  mit  dem  lierz- 
lichen  Wunsche ,  dass  dieser  so  brauchbare  Atlas  recht  viele 
Abnehmer  finden  möge. 

Dr.   Weise. 


Andeutungen  aus  der  Geschichte  alter  Völker. 
Ein  Leitfaden  für  den  Unterricht  in  Mittelklassen,  zunächst  für 
die  höhere  Bürgerschule  zu  Langensalza,  von  ür.  Theodor  Tetzner, 
Director  derselben.  Mühlhausen.  Verlegt  hei  Fr.  Heinrichshofen. 
1S25.     3  Bgn.     8. 

Hr. Director  Dr.Tetzner  versichert  in  der  kurzen  Vorrede 
vor  seinem  aus  3  fast  löschpapieren  Druckbogen  bestehenden 
Geschichtsbüchlein  ,  dass  ihm  von  2  Vorgesetzten  und  dem  ihm 
untergeordneten  Lehrer -CoUcgium  der  Auftrag  geworden  sey, 
eine  Reihe  von  historischen  und  anderweitigen  Lehrbüchern  für 
die  von  ihm  dirigirte  Bürgerschule  zu  Langensalza  abzufassen. 
So  wenig  wir  die  Wahrheit  dieser  —  wenn  gleich  mehr  pre- 
cär  als  präliminar  klingenden  Versicherung  in  Abrede  zu  stellen 
geneigt  sind  —  denn  wir  kennen  den  Hrn.  Dr.  Tetzner  aus 
seinen  übrigen  amtlichen  und  litterarischen  Thätigkeiien  und 
Leistungen  als  einen  wohl  denkenden  und  redlich  strebenden 
Mann  —  so  sehr  fühlen  wir  uns  zu  der  Zw cifelsfrage  veran- 
lasst und  berechtigt,  ob  der  Hr.  Vorredner  auch,  wie  das  Eh- 
renvolle, so  auch  das  Schwierige  des  ihm  zu  Theil  gewordenen 
Auftrages  schuldiger  Maassen  erwogen,  und  pflichtinässiger 
Weise  Alles  aufgeboten  liabe,  um  dem  von  zwei  würdigen  Be- 
hörden in  ihn  gesetzten  Vertrauen  ein  Genüge  zu  leisten.  Ohne 
ihm  als  dem  Verfasser  der  uns  vorliegenden  sogenannten  Andeu- 
tungen Unrecht  thun  zu  wollen  und  zu  können  —  weil  wir  es 
aus  Liebe  zur  Wahrheit  und  zu  der  gerechten  Sache  der  Kritik 
nicht  düi'fen  —  so  müssen  wir  die  ventilirte  Frage  mit  Nein  ! 
beantworten  ,  und  gegentheils  dem  Leser  der  Jahrbiicher  versi- 
chern, dass  Ilr.  Tetzner  zur  Ausführungeines  so  wichtigen^ 
die  Personalität  der  Committenten  sowohl  als  des  Commissarius, 
und  die  von  beiden  vertretene  Lehranstalt  betreffenden  und  be- 
theiligenden Auftrages  weder  die  erforderliche  schriftstelleri- 


Tctzner :  Andctitiingen  aus  der  Gcsclilchte  alter  Völker.        1)5 

seile  Thätig;keit  bewiesen  IiaLe,  noch  auch  im  All?:enieinen  die 
nöthige  Tüchtigkeit  zu  besit/eu  scheine.  Schon  der  Titel  des 
Biichleins,^;/f/e?//z/;/^e;/,  liat  etwas  Sclüelendes  und  Schillern- 
des ,  und  ist  mein-  ein  lockendes  Aushängeschild  als  eine  ehrli- 
che und  solide  Firma.  Es  gab  eine  Zeit,  wo  alles  „andeutete," 
"was  schrieb  und  schriftstellcrte ;  eine  andere,  wo  jeder  sinnig 
■und  gemiithlich  scyn  wollte;  jetzt  stclin  wir  in  der  Periode  des 
Humors  und  der  göttliclien  Ironie.  Wozu  dieses  Halb-  und 
Hell -Dunkel,  zumabl  in  wissenschaftlicben  Dingen  und  in  Ju- 
gendscliriften'?  Schrieben  und  überschrieben  und  betitelten  denn 
in  dieser  burlesken  Manier  auch  die  grossen  Alten,  diese  ewigen 
Muster  des  Naturwahren,  PJinfachen,  Klaren  und  Hellen  in 
Schrift  und  Sprache*?  Und  Hr.  Tetzner  ist  doch  wohl  durch 
die  Schule  derselben  gegangen! 

Dazu  kommt,  dass ,  wie  der  Name  Viberhaupt  nicht  etwa 
wejiig^  sondern  >iel  zur  Sache  thtit^  so  insonderheit  der  Name 
feines  Buches  von  nicht  zu  verkennender  Bedeutsamkeit  und  Wich- 
tigkeit ist,  denn  er  gilt  auf  dem  litterarischen  Markt  für  ein  un- 
trügliches Waarenzeichen  und  im  Foro  der  Kritik  für  die  Auf- 
gabe, die  sich  der  Schriftsteller  gesetzt  hat  und  mit  welcher 
und  deren  kunstgerechter  Lösung  der  Kritiker  sein  Geschäft  be- 
ginnt. Wenn  nun  Hr.  Dr.  Tetzner  sein  Feder-Product  unter 
dem  HaupttiteL^7?rfe?</'w7/^e?z  ausgibt,  und  der  Leser  dasselbe 
bona  fide  undinder  Absicht  nimmt,  historische  Züge  und  Umrisse 
mit  hervorstechender  Cliarakteristik  zu  bekojnm«<i,so  ist,  wenn 
nicht  der  Wille,  doch  der  Act  der  Täuschung  augenfällig,  und 
die  Kritik  ais  Vermittlerin  der  Walirheit  tritt  in  ihr  Recht  und 
in  ihre  Pflicht.  Und  somit  erklären  wir  denn  unumwunden, 
dass  die  fraglichen  Andeutungen  eben  so  wenig  andeutend  als 
bedeutend,  ja!  theilweise  nicht  einmalil  zu  deuten  und  deut- 
lich ,  also  in  Anlage  und  Ausführung  verfehlt  sind.  Sie  sind  es 
nicht,  und  hönnen  es  nicht  seyn;  erstlich^  weil  der  Verf.  von 
einem  mit  dem  Titel  „Andeutungen"  auszustattenden  Werke 
keinen  deutlichen  Begriff  gehabt  (auch  nicht  von  Böttigers 
bekannten  arrhaeologischen  Andeutungen  abstrahirt )  hat  — 
denn  sonstwürdeereher  jedes  Andere,  nur  nicht  ein  chronologi- 
sches Breviarium  der  älternVölkergeschichte,wie  das  vorliegende, 
geschrieben  haben;  ziveitens^  weil  der  Verf.  zw at  einen  Begriff 
von  einer  Bürgerschule  in  concreto,  aber  keinen  'vo^llständigeU 
nnd  erschöpfenden  Begriff"  von  Methode  des  historischen  Unter- 
richts auf  einer  Bürgerschule  gehabt  hat,  was  uiti  so  auffallen- 
der erscheint,  da  das  Läiigensalzaer  Bürgerschulwesen,  laut 
Vorwortes  des  Verf.,  diirch  den  Herrn  Schiilrath  Hahn  vor- 
trefflich orgaiiisirt  worden  ist.  —  Beiläufig  fragen  wir:  oh  Hf , 
Schlrth.  Hahn  w«vhl  die  Arbeit  des  Verf.  mit  seinem  Beifall 
Beehrt  und  ihn  zu  ähnlichen  ermuntert  hat?  Wir  zweifeln,  da 
wir  deiliselhen  als  einen  eben  so  denkenden  Schul-,  wie  thätig^en 


96  Kürzere     Anzeigen. 

und  verdienten  Gescliäfts-Mann  kennen! —  Drittens^  weil 
der  Verf.  seine  Arbeit  für  so  unbedeutend  a  priori  gehalten 
hat,  dass  er  sich  fast  zur  Aufgabe  gemaclit  zu  haben  sclieint, 
weder  selbst  zu  denken  noch  selbst  zu  reden,  sondern  andere 
für  sich  denken  und  reden  zu  lassen.  —  Daher  ist  sein  Buch  ein 
höchst  flüchtiger  und  zusammengestöppelter  Auszug  aus  den  vul- 
gären liist.  Lehrbüchern  und  Leitfäden  von  Dolz,  Pölitz, 
Böttiger  u.a.,  die —  seltsamer  Weise —  neben  der  Real- 
Encyclopädie  fast  bei  jedem  Paragraphen  citirt  werden.  Am 
meisten  jedoch  citirt  der  Verf.  sich  selber  als  Gewährsmann  in 
seinen  röm.  und  hellenischen  Geschichten  —  deren  Werth  wir 
auf  sich  beruhen  lassen  und  als  unbekannte  Grössen  setzen.  — 
Warum  nicht  diese  oder  andere  Hilfsmittel  den  Schülern  ein 
für  alle  Mahl  passenden  Orts  genannt  und  zum  Nachlesen  em- 
pfohlen 1  W  ozu  eine  so  zerstreute  und  zerstreuende  Citaten  -  Zie- 
rerei in  einem  Elementar- Buche?  l  iertens  q\\A\\c\\^  weil  der 
Verf.  von  einer  populären  historischen  Form  des  Ausdrucks  eben 
so  wenig  einen  deutlichen  Begriff  als  eine  Einsicht  in  die  Wahl 
des  historischen  Stoffs  für  Volksschul-Zwecke  gehabt  hat,  wess- 
lialb  denn  auch  in  dem  ganzen  Büchlein  fast  keine  Spur  von 
selbstständiger  und  freier  Verarbeitung  des  gegebenen  Stoffs 
aufzufinden  ist,  wie  sich  dergleichen  in  dem  bekannten  Bre- 
dowschen  Büchlein  auf  jeder  Seite  zeigt. —  Zum  Belege  die- 
ses Urtheils  genüge  ein  und  die  andere  Probe  von  der  Darstel- 
lung des  Verf.  —  §  1  erklärt  Geschichte  im  engern  Sinne  für 
eine  Darstellung  der  wichtigsten  Schicksale  der  Krde  (!)  und 
des  Menschengeschlechts  —  und  doch  sind  Erd-  und  Men- 
schen-Geschichte Begriffe,  von  denen  jener  diesem  untergeord- 
net ist  —  wenigstens  in  einer  Klassification  der  historischen  Fä- 
cher und  Gebiete.  —  Eben  so  seicht  und  oberflächlich  ist  der 
in  §  2  gegebene  Begriff  von  Geographie,  deren  Eintheilung  in 
alte,  mittlere  und  neue  übrigens  wohl  in  ein  Gymnasial-,  aber 
nicht  Elementar- Lehrbuch  der  Geschichte  einschlägt.  Nicht 
minder  lehr-  und  zweckwidrig  erscheint  in  demselben  §  die 
Angabe  des  Jahres  1792  als  einer  französischen  Aera.  (?)  Wie 
unlogisch  der  Verf.  eintheilt,  lehrt  der  folgende  dritte  §,  wo 
die  Geschichte  in  Hinsicht  auf  den  Ort  in  eine  Staaten-  und 
Qrts- Geschichte,  in  eine  Universal-  und  lleligions -Geschichte 
(welche  Begrifflosigkeit!)  zerlegt  wird;  so  wie  eben  daselbs|; 
vpn  einer  Urgeschichte  gesprochen  und  hinterher  versichert 
wird,  es  gäbe  dergleichen  nicht.  Dass  der  Verf.  auch  histori- 
sche Resultate  nicht  logisch  darzulegen  vermag,  beweist  §  5  S.  6, 
der, wörtlich  also  lautet:  „Im  Anfang  schuf  Gott  Himmel  und 
Erde.  Asien  war  die  Wiege  der  Menschheit.  Der  Ort  des  Pa- 
radieses ist  so  wenig  jauszumitteln,  wie  die  specielle  Urgeschichte. 
Wahrscheinlich  vermehrten  sich  die  ersten  3Ienschen  sehr 
schnell,  so  dass  sie  sich  bald  weiter  ausbreiten  mu^gteu.     Das 


Tetzner :    Andeutungen  aus  der  Geschichte  alter  Völker.         97 

Bediirfiiiss  und  der  Zufall  lehrte  ihnen  wohl  zuerst  die  Künste 
dcriXoth,  daiui  die  der  Uequenilichkeit.  So  entstand  die  Sprache, 
so  wurden  sie  Jäger,  dann  Nomaden  und  zuletzt  Ackerbauer. — 
Aus  mehreren  Familien  wurden  Horden  und  Völker,  too  der 
Tapferste  oder  Weiseste  das  höchste  Ansehn  erhielt.  Nun  erst 
entstanden  Dörfer  und  Städte  und  aus  diesen  Reiche.  —  Um 
das  Jahr  2000  entstanden  schon  mächtige  Reiche  z.  B.  Assyrieij 
und  Babylonien —  u.  s.  w."  Wenn  in  dieses  Compot  von  Sätzen 
der  Lehrer  nicht  Sinn  und  Znsammenhang  einträgt,  so  möchten 
sie  fiir  den  Elementar  -  Schüler  ein  stygisches  Dunkel  bleiben. 
Li  wie  weit  aber  der  Verf.  Viber  das  l'iir  eine  Diirgerschule  noth- 
wemlige  und  brauchbare  Material  nachgedacht,  und  die  erfor- 
derliche Lehrweisheit  sich  angeeignet  liaben  mag,  zeigt  S.  47 
—  41)  §  29  U.30  zur  geniiglichen  Probe;  denn  in  diesen  beiden 
§§  sind  fast  sämmtliche  römische  Kaiser  (einige  Dutzend)  und 
alle  Massacres  derselben  aufgeführt.  Wenn  ein  solches  Detail 
aus  der  Blut-  und  Gräuel- Geschichte  der  Menschheit  für  das 
kindliche  Gemüth  ausgehoben  wird :  wo  bleibt  da  Zweck  und 
Maass  des  historischen  Unterrichts  !  Wo  soll,  wenn  die  Bür- 
gerschule so  täppisch  in  das  Dorncnfeld  der  Historie  hinein- 
fährt, die  Gelehrtenschule  ihre  Aehrenlese  halten?  Dieser  Mau- 
gel an  Urtheil,  Geschmack,  Wahl  und  Oeconomie  in  der  Ma- 
terie, so  wie  an  angemessner ,  fasslicher  wenn  auch  rhapsodi- 
scher Form  des  Vortrags  zieht  sich  durch  das  Buch  und  ist  der  wun- 
de und  nur  durch  Eisen  zu  curirende  Fleck  desselben.  —  Wenn 
nun  diese  überall  sichtbare  Blossen  an  sicherni  und  vestem  pä- 
dagogisch-litterarischen Urtheil  iiberdiess  durch  keine  andere 
schriftstellerische  Tugend,  weder  durch  Anordnung,  Eintheilnng, 
Ausführung,  noch  durch  Styl  und  Ausdruck,  am  wenigsten 
durch  Fleiss  und  Sorgfalt  verdeckt  wird  :  so  können  wir  nicht 
anders  als  unsere  Ansicht  von  dem  Buche  unverdeckt  und  unver- 
schleiert  eröffnen,  und,  dasselbe  —  wiederliolend — für  eine 
wenn  auch  gut  gemeinte,  doch  durch  und  durch  verfehlte  und 
raisslungene,  und  seihst  als  ein  Noth  -  und  Ililfs- Buch  gegen 
das  Dictiren  unbrauchbare  Compilation  erklären.  Oder  zeugi 
es  von  Einsicht,  Fleiss  und  Sorgfalt,  nenn  der  Verf.  hier  geo- 
graphische Nomenklaturen  (wie  :-^  „iuTJiess^lien  floss  derl^eneus, 
da  war  der  Olymp  und  das  reizendeTqmpe — Epir  mitDodona— ") 
gibt,  dort  (wie  bei  der  Gesch.  derBabyl.,Assyr.,IIebr.)  Tuit  kei- 
ner Sylbe  des  Schauplatzes  der  Begebenheiten  gedenkt!  Wenn 
er  in  einemliistor.  Lehrbuch  sich  in  pomphaften  Phrasen  gefällt^ 
wie:  ,,Agesilaus  hätte  sicher  den  Persischen  Koloss  gestürzt" 
(wie  einfach  Xenophäu  in  seinen  Hellen,  ü ber  diesen  Gegenstand !) 5 
„Constantins  Regenten -Despotismus  gründete  sich  auf  Begüjisti- 
gung  der  Hierarchie!"'  (so  darf  etwa  in  l*rima  eines  Gymnasii 
gesprochen  und  geschrieben  werden.)  ,,Daruis  stieg  durch  ein 
Pferdeorakel  auf  den- Thron  !"  (welche  unfruchtbare  Notizj  die 

Jahrb.  f.  Phil.  u.  Pädag.  Jalirs.  lii.  Heft  9.  '^ 


^  Abhandlung. 

schon  aus  Ilerodot  sich  berichtigt ,  der  den  D.  als  den  würdig- 
sten Kronprätendenten  bezeichnet.)  „Die  Geistesbildung  der 
Griechen  ist  mit  Riesenschritten  vorwärts  gedrungen. "  —  Da- 
gegen wieder  von  den  Römern:  „Kunst  und  Wissenschaft 
sind  im  Abnehmen,"  u.  nun  wie  zum  Beweise:  T^acitus^  Sueton 
u.  s.  w.  „Dem  M.  Agrippa  musste  man  Voikstribunen  mit  dem 
höchsten  Yeto  zugestelien"  (!).  — Hegemonie,  Principat ,  Phi- 
lippiker, Universal- Monarchie,  acta  Caesaris,  Familien  -  Aristo- 
kratie u.  dgl.ra.  sind  Ausdrücke,  die  in  kein  Lehrbuch  für  Volks- 
schulen gehören.  — 

Eine  Fortsetzung  dieser  Andeutungen  sind  die  Andeutun- 
gen aus  der  Geschichte  des  Mittelcdters^  die  in  IJ  Druckbogen  (*?) 
die  Begebenheiten  von  Christus  bis  Karl  d.  Gr.  enthalten,  aber 
in  Materie  und  Form  so  gehaltlos  sich  ergeben  (als  eine  dürf- 
tige Compilation  aus  Bredows  bekannten  bist.  Schulbüchern), 
dass  wir  uns  nicht  verpflichtet  glauben,  sie  durch  irgend  eine 
Kritik  zu  ehren,  dagegen  den  Hrn.  Verf.  auffordern,  zur  Ehre 
seines  wichtigen  Berufes  und  Amtes  seine  schriftstellerischen 
Versuche  nicht  übereilen,  sondern  zeitigen  lassen  zu  wollen, 
und  den  Schriftsteller  bei  dem  Schulmann  in  die  Lehre  zu 
schicken ! 

ReuscTier. 


Abhandlung. 


lieber  die  unter  schiednen  Sat  s-Verhältnisse,  welche  durch 
die  lat.  Partikel  ut  ausgedrückt  werden.  [Mit  Bezug  auf  eine 
in  dieser  Zeitschrift  Bd.  V  S.  153  ff.  aufgestellte  neue  Ansicht.] 

Uie  unterschiednen  Functionen  des  ut  lassen  sich  füglich  auf  folgende 
Hauptbegriffe  zurückführen : 

A.  Das  ut  ist  eine  Frag-  (und  Exclamations  -  )  Partikel  der  Art 
und  fVeise  oder  des  Grades:  ut  valet?  ut  meminit  nostri?  ( Ilor.  ep. 
1,  3,  12)  —  quanta  (puerorum)  certaniina !  ut  illi  efferuntur  laetitia, 
cum  vicerint!  ut  pudet  victos!  ut  se  accusari  nolunt!  quam  cupiunt 
laudari!   etc.   (Cic.  Fin.  5,  22,  61.) 

B.  Diese  directen  Frag- Atisdrücke  mit  ut  werden  leicht  zu  in- 
dlrecten  Fragsätzen  ,  indem  sie  sich  als  Objecte  an  ein  Rectionsverh 
des  Denkens  und  Redens  anknüpfen  ,  und  dann  den  Conjunctiv  anneh- 
men. So  wie  man  sagen  kann :  ut  illi  efferuntur  laetitia!  so  auch 
vide  ut  efferantui-.  Z.  B.  videtisne  ut  eos  agitcnt  furiae?  (Cic.  Rose. 
A.  24)  —  res  declarat,  ut  cupierint  (C.  Verr.  2,  C5,  157)  —  mirum 


lieber  die  untersckicdnen  Satz -Verhältnisse  der  Partikel  ut.      09 

est,  ut  aniraus  agitatiune  motuque  corporis  excitetur(Plin.  ep.  1,  0)' ') 
Diese  Redforra  scheint  aber  auf  der  äussersten  Grenze  der  indirecten 
Fragsätze  zu  stehen ,  und  bildet  den  Uebergang  zur  indirecten  Aussage, 
welche  im  Lat.  den  Acc.  c.  Inf.  verlangt.  Obgleich  beides  auch  im 
Deutschen  leicht  verschmilzt,  indem  das  Geschehen  selbst  als  eine  Art 
und  Weise  des  Geschehens  dargestellt  wird  („ihr  seht,  wie  Alles  wieder 
ins  alte  Gleis  zurückkehrt,"  für  dass  Alles  zurückkehrt):  so  darf  es 
doch  nicht  befremden,  auch  auf  Abweichendes  zu  stossen,  z.  B.  auf 
Ausdrucksarten  wie:  in  isla  sum  sententia ,  nihil  ut  fuerit  melius  (C. 
leg.  3,  15);  oder:  potest  illud  esse  falsum ,  ut  circumligatus  fuerit; 
eed  ut  in  cunis  fuerit  anguis,  non  tani  est  niirum  etc.  (Cic.  div.  2,  31); 
wo  im  Deutschen  das  wie  kaum  noch  anwendbar  ist. 

C  Häufiger  kommt  dieses  ut  gleich  andern  interrogativen  Ad- 
verbien u.  Pronomen,  unde,  ubi,  quo,  quorsura,  quot,  qualis,  quantua 
etc.,  in  Relativsätzen  in  Gebrauch:  ut  sementem  feceris ,  ita  metes. 
Mancherlei  besondere  Anwendungen  ,  wie  z.  B.  das  ut  —  ita  in  der  Be- 
deutung von  zwar  —  aber;  oder  Redformen,  wie  utut  est,  utcunque 
fuit,  im  Sinne  einer  Sumtion  (u'i'e  es  auch  seyn  mag^j  oder  Bestim- 
mungssätze, wie  ut  rediit,  wo  der  Begriff  der  Art  und  Weise  ganz  ver- 
schwindet und  in  eine  Zeitbestimmung  übergeht  (  wie  auch  andre  Spra- 
chen diese  Begrifts- Uebei-tragungen  zeigen)  —  und  Anderes  der  Art, 
kann  hier  nicht  weiter  verfolgt  werden. 

D.  Wir  betrachten  ferner  Sätze  wie:  faclam  ut  intelligas,  quid 
hi  de  te  sentiant  (C.  Cat.  1,  8,  20)  —  obtinuit ,  ut  daretur  conci- 
lium  (Liv.  35,  33)  —  agitur  enim  nihil  aliud  in  hac  causa,  quam  ut 
nuUum  sit  posthac  in  rep.  publicum  consilium  (C  p.  Rab.  2,  4)  — 
coactus  est,    ut  vita  se  ipse  privaret  (C.  or.  3,   3)  • —  praetori  scripsit 

ut  arraaret  juventutem   (Liv.  35,    39)   —  ut veniretis,    vix 

optandum  videbatur  ( C.  or.  1 ,  21 ,  1)6 )  —  id  est  proprium  civitatis 
atque  urbis,  ut  sit  libera  etc.  (Cic.  off.  2,  22)  —  jus  esse  belli,  ut, 
qui  vicissent,  iis,  quos  vicissent,  imperarent  (Caes.  b.  g.  1 ,  36).  Wie 
unterscheidet  sich  nun  diese  Function  des  ut  von  den  vorigen?  Der 
Bestimmungssatz  enthält  hier  wieder  einen  Gegenstand ,  Avie  unter  B ; 
jedoch  von  sehr  unterschiedner  Art.  Die  lat.  Sprache  macht  in  Ab- 
sicht der  Gegenstandsbestiramungen  (es  sey  ein  Subject  oder  Object) 
einen  Unterschied,  den  wir  durch  die  Ausdrücke  Nominal-  und  Rcal- 
Gegenstand  festhalten  wollen.  So  wie  nehmlich  auch  schon  in  einem 
einfachen  Satze    unter   den  mannigfaltigen  Verhältnissen,    in  welchen 


*)  Es  ist  nicht  ausser  Acht  zu  lassen  ,  dass  dieses  ut  der  indirecten 
60  wie  der  directen  Frage  mit  vielen  andern  Wörtern  zu  theilen  hat ,  die 
ebenfalls  ein  luie  ausdrücken  oder  enthalten ,  und  dass  es  verbä'.iuissmä- 
esig  seltner  in  Gebrauch  kommt,  als  ähnliche  Frag- Ausdrücke  mit  qui, 
quam,  quomodo  etc.  :  hunc  hominem  numerari  qui  decet?  (  C.  leg.  2,  7, 
16)  —  incredibiie  est,  quam  ille  me  in  omni  generc  delectarit  (C.  Att. 
16,  5)  —  quaerimus  quonam  modo  Aitam  agere  possimus,  si  etc.  (Cic.  Fin. 

4,  25,  69)  —  quantopcre  vos  crmtcronerent, videor   animadver- 

tisse  (Liv.  4,3);   und  Aehnlichee  überall. 

7* 


100  Abhandlung.  .<•  'T 

das  Subject  und  Object  zum  Prädicat  stehen  kann,  das  ein  Haupt- Un- 
terschied ist,  ob  dabei  mehr  eine  blosse  äussere  Verbindung-,  ein  Auf- 
nehmen in  Vorstellung  und  Rede,  oder  ein  innerer  Causai- Nexus,  ein 
Thun  und  Erleiden ,  zu  Tage  kommt :  so  ist  auch  das  Aerhältniss  ei- 
nes Satzes,  er  gebe  dem  Prädicat  ein  Subject  oder  Object,  von  dop- 
pelter Art.  Entweder  ist  es  ein  Denk-  und  Red-,  also  ]>"omJ7iai- Ge- 
genstand; da  denn  im  Lat.  für  den  Fall  der  aussagenden  Rede  der  Acc. 
c.  Inf. ,  für  die  fragende  das  Tempus  finitum  mit  dem  Fragworte  ein- 
tritt. Oder  die  Beziehung  ist  von  der  Art,  dass  ein  Einwirken,  Her- 
vorbringen, Verändern,  ein  Real -^exns  zum  Grunde  liegt.  Wir- 
kend kann  nur  das  Subject  seyn;  und  sofern  ein  Satz  mit  solchem  Be- 
griffe, als  Thatsatz ,  als  wirkendes  Siihject  auftritt,  ist  das  quod  mit 
dem  Indicative  im  Gebrauch,  Das  Gewirkte  aber,  es  stehe  im  Object 
oder  Subject,  Avird  durch  ut  mit  dem  Conjunct.  ausgedrückt.  So  bil- 
den sich  also  viererlei  Ausdrücke  für  den  Bestimmungssatz  des  Gegen- 
standes, die  wir  uns,  da  das  Object  durch  grammatische  Mittel  immer 
auch  als  Subject  aufgestellt  werden  kann,  alle  gleichmässig  in  sub- 
jectivischer  Stellung  auf  folgende  Weise  zur  Uebersicht  bringen: 

1)  rem  ita  agi,  convenit,  inde  intelligitur  etc.  —  Nominal- Gegen- 
stand der  Aussage. 

2)  res  quemadmodum  acta  sit,  quaeritur,  interest  etc.  —  Nominal - 
Gegenstand  der  Frage. 

3)  quod  res  ita  acta  est,  spera  nobis  affert,  indignationem  movet 
etc.  —  activischer  Real  -  Gegenstand  ,  das  Wirkende,   Thatsatz. 

4)  ut   res  ita  ageretur,  pervictum,  institutum  est  etc. — passivi- 
scher Real- Gegenstand  ,   das  Gewirkte,   Wirkungssatz. 

In  weitere  Erörterung  aller  dieser  Verhältnisse  können  wir  hier 
nicht  eingehen.  Wir  haben  es  auch  zunächst  nur  mit  dem  letzten 
Falle  zu  thun  ,  der  eben  die  vorhin  unter  D  aufgestellten  Redweisen 
betrifft.  Es  ist  also  in  dieser  Analogie  durch  das  ut  mit  seinem  Con- 
junctive  das  Leidende,  das  aus  der  Rection  Hervorgehende,  Bewirkte, 
ausgedrückt.  Das  Walunehmeu ,  Erkennen,  Denken,  Aussprechen 
ist  zwar  auch  Thätigkeit,  und  kann  sich  auf  ein  Object  beziehen;  al- 
lein dieses  wird  dadurch  nicht  erzeugt  oder  verändert,  es  ist  kein  rea- 
ler Einfluss  darauf  vorhanden;  und  wenn  sich  solches  als  ein  Satz  ge- 
stalten will  {ich  erkenne,  dass  die  Sache  sich  so  verhäW) ,  so  ist  der 
Acc.  C.Inf,  als  der  Ausdruck  des  Nominal-  oder  Red- Gegenstandes 
dafür  anpassend.  Sobald  aber  irgend  ein  Begriff  des  Entstehens,  Ge- 
schehens, Erleidens,  dazukommt,  so  tritt  der  Bestinimungssatz ,  als 
Wirkungs  -  Gegenstand ,  aus  der  Sphäre  des  Infinitivs  heraus ,  und  ver- 
langt ein  Tempus  flnitum  des  Conjunctivs  mit  ut.  Bei  Rections- Ver- 
ben mit  activischem  und  passivischem  Sinne  ist  das  Verhältniss  freilicli 
am  deutlichsten  zu  ersehen.  Indessen  auch  Ausdrücke  Avie  temporis 
est ,  aequum,  rectum  est ,  haben  ein  solches  ut  effecti  bei  sich ,  sofern 
der  Satz  des  letztern  doch  immer  als  etwas  aus  der  Rection  Entsprin- 
gendes, von  ihr  Ausgehendes,  zu  ihr  Gehöriges  vorzustellen  ist.  Temporis 
est  heisst  soviel  als  tempus  postulat.  Ja  selbst  Ausdrücke  wie  accidit,  acce- 


lieber  die  untcrsclüedncn  Salz  -  Verhältnisse  der  Partikel  ut.     101 

dit,  fit,  futurum  est,  reliqmim  est,  gehören  hielicr;  das  Schicksal,  die 
Zeit,  die  Folge,  briiigts  so  mit  sich,  dasa  u.  s.  >v.  AVenn  zwischen  die- 
sen Redweisen  mit  ut,  quod,  und  dem  Inlhiitive,  eine  Menjj^e  unmerk- 
barer Uebcrgänge ,  auch  wohl  Unbestimmtheiten  und  Willkührlirlikei- 
ten  im  Gebrauche  zum  Vorschein  kummen ,  so  liegt  das  in  der  Natur 
der  Sache. 

Doch  wir  schreiten  in  den  Functionen  des  ut  weiter  fort.  Es 
zeigt  sich  nehmlich  noch  in  zm  ei  abhängigen  Satzarten  ,  welclie  nicht 
zu  den  Gegenstands-,  sondern  zu  den  t/?jis<a«(/s- Bestimmungen  gehö- 
ren.     Das  eine  ist: 

E.  Der  F««aisa<c  mit  seinem  Conjunctivo  consilii:  idcirco  amici- 
tiae  comparantur,  tit  commune  commodum  mutuis  officiis  gubernetur 
(C.  Kose.  Am.  6,  38^  —  inde  cibo  corpora  lirmare  jussi,  ut,  si  lon- 
gior  e«set  pugna,   viribus  sufTicerent  (Liv.  27,   13).      Das  andre  ist: 

F.  Der  Folgesats  mit    seinem  Conj.    eventus :    tanta  vis  probitatis 

est,    ut  eam in  hoste  etiam  diligamus  (C.  Lael.  29)    — 

non  possunt  una  in  civitate  multi  rem  atque  fortunas  amitterc  ,  ut  non 
plures  secura  in  eandem  cahimitatera  trahant  (Cic.  Man.  19)  —  ubi  po- 
tentius  jam  id  mahim  esse  apparuit,    quam  ut  minores  per  magistratus 

sedaretur    (Liv.   25,    1)    —  magistratuum   injurias ita  tule- 

runt,    iit  nunquam  ante  hoc  terapus  ad  aram  legum confuge- 

rint  (C.  Verr.  2,   8). 

Endlich  sind  auch  noch  die  Ausdrucksarten  mit  ut  zu  beachten, 
die  ohne  eine  bestimmte  Rection  aufzutreten  pflegen.  Manches  der 
Art  L'isst  sich  allerdings  unter  eine  der  bisher  betrachteten  Analogien 
ordnen.  Z.  B.  ut  taceam,  ut  omittam,  ut  ita  dicara ,  ist  offenbar 
nichts  anders  denn  ein  Finalsatz.  Ausdrücke,  Avie  tu  ut  illa  diutius  ca- 
rere  possis  (C.  Cat.  1,  9  extr.) ,  gehören  zu  den  Gegenstandssätzen 
(des  Thuns,  eftecti)  oder  auch  zu  den  Folgesätzen  (D,  F.);  man  denkt 
sich  leicht  eine  Rection  hinzu  ,  wie  etwa :  wäre  es  möglich  ,  du  wärst 
der  Mann  dazu,    dergl.      Eine  besondere  Aufstellung  vei-dienen  jedoch: 

G.  Die  surativen  Redformen  mit  ut:  quum  dictator,  ut  vera 
omnia  essent,  secunda  se  magis  quam  adversa  timere  diceret  (Liv,  22, 
25),  „er  äusserte,  dass,  sollle  auch  Alles  wahr  seyn^  er  mehr  die  gün- 
stigen Erfolge  fürchte"  u.  s.  w.  —  Snspecta  ei  gens  erat,  quum  ob 
iflßda  nnilta  facinora,  tum,  ut  alia  vetustate  obsolevissent,  ob  recen  • 
tem  Bojorum  perfidiam  (Liv.  21,  52),  „er  traute  dieser  Nation  nicht, 
schon  wegen  früherer  Treulosigkeiten,  aber  auch,  wenn  Anderes  in 
f  ergesscnhcit  gerathen  wäre,   wegen  des  neulichen  Abfalls  der  Bojer." 

H.  Die  optativischen  Ausdrücke  mit  utinam:  utinam  virorum  co- 
piam  haberetis  (C.  ^Lan.  10)  —  utinam  ut  culpam  sie  etifira  suspicio- 
nem  vitai-e  potnissem  (  C.  Phil,  1,  13).  Es  sind  liier  wie  bei  G  haupt- 
sächlich die  dabei  so  häufig  vorkommenden  Plusquamperfecte ,  welche 
das  Ergänzen  einer  befriedigenden  und  passenden  Rection  schwer  ma- 
chen. 

Das  wären  denn  also  die  wichtigsten  und  bemerkbarsten  Unter- 
schiede ira  Gebrauch  des  ut,    wie   sie  im  Ganzen  genommen  auch  in 


102  Abhandlung. 

den  Wörterbüchern  aufgestellt  zu  werden  pflegen.  Von  dem  ut  inter- 
rogativum  und  relativum  (A  —  C),  dem  das  deutsche  wie  entspricht, 
unterscheidet  sich  wesentlich  das  ut  effecti,  dass  (D),  das  ut  eventus,  so 
dass  (E),  das  ut  finale,  damit  (F),  das  ut  sumtionis,  auszudrücken 
durch  wenn  (G),  und  das  Optative  ut,  wenn  doch  (il). 

Hievon  weicht  nun  eine  neuerdings  in  diesen  Jahrbüchern  aufge- 
stellte Ansicht  gänzlich  ab.  Herr  Prof.  Wunder  hat  nehiulich  in  sei- 
ner Recension  der  Müllers  eben  Ausgabe  der  CIc.  Rede  p.  Sextio 
(im  2ten  Heft  des  5ten  Bandes  derJbb.)  von  einer  Stelle  imSßsten  Capi- 
tel ,  wo  die  Construction  des  verisimile  nt  anstössig  gewesen  ist ,  An- 
lass  genommen,  nicht  nur  mehrere  Vorkomnienheiten  dieser  Art  zur 
Untersuchung  zu  ziehen,  sondern  überhaupt  die  Sätze  mit  ut  einer 
Durchmusterung  zu  unterwerfen  (S.  151  —  103),  Er  findet,  dass 
überall  das  ut  keine  andre  Bedeutung  habe  als  wie,  und  dass,  wenn 
man  diesen  Begriflf  zum  Grunde  lege ,  und  die  Bedeutungen ,  welche 
der  Conjunctiv  für  sich  hat,  berücksichtige,  alle  Anwendungen  des  ut 
erklärlich  werden.  *)  Es  seyen  nehmlich  —  um  die  vom  verehrlichen 
Recenscnten  hier  beigebrachte  Anordnung  in  der  Kürze  darzulegen  — 
folgende  Fälle  zu  unterscheiden,  in  denen  ut  (allemahl  in  der  Bedeu- 
tung wie)  vorkomme: 

1)  mit  dem  Indicative ,  factisch. 

2)  mit  dem  Conjunctive ,  und  zwar  wieder  factisch  a)  in  orat.  ob- 
liqua, 

S)  b)  in  urat.  indirecta; 

4)  cogitativ ,  im  unabhängigen  Satze  ,  a)  als  Wunsch , 

5)  b)  als  Frage, 

6)  c)  als  Einräumen  ,   concessiv ; 

7)  cogitativ ,  im  abhängigen  Satze ,  a)  als  Können , 

8)  b)  als  Sollen. 

Das  sind  also  auch  achterlei  Functionen  des  ut ,  aber ,  wie  man 
sieht,  ganz  verschieden  von  den  oben  aufgestellten  A  —  H.  Ich  er- 
laube mir  folgende  Einwendungen  und  Bedenklichkeiten  aufzustellen. 

Unter  1  ist  das  ut  interrog.  und  relativum  zusammengefasst ;  also 
obige  Analogien  A  und  C.  Da  doch  nachher  die  abhängigen  und  un- 
abhängigen Sätze  unterschieden  werden,  so  sieht  man  nicht,  warum 
das  hier  nicht  auch  geschieht.  Ueberhaupt  hat  der  geehrte  Hr.  Rec.  den 
interrogativen  (immer  mit  dem  exclamativen  vereinigt  zu  denken)  und 
relativen  Charakter  des  ut  nirgends  berührt,  wodurch  viele  Dunkel- 
heit in  seine  Darstellung  gekommen  ist. 

Nr.  2  gehört  hieher  eigentlich  gar  nicht;  weil  dadurch  keine  be- 
sondre Function  des  ut  angedeutet  wird.     Wie  alle  Sätze ,    von  wel- 


*)  Hr.  Prof.  Grotefend  hat  in  seinen  Grundzügen  einer  neuen 
Satztheorie  (Hannover,  1827)  S.  64  Aehnliches  angedeutet.  Da  indessen 
die  gedachte  Recension  den  vorliegenden  Gegenstand  am  ausführlichsten 
behandelt,  so  halte  ich  mich  bei  der  vorzunehmenden  Prüfung  zunächst 
an  den  Rcceneenten. 


Ueber  die  uiiterächicdnen  Satz  -  V'erliüUnIgse  der  Partikel  ut.    103 

eher  Art  sie  seyn  mögen,  sind  auch  die  mit  ut  den  Gesetzen  der  or. 
obl.  unterworfen. 

Mit  3  sind  unstreitig  die  indirecten  Fragen  gemeint  (B).  Ich 
sage  unstreitig;  denn  der  llcc.  lässt  sich  dariibcr  nicht  weiter  aus,  und 
man  kann  es  nur  aus  den  angeführten  Beispielen  abnehmen.  Der  Aus- 
druck or.  indirecta  könnte  auch  vom  Accus,  c.  Inf.  gebraucht  werden. 
Doch  Rec.  hat,  wie  schon  vorhin  erwähnt  worden,  das  interrog.  und 
relat.  ut  von  einander  abzusondern  nicbt  nötbig  befunden. 

Unter  4  sind  die  Ausdrucksai'ten  mit  utinam  angedeutet,  also  die 
obige  Analogie  G.  Wenn  Rec.  dergleichen  Sätze  als  unabhängige  be- 
trachtet, und  die  Ansicht  derer  für  irrig  hält,  welche  das  ut  in  dieser 
Bedeutung  sich  als  von  einem  ausgelassenen  volo  oder  opto  abhängig 
gedenken:  so  kann  man  das  allenfalls  zugestehen;  obgleich  ursprüng- 
lich doch  wohl  eine ,  wenn  auch  nur  dunkel  empfundene  Rection  zum 
Grunde  gelegen  haben  mag,  und  ein  Zusammenhang  mit  velim  (scri- 
bas),  vellem  (tacuisses)  etc.  nicht  zu  verkennen  ist;  wogegen  die  hier 
parallelisirten  Conjunctive  ohne  ut  (vermuthlich  ist  der  imperatorische 
Conjunct.  damit  gemeint,  roges,  secernatur,  memineris  etc.)  einen  merk- 
lich unterschiedenen  Charakter  haben.  Wie  übrigens  in  diesem  utinam 
der  Begriff  des  wie  zu  finden  sey,  hat  Becens.  ganz  unberührt  gelassen. 

Eben  so  wenig  erklärt  er  sich  darüber  bei  Nr,  5  in  Bezug  auf 
Ausdrucksarten,  wie  te  ut  uUa  res  frangat !  Soll  dieses  das  Frage- we 
seyn?  etwa  in  dem  Sinne:  wie  könnte  irgend  Etwas  dich  rühren? 
Das  ist  schon  darum  ganz  unannehmbar,  weil  alsdann  die  oft 
vorkommende  Zufügung  eines  ne  interr.  ganz  unerklärlich  wäre:  utne 
tegam  spurco  Damae  latus?  (Hör.  Sat.  2,  5,  18)  —  illine  ut  im- 
pune  primo  discordias  serentes  concitent  finitinia  bella,  deinde  adver- 
sus  ea,  quae  concitaverint ,  armari  civitatem  defendique  prohibeant? 
(Liv,  4,  2_)  —  victamne  ut  quisquam  victrici  patriae  praeferret?  si- 
neretque,  majorem  fortunam  captis  esse  Vejis,  quam  incolumibus  fu- 
crit?  (Liv.  5,  24).  Wenn  ut  das  Fragwort  wäre,  so  bedürfte  esji 
keiner  weitern  Frag  -  Andeutung.  Es  lässt  sich  nicht  sagen:  illudne 
quis  ferat?  Es  ist  vielmehr  eine  elliptische  Ausdrucksart,  und  zu  er- 
gänzen :  das  sollten  wir  uns  gefallen  lassen  ;  oder  wie  Döring  in  der 
letzten  Stelle  thut :  fierine  potest ,  ut  praeferat  etc. ;  da  denn  der  Satz 
zu  den  Effects  -  Sätzen  gehört,  und  keinesweges  unter  die  unabhängi- 
gen zu  rechnen  ist.  Wenn  Pontius  beim  Livius  (9,  11)  sagt:  ut  tu 
quidem,  quod  petisti ,  per  pactionem  habcas,  tot  cives  incolumes; 
ego  pacem,  quam  hosti  tibi  remittendo  pactus  sum,  non  habeam:  hoc 
tu,  A.  Corneli,  hoc  vos ,  feciales ,  juris  gentibus  dicitis?  so  ist  die 
Gedanken- Verbindung  vollständig  dargelegt:  „Das  ist  also  euer  Recht, 
dass  ihr  den  Vortheil  habt ,  wir  die  Bevortheilten  seyn  sollen  !"  Man 
würde  indessen  auch  ohne  das  hinzugefügte  hoc  vos  juris  dicitis  den 
Ausdruck  ut  tu  habeas  etc.  für  sich  schon  eben  so  verstehn ,  und  auf 
ähnliche  Weise  ergänzen.      An  ein  wie  ist  dabei  nicht  zu  denken. 

Das  gilt  Alles  auch  von  Nr.  6  in  Absicht  der  Ausdrucksart  ut  hoc 
sit  io  sumtivem  Sinne  (  U  ).     Wie  kann  das  ein  unabhängiger  Satz  gc- 


104  .Abhandlung. 

nannt  werden?  und  was  ist  das  für  ein  Jfle  ^  was  da  hinehilfoinrat  ? 
Der  liecens.  sagt :  e»  bedeute  so  ein  Satz  nichts  anders  als :  ivie  es 
auch  seyn  mag,  seyn  möge.  Allein  das  Iieisst  nicht  ut  sit ,  sondern  ut- 
ut  est,  utciinque  est;  und  ut  dixisset  heisst  wenn  er  gesagt  hätte,  nielit : 
wie  er  auch  gesagt  haben  möge.  Der  iinperatorrsche  Conjunctiv ,  der 
dem  Sinne  nach  ebenfalls  eine  Suuition  vorstellen  kann ,  hat  mit 
jener  Redart   nichts   gemein. 

Als  der  7te  Fall  ist  derjenige  aufgestellt,  da  der  Conjunctiv 
des  abhängigen  Satzes  ein  Können  ,  und  als  der  8te  ,  da  er  ein  Sollen 
bezeichnet.  Bevor  ich  jedoch  diese  beiden  Nummern  näher  betrach- 
te, muss  ich  eine  Bemerkung  einschalten,  für  die  ich  nachher  viel- 
leicht keine  schickliche  Stelle  mehr  finde. 

Man  sieht  sich  nehmlich  in  dieser  Anordnung  vergeblich  nach  den 
obigen  Ut- Functionen  D,  E,  F,  also  den  Effects-,  Absichts -,  Folgesäz- 
zen  um.  Recens.  will  diese  Unterschiede  nicht  anerkennen.  Er  sagt, 
die  Sätze,  welche  man  Finalsätze  zu  nennen  pflege,  und  wofür  das 
deutsche  damit  im  Gebrauch  sey,  eben  so  wie  die  Folgesätze  mit  so 
dass ,  seyen  mit  denjenigen  Sätzen,  worin  der  Gegenstand  der  Rection 
als  solcher  unmittelbar  dargestellt  wird  ,  von  einerlei  Art  und  Bedeu- 
tung. „Die  Sonne  bewirkt ,  dass  die  Luft  erwärmt  wird  —  sie  wirkt 
60,  dass  die  Luft  wärmer  wird  —  sie  erscheint  wieder,  damit  sie  die 
Luft  erwärme ,"  das  sey  Alles  einerlei  Gedanke ,  nur  in  etwas  ver- 
schiedner  Stellung.  Durch  solche  Trennungen  werde  das  Erlernen  der 
Sprache  den  Anfängern  nur  erschwert  u.  s.  w.  Wenn  nun  aber  der 
Schüler  einen  Ausdruck,  wie  mortem,  ut  nunquam  timeas,  semper  co- 
gita  (Sen.  ep.  30),  falsch  übersetzt,  etwa:  bedenke  dass  du  oder  wie  du 
den  Tod  nicht  fürchten  dürfest;  da  werde  ich  ihn  doch  auf  solche  Un- 
terschiede aufmerksam  machen  müssen ,  ihm  sagen :  du  nimmst  das  ut 
timeas  für  den  Gegenstand  des  cogita;  es  könnte  ja  aber  auch  ein  Ab- 
sichtssatz seyn  :  um  den  Tod  nie  zu  fürchten ,  denke  fleissig  an  ihn.  Oder 
wenn  (in  umgekehrter  Irrung)  bei  Livius  21,  63  die  von  fugisse  ab- 
hängigen Sätze  ne adiret,  ne videret,  ne indiceret  etc.  mit 

damit  nicht,  um  nicht,  übersetzt  werden  (wie  es  selbst  Heusinger  thut) : 
so  wird  erinnert  werden  müssen ,  es  sey  in  diesen  Sätzen  nicht  die  Ab- 
sicht, sondern  der  Gegenstand  ausgedrückt;  das  heisst  aber  doch  wohl 
nichts  anders  als ,  es  sey  nicht  die  eine ,  sondern  die  andre  Satzart ; 
und  es  wird  gut  seyn,  solche  Unterscheidungen  auch  durch  die  Be- 
nennung zu  fixiren  und  geläufig  zu  erhalten.  Wie  wird  man  dem 
Schüler  Fälle  erklären ,  wo  zweierlei  Bestimmungssätze  zusammen- 
treten, wie:  quod  a  caeteris  forsitan  ita  petitum  sit,  utdicerent,  ut 
utruravis  salvo  officio  sc  facere  posse  arbitrarentur  (C.  Rose.  1,2); 
wo  das  ut  dicerent  den  Gegenstand,  ut  arbitrarentur  als  Folgesatz  die 
Art  und  Weise  bezeichnet?  Wie  wird  man  so  mancherlei  Eigenthüm- 
lichkeiten  der  3  Arten  von  Satz -Bestimmungen  in  Bezug  auf  ihre  Con- 
etruction ,  auf  den  Gebrauch  des  ut  non  und  ne ,  auf  den  Gebrauch 
des  Tempus,  auf  die  Anwendbarkeit  in  Relativsätzen,  und  so  vieles 
andre  mit  der  besondern  Natur  jeder  Satziirt  Zusammenhängende,  über- 


Uebcr  die  unterschledncn  Satz  -  Verhältnisse  der  Partikel  ut.    105 

gehen  können  ?  Es  wäre  ein  grosser  Rückschritt  la  der  Granimiitik, 
wenn  wir  die  Scheidungen ,  welche  man  kaum  noch  angefan<;;^en  hat 
mit  grösserer  Sorgfalt  vorzunehmen,  wieder  ganz  aufgehen  wollten. 
Die  Unterschiede  zwischen  coordinirten  und  suhordinirten  Sätzen ,  lle- 
lativsätzen ,  Gegenstands-  und  Umstandssätzen,  hei  den  letztern  wie- 
der zwischen  kausal-, Final -,Folg« -,  Bedingungssätzen  u.  s.  w.  sind  für 
genauere  Erörterung  der  syntactischen  Kegeln  durchaus  wesentlich  und 
unerlasslich.  Mau  sehe  nur  zu  ,  wodurch  die  Naturforschung  so  be- 
stimmte Fortschritte  macht.  Nicht  durch  Analysen  allgemeiner  Be- 
grifl'e ;  was  sie  fördert ,  ist  das  genauere  Betrachten  der  specialen  Er- 
scheinungen, und  ihrer  besondern  Analogien. 

Doch  ich  kehre  zu  dem  Punkt  zurück  ,  von  dem  ich  abgeschweift 
bin,  zu  den  conjunctivischen  Functionen  des  huniicns  und  Sollcns,  wel- 
che unter  7  und  8  aufgestellt  sind.  Der  Herr  Verf.  hat  uns  das  Ein- 
gehn  in  seine  eigentliche  Vorstellung  dadurch  sehr  erschwert,  dass  er 
sich  auf  die  Uebertragungsweise  des  Conj.  mit  Küimcn  und  Sollen  be- 
schränkt, ohne  die  Begriffe  dieser  conjunctivischen  Functionen  nä- 
her festzusetzen.  Der  lat.  Conj.  soll  in  gewissen  Fällen  ein  MögUch- 
seyn,  ein  Können,  bezeichnen.  Es  liesse  sich  entgegensetzen,  der 
Conj.  enthalte  immer  eine  Möglichkeit;  und  auch  wieder,  es  sei  nie- 
mahls  ein  blosses  reines  Können  dadurch  ausgedrückt;  wozu  liätte  denn 
die  Sprache  ihr  posse ,  Menn  der  Conj.  für  sich  schon  die  Möglichkeit 
hinreichend  bezeichnete ;  potest  concedi  ist  etwas  anders  als  conceda- 
tur  etc.  Kurz ,  es  ist  kein  besondi-er  Act  des  Conj.  dadurch  charakte- 
risirt.  Und  das  deutsche  Sollen ,  wie  vieldeutig  ist  das !  Welche  Be- 
deutung ist  denn  hier  gemeint?  Es  wird  das  Können  und  Sollen  ei- 
ner Eintheilung  der  conjunctivischen  Begriffe  zum  Grunde  gelegt: 
aber  die  vom  Rec.  angeführten  Beispiele  des  Könnens  sind  alle  von  der 
Art,  dass  dafür  auch  ein  Sollen  gebraucht  werden  kann  (tiraeo  ut  foe- 
dus  ratum  sit  heisse  nichts  anders  als  „ich  bin  in  Angst,  wie  das  Bünd- 
niss  bestehen  kann ,"  warum  nicht  wie  es  bestehen  soll  oder  sollte  ? ). 
Und  wo  bleibt  unser  Mögen?  was  eben  so  oft  den  lat.  Conj.  um- 
schreibt als  Können  und  Sollen.  Allein  man  sieht  wohl,  Rec.  hat  den 
Potentialen  Conj.  vor  Augen,  der  ins  Deutsche  freilich  oft  nicht  wohl 
anders  als  mit  Hülfe  der  Verben  mögen,  können,  sollen,  dürfen,  wol- 
len u.  s.  w.  zu  übertragen  ist,  ohne  dass  jedoch  diese  sogenannten 
Hülfs- Verben  irgend  eine  wesentliche  Scheidung  begründen  können. 

Ich  muss  aber  noch  hinzufügen,  dass  die  Potentialität  überhaupt 
hier  so  wenig  als  die  Obliquität  irgend  ein  Entscheidungs  -  Moment  ab- 
giebt.  Die  Frage  ist,  ob,  wie  Rec.  behauptet,  das  ut  immer  als 
Adverb  der  Art  und  JVeise  betrachtet  werden  könne ;  oder  ob  es ,  wie 
bisher  geglaubt  worden,  auch  zu  anderweitigen  Satz- Verknüpfungen 
dient,  wobei  an  eine  Art  und  Weise  nicht  zu  denken  ist,  z.  B.  Be- 
stimmungssätze des  AVirkungs  -  Objects ,  der  Absicht,  der  Folge,  Be- 
dingung, wie  oben  dargelegt  ist.  Wozu  soll  uns  hier  die  Betrach- 
tung der  Potentialität  helfen?  Jede  Satzart  kann  mehr  oder  weniger 
einen  potentialcn  Begriff  aufnehmen,    es  sey,    dass  solcher  durch  Mo- 


106  Abhandlung. 

du9  und  Tempus  fürmlicli  ausgedrückt  witd  (ego  timeam?  ich  sollte 
mich  für(;hteu ?  timerein,  hätte  mich  gefürchtet?),  oder,  wofern  die 
Satzart  für  sicli  schon  nach  ihrer  besondern  Natur  einen  Conj.  in  An- 
spruch nimmt,  aus  dem  Rectionsverb  und  mehr  noch  aus  dem  Sinne 
und  Gedanken -Zusammenhange  entnommen  wird  ( cur  alium  eligant 
nescio  kann  heissen  warum  sie  wühlen  oder  auch  warum  sie  wühlen  soll- 
ten'). Für  das  ut  und  die  Andeutung  seiner  Functionen  ist  dadurch 
nicht  das  Mindeste  gewonnen.  Ein  Ausdruck,  wie  tanta  vis  est  eloquen- 
tiae,  ut  audientes  irrctiat ,  wird  übersetzt  werden  dass  sie  bestrickt; 
dagegen  non  est  tanta  etc.  dass  sie  bestricken  sollte  oder  könnte ;  man 
sieht  aber  in  dem  einen  Ausdruck  so  wenig  wie  in  dem  andern,  wie  das  ut 
ein  wie  enthalte.  Rec.  selbst  macht  vergebliche  Versuche,  uns  in  Sätzen, 
die  nicht  von  relativer  oder  interrogativer  Art  sind,  ein  wie  bemerklich  zu 
machen.  Es  stehe,  sagt  er,  das  ut  bei  V  erben,  wie  conari,  operam  dare  etc.^ 
weil  diese  ein  Bestreben  ausdrücken,    wie  etivas  möglich  zu  machen  sey, 

excogitatum  est,  ut  aerarium constitueretur  heisse :   „es  wurde 

ein  Plan  ausgedacht  wie  man  könnte"  u.  s.  w.;  admonuit  me,  ut  quam 
primura  Capuam  liberarem,  „er  ermahnte  mich,  ivie  ich  befreien  soll- 
le."  Allein  das  sind  doch  Alles  niclits  als  undeutsche,  unpassende, 
unrichtige  Ausdrücke ,  die  eben  dadurch  hinlänglich  zu  erkennen  ge- 
hen, dass  der  Begriff  des  wie  gewaltsam  herbeigezogen  sey.  Ueberle- 
gen,  an  die  Hand  geben,  vorschreiben,  wie  etwas  zu  machen  sey,  ist  et- 
was ganz  Anderes ,  als  sich  bestreben  etwas  zu  bewerkstelligen ,  oder  be- 
wirken, dass  etwas  geschehe,  Auftrag  geben,  dass  etwas  geschehen 
solle  u.  s.  w.  Rec.  sagt :  „wenn  Avir  nicht  in  jedem  Falle  ut  mit  wie 
übersetzen  können,  so  ist  der  Grund  davon  nicht  darin  zu  suchen,  dasa 
die  lat.  Partikel  verschiedne  Bedeutungen  habe,  sondern  dass  wir  ge- 
wisse Gedanken  anders  als  die  Römer  aufzufassen  pflegen."  Wie  ist 
das  zu  verstehen?  .worin  liegt  diese  andre  Auffassung?  Die  Sache 
ist  ja  rein  logisch.  So  wesentliche  Unterschiede  in  der  Bestimmungs- 
weise können  auch  dem  lateinisch  redenden  nicht  entgangen  seyn.  Und 
wenn  er  oft  einerlei  Wort  dafür  gebrauclit,  so  liaben  wir  das  Recht 
damit  zu  thun,  was  wir  mit  tausend  andern  Wörtern  thun ,  und  was 
wir  in  unsrer  eignen  Sprache  thun  müssen ,  nehmlich  die  nnterschied- 
nen  ,  wenn  auch  immer  mit  einem  Grundbegriff  zusammenhängenden 
Bedeutungen  eines  Worts  gehörig  zu  sondern ,  und  die  Eigenthümlich- 
keiten  ihres  Gebrauchs  bemerklich  zu  machen. 

Und  könnten  wir  uns  auch  mit  der  beabsl<;htigten  Verallgemeine- 
rung so  weit  befreunden  ,  dass  wir  in  dem  ut  überall  nichts  als  ein  wie 
fänden  (womit  doch  gewisslich  auch  in  methodischer  Absicht  keine 
Erleichterung  zu  gewinnen  Märe):  was  werden  wir  mit  der  negativen 
Redform  anfangen:  hortatus  est  ne  id  facerem,  remittimus  tibi  ne  id 
facias?  Soll  in  dem  ne  auch  ein  ivic  gedacht  werden,  damit  es  der 
positiven  Redform  ut  facerem  entspreche? 

Der  Rec.  scheint  hauptsäclilich  durch  die  Betrachtung  der  un- 
merklichen Uebergänge  von  einer  RedMeise  zur  andern  auf  einen  be- 
fangnen und  einseitigen  Standpunkt  geführt  worden  zu  seyn.     Es  ist 


Uebcr  die  untersclüednen  Satz  -  Verliältnisse  der  Partikel  ut.    WH 

nicht  zu  Ifiugnen ,  die  Analop;ien  vcrscliinelzen  an  ihren  Endpunkten  so 
in  einander,  dass  über  Einzelheiten  Zweifel  und  Streit  entstehen  kann, 
unter  welchen  Begriff  sie  zu  bringen  seyen.  Es  geht  auf  unserra 
grammatischen  Felde  niclit  anders  als  in  der  Naturforschung.  Wo  ist 
eine  Art  oder  Gattung,  bei  welcher  niclit  ein  unmerklicher  Uebergang 
zu  andern  nachzuweisen  wäre'^  Dadurch  lässt  sich  die  Wissen- 
schaft nicht  abhalten,  Species  und  Genera  festzusetzen.  Manches  hie- 
her  Gehörige  ist  schon  oben  gelegentlich  erw  ahnt  worden.  Hier  wol- 
len wir  jedoch  eine  dieser  Grenz- Vermischungen  noch  etwas  näher  be- 
trachten ,  weil  sie  zu  vorliegender  Erörterung  Anlass  gegeben  hat. 
Das  ist  der  Uebergang  von  der  Analogie  C  zu  D ,  von  den  ( indire- 
cten)  Fragsätzen  zu  den  Wirkungssätzen  (wt  interrogationis  und  ut  ef- 
fecti).  Im  Deutschen,  wo  der  Wirkungssatz  immer  eine  andre  Ver- 
bindungs  -  Partikel  (dass)  hat  als  der  Fragsatz,  kann  wenigstens  dar- 
über nie  Streit  entstehen,  was  der  Redende  für  ein  Satz-Verhältniss 
in  Gedanken  gehabt  habe.  Im  Lat.  aber,  wo  dieselbe  Partikel  ut, 
die  einen  Effectssatz  bezeichnet ,  auch  für  eine  Art  Fragsatz  im  Ge- 
brauch ist,  niuss  zu  solcher  Beurtheilung  die  Natur  und  Bedeutung 
des  Ausdrucks  zu  Hülfe  genommen  werden.  Und  da  zeigt  sich  denn 
allerdings ,  dass  Fragsatz  und  Wirkungssatz  so  weit  nicht  von  einan- 
der abstehen  ,  als  man  beim  ersten  Anblick  glauben  möchte.  An  der 
Stelle  C.  p.  Sext.  36,  78,  an  verisimile  est,  ut  is in  fo- 
rum descenderit  etc.,  so  wie  der  ähnlichen  p.  Rose.  Am.  41,  121,  non 
est  verisimile ,  ut  Chrysogonus  Iiorum  literas  adamarit  aut  humanita- 
tem ,  haben  Lambinus,  Ernesti,  u.  a.  Anstoss  genommen ;  und 
Stallbaum  (zum  Rudim.  II  S.  234)  nebst  Gernhard  (zu  Lael.  4, 
14)  sind  geneigt  in  diesen  Ausdrücken  das  ut  ejfecti*')  zu  suchen,  in- 
dem letzterer  noch  die  Vergleichung  mit  verum  est,  ut  bonos  boni  di- 
ligant ,  zufügt ,  wo  doch  nichts  anders  als  ein  Effectssatz  zu  suchen 
ist  (die  Natur  der  Sache  bringt  es  mit  sich,  dass  u.  s.  w.  ).  Wenn  nun 
Rec.  dagegen  das  ut  hier  in  der  Bedeutung  u'ie  genommen  wissen  will, 
so  kann  ich  ihm  darin  nicht  anders  als  vollkommen  beistimmen,  indem 
ich  es  nehmlich  als  das  ut  interrog.  betrachte  (worüber  Recens.  sich 
nicht  erklärt).  Das  verisimile  non  est  heisst  in  diesen  Sätzen  soviel 
als  :  es  ist  nicht  denkbar ,  nicht  begreiflich.  Und  da  scheint  ein  Nomi- 
nalausdruck des  Gegenstandes  natürlicher  zu  seyn  als  ein  realer.  Dem 
Begreifen,  Vorstellen,  Denken,  kann  ein  objectiver  Aussagesatz  (Acc. 
c.  Inf.)   oder  Fragsatz  zugefügt  werden,    aber  nicht  wohl  ein  Gegen- 

')  Der  Ausdruck  eventus ,  dessen  sich  beide  bedienen ,  kann  irre  füh- 
ren. Er  scheint  besser  für  den  Folgesatz  zu  passen ,  den  ich  auch  oben 
damit  bezeichnet  habe.  Bei  einem  Ausdrucke  wie:  sed  tantus  consensüö 
senatus  fuit,  ut  mature  proficisceremur,  parendum  ut  fuerit.  (Cic.  äd 
div.  3,  31)  wird  auf  die  Frage  quo  eventu  nicht  geantwortet  werden 
ut  proficisceremur,  sondern  ut  parendum  fuerit.  Das  ut  proficisceremur  ist 
der  Gegenstand ,  das  effectum ;  ut  fuerit  ein  daraus  erfolgender  Umstand, 
ein  eventus.  Ueberhaupt  ist  es  zweifelhaft,  ob  die  beiden  Grammatiker 
den  Effectssatz  von  dem  Folgesatz  unterscheiden.  Wenigstens  erwähnen 
sie  bei  dieser  Gelegenheit  des  Unterschiedes  nicht. 


108  Abhandlung. 

stand  als  ans  demselben  entstehend,  als  JFirhmgs -  Satz  aufgestellt  wer- 
den. Dazu  kommt,  dass  die  Construction  uns  hier  allcrding^s  nicht 
wohl  ein  ut  effecti  denken  lässt.  Der  Wirkungssatz  verlangt  seiner 
Natur  nach  ein  Tempus,  welches  mit  dem  seiner  Rection  congrnirt. 
Die  Wirkung  (als  Gegenstand,  Avohl  zu  unterscheiden  von  der  Folge) 
kann  nicht  früher  gedaclit  werden  als  das  Wirkende,  Also  rectum  est 
ut  sit,  rectum  erat  (fuit,  fuisset  etc.)  ut  esset;  aber  nicht  rectum  est 
ut  esset  oder  fuerit.  Fragt  man  nun  Aveiter ,  warum  das  Nominal - 
Object  hier  in  der  Fragforra  ausgedrückt  ist,  und  nicht  als  Acc.  c.  Inf., 
wie  doch  sonst  gewöhnlich  *) :  so  ist  darauf  sciiweilich  anders  zu  ant- 
worten,  als  dass  es  dem  Redenden  freistand,  eine  dem  Acc.  c.  Inf.  so 
nahe  verwandte  und  darein  so  leicht  übergehende  IJestimmungsAveise 
zu  wählen,  und  dass  der  Gedanke  durch  diese  Frag-  (oder  Ausrufs-) 
Form,  „wie  hätte  er  das  thun  können  oder  sollen,  in  der  That  eine 
fühlbare  Verstärkung  erhält. 

Da  der  potentiale  Begriff,  welcher  auf  solche  Weise  ins  Verb 
kommt,  in  Bezug  auf  Vergangenheit  bestimmter  und  gewöhnlicher  in 
der  Form  des  Imperfects  ausgedrückt  wird:  (ego  putarem,  ich  hätte 
geglaubt?  hätte  glauben  können?  quid  facerentmiseri,  was  hätten  die 
Unglückliclien  thun  sollen?)  so  entsteht  die  Frage,  ob  es  in  obigen 
Stellen  nicht  auch  hcissen  könnte:  verisimile  non  est,  ut  ille  ..... 
.  .  .  descenderet,  ut adamaret.  So  findet  sichs  auch  wirk- 
lich C.  Verr.  4,  6,  II:    verisimile  non  est,  ut  ille religioni 

suae pecuniam  anteponcret;  und  p.  Sulla  20,  57:  veri- 
simile non  est,    ut,    quem   in   secuntlis  rebus   secuni  semper  habuisset, 

liunc  in  adversis ab   se  dimitteret ;    an  welchen  Stellen  man 

ebenfalls  Anstoss  genommen  hat.  Diese  Imperfecte  sind ,  wie  gesagt, 
für  sich  betrachtet  nichts  anders  als  Potential -Formen  der  Vergangen- 
heit**).     Ille  anteponeret  heisst:    er  hätte  vorgezogen?   hätte  können 


*)  Z.  B. :  Jam  vero  illud  quam  incredibile,  quam  absurdum,  qui 
Romae  caedem  facere,  qui  baue  urbcm  indammare  vellct,  cum  familia- 
lissimimi    suum    dimitterc    ab    se    et    mandare    in    ultimas    terras !    (C.  p. 

Sylla  20,    57)  —    Ipse   autem  Cincius i«  homo  e-t ,    aut  ea  fa- 

milia  ac  disciplina,  ut  hoc  credi  possit,  cum  bellum  reipubl.  facere  vo- 
luissc?  (ib.  20,  58)  —  Quid  enim  est  tani  verisimile  (ironisch,  also 
non  est  verisimile  etc.),  quam  cariorem  huic  sororis  maritimi,  quam 
sororis  filium  fuisse.''  atque  ita  cariorem  ut  etc.  (C.  p.  Rab.  3,  7)  — 
Quod  niilii  minn-s  simüc  veri  visum  est,  annum  integrum  Scipionera  ni- 
hil gcrundo  in  liispania  consumsisse  (Liv.  27,  7). 

**)  Eine  Redweise,  die,  hauptsächlich  wegen  vernachlässigter  Unter- 
scheidung der  TempusbegrifTe  des  deutschen  luid  lat.  Conjunctivs  von  nn- 
sern  Grammatikern  und  Frklärcrn  so  sehr  verkannt  wird ;  (Ausführliche- 
res enthalten  meine  Sprach- Krnrterun gen  im  \  Fl!  und  IX.  Abschnitt,^ 
wie  sich  hier  Avieder  recht  aufl'allend  zeigt.  Scbellcr  (im  Lex.  unter 
verisimile)  sagt,  verisimile  non  est  ut  anteponeret  stehe /ür  anteponat. 
Wenn  anteponat  das  Richtigere  ist,  und  das  ausdrückt,  was  der  Redner 
sagen  will ,  warum  -wählte  er  eine  andre  Form  ?  Recensent  erklärt  es 
anders,  aber  uro  nichts  befriedigender.  Fr  sagt,  das  Imperf.  beziehe 
sich    auf  einen   ausgelassenen  Bedingungssatz:    „es  ist  nicht  denkbar  wie 


lieber  die  unterschiednen  Satz -Verhältnisse  der  Partikel  ut.    109 

vorziclm?  liunc  ille  diinitteret?  diesen  hätte  er  wcffsohickcn  solhsn? 
si(li  dazu  entscliliessen  können?  («gerade  so  wie  ein  paar  Zeilen  vor- 
her: hunc  ille  dimittcndnni  esse  arbitraretur?) :  mit  verisiuiUe  non  est 
also  zuaaiiiiucn:  man  begreift  nicht,  wie  er  das  hätte  thun  können  oder 
sollen. 

Inzwischen  Ut  nicht  zu  liingnen ,  dass,  sowie  das  Iniperf.  als  po- 
tentialer Ausdruck  der  A  cr<;<uif^enlieit  dem  (»edanken  seihst  vollkom- 
men anpasst,  doch  wieder  die  Constriietion  selbst,  die  Veibindunfj;  ei- 
nes Re<-tions- Präsens  mit  dem  Iniperi'eet  im  Fragesatz,  etwas  Fremdar- 
tififes  hat,  und  ungewöhnlich  ist*).  Man  möchte  das  „anteponeret 
ille,  dimitteret  ille?"  allein  sehn  und  mit  Lambin  das  verisimile  non 
est  wegthun;  oder  ein  Ilectionsverb  wie  aceidisse,  factum  esse,  fieri 
potuisse,  adduetum  esse,  einschalten  dürfen;  wodurch  das  ut  zur  ef- 
fectiven  Partikel  würde.  Und  am  Ende,  warum  dürften  wir  das  nicht? 
warum  sollte  der  Sprechende  im  lebendigen  Erguss  der  Rede  dem  Hö- 
renden solche  Ergänzungen  nicht  zumuthen  ?  Es  wäre  also  in  der 
Verr.   Stelle   das  verisimile    non    est    ut   anteponeret    ein    elliptischer 


er  Geld  vorziehen  würdc^^  Cnehmlich  wenn  ihm  jemand  welches  gäbe)^ 
,,wie  Sulla  ihn  von  sich  entfernen  ii'itjrfc"  (^wenn  er  ihn  fortschicken 
wollte).  Allein  ein  bedinglicher  Ausdruck  der  Gegenwart  ist  dem  Sinne 
dieser  Stelle  ja  ganz  entgegen.  Was  hier  als  unglaublich  dargestellt 
wird ,  mnss  schlechterdings  der  Vergangenheit  angehören.  Und  das  drückt 
das  Potentiale  Imperfect  (wesentlich  verschieden  vom  conditionalen)  al- 
lerdings aus. 

*)  Da  Recens.  der  Meinung  ist,  dass  alle  die  hier  zur  Erörterung 
kommenden  Stellen  nicht  das  geringste  Unregelmässige  haben,  wenn  man 
dem  ut  nur  die  Bedeutung  des  unc  lasse:  so  würde  es  die  richtigen  Be- 
griffe von  der  Sache  sehr  fördern ,  wenn  er  zu  diesen  zwei  berüchtigten 
Stellen  eine  Anzahl  Parailelstellen  beibrächte,  wo  zu  einem  Präsens  der 
Rection  ein  indirecter  Fragsatz  (ich  wünsche,  dass  das  nicht  übersehen 
werde)  mit  dem  Imperfect  des  Conj.  zugefügt  ist.  Ausdrücke  wie:  quo- 
rnm  licentiae  nisi  Carneades  restitisset,  haud  scio  an  soli  jara  philosophi 
judicarentur  (C.  div.  2,  72,  1^0),  oder  eloquentia  quidera  nescio  an 
habitisset  parem  neminem  (  C.  Br.  32,  126),  sind  hier  nicht  wohl  gel- 
tend zu  machen ,  m  eil  sich  das  nescio  an  schon  zu  einer  Art  Adverb, 
vielleicht,  verschmolzen  und  eingerichtet  hat.  Dagegen  ist  (was  sich  sehr 
wohl  erklären  lässt)  in  Folgesätzen  eine  solche  Vereinigung  Aerschiedcn- 
artiger  Temiiusfnrnien  eher  zulässig,  besonders  wenn  im  Bestimmungs- 
gatz  ein  bedinglichcr  Begriff  hervorgehoben  werden  soll:  honestum  tale 
est,  ut,  vel  si  ignorarent  id  homines,  vel  si  obmntuissent,  sua  tarnen 
pulchritudine  esset  specieqne  laudabile  (C.  fin.  2,  15,  49)  —  qnae  lex 
hanc  sententiam  continct,  ut  omnes  leges  tolleret,  quae  postea  latae 
sunt  ( C.  leg.  3 ,  17 ,  es  Avürde  alle  später  gegebnen  Gesetze  unnöthig 
machen)    —    ullnm    esse    tantum    periculum ,     tantnm    laborem,     tantam 

contentionem,    quam  ego pro  salute  tua  defugercm?     (C.  p.  PI. 

32,  78;    keine  Anstrengung,    deren  ich  mich  Aveigern  würde)    —  non  is 

hnmo    est,     ut bellum    contra    patriam   susc.ipiendum    pntaret 

(C.  p.  Sulla  20,  dass  er  Lust  gehabt  hätte  gegen  sein  Vaterland  die 
Waffen  zu  ergreifen).  Die  hesondcrn  Fälle,  welche  die  or,  obl.  darbie- 
tet, können  hier  nicht  zur  Betrachtung  gezogen  werden. 


110  Abhandlung. 

Ausdruck  für  v.  n.  e.  eum  adductum  esse,  ut  anteponeret;  so  wie  bald 
darauf  im  folgenden  Capitel  vollständiger  gesagt  ist :  video  igitur  He- 
juni  ....  neque  magnitudine  pecuniae  adductum  esse  ut  Iiaec  signa 
venderet.  Ja  es  scheint  sich  aus  dem  Zusammenhange  noch  eine  un- 
mittelbarere Ergänzung  zu  ergeben.  Es  heisst  nehmlich;  quid  si  ma- 
gnitudine pecuniae  persuasum  est  ei?  (die  Statuen  zu  verkaufen.) 
Darauf  folgt  das  veris.  non  est  etc.  Der  Redner  knüpfte  also  das  ut 
anteponeret  in  Gedanken  mehr  an  persuasum  est,  als  an  das  wenn 
gleich  näher  stehende  veris.  non  est:  „es  ist  nicht  denkbar,  dass  er 
sich  sollte  haben  bewegen  lassen  (ei  persuasum  esse),  das  Geld  vor- 
zuziehen." So  auch  in  der  Sulla'schen  Stelle:  veris.  non  est  (Cincium 
in  animum  induxisse)  ut  etc.,  oder  man  kann  auch  das  veris.  n.  e.  ge- 
radehin in  dem  Sinne  nehmen,  wie  gleich  nachher  vorkommt :  is  homo 
non  est,  ut  .  .  .  .  nefarium  bellum  contra  patriam  suscipiendum  putaret, 
„er  ist  nicht  der  Mann  dazu,  (eben  soviel  als  es  ist  nicht  denkbar')  dass 
er  Lust  gehabt  hätte  gegen  sein  Vaterland  die  Waffen  zu  ergreifen ;" 
ein  Ausdruck ,  der  wieder  nichts  anders  ist,  als  eine  Abkürzung  des 
voranstehenden:  is  homo  non  est,  ut  hoc  credi  possit,  eum  bellum 
reipubl.  facere  voluisse.  Letzteres  ist  die  deutlichste  und  vollständig- 
ste Darstellung  des  Gedankens,  aus  welcher  die  andern  abgekürzt  sind; 
eine  Abkürzung,  die  doch  immer  nur  als  seltne  Vorkommenbeit,  als 
eine  Art  von  Coarctation ,  als  eine  aus  dem  Zusammenhange  sich  er- 
klärende Licenz  zu  betrachten  ist.  Auf  alle  Fälle  ist  doch  in  diesen 
Anwendungen  des  Imperfects  immer  eine  starke  Hinneigung  zum  ef- 
fectiven  Begriffe  nicht  zu  verlcennen.  Wenn  es  Verr.  2,  G5,  158  lieisst: 
de  quo  homine  ....  auditum  est  unquam,  ut  ejus  statuae  dejiceren- 
tur,  so  klingt  das  in  der  That  etwas  seltsam,  auditum  est  ut  dcjice- 
rcntur.  Allein  vollständig  heisst  es:  de  quo  homine  hoc  auditum  est  un- 
quam, quod  tibi  accidit,  ut  etc.  Und  dieses  accidit  hat  unstreitig  auf  die 
Fortbildung  des  Satzes  Einfluss ;  wir  dürfen  ergänzen:  num  unquam 
auditum  est  accidisse  ut  etc.  In  der  Rede  p.  lege  Man.  c.  21  kommt 
eine  lange  Reihe  von  Ausrufungen  vor:  quid  tarn  novum  —  tam  prae- 
ter consuetudinem  —  tam  inauditum  —  tam  inusitatura  —  singulare 
—  incredibile;  und  der  Gegenstand  ist  erst  einigemahl  durch  den  Acc. 
c.  Inf.  ausgedrückt,  adolescentulum  rem  gerere ,  exercitui  praeesse 
etc.      Sodann  tritt,    wo   die  Umstände   bestimmter   hervortreten  sollen, 

die  Construction  mit  utein:    quid  tam  inusitatum,    quam  ut 

eques  Romanus  ad  bellum  formidolosissimum  pro  consule  mitteretur. 
Was  ist  das  nun  für  ein  ut?  Der  Begriff  wie  scheint  nicht  passlich  zu 
seyn.  Es  liegt  aber  in  dem  inusitatum  i.  e.  usu  non  receptum  eine 
Vergangenheit ,  so  wie  dem  Sinne  nach  in  der  ganzen  Darstellung 
(wie  denn  auch  nirgends  ein  est  zugefügt  ist,  um  den  Gedanken  an 
die  Vergangenheit  nicht  zu  verdunkeln);  und  der  Begriff  des  Wortes 
ist  von  der  Art,  dass  es  sehr  wohl  einen  Wirkungssatz  regieren  kann: 
was  bringt  das  Herkommen  weniger  mit  sich  als  dass  u.  s.  w. ;  im  Grunde 
so  viel  als  quid  tam  raro  accidit,  factum  est,  quam  ut  etc.  Liv.  31,  20 
steht:    cxemplum  a  majoribus  non  accepisse,    ut,    qui  neque  dictator 


Ueber  die  unterscillednen  Satz -Verhältnisse  der  Partikel  ut.    111 

neqiie  praetor  res  gessisset,  triunipharet;  es  sey  kein  Beispiel  vorhanden 
(so  gut  wie  nunquam  factum  esse ,  evenissc)  ,  dass  einer  triumphirt  hätte. 
Wenn  Reo.  von  Schellcrn  rühmt,  dass  er  die  richtige  Ansicht  ge- 
fasst ,  und  in  dem  ut  das  wie  erkiinnt  habe ,  so  ist  das  wolil  dahin  zu 
beschriinken ,  dass  dieser  verständige  Grammatiker  doch  nur  sehr  be- 
hutsam und  zweifelnd  von  der  Sache  spricht,  und  nicht  auf  die  ent- 
fernteste Weise  daran  denkt,  diese  Function  des  ut  für  die  einzige  und 
überall  zu  suchende  anzusehen.  Er  macht  (im  Lexikon)  zwei  grosse 
Abtheilungen,  worin  er  das  ut  als  Adverb  wie  von  dem  ut  als  Con- 
junction  dass  absondert.  In  der  letztern  Abtheilung  führt  er  unter  an- 
dern auch  das  verisimile  an ,  doch  mit  dem  Zusätze ,  dass  man  das  ut 
hier  auch  mit  ivie  übersetzen  könne.  Und  mehr  lässt  sich  wirklich  von 
den  meisten  hieher  bezogenen  oder  zu  ziehenden  Ausdrücken  nicht,  sa- 
gen. Es  wii'd  sich  indessen  immer  ein  Moment  für  die  eine  oder  andre 
Auffassung  auffinden  lassen.  In  Caes.  b.  g.  1 ,  43:  docebat  etiana  .  . 
.  .  .  . ,  ut  omni  tempore  totius  Galliae  principatum  Aedui  tenuissent, 
werde  ich  kein  Bedenken  tragen,  den  interrogativen  Charakter  des  ut 
anzuerkennen;  die  vorhergehenden  Ausdrücke:  quam  veteres  queunque 
justae  causae  necessitudinis  ipsis  cum  Aeduis  intercederent ,  quae:  sena- 
tus  consulta ,  quoties,  quamque  honorifica  in  eos  facta  essent ,  steigen, 
dass  durch  die  (indirecte)  Fragform  eine  gewisse  rhetorische  Liebhaf- 
tigkeit  in  den  Ausdruck  kommen  soll:  „er  machte  dem  Ariovist  be- 
merklich, in  wie  engem  Verhältniss  die  Aeduer  mit  den  Römern  ste- 
hen, wie  jene  immer  im  Besitz  des  Principats  gewesen  sejen  u.  s.  w." 
Allein  in  philosophia  ....  nos  docuit,  ut  nosmet  ipsos  nosceremus 
(C.  leg.  1,  22,  58)  erscheint  mir  das  Satzverhältniss  ganz  anders. 
Der  objective  Bestimmungssatz  ut  nosceremus  hat  durchaus  nichts 
Fragartiges,  man  mag  an  declaraatorische  Fragen  denken  (w/e  hat  er 
sich  getäuscht!  d.  h.  wie  sehr'),  oder  an  potentiale  (^wie  sollte  ich  das 
ivissen?  wobei  immer  das  Entgegengesetzte  hervorgehoben  Aviid,  ich 
kann  es  nicht  wissen),  oder  an  die  reinen  einfachen  Erkundija^ungs- 
Fragen.  Nicht  etwa  wie  wirs  anstellen  sollen,  zur  Selbstkenntniss  zu 
gelangen,  hat  die  Phil,  gezeigt,  sondern  dieses  sich  kennen  lernen  hat 
sie  uns  zur  Aufgabe,  zur  Pflicht  gemacht,  es  soll  aus  ihren  Beleh- 
rungen hervorgehen  ,  dadurch  bewirkt  werden  ,  Avir  sollen  uns  ffennen 
lernen.  Es  ist  also  ein  deutliches  Wirkungs- Verhältniss:  das  ut  ge- 
hört zur  Analogie  D.  So  finde  ich  denn  auch  unter  den  in  derRecen- 
sion  erwähnten  Stellen  mehrere ,  wo  man  dem  ut  die  Bedeutung  wie, 
d.  h.  den  interrogativen  Charakter  (den  sich  Rec.  immer  als  mit  dem 
relativen  zusammenfallend  zu  gedenken  scheint,  weil  er  keines  Un- 
terschiedes erwähnt)  nicht  abstreiten  kann.      Dahin  gehören   C.  prov. 

cons.  16,    39:    ut  C.   Julius provinciam  tradat  ei  etc 

.  .  .  adduci  ad  suspicandum  nullo  modo  possum ;  C.  nat.  d.  1,  23,  63: 
de  divis  neque  ut  sint,  neque  ut  non  sint,  habco  dicere;  C.  Fin.  2, 
33,  108:  qui  probari  potest ,  ut  is ,  qui  propter  me  aliquid,  plus  quam 
ego  ipse  gaudeat;  C.  Lael.  4,  14:  sin  autem  illa  veriora,  ut  idem  in- 
teritus  sit  animorum  et  corporuin  etc. ;  und  Aehnliches.     Auch  das  ut 


112  Abhandlung. 

bei  vereor,  timeo  etc.  mag  allenfalls  zu  dieser  Analogie  zu  rechnen 
eeyn.  Dagegen  kann  ich  in  C.  Lael.  16,  5ß :  ties  video  sententias  fer- 
ri,  quarum  niillam  probo;  unain,  ut  eodeni  modo  erga  ainicum  af- 
fecti  siiuiis,  quo  erga  nosmet  ipsos;  altcram,  ut  etc,  nur  ein  ut  effecti 
anerkennen.  Es  ist  von  einer  Vorschrift  und  Regel  die  Rede,  also 
von  jNötliigung  zu  einem  Tluin  ,  nicht  von  einer  Art  und  Weise.  Das- 
selbe gilt  von  C.  ad  Qu.  2,  1,  2:  sententiam  dixit,  ut  ipse  judices  per 
praetorem  urbanum  sortiretur;  C.  ad  Att.  10,  4:  nihil  esse  ceitius,  quam 

nt  omnes restituerentur;    oder  C.  c.  Rull.  2,    10,  2ö:    jam  hoc 

inaudituui ,  et  plane  novo  raore,  (fit  oder  fertur,  es  wird  vorgeschla- 
gen u.  s.  w. )  uti  curiata  lege  magistratus  detur,   qui  etc.      So  ist  auch 

in  der  Stelle  C.  tusc.  5,  21:   ei  ne  integrum  quidem  erat,  ut 

reniigraret  (mo  Ernesti  Bedenklichkeiten  findet,  und  einen  blossen 
Infinitiv  verlangt),  schwerlich  an  ein  wie  zu.  denken;  dem  integrum  ei 
non  erat,  es  stund  nicht  in  seiner  Gewalt ,  kann  allerdings  ein  Gegen- 
stand als  Wirkungs -Bestimmung  zugefügt  werden,  also  ein  ut  effecti 
stattfinden.  Und  nichts  anders  ist  es  auch  in:  est,  ut  dicis ,  ut  pleri- 
que  philosophi  nulla  tradant  praecepta,  et  taraea  etc.  (  Cic.  de  or.  2, 
36 ,   152 ) ;   es  geschieht  so  ,   es  ist  so  bei  ihnen  hergebracht  u.  s.  w. 

Das  Ergebniss  aus  diesen  Verhandlungen  wäre  also  etwa  Folgen- 
des. Wenn  Rec.  sagt,  die  Grundbedeutung  des  ut  sey  wie,  der  ad- 
verbiale Begriff  einer  Art  urfd  Weise ,  so  kann  man  ihm  solches  unbe- 
denklich zugestehen.  W enn  er  darauf  hat  aufmerksam  machen  wol- 
len ,  dass  insbesondre  die  interrogative  Function  des  ut  einen  weitern 
Spielraum  hat ,  als  man  sich  gewöhnlich  vorzustellen  scheint,  so  ver- 
dient das  alle  Anerkennung.  Indem  er  aber  gesteuert  hat,  dass  man 
nicht  überall  in  dem  ut  ein  dass  suche  (des  Gegenstandes ,  der  Folge, 
der  Absicht^,  Ist  er,  wie  es  zu  geschehen  pflegt,  auf  das  andre  Ex- 
trem gerathen ,  überall  in  dem  ut  ein  wie  zu  finden.  Scharfe  Gren- 
zen muss  man  in  diesen  Dingen  nicht  setzen  wollen.  Die  Red  -  Analo- 
gien verlaufen  sich  in  einander  auf  die  mannigfaltigste  Weise.  Die 
Sprache  sucht  sich  überall  Communications- Wege,  Uebergänge,  Ver- 
schmelzungen ,  Verallgemeinerungen  und  Uebertragungen,  Dadurch 
erhält  sie  leichtere  Bewegung.  Das  kann  aber  den  Grammatiker 
niclit  abhalten  oder  der  Verpflichtung  überheben  sorgfältig  darauf  zu 
achten,  wo  in  Form  und  Begriff  sich  wesentliche  Unterschiede  zu 
Tage  geben,  und  besonders  bei  Zusammenstellungen  zweier  so  ab- 
weichenden Sprachen ,  wie  die  lateinische  und  deutsche ,  bemerklich 
werden.  Etzler. 

An  Freunde  der  Patristtk  nml  KircheingescMchte. 

.  Diese  macht  der  Unterzeichnete  darauf,  aufmerksam,  d8ss:der  im  Novbr. 
dieses  Jahres  erscheinende  Katalog  des  hiesigen  Antiquars  Hrn.  W.lScubron- 
ner,  neben  vielen  bedeutenden  Werken  aus  allen  Literaturzweigen,  beson- 
ders mehrere  grössere  und  seltene  ans  den  oben  genannten  Fächern  enthal- 
ten wird,  flie  als  Doubletteu  aus  der  Ulmischen  Gymnasiums  -  Bibliothek 
verkauft  werden.  Ulm,  im  August  1828. 
,.  Rector  U.Prof.  Dr.  Moser, 


Inhalt 

von  des  dritten  Bandes  erstem  Hefte. 

Böckel :  Anfangsgründe  der  Hebräischen  Sprache. 

Rcyher:  Foriueiilehre  der  Hebräiechen  Sprache. 

f     Vom  Professor    J.    U. 
Hanno :  Die  Hebr.  Sprache  für  den  Anfanff  auf  > 

l  Fäsi  in  Zürich.    S,         3—28 

Schulen  und  Gymnasien  . 

Böttcher:  Hebräische  Paradigmen.    . 

Tetzncr:    Lesebuch   für  Mittel-  und    Oberelassen   höherer    Bürgerschulen 

und  Gymnasien.  —     Vom  M.   Clemen  iu  Leipzig.         .  .  .28  —     42 

Bory  de  St.   Vincent:   Sammlung  geograph.  Gemälde.     Aus    dem   Franz. 

übers,  von  Mone.  —     Vom  Oberlehrer  Walter  in  Berlin.    .         .       43—62 
IFeicJiert:  De  Domitio  Marso  poeta  coramentatio.  —    Vom  Prof.  Osann 

ia  Giessen..         .  .  .  .  .    ,     .  .  .  .  .       62  ^-^     67 

Lobeclc:  De  Graecorum  placentis  sacris.    —     Vom  Director   Gotthold  in 

Königsberg.  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .68  —     71 

IVerdermann:  Ob  und  in  Tvie  fern  Gymnasien   höh.   Bürgerschulen   eeya 

können.  —     Vom  Prorector  Dr.  Steuber  in  Dortmund.  .  .       71  —     72 

Pinzger:  Formenlehre  der  Griech,  Sprache,  —     Vom  Director  Gotthold 

in  Königsberg.  .  .  .  .  .         .  .  .  .72  —     79 

Müller :  Lehre  der  Deutschen  Sprache  gründlich  und  neu  gefagst.  —  Vom 

Oberlehrer  Dr.  Bach  in  Breslau 79  —     86 

Hänle:  Deutsches  Handbuch  für  mittl.  Classen   der  Gymnasien.   —     Vom 

Director  Müller  in  Cöslin. 86  —     88 

Kohlraiisch:     Chronologischer  Abriss  der     \  . 

I     A'^om  Dr.    fVeise  in  Orla- 
Weltgeschichte.  ...  ^^^^      ^         .         .       88  -     94 

Möller:  Kleiner  historischer  Schnl-Atlas.        / 

Tetzner:  Andeutungen  aus  der  Geschichte  alter  Völker.  •—  Vom  Director 

Dr.  Reuscker  in  Cottbus .91  —    98 

Ueber  die  unterschiednen  Satz-Verhältnisse,   welche    durch    die  Lat.  Par- 
tikel ut  ausgedrückt  werden.  —  Vom  Professor  Etzler  in  Breslau.       98  —  112 


'liMiiiJiMÄÄjiiiiÄi 


lip^pflSt^PliW'iiWtip 


JAHRBUCHER 

FÜR 

PHILOLOGIE  UND  PÄDAGOGIK. 


Eine  kritische  Zeitschrift 

in  Verbindung  mit  einem  Verein  von  Gelehrten 

herausgegeben 
von 

M.  Joh,  Christ,  Jahn. 


Dritter   Jahrgang, 

Dritter  Band.     Zweites   Heft. 

Oder  der  ganzen  Folge 
AchterBand.     Zweites   Heft. 

Leipzig, 

Druck  und  Verlag  von  B.  G.  Teubner. 

18     2     8. 


Si  quid  no\isti  rectius  istis, 
Candidus  imperti;    si  non,    his  utere  mecum. 


V 


Griechische  Litteratur. 


Piatons  Lehren  aus  dem  Gebtete  der  NaturfoT' 
SchllJlg  und  Je  r // e  e7Ä'M  ;/f/e.  Nach  den  Quellenbearbeitet 
Ton  Dr.  J.  H.  Lichtenstüdt ,  Professor  der  Medirin  an  der  Univer- 
eität  und  an  der  chirurgisclien  Lehranstalt  /u  Breslau,  praktischem 
Arzte  etc.   Leipzig,  bei  C.  H.  F.  Hartiuann.   182«.  XVI  u.  180  S.   8, 

Juis  ist  eine  erfreuliche  Erscheiniing  in  einer  Zeit,  wo  die  Natur- 
wissenschaften, vermöge  des  grossen  Materials,  auf  welches  sie 
Anspruch  machen,  fast  immer  weiter  von  den  geistigern  Wissen- 
scliaften  zurücktreten,  und  sicli  gleiclisam  ein  eigeiiüiiuiiliches 
Gebiet  sichern  wollen,  Männer  zu  sehen,  welclie  von  derUeber- 
zeugung  durchdrungen,  dass  die  walireWissenschaftiiircinGruiid- 
wesennach  nur  eine  sey,  wieder  das  gemeinsaraeUand  aufr-i^iolien, 
welches  sie  alle  umschlingt,  und  in  diesem  Sinne  dieDarstellu»^ 
einzehier  Theile  beginnen.  Aus  dieser  Ansicht  ist  das  gegen- 
wärtigeWerk  hervorgegangen  ;  so  dass,  abgesefien  von  allem  an- 
dern, schon  das  Streben  den  Verfasser  ehrt.  Dieser,  Lehrer  eines 
ganz  praktischen  Zweiges  der  Naturwissenschaft  und  iiberdem  die 
Heilkunde  ausVibend,  hat  sich  durch  diese  liiclitung  nicht  von  der 
Bewundrung  des  hellenisclien  Weisen  abzieiien  lassen,  der  mit 
Recht  das  Urbild  aller  Wissenschaftlichkeit  genannt  wird.  Er 
hat  bewiesen ,  dass  ebenderselbe,  wiewoJil  ganz  dem  höliern 
•wissenscliaftiichenLeb.n  zugewandt,  dennoch  aucii  im  Gebiete 
der  Heilkunde  eine  Menge  tiefer  Blicke  gethanhat,  welche  eine 
Menge  sogenannter  neuer  Ansichten  schon  dem  Altertluim  si- 
chern. Doch  wir  gehen  zur  Betrachtung  des  Einzelnen  über. 
Recens.,  weder  Arzt  noch  Naturforscher,  glaubt  sich  durch  viel- 
jähriges Studium  des  Piaton  in  den  Stand  gesetzt,  dem  Gange 
des  Verfassers  zu  folgen,  und  sein  Streben  zu  würdigen. 

In  einer  wohlgeschriebenen  Vorrede  verbreitet  sich  der 
Verf.  theils  über  den  Einfluss  des  Piaton  auf  die  wissenschaft- 
liche Heilkunde  überhaupt,  theils  über  die  frühern  Darstellun- 
gen derselben  und  sein  Verhältniss  zu  denselben.  Allerdings 
wird,   um  des  Piaton  Einwirkung  auf  irgend   einen  Zweig  der 


116  Griechische   Litteratur. 

Wissenscliafteii  zu  bcirroifcn,  etwas  niclir  erfordert,  als  histo- 
rische Keiiiitiiiss  der  W  isseiischal't  selber  und  eiuiire  Bekauut- 
gchaft  mit  der  griecliischeu  Sprache.  Vor  allern  uiuss  ein  sol- 
cher Bearbeiter  in  den  Geist  platonischer  Lehren  eingedrungen 
seyn  ,  und  die  freien  Ansichten  in  ihrer  hohen  Bedeutung  be- 
griffen Ilaben,  wenn  er  unternehmen  will,  auch  nur  einen 
kleinen  Theil  des  kunst\oll  geordneten  Ganzen  ina  eigenthiunli- 
chen  Lichte  darzu>tc'llen.  In  dieser  Beziclning  inussten  die  mei- 
sten frühem  Darstelhmgen  wenig  gelungen  erscheinen,  weil  eben 
die  Gegenstände  nicht  im  Lichte  platonischen  Geistes,  sondern 
nielir  nach  ihrer  Aussenseite  aufget'asst  wurden.  Wenn  hier 
schon  der  scharfsinnige  Aristoteles  geirrt  und  die  Grundansich- 
ten des  Meisters  schief  gedeutet,  wie  viel  mehr  rausste  diess 
spätem  bi'gegnen,  die  vom  heutigen  Standpunkte  der  Naturwis- 
senschaft aus  und  zwar  sehr  häiiiig  nach  den  Grundsätzen  der 
gemeinsten  Empirie  die  Genialität  der  grossen  Weisen  meistern 
Mollten.  Der  \  erfasser  hat  die  .Missdeutung  platonisclier  Leh- 
ren durch  Ari-toteles  erst  später  geriigt,  vorn  aber  nachgewie- 
sen, wie  Galen  und  die  >enplatoniker  \iel  dazu  beigetragen,  dass 
Piaton  miss\ erstanden  und  seiner  eigenthiimlichen  Bedeutung 
nach  nicht  anerkannt  wurde.  Die  Art,  wieder  \  erf.  über  seine  eig- 
nen Forschungen  in  diesem  Gebiete  berichtet,  muss  schon  ira 
Voraus  ein  günstiges  Vorurtheil  für  das  Buch  erregen,  und  der 
Erfolg  hat  bewiesen,  dass  wir  uns  nicht  getäuscht  haben. 

S.  1  —  Ifi  hat  der  V  erfasser  mit  grosser  Klarheit  und  selbst- 
ständigem Urtheil  das  geistige  Verhältniss  Piatons  theils  zu  der 
frühern,  theils  zu  seiner  Zeit  dargestellt,  wo  man  mit  \  ergnü- 
gen  den  richtigen  Blick  desVerf.  anerkennt.  Die  Unbefangenheit 
scinesLTrtheils,  so  wie  die  geistvolle  Art  derBehandlung,  deren  rein 
cntwickelnderCliarakterder  platonischen  nachstrebt. sind  auf  glei- 
che Weise  zu  rühmen.  Bcy  der  Darstellung  des  Besondern  setzt 
der  Hr.  Verfasser  folgende  Einthcilung  fest :  1)  Allgemeine  Na- 
turlehre.  2)  Besondere  Xaturlehre,  3)  Biologie,  4)  Allgemein 
Pathologi-ches,  5)  Allgemein  Therapeutisches,  6)  Speciell  The- 
rapeutisches. 

Den  ersten  Absclinitt  beginnt  der  Verfasser  mit  der  Aufstel- 
lung des  vielfach  bestrittenen  Satzes:  ,,dass  es  nach  Piaton  keine 
ursprüngliche  und  für  sich  bestehende  Materie  gebe,  dass  viel- 
mehr die  Quelle  und  dasVorbild  alles  Stoffes  in  Gott  gesetzt  wird.'' 
Wenn  man  Jiior  einen  scheinbaren  Widerspruch  ^eg(in  einzelne 
Stellen  des  Piaton  linden  mitgte,  so  ist  zu  erwägen,  dass  die 
mythische  Vorstelhin-r  ihre  ."Macht  auch  auf  die  Sprache  ausübte, 
und  dass  die  Darstellung  der  Gottheit  als  eines  schaffenden 
Künstlers  ebenfalls  der  alten  Vor^tellungsweise  entgegen- 
kam. Ja  es  ist  geradezu  unmöglich,  die  Weltschöpfung,  wel- 
clie  an  sich  schlechtliin  unerfasslich  und  unaussprechlich  ist, 
als  ein  in  der  Zeit  gewordenes  darzustellen,  ohne  Ausdrücke  zu 


l'Iutonä  Lehren  v.  d.  NaliirrurKcIiunjr  u.  Ilcilkiiiidc,  v.  Liclitenstüdt.     117 

a:cl)raiicli(Mi,  wciclie  aul'  eine  mehr  iiiii(eiiellc Vorstollniipfsweisc 
lulireii  ini'isseii.  Dalier  (leiiii  üik  li  iMatoii  selNcr  alle  ^eiiaiiereii 
Darstetliiiiseii  die^el•  (i!ei:i'iisliiii(le  mir  ein  ^ivxfokoyfiv  iicmil, 
weil  >\alirliat'(e  Krkeiinlniss  nniiio^lirli  is(.  W  «iiii  sich  dalier  auch 
Piaton  nirgends  lu>>tiiiiint  aiisires|)r()eiien  hat  iiher  das  V  erhiiit- 
iiiss  der  noch  nicht  j^chiUleteii  Welt,  des  ('iiaos,  zu  dem  Seh«>- 
pt'er,  so  kann  doch  auf  der  andern  >Seite  unni('>glich  eine  Zwei- 
heit  als  iirspriin^lieli  gesetzt  werden,  als  welches  der  Ideciilvhrc 
geradezu  entjrep;en  A>iire.  Denn  die  ^an/e  äussere  sieht  hare 
Welt  Jiat  nnr  eine  Wesenheil ,  in  soTern  in  ihr  die  ^oKlieheu 
Urbilder  aus^epriiirt  sind  ;  nnnio^lich  kann  sie  also  nnch  s<rhon 
vor  der  Ivosnio^onie  ein  t'iir  sich  Si'll)>(standiifes  nnd  alsoWe- 
senhaltes  se^n.  Die  Tiinschnn^  \\  ar  aher  hier  um  so  leichter, 
weil  die  Meisten,  nur  in  dem  fie^öhnlichen  (jlef^ensatz  \on  (ieist 
und  Materie  belangen,  nicht  erkannten,  wie  diese  beyni  Pia- 
ton nur  bey  der  niedern  lletrachlun^'  der  Ge^ienstände  ffelten, 
liini;ep:en  bey  »ler  hohem  \*  issenschiilt liehen  \ersch»  inden.  \  ^1. 
unten  S.ölJ.  Diess  vird  nun  auch  durch  iliejeniiren  Stellen  be- 
stütis;t,  welche  der  \  erf.  selber  S.'2!>  l'ol.r^r.  auireiiihrt  hat;  wo- 
bey  er  das  \>  esen  der  durch  neuern  iMisshrauch  ol't  Sihiet'  dar- 
gestellten y^/rr// sehr  richtii;  utid  ganz  im  platonischen  Sinne  be- 
stimmt. Auch  die  Deutung  der  wichtigen  Stelle  Tim.  p.  iit) 
ist  durchaus  gelungen  zu  nennen  ;  wie  denn  der  llr.Verfasserüber- 
hauptsieh  in  richtiger  Erklärung  der  scheinbar  widersprechenden 
Stellen  \ov  allen  mir  bi-kannteuCJeschichtschreibern  der  Philoso- 
phie auszeichnet,  weil  er  \on  einer  richtigen  (irundansicht  ausgeht 
und  jede  IJehanptung  nach  ihrem\  erhältnisse  beurtheilt.  Selbst 
in  der  Worterklärung  macht  iler  llr.  Verl",  sehr  gli'ickliche  Ver- 
suche, und  die  IJegrill'sbestiinmung  aou  voV'^  und  ^/•I';^^j  wird 
die  Kenner  des  IMaton  befriedigen  ;  auch  die  iieslimmung  des 
Wortes  t^äov  ist  im  allgemeinen  richtig:  der  Ilr.  Verf.  hätte  noch 
anfiihren  klninen  ,  wie  das  lateinische  animal  diesem  ganz  ent- 
sprechend ist.  INicht  ganz  geni'igen  musste  «lie  Erklärung  der 
Stelle  ov  6'iöTi  TCiXia  t,djci  x.  r.  A.,  namentlich  wenn  der  Verf. 
diesem  Satze  die  Auslegung  giebt,  ,, Mies  was  vermöge  «ler  Ver- 
nunft ein  DascNU  haben  könne,  sey  aucli;  und  wiederum  sey 
als  nicht  seyeiid  zu  betrachten,  was  durch  die  Vernunft  nicht 
begriindet  werden  kann.'-'  Was  offenbar  nicht  darinne  liegt ;  denn 
der  ganze  Satz  will  nur  sagen,  dass  der  xoo/toi;  nicht  mit  einem 
Einzel- Wesen,  sondern  mit  der  Alles  durchdringenden  und  Al- 
les belebenden  Kraft  verglichen  werden  könne.  Welches  auch 
in  dem  folgenden  liegt:  wie  der  \erf.  richtig  bemerkt,  „die 
Ansicht  des  Platon  gehe  dahin,  dass  es  ein  gemeinsames  liand 
Alles  KrschalVenen  geben  müsse,  und  dass  dieses  innerhalb  kei- 
ner bestimmten  Zahl  und  Masse  beschränkt  seyn  könne.''  Die 
Lehre  \on  den  l*ilementen  ,  die  Piaton  ebenfalls  angenommen 
hat,  wird  richtig  dahin  gedeutet,  dass  Platon  weit  entfernt  »ey, 


118  Griechische  Litteratur. 

hier,  sich  selbst  inconsequent,  die  Lehre  der  Atomistiker  anzu- 
nehmen, sondern, eben  gemäss  der  natürlichenAnscliauung  derDin- 
ge,  dieselben  als  Grundformen  alles  Stoffs  betrachte;  wiewohl  er 
auch  auf  dieseAnsicht,  alsblos  zumReiche  der 3Ieinung  gehörig, 
gar  keinen  besojidern  Werth  legt.  Eben  so  ist  die  Vierzahl  als 
Grundgesetz  für  die  ganze  Körperwelt  oftenbar  nur  ein  geistrei- 
cher Versuch,  die  überlieferten  4  Elemente  nach  pythagoräi- 
schen  Principien  als  unumgänglich  nothwendig  zu  rechtfertigen. 
Und  so  bei  weitem  das  Meiste  von  dem  Uebrigen.  Hier  ist  nichts 
mit  wissenschaftlicher  Strenge  erwiesen,  noch  auch  als  solches 
hingestellt,  sondern  es  sind  geistvolle  Ansichten  in  halb  mythi- 
schem Gewände,  die  aber  das  Wesen  der  platonischen  Lehre 
keinesweges  berühren.  Doch  ist  auch  hier  überall  das  Verdienst 
dem  Verf.,  welcher  mit  feinem  und  richtigen  Sinne  die  ('onse- 
quenzraacher  zurückweist,  und  S.  42  richtig  bemerkt,  „das 
Weltall  ist  also  einerseits  ein  ewig  bleibendes  und  andrerseits 
ein  unaufhörlich  bewegtes  und  verändertes.  Beides  ist  auf  eine 
nothwendige  Weise  verbunden  ;  ein  ewiges  Seyn  ohne  Bewegung 
und  eine  Einheit  ohne  Vielheit  erkennt  Piaton  als  nirgends  in 
der  Natur  bestehend  an."  Li  dieser  Beziehung  hat  der  Verf. 
die  sehr  wichtige  Stelle  Politicus  S.  269  angeführt ,  welche 
vollkommenen  Aufschluss  über  die  platonische  Ansicht  von  der 
Lehre  des  ewigen  Seyns  und  der  unaufhörlichen  Bewegung  giebt. 
Hier  muss  auch  bemerkt  werden,  wie  sich  der  Verfasser  beson- 
ders darinne  als  einen  umsichtigen  und  verständigen  Ausleger 
platonischer  Lehren  zeigt,  dass  er  überall  die  das  Ganze  um- 
fassenden Lehren  von  einzelnen  Lehrsätzen  scheidet.  Piaton 
konnte  vermöge  der  ganzen  Richtung  seines  Geistes  einer  in  die 
einzelnen  Theile  eingehenden  Naturforschung  nicht  befreundet 
seyn.  Hierin  übertraf  ihn  Aristoteles  weit;  aber  wohl  konnte  Pia- 
ton vermöge  der  Genialität  seines  Geistes  tiefe  Blicke  in  das 
Leben  der  Natur  werfen,  und  diese  hervorgehoben  und  vor 
Missdeutung  bewahrt  zu  haben,  ist  das  Verdienst  des  Ver- 
fassers. So  vergleiche  man,  was  er  in  Beziehung  auf  die  Iiarmo- 
nischen  Verhältnisse  des  Weltgebäudes  gesagt  S.  47,  über  die 
Zeit  S.  49,  über  die  Bewegung  der  Weltkörper  S.  50  und  51,  S. 
55  und  56  über  den  Raum.  Wobey  überall  der  Verf.  nach  dem 
Grundsatz  verfährt,  dass  Piaton,  allen  einseitigen  xAnsichten, 
welche  die  frühere  Zeit  gebohren,  entgegenstrebend,  nur 
den  Kreis  zu  bestimmen  sucht,  innerhalb  welchem  sie  mit  Wahr- 
heit angewendet  werden  können;  während  seine  Grundansicht 
über  jenen  Gegensätzen  steht,  die  nur  in  dem  Gebiet  der  Sinnen- 
welt ihre  Anwendung  finden.  Namentlich  geschieht  diess  mit 
dem  heraklitischen  Satze  vom  ewigen  Werden ,  der  eben  nur 
als  im  Gebiet  des  Körperlichen  gültig  von  Piaton  angenommen 
wird. 

Wie  tief  und  umfassend  überhaupt  bey  aller  Mannigfaltig- 


Plutons  Lehren  v.  d.  Naturfoi'ächiiiig:  u.  Heilkunde,  v.  Lichtenstädt.     119 

kcit  im  Einzelnen  Piatons  Ansiclit  über  das  Natnrleben  ist,  geht 
auch  aus  seiner  Ansicht  des  leeren  Raumes  hervor,  welche,  wie 
der  Vf.  richtig  bejuerkt,  ganz  itn  lOinklaui^  mit  der  v.  Kant  aul's 
neue  begri'indeten  ist.  —  Die  Behauptung  Piatons  von  gewissen 
geometrischen  Grundgestalten  der  Elemente  scheint  mir  nicht 
ganz  richtig  von  dem  Vf.  erklärt  worden  zuseyn.  Ort'enbar  schweb- 
ten hier  dem  Piaton  gewisse  pythagoräische  Lehrsätze  vor,  nach 
welchen  sowohl  arithmetische  als  geometrische  (irundverhält- 
nisse  auch  in  den  materiellen  Grundlagen  der  Schöpfung  aus- 
geprägt seyen.  Dass  auch  hierinne  einige  Wahrheit  enthalten  sey, 
wird  Niemand  läugnen  ,  aber  folgerecht  durchgeführt  würde 
diese  Behauptung  allerdings  zu  einer  durchaus  mechanischen 
Ansicht  der  Natur  führen,  welche  nun  nicht  blos  dem  innersten 
Sinn  platonischer  Lehre,  sondern  aucli  namentlich  der  früher 
ausgesprochenen  Behauptung  von  der  Bedeutung  der  herakliti- 
schen  Lehre  entgegen  seyn  würde.  Uebrigens  streng  genom- 
men und  abgesehen  von  der  äussern  Erscheinung  konnte  auch 
Piaton  ein  eigentliches  Anderswerdcn  der  Materie  nicht  anneh- 
men, sondern  das  Werden  musste  nach  ihm  aus  einer  veränderten 
Mischung  der  Grundbestandtheile,  welche  an  gewisse  Formen 
geknüpft  ist ,  hervorgehen.  Denn  die  Materie  bleibt  unter  al- 
len Gestalten  dennoch  immer  die  gleiche  und  ihrem  innern  We- 
sen nach  unveränderliche  Grundsubstanz  der  Dinge.  Auf  diese 
Weise  musste  Piaton  dahin  geführt  werden,  auch  scheinbar 
atomistische  Lehrsätze  in  seine  Darstellung  aufzunehmen,  weil 
auch  ihnen  eine  partielle  Wahrheit  zukömmt. 

In  der  besondern  Naturlehre  mnss  nun  natürlich  desEigen- 
thümlichen  weniger  sich  finden,  wiewohl  auch  hier  manche 
geistvolle  Blicke  uns  überraschen.  So  die  Behauptung  einer  mehr- 
fachen Zerstörung  der  Erde  und  der  Menschenwelt,  welche 
Piaton  nicht  blos  als  Muthmaassung  gelten  Hess;  dann  die  von 
dem  Verf.  sehr  richtig  gedeutete  und  entwickelte  Ansicht  von 
der  Anziehung  und  Abstossung  in  der  Natur,  und  ihrem  gegen- 
seitigen Verhältniss;  wobey  besonders  die  Ausdehnung,  die  er 
diesen  Gesetzen  giebt,  Bemerkung  verdient. 

Die  Lehre  vom  organischen  Leben  nennt  der  Y  er  f.  Biologie^ 
und  sagt  richtig,  Piatons  Lebensaiisicht  ist  die  lebendigste  unter 
allen ,  indem  sie  recht  eigentlich  von  dem  vollen  Leben  aus- 
geht und  dieses  geradezu  als  Selbstthätigkeit  charakteri-iirt. 
Hieran  reihet  sich  die  Behauptung,  dass  alles  Geistige  das  Ur- 
sprüngliche, das  Körperliche  das  Nachfolgende  und  später 
Entstandene  sey;  welches  im  Allgemeinen  und  im  Besondern 
als  herrschendes  Gesetz  nachgewiesen,  ja  überhaupt  die  voll- 
kommenste Harmonie  und  Gleichförmigkeit  aller  Naturerschei- 
nungen nachgewiesen  wird.  In  allen  diesen  wird  man  den  fei- 
nen und  richtigen  Sinn  des  Verf.  anerkennen,  welcher  auch 
bey  scheinbaren  Widersprüchen  überall  die  Lösung  im  platoni- 


120  Griechische  Litte vatur. 

sehen  Geiste  findet.  Uebrigens  verstellt  sich  von  selbst,  dass 
die  eigentlichen  physiologischen  Sätze  sich  vorzugsweise  auf  den 
Menschen  beziehen,  welcher  dem  Piaton  nach  seiner  Ansicht 
der  Menschennatur  am  bedeutendsten  scheinen  musste.  Ver- 
missen wir  hier  die  Resultate  der  tiefer  gehenden  Forschung 
neuerer  Zeit,  so  begegnen  wir  dagegen  iiberall  einer  unbefan- 
genen, geistvollen  und  folgerecht- durchgeführten  Ansicht  des 
Gesamrat-Lebens  und  seiner  mannigfaltigen  Erscheinungen.  Diess 
Alles  hat  der  Verf.  mit  eben  so  viel  Gelehrsamkeit  als  ürtheil 
nachgewiesen,  und  überall  auf  die  Eigenthümlichkeit  des  pla- 
tonischen Geistes  aufmerksam  gemacht.  Vgl.  S.  1)0  u.  Ol,  was 
über  das  Sehen  und  die  Bedeutung  des  Gesichts,  S.  92  über 
das  Gehör,  S.  91  über  die  Empfindungsfähigkeit  des  Körpers 
überhaupt  verständig  bemerkt  wird.  Ueberali  wird  man  hier 
die  platonische  Ansicht  sinnvoll  erläutert  und  im  gehörigen 
Lichte  aufgefasst  finden. 

Der  in  das  ganze  Wesen  platonischer  Lehre  so  tief  ein- 
greifende Satz  von  dem  richtigen  Verhältniss  der  Weissagung 
zur  Erkenntniss  ist  S.  99  flgg.  durchaus  richtig  dargestellt,  und 
der  Verf.  ist  weit  entfernt  von  der  Alles  bezweifelnden  Nüch- 
ternheit neuerer  Kritiker,  welche,  was  sie  ihrem  eigenen  We- 
sen als  fremd  anerkennen ,  auch  dem  hellenischen  Alterthum 
streitig  machen ,  und  den  allgemeinen  Glauben  an  Weissagun- 
gen und  Seherkunst  mit  dem  elenden  Gemeinplatz  von  Gaukelei 
und  Priesterbetrug  erklären  wollen.  Dass  übrigens  Piaton  in 
der  Betrachtung  des  physischen  Lebens  und  seines  Verhältnis- 
ses zu  dem  geistigen  nicht  ganz  frey  vonirrthum  bleiben  konnte, 
versteht  sich  von  selbst ,  weil  das  Bestehen  alles  Lebens  auf 
einen  gemeinsamen  Quell  zurückzuführen  bey  der  Mangelhaf- 
tigkeit von  Betrachtungen  nothwendig  hier  und  da  sich  in  will- 
kührlichen  Aussprüchen  kund  tluin  musste.  Auch  hat  diess  der 
Verf.  keineswegs  verkannt,  und  sich  durchaus  frey  erhalten 
von  einem  blinden  Hingeben  an  die  grossartige  geistige  Indivi- 
dualität des  Mannes.  Aber  er  bleibt  nicht  blos  bey  der  Anzeige 
des  Irrthums  stehen,  sondern  erklärt  ihn  und  weist  seinen 
Grund  nach  in  der  subjectiven  Anschauungsweise  des  Platon. 
Vgl.  S.  117, 129  u.  100.  Doch  es  würde  viel  zu  weit  führen,  wenn 
wir  auf  alles  das  Treffliche,  welches  in  diesem  Buche  enthalten 
ist,  aufmerksam  machen  wollten;  und  wir  dürfen  nach  mehrmals 
wiederhohltem Durchlesen  dieses  Buches  mit  dem  ürtheil  schlie- 
ssen,  dass  dasselbe  in  jeder  Beziehung  vorzüglich  genannt  wer- 
den dürfe,  und  das  grosse  Verdienst  habe,  eine  bisher  fast  ganz 
vernachlässigte  Seite  des  platonischen  Systems  in  das  hellste 
Licht  gesetzt  zu  haben.  Es  wäre  zu  wünschen,  dass  andere 
Theile,  z.B.  die  Dialektik,  auf  gleiche  Weise  behandelt  würden, 
und  wir  dürften  hoffen ,  endlich  zu  einer  richtigen  Ansicht  des 


Rdmiäche  Litteratiir.  .121 

grössten  liellenisclieii  Weisen  zu  gelangen,  der  in  neuern  Zei- 
ten mehr  bewundert  als  verstanden  worden  ist. 

Basel.  Fr.  Vor.   Ger  lach. 


Römische  Litteratur. 


Tacitus  über  Lage.,  Sitten  tind  Völkerschaften 
Germaitiens.  Uebersetzt  und  mit  Anmerltungen  versehen  von 
Dr.  H.  }V.  Fr.  Klein,  Prof.  am  Gymn.  zu  Hildburgliausen.  Mün- 
chen 1826.  Druck  und  Verlag  von  F.  A.  Fleischmann.  203  S.  8. 
br.  12  Gr. 

-cIlIs  Ref.,  ein  Brandenburgisch  -  Preussischer  Unterthan,  in 
den  für  sein  Vaterland  und  dessen  glorwürdiges  Königshaus  so 
erschütternden  und  niederbeugenden  Schicksalsjahren  1807  — 
1809  die  von  dem  Argwohn  und  der  Furcht  des  Französischen 
Kaisers  einstweilen  aufgelöste  Fridericiana  mit  der  Herzog!. 
Braunschweigischen  Carls  -  Universität  zu  vertauschen  nebst 
vielen  seiner  Commilitonen  gezwungen  worden  war,  hatte  er  das 
Glück  ,  den  kurz  zuvor  von  Eutin  nach  Helmstedt  als  Professor 
historiarum  berufenen  Bredow  Vorträge,  wie  über  andere 
Werke  des  grossen  Römers  und  Geschichtschreibers  Tacitus,  so 
namentlich  über  dessen  Germania  zu  hören.  Wenn  von  dem 
Augenblick  an,  wo  derselbe  dieses  zu  früh  für  die  Welt  und 
Litteratur,  noch  früher  für  sich  und  seine  Freunde  aus  dorn 
Leben  geschiedenen  Edlen  Stimme  und  Ton  hörte,  seine 
Worte  ernster  historischer  Mahnung  und  Erinnerung  vernahm, 
und  in  seines  Auges  verhaltenem  Feuer  den  stillen  und  trüben 
Ernst  seines  Gemüthes  las,  wenn  von  diesem  Augenblicke  an, 
die  von  der  Schule  her  durch  die  Vita  Agricolae  ihm  angereg- 
te Liebe  und  Sehnsucht  zu  dem  unsterblichen  Menschen-  und 
Tyrannen  -  Mahler  Tacitus  zum  vollen  Leben  erwachte,  so 
war  die  nur  erkennbare  Ursache  davon  theils  die  anziehende, 
belebende  und  beseelende  Kraft  des  damahis  noch  jugendlich 
feurigen  Interpreten  und  Docenten,  derein  Semester  später  selbst 
für  einen  Dionysius  Periegetes  ein  gedrängtes  Auditorium  zu 
versammeln  vermochte,  theils  aber  auch  die  unwiderstehliche 
Gewalt  des  alten  und  ewig  neuen  und  jugendlichem  Historikers, 
mit  welcher  er  denjenigen  ergreift  und  in  seine  Mitte  zieht,  der 
sich  einmahl  mit  Liebe  und  Andacht  den  Schwellen  seines  heh- 
ren Heiligthums  genähert  hat.   Denn  was  Quintiliau  vom  Ennius 


122  Römische  Litterat ur. 

sagt,  dürfte  in  anderer  Beziehung  von  Tacitus  und  dessen  Deut- 
schen Volks- und  Landes- Gemähide,  der  Germania,  gelten: 
Ennium,  sicut  sacros  vetustate  lucos,  adoremus,  in  quibus  gran- 
dia  et  antiqna  robora  jani  non  tantara  habeiit  speciem,  quan- 
tam  religionem.  Qiiint.  X,  ],  88.  Kec.  kniipft  an  diese  akade- 
mische Lebenserfahrung,  die  viele  seiner  Berufsgenossen  mit 
und  vor  ihm  gemacht  haben,  und  nach  ihm  machen  werden, 
zwei  zum  vorliegenden  Zweck,  wie  zum  Inhalte  und  Geist  einer 
pädagogischen  und  philologischen  Zeitschrift  nicht  ungehörige 
Bemerkungen.  —  Erstlich:  Da  Tacitus  erfahrungsmässig  ein 
vonGelialt  entweder  so  vollendeter  oder  eigenthümlich  beschaf- 
fener Schriftsteller  ist,  dass  die  Liebe  zu  ihm  erst  der  reifern 
und  gelehrigem  Jugend  aufgeht,  das  volle  Verständniss  des- 
selben vielleicht  aber  nur  dem  gereiften  und  gelehrten  Welt- 
undStaatsmanne  sich  erschliesst:  so  ist  derselbe  aus  dem  Kreise 
der  Schulautoren  auszuschliessen,  und  von  den  Lehrplänen  der 
Gymnasien ,  wo  er  noch  als  stehender  Autor  verzeichnet  ist, 
zu  streichen,  und  entweder  gänzlich  den  Universitäten  zurück- 
zugeben und  zu  überlassen ,  oder  nur  für  eine  classis  selecta 
von  Gymnasien  -  Scliülern  oder  für  eigentliche  philologische 
Zöglinge  aufzusparen.  Soll  derselbe  indess  als  Autor  für  die 
statarische  Leetüre  der  Iten  lat.  Sprachklasse  heibehalteu 
werden,  so  möge  er  als  Uebergangs- Autor  für  die  höhere  phi- 
lologische Bildung  und  als  Anknüpfungs-  und  Verbindungs- 
Punct  der  Schul-  und  akademischen  Alterthums -Studien  be- 
nutzt, ausserdem  aber  mit  den  wissenschaftlichen  und  spracli- 
lichen  Lehrohjecten  eines  Gymnasii  in  eine  fruchtbare  Bezie- 
hung gesetzt  werden.  Hierzu  bietet  der  Römische  Historiker  in 
den  zwei  kleinern  Stücken  seiner  köstlichen  Hinterlassenschaft 
selber  die  Hand.  Denn  wie  die  Vita  Agricolae  theils  als  ein 
Meisterstück  der  biographischen  Kunst  selbstständig  und  unüber- 
trefflich dasteht,  und  fiir  die  auf  Gymnasien  anzuregende  histo- 
rische Forschung  und  Darstellung  höchst  fruchtbare  Momente 
darbietet,  theils  aber  als  ein  vollendeteres  Gegenbild  zu  Sue- 
tons  Kaisergeschichten  und  Plutarchs  I*arallelen  zu  lehi-reichen 
Vergleichungen  einladet:  so  ist  die  Germania  eine  zu  alte  ehr- 
iind  glaubwürdige,  und  dal-.er  zu  wichtige  Urkunde  über  die 
Wiege  und  Kindheit  des  Deutschen  Volksthums ,  als  dass  der 
gründlicheGymnasial-Lehrer  bei  seinen  Vorträgen  über  die  va- 
terländische Geschichte  nicht  unbedenklich  von  derselben  aus- 
gehen, oder  auf  dieselbe  zurückkommen  sollte,  was  auch  über 
und  gegen  diese  Urkunde  die  historische  Zweifel-  und  Parado- 
xen-Sucht  der  neuesten  Zeit  ausgesprochen  und  eingewandt 
haben  mag.  Ausserdem  —  und  das  ist  die  Benutzung  des  Ta- 
citus für  allgemeine  sprachliche  Lehrzwecke  —  ist  in  Sprache 
und  Ausdruck  die  gehcimnissvolle  Kürze  und  Tiefe,  gleichsam 
die  contorta  vis  des  Tacitus  von  der  lactea  ubertas  des  Livius 


Des  TacUus  Germania,  übersetzt  von  Klein.  123 

und  der  Breite  und  copiösen  Manier  des  Cicero  so  specifisch 
verschieden,  dass  zwischen  jenem  nnd  diesen  ein  Zeitalter  der 
Latinität  und  Elocution  zu  liegen  scheint,  zn  dessen  Anschau- 
ung und  Erkenntniss  der  Sprachzögiing  auf  Gymnasien  in  dem 
letzten  Stadio  seiner  Bildung  wenigstens  vorbereitet  werden  muss, 
um  theils  für  die  Schriftwerke  aus  der  argentea  aetas  einen 
aufgeschlossenen  Sinn  auf  die  Univ.  mitzubringen ,  theils  um 
frühzeitig  vor  dem  Walme  bewahrt  zu  bleiben,  als  sey  mit  Ci- 
cero die  Latinität  abgeschlossen,  und  als  gränzte  die  Verfall- 
zeit des  Römischen  Uepublicanismus  mit  der  Periode  des  Spi-ach- 
Barbarismus  nahe  und  unmittelbar  zusammen.  — 

Die  zweite  Bemerkung  aber  ist  die,  dass  mit  Tacitus  zwar 
spät  aber  desto  dauernder  der  Bund  treuer  Anhänglichkeit  und 
Freundschaft  geschlossen  wird ;  dass  Tacitus,  wie  er  kein  Jüng- 
lings- sondern  Mannes- Autor,  so  auch  kein  Historiker,  kein 
Annalist  oder  Novellist  aus  der  Zeit  und  für  die  Zeit,  sondern 
für  die  Welt  und  das  Leben  ist;  dass  derselbe  zwar  seinem 
Stoffe  und  seiner  Sprache  nach ,  und  als  ein  durch  Raum  und 
Zeit,  in  und  für  die  er  lebte,  bedingtes  Individuum,  seinem 
Jahrhunderte  und  dem  Römerthum  anheim  fällt,  seiner  Dar- 
stellung nach  aber  allen  Jahrhundertem  und  demMenschenthum 
angehört.  —  Denn  wenn  schon  die  Aufgabe,  die  sich  Tacitus 
zu  lösen  genommen,  nämlich  das  allmähliche  Versinken  und 
Ausarten  der  alten  Römer -Tugend  und  republikanischen  Herr- 
lichkeit in  Lasterhaftigkeit  und  Knechtschaft ,  oder  den  üeber- 
gang  des  antimonarchischen  Geistes  im  Volksleben  und  in  der 
Staatsverfassung  nach  seinen  nächstfolgenden  Wirkungen  prag- 
matisch zu  beschreiben  und  zu  schildern,  —  wenn  schon  diese 
Aufgabe  ein  tragisches  Element  einschliesst  und  eine  Katastro- 
phe ankündigt,  die  um  so  anziehender  wirkt,  je  mehr  Analo- 
gien sie  in  dem  allgemeinen  Staats-  und  Völker -Leben  hat, 
und  je  mehr  sie  zu  der  grossen,  hellen  und  glänzenden  geschicht- 
lichen Exposition  des  Livius  gleiclisam  den  dunkeln  Hintergrund 
bildet:  wie  sollte  nicht  erst  die  Art  und  Weise,  wie  diese 
Aufgabe  gelöst  erscheint,  die  historische  Art  und  Kunst  des 
Tacitus  die  denkenden  Köpfe  und  die  fühlenden  Herzen  aller 
Zeiten  und  Jahrhunderte  ergreifen  und  anziehen!  Der  Grund 
ist  dieser.  Tacitus  gehört  nicht  zu  den  epischen  und  plastischen 
oder  zu  denjenigen  Historikern,  die,  wie  Herodot ,  sich  ihrer 
Individualität  bei  der  historischen  Arbeit  und  Coraposition  ganz 
oder  grösstentheils  entäussern  und  dieausgemitteltenund  glaub- 
würdig befundenen  Facta  rein-objectiv,  ohne  subjective  Bei- 
mischung, ohne  Urtheil  und  Reflexion  hinstellen,  sondern  viel- 
mehr zu  denjenigen,  die,  wie  nach  ihm  Johannes  v.  Müller, 
Luden  und  andere,  die  Thatsachen  unter  einen  idealen,  poli- 
tischen und  moralischen  Maassstaab  bringen,  und  Überdieseiben 
von  dem  Standpunct  des  Politikers  oder  Moralisten  absprechen 


124  Römische  Litte  ratur. 

und  aburtheilen ;  Tacitus  gehört  also  zu  den  sogenannten  ethi- 
schen oder  gemüthlichen  Historikern,  oder  zu  denjenigen,  die 
mit  einer  vorherrschenden  Richtung  und  Stimmung  des  Gemü- 
thes  die  Ereignisse  darstellen.  Insofern  nun  diese  Individuali- 
tät des  Tacitus  auch  in  seinen  historischen  Styl  übergegangen 
ist,  und  in  demselben  sich  analog  ausgeprägt  hat,  gehört  die 
Geschichtsdarstellung  desselben  zu  den  raanierirten  im  edlern 
und  künstlerischen  Sinne  des  Worts,  und  da  nun  die  Manier  ei- 
nes Coniponisten  und  Künstlers  etwas  Augenialliges  und  Anzie- 
hendes, die  des  Tacitus  aber,  in  so  fern  sie  auf  einer  moralischen 
Unterlage  beruhet,  etwas  Stärkendes,  Erliebendes  und  Trö- 
stendes hat,  so  erklärt  sich  hieraus,  wie  aus  andern  liistori- 
schen  und  litterarischen  Ursachen,  die  Verehrung,  die  demsel- 
ben zu  allen  Zeiten  und  unter  allen  politisch -mündigen  Völkern 
durch  Studium,  Uebersetzung  und  Nachahmung  seiner  Werke 
und  Darstellung  zu  Theil  geworden  ist. 

Ob  vorliegende  Verdeutscliung  der  Germania  oder  des  von 
Tacitus  Hand  zu  historisch  -  ethisclien  Zwecken  entworfenen 
kleinen  llundgemähldes  des  alten  Teutoniens,  auf  welches  der 
in  republicanischen  Erinnerungen  lebende  Historiker  herabblickt, 
wie  Zeus  vom  Schlachlfelde  11.  XIII,  1  seqq.  —  denn  er  lässt 
die  „Römer'-'- 

—  —  in  Arbelt  ring-en  und  Elend 
Rastlos  fort ;  und  er  wendet  zurück   die  „weinenden  Augen,'''- 
Seitwärts  liinab  auf  das  Land  „der  edlen  Germanier^'  schauend, 
Welche   hei  Alilcli   arm  leben ,    ein   Volk   der  gerechtesten  3Iän- 

ner.   — 

(Vgl.  Bernhardi's  Sprachwissensch,  S.  328)  —  ob  diese  neue 
Verdeutschung  der  Taciteischen  Germania  aus  einer  gleichen 
Neigung  und  Liebe,  aus  innerm  Bedürfniss  für  die  Urschrift  und 
deren  Erklärung  und  Verbreitung,  wie  frühere  Arbeiten  der 
Art,  hervorgegangen,  oder  durch  andere  Antriebe  u.  Beweggründe 
veranlast  worden  sey,  ist  eine  Frage,  die,  so  wichtig  sie  auch 
für  den  präsumtiven  Werth  der  Arbeit  seyn  mag,  Bec.  nicht 
entscheiden,  sondern  nur  bemerken  will,  dass  der  Verf.  der- 
selben Hr.  Dr.  Klein  sich  dem  unter  den  Anspielen  des  Hrn. 
Prof.  Oertel  zu  Anspach  gebildeten  Gelehrtenvereine  ange- 
schlossen hat,  welcher  eine  Verdeutschung  der  Ilömisclien  Klassi- 
ker —  im  Druck  und  Verlage  von  Fleischmaiin  in  München  — 
beabsicht,  und  zum  Theil  bereits  ausgeführt  hat.  Daher  auch 
der  beigefügte  Generaltitel  des  Buchs:  Sanwütmg  der  röm. 
Klassiker  in  einer  neuen  deutschen  Uebersetzung^  u.  mit  kurzen 
Anmerkungen.  Von  einem  deutschen  Gelchrtenverein.  In  jedem 
Falle  arbeitete  der  Hr.  Verf.  also  im  Auftrage,  was  weder  einen 
unedlen  Beweggrund  einschliesst,  noch  freie  Liebe  und  innern 
Trieb  und  Beruf  zur  Arbeit  ausschliesst ,  um  so  weniger ,  da 


Des  Tacitus  Germania ,  übersetzt  von  Klein,  125 

sich  derselbe  in  der  Vorrede  als  Verf.  der  Uebersctzimg  des 
Agricola  bekennt,  ein  Umstand ,  der  Vorliebe  fiir  seinen  Au- 
tor und  Vertrautheit  mit  dessen  Werken  voraussetzt.  Daher 
verweist  auch  Ilr.  Klein  in  dem  Vorwort  auf  r/fls,  was  er  in 
der  Vorrede  zu  seinem  Agricola  gesagt  habe,  und  meint,  „dass 
die  Verdeutschung  der  Germania  keiner  Vorrede  bediirfe,  es 
sey  denn  des  Bittwortes  an  die  Reccnscnten:  es  nicht  beim  Ta- 
del bewenden  zu  lassen ,  sondern  selber  zu  bessern  und  weiter 
zu  bauen."  — 

Kec, kennt  die  Agricola-Bearbeitung  des  Hrn.  Klein  nicht, 
würde  aber,  auch  wenn  sie  zu  seiner Kenntniss  gekommen  wäre, 
dennoch  denselben  von  der  Pflicht  einer  weitern  Bevorwortung 
und  einer  nähern  Verständigung  zwischen  sich  und  demPublico 
in  Bezug  auf  seine  Arbeit  und  deren  öffentliche  Ausstellung  und 
Preisbewerbung  nicht  wohl  entbinden  können,  imi  so  weniger, 
da  bekanntlich  wenigstens  ein  Dutzend  Uebersetzungen  und 
Erklärungen  der  Germania  —  in  unserm  Vaterlande  erschienen 
sind,  in  welchem  leider!  das  üebersetzungswesen  zu  einem 
litterarischen  Fabrik wesen  herabgesunken  ist,  wie  denn  zur 
Zeit  3  Institute  der  Art  in  München,  Stuttgart  und  Prenzlau 
im  wetteifernden  Gange  sind,  Pflicht  und  Schuldigkeit  wäre 
es  demnach  für  den  Vorredner  gewesen,  wenn  auch  nur  das 
eine  und  andere  zur  Einführung  und  Werthbestimmung  seiner 
Arbeit  anzudeuten,  z.  B.  welche  Vorarbeiten  der  üebersetzer 
benutzt,  wodurch  er  dieselben  zu  übertreff'en  gesucht,  nach 
welchen  Grundsätzen  und  Ideen  er  gearbeitet,  in  wie  weit 
er  sein  Ideal  erreicht,  und  sonach  eine  vollendetere  Arbeit  als 
seine  Vorgänger  geliefert  und  einem  litterarischen  Mangel  und 
Bedürfniss  abgeholfen  zu  haben  glaube  u.  s.  w.  — 

Insonderheit  aber  hätte  der  neue  üebersetzer  der  Germa- 
nia, um  jeden  Schein,  eine  Arbeit  auf  buchhändlerische  Be- 
stellung übernommen  und  zunftgemäss  ausgeführt  zu  haben, 
von  sich  entfernt  zu  halten,  bevorworten  sollen,  in  wiefern  ihm 
die  Bredowsche  üebersetzung,  die  wir  im  Ganzen  für  ge- 
lungen erklären ,  unzulänglich  und  unbrauchbar  für  den  Zweck 
erschienen  sey,  den,  wie  jede,  so  auch  eine  Verdeutschung 
der  fraglichen  Schrift  des  Tacitus  einzig  und  allein  haben  kann 
und  soll,  nämlich  den:  von  ihr,  wie  von  einer  klassischen  Ur- 
schrift ein  möglich  vollkommnes  Nachbild  zu  liefern ,  entweder 
aus  rein  künstlerischem  und  ästhetischen  Triebe  und  Zwecke, 
oder  zur  Förderung  irgend  einer  litterarisch-  wichtigen  Neben- 
absicht. Da  indess  weder  das  Eine  nocli  das  Andere  gesche- 
hen ist,  so  nehmen  wir  des  Verf.  Werk  als  eine  aus  Liebe  zur 
Sache  und  aus  dem  Streben  nach  dem  Bessern  und  Besten  ent- 
standene und  den  Namen  einer  Original  -  Arbeit  ansprechen- 
de Üebersetzung.  Ob  und  in  wie  weit  sich  unsere  Annahme 
rechtfertige,  und  die  in  Frage  stehende  Verdeutschung  den  Na- 


126  Römische  Litteratur. 

raen  einer  wahren ,  kräftigen  und  schönen  Original-  Uebersez- 
zung  nicht  iNacMibersetzuni^  einer  Yoriibersetzung  verdiene, 
wird  sich  aus  einer  Nebeneinanderstellung  dieser  und  der 
Bredow  sehen  ergeben ,  die  wir  ungeachtet  ihrer  mehrsei- 
tigen Gezwungenheit,  Steifheit,  Ueberbietung  des  Textes 
und  harter  Annäherung  an  die  bekannte  und  belobte  Vossi- 
sche  Manier  dennoch  für  eine  der  besten  unter  ihren  jüngsten 
Rivalen  erachten,  weil  sie  die  Grundfarbe  ihres  Originals  mit 
einer  gewissen  Selbstständigkeit,  Kraft  und  Wärme  wieder- 
gibt. 

Wir  wählen  zur  Vergleichprobe  und  um  desto  unpartei- 
ischer zu  erscheinen,  den  Anfang. 

I.  Bredoiv. 

„Ganz  Germanien  wird  von  den  Galliern,  den  Rhätiern 
und  Pannoniern  durch  Flüsse,  den  Rhein  und  die  Donau;  von 
den  Sarinaten  und  Dakern  durch  gegenseitige  Furcht  und  Berg- 
höhen geschieden.  Das  Uebrige  urafliesst  der  Oceanus ,  der 
weite  Busen  umfasst  und  unerraessne  Räume  von  Inseln,  wie 
denn  in  neuern  Zeiten  einige  Völker  und  Könige,  die  der  Krieg 
entdecket  hat,  uns  hier  bekannt  geworden  sind.  Der  Rhein  auf 
der  rhätischen  Alpen  unerstiegenem  und  steilem  Gipfel  ent- 
sprungen ,  mit  einer  geringen  Beugung  gegen  Abend  gewandt, 
ergiesst  sich  in  den  nördlichen  Oceanus.  Die  Donau  einem  sanf- 
ten und  gemach  aufsteigenden  Rücken  des  Berges  Abnoba  ent- 
flossen, gehet  durch  mehrere  Völker,  bis  sie  ins  pontischeMeer 
auf  sechs  Wegen  ausströmt;  die  siebente  31ündung  wird  von 
Sümpfen  erschöpft."  — 

II.  Klein. 

„Ganz  Germanien  wird  von  den  Galliern,  Rliätiern  und 
Pannoniern  durch  Flüsse,  den  Rhenus  und  Danubius,  von  den 
Sarmaten  und  Daciern  durch  gegenseitige  Furcht  oder  Gebirge 
geschieden.  Das  Uebrige  umfliosst  der  Ocean,  weite  Busen 
und  ungemessne  Inselräume  umfassend,  wo  neuerlich  einige 
Völkerschaiten  und  Könige  bekannt  worden.  Der  Rhenus  auf 
einem  unzugänglichen  und  steilen  Gipfel  der  Rhätischen  Alpen 
entsprungen,  vermischt  sich,  in  massiger  Biegung  gegen  Abend 
gewandt,  mit  dem  nördlichen  Ocean.  Der  Danubius  einem  sanf- 
ten und  massig  erhobenen  Rücken  des  Berges  Abnoba  entströmt, 
geht  zu  mehreren  Völkern,  bis  er  durch  sechs  Gänge  ins  Ponti- 
«che  Meer  stürzt,  denn  die  siebente  Mündung  wird  von  Süm- 
pfen verschlungen." 

Die  Familienähnlichkeit  beider  Uebersetzungen  sowohl  in 
der  Wort-  als  Satz-Dollmetschung  ist  eben  so  auffallend  als 
unverkennbar,  und  wenn  Nr.  II  von  Nr.  I  dem  genau  prüfenden 
und  vergleichenden  Leser  nur  als  ein  verbesserter  Abdruck  er- 
scheinen dürfte ,  so  möchte  dem  strengern  Kritiker  ein  und  die 
andere  der  versuchten  Besserungen  mehr  scheinbar  als  wahr  und 


Des  Tacitu8  Germania,  übersetzt  von  Klein.  I2'5f 

treffend  däuchtcn.  Wahre  Verbesserungen  möchten  seyn: 
Gebirge  fiir  Berghöhen  (montes) ;  unzugänglich  für  unerstiegen 
(inaccessus) ;  sti/rzt  iüv  ausströmt  (crurapit);  verschlungen  für 
erschöpft  (exliauritur).  Dagegen  mochten  nur  sclieinbarc  Ver- 
besserungen scyn:  die  Beibehaltung  der  Römischen  Nominal- 
Formeiiiii  den  Propras,  wie  Dauubius  (oline  zureichenden  Grund 
und  Consequenz),  massige  Biegung  und  massig  erhoben  (modico 
flexu  —  molli  et  clementer  edito  jugo),  anstatt  des  weit  sorg- 
fältigem und  angcmessneren  Bredowschen  —  siehe  oben)  der 
Krieg  hat  offenbart^  aperuit  —  wider  den  Redegebrauch! 
Richtiger  verdeutscht  Bredow:  entdeckt^  wortgemässer  aber: 
eröjfnet.  Gerade  in  der  Copirung  solcher  Begriffs-  und  Wort- 
Schattirungen  zeigt  sich  die  Virtuosität  des  Uebersetzers!  Hie- 
rin sind  Voss  und  F  r.  A.  Wolf  und  wenige  andere  unüber- 
troffene Meister!  Durchs  Gänge  —  sex  meatibus  erumpit  — 
sprachungewöhnlich,  wortgenauer  Bredow  —  auf  (>  Wegen; 
passender  als  beides :  in  sechs  Jf  indungen.  Flüsse  (fluraina) 
ungenau  bei  beiden,  anstatt  Ströme,  welcher  Ausdruck  auch 
der  Sache  angemessner  erscheint.  Warum  endlich  schreibt  Hr. 
Klein  r omanhir cnd Bhe7ius,  und  nicht  auch  Oceanus  wie  Bre- 
dow, da  Ocean  und  der  Oceanus  schon  wissenschaftlich  ge- 
schieden sind  und  selbst  zu  Tacitus  Zeiten  die  mythische  Idee 
von  einem  erdumkreisenden  Gewässer  noch  nicht  völlig  ver- 
wischt war.  —  Eine  andere  durch  Aehnliclikeit  mit  der  Bre- 
dowschen  Vorarbeit  hervorstechende  Stelle  heben  wir  aus  den 
Schluss-Capiteln  aus,  Cap.  44seq.,  überlassen  jedoch,  aus  bil- 
liger Schonung  des  Raums ,  die  Vergleichung  dem  unpartei- 
ischen Leser,  und  bescbränken  uns  auf  einige  Ausstellungen: 
classlhus  valeut ,  sie  sind  durch  Flotten  stark  {^^Q^eix  die  Pro- 
prietät des  Ausdrucks);  est  apud  illos  et  opibus  bonos,  auch  hat 
beiihfien  der  Reichthum  Ehre  —  (warum  nicht  das  völlig  ent- 
sprechende —  auch  steht  oder  ist  bei inEhreJi).  Arma- 

tortmi  manus  facile  lasciviunt  —  leicht  MutMvillen  üben  —  im 
Wortausdruck  zu  schwach^  im  Gedanken  einen  kleinlichen  Ne- 
benbegriff eiuschliessend  (^sie  schuwifen  in  Uebermuth  aus^. 
Cap.  45:  persuasio  adjicit  — ßigl  ^'^  Ueberreduiig  hinzti  (per- 
suasio  ist  die  Selbstüberredung ^  der  herrschende  Glaube^  ßdes 
vulgo  recepta);  insigne  superstitionis,  als  Abzeichen  der  Religion 
(im  Begriff  zu  weit  gefasst  anstatt  als  Sinnbild  des  Aberglau- 
bens); exundant  in  littora,  an  s  Gestade  schwimynen  (vielmehr 
anwogen,  undisferri  et  ejici).  —  Cap.  4ß:  sordes  omnium  ac  tor- 
por  procernm ,  Schmutz  bei  alleti  und  Starrheit  bei  den  Vor- 
nehmen!!; in  Sarmatarum  habitum  foedantur ,  sie  tperden  ge- 
wissermaassen  nach  Art  der  S.  verdorben  —  in  Ausdruck  und 
Sinn  verwässert  und  verfehlt!  —  Wir  schlagen  die  3Iitte  des 
Buchs  auf,  und  finden  dieselbe  Erscheinung  wieder:  mehr 
ängstliches  Anschmiegen  an  das  Bredowsche  Vorbild ,  als  freie 


jL28  RömischeLitteratiir. 

iind  kräftige  Nachzeiclinung  des  Urbildes  in  seiner  grossartig 
skizzirenden,  wortkargen  und  gedankenreiclien  Manier.  So 
ist  Cap.  22  ut  apud  quos  plurimum  hiems  occupat  in  ein  Ge- 
schlepp  von  11  Worten  ausgedehnt:  da  bei  ihnen  die  ?neiste 
Zeit  der  U  inter  in  Besitz  nimmt  —  {^da  bei  ihnen  meist  Winter 
herrscht).  Lauti  ciburn  capiunt,  ^e?^ffscÄe/^  weÄme/«  s/e  Speise 
(jiach  dem  Bade  nehmen  sie  das  Mahl  ein  oder  speisen  sie);  diem 
noctemque  continuare  potando  nulü  probrnra,  Tag  und  Nacht 
im  Zechen  anhalten  —  (lateinisch  -  deutsch  !  anstatt:  nnunter- 
brochen  fortzutrinken  oder  fortziizechen  —  ist  keine  Scharide). 
Sirnplices  cogitationes ,  einfache  Gedanken —  (?)  deutliclier: 
aufrichtige  G.  (im  Gegensatz  des  folg.  gens  non  astuta  ,  nee 
callida.)  Bei  dem  Allen  ist  in  vielen  andern  Stellen  das  Streben 
den  (od.  die)  Vorgänger  durcli  Wortwahl,  Begriff-  und  Satz- 
stellung zu  übertretfen  nicht  anders  als  gelungen  zn  nennen, 
und  die  mitunter  latinisirende,  gekiinstelte  und  geschraubte  Ma- 
nier Bredows ,  die  den  Tacitus  nicht  selten  zu  einem  in  kurzen 
und  spitzen  Antithesen  sich  gefällig  spiegelnden  Illietor  ver- 
rückt, glücklicli  vereinfacht  u.  durch  eine  urkräftige  Deut.  Rede- 
weise wieder  veredelt  worden.  Dahin  gehören  vornehmlich  solche 
Stellen,  denen  seit  Bredows  Zeiten  durch  eine  Textes -Berichti- 
gung oder  richtigere  Erklärung  aufgeholfen  worden  ist  (vgl.  die 
Passowsclie  Ausg.  der  Germ,  mit  den  friihern).  Wo  also  der 
neue  Uebersetzer  einen  richtigem  und  bessern  Text  vorfand, 
da  übersetzt  er  auch  richtiger  und  besser,  und  in  so  fern  ist 
seine  Arbeit  allerdings  zeitgemässer  und  brauchbarer,  als  die 
Bredowsche.  Dass  aber  dessenungeachtet  Hr.  Dr.  Klein  nicht 
alle  Schwierigkeiten  gelöst  und  nicht  alle  Dunkelheiten  aufge- 
hellt habe,  beweist  unter  andern  seine  Verdeutschung  der  be- 
kannten und  so  häufig  kritisch  und  exegetisch  beregten  Stelle 
vom  Ursprung  des  Wortes  Germanen  Cap.2,  die  also  verdeutscht 
aber  dennoch  weder  Deutsch  noch  deutlich  geworden  ist:  „So 
habe  Einer  Nation,  nicht  des  Volkes  Name  allmählich  gegolten, 
dass  alle  zuerst  nach  dem  Sieger  aus  Furcht,  bald  von  sich  selbst 
mit  dem  erfundenen  Namen  Germanen  genannt  wurden."  —  Das 
darauf  folgende  Capitel  stimmt  steilenweis  mit  Bredow  wörtlich 
überein.  Wenn  nun  eine  solche  Uebereinstimmung  zweier  In- 
terpretations-Werke nicht  bloss,  wie  bewiesen,  einzelne  Worte 
und  Wendungen,  also  den  äussern  Hede-  und  Grundbau,  son- 
dern auch,  wie  erweislich,  das  innere  Gefüge  lyid  Gelenke 
der  Redesätze,  oder  dasjenige  betrifft,  was  man  das  Colorit 
des  Ausdrucks  nennen  könnte;  so  werden  wir  auf  unser  obiges 
Urtheil  zurückkommen  und  unparteiisch  erklären  müssen,  dass 
die  Kleinsche  Uebersetzung  ohne  die  vorgängige  Bredow- 
sche entweder  gar  nicht  entstanden,  oder  wenigstens  nicht  so, 
wie  sie  geht  und  steht,  gestaltet  und  gehalten  wäre,  dass  sie 
demnach  mit  Verzichtieistung  auf  den  Nameu  und  Werth  einer 


Des  Tacitus  Germania,  übersetzt  von  Klein.  129 

Original -Arbeit  auch  der  frisclien  und  kräftigen  Liebeswärme 
und  Naturfrisclie  crmangele,  weiche  die  Bredowsche  bevor- 
zugt; dass  sie  aber  dennoch  bei  aller  erkennbaren  Mangelhaf- 
tigkeit für  eine  kritische  Revision  und  berichtigte  Auflage  der 
Bredowsclien  Uebersetzung  gelten  könne,  und  in  dieser  Bezie- 
hung für  die  gebildete  Lesewelt  den  Werth  einer  brauch- 
baren Dolnietschung  habe,  wiewohl  die  Kunst  die  alten  Schrift- 
werke meister-  und  muster- würdig  zu  dolmetschen  durch  die- 
selbe um  keinen  Schritt  weiter  gebracht  worden  sey.  —  Die 
angebängten  Spracli-  und  Sach- Erläuterungen  nebst  Register 
nehmen  152  Druckseiten  ein,  und  zeugen  von  einsichtiger  Wahl, 
fleissiger  Benutzung  der  neuern  Hilfsmittel  und  von  eigener 
schätzbarer  Belesenheit ,  machen  aber  die  von  Bredow  seiner 
Verdeutschung  beigegebenen  Erläuterungen  weder  überflüssig 
noch  entbelirlich  ;  vielmehr  wäre  zu  wünschen  gewesen  ,  dass 
Ilr.  Klein  dieselben  ebenfalls  und  auszugsweise  benutzt,  inson- 
derheit aber  seine  Leser  (philologische  Dilettanten  oder  studi- 
rende  Jünglinge)  mit  einer  Abhandlung  über  die  Quellen, 
Glaubwürdigkeit ,  den  Zweck  und  Werth  der  Taciteischen 
Denkschrift,  so  wie  mit  einer  Karte  der  Taciteischen  Germa- 
nia beschenkt  u.  dadurch  sein  im  Ganzen  verdienstliches  Werk 
noch  gemeinnützlicher  und  für  die  Kenntniss  der  Urgeschichte 
des  Vaterlandes  fruchtbarer  und  förderlicher  gemacht  hätte. 

Reuscher. 


Anleitung  zum  Lateinischschreiben  in  Regeln 
und  Beispielen  zur  UehuJlg.  Zum  Gebrauche  der 
Jugend  von  Joh.  Phil.  Krebs,  Doctor  der  Philosophie  und  Profes- 
sor der  alten  Literatur  am  Herzogl.  Nassauisclien  Gjinnasium  zu 
Weilburg.  5te  vermehrte  und  verbesserte  Ausgabe.  Frankfurt 
a.  M. ,   bey  Brönner.  1828.    VIII  und  664  S.     8.     1  Thlr.  5  Gr. 

An  sich  betrachtet  kann  allerdings  eine  neue  Ausgabe  noch 
nicht  den  vollständigen  Maassstab  für  den  Unwerth  oder  Werth 
eines  Buches  abgeben ;  indessen  lässt  sich  doch  in  den  meisten 
Fällen,  solche  freylich  ausgenommen,  wo  nur  ein  neuer  Titel 
dem  Buche  gegeben  wird  oder  eine  sehr  schwache  Auflage  ge- 
macht ist,  annehmen,  dass  das  Buch  nicht  zu  den  ganz  schlech- 
ten gehöre.  Dagegen  dürften  ////// Auflagen  eines  Buches  wohl 
schon  an  sich  ein  günstiges  Vorurtheil  für  dasselbe  erwecken; 
ein  noch  günstigeres  aber  erweckt  der  Name  eines  Mannes, 
der  bereits  seit  einer  Reihe  von  Jahren  unter  denjenigen  Gelehr- 
ten genannt  wird,  welche  sich  um  den  Gymnasialunterricht 
durch  Lehre  und  Schriften  bedeutende  Verdienste  erworben 

Jahrb.f.Fhil.u.  Pädagog,  Jahrg.  lU.  Heft  10  .  q 


130  Römische   Litteratur. 

haben.  Darüber  viele  Zeugnisse  beyzubringen  würde  ganz  über- 
flüssig seyn.  *) 

Wir  haben  nun  nicht  Gelegenheit  gehabt,  die  vierte  im 
Jahre  1825  erschienene  Ausg.  dieser  Anleitung  mit  der  vorlie- 
genden fünften  zu  vergleichen,  es  ist  diess  jedoch  mehr  als  ein- 
mahl bey  der  dritten,  welche  Hr.  Krebs  im  Jahre  1822  her- 
ausgab, geschehen,  und  wir  haben  hierbey  die  rastlos  nach- 
bessernde Hand  des  Hrn.  Verf.  zu  erkennen  mehrfache  Veran- 
lassung gehabt.  Nach  seiner  eignen  Versicherung  in  der  Vor- 
rede S.  VI  ist  nach  §  274  der  Anhang  zu  der  Lehre  von  den 
Zeiten  der  Verba ,  sowie  in  §  427  und  428  die  Erörterungen 
über  die  üebersetzung  der  Conjunction  dass  neu  hinzugekom- 
men. Auch  ist  in  §  187  das  Verzeichniss  der  Verba,  die  in  ei- 
nerley  Bedeutung  den  Dativus  und  noch  einen  andern  Casus  bey 
sich  haben,  von  31  bis  auf  40  vermehrt  worden  u.  dgl.  m.  Als 
einen  Hauptvorzug  der  vorliegenden  Schrift  haben  wir  immer 
die  Deutlichkeit  und  Fasslichkeit  derselben  anerkannt,  sowie 
die  Methode  des  Hrn.  Krebs  von  der  deutschen  Sprache  aus- 
zugehen und  auf  eine  eben  so  gründliche  als  lichtvolle  Art  zu 
zeigen,  wie  die  derselben  eigenthümlichen  Redeweisen  in  das 
Lateinische  zu  übersetzen  sind.  Nach  diesen  Grundsätzen  ha- 
ben wir  auch  die  neue  Ausgabe  bearbeitet  gefunden.  Die  Re- 
geln sind  kurz  und  bestimmt  ausgedrückt,  hier  und  da  (wie  S. 
344  und  401)  ist  eine  tabellarische  Uebersicht  einzelner  Rede- 
weisen gegeben,  die  Beyspiele.sind  passend  und  —  soviel  wir 
bemei-kt  haben  —  überall  aus  den  Classikern  entlehnt  und  so 
ausgewählt ,  dass  der  Selbstthätigkeit  des  Schülers  noch  im- 
mer Raum  genug  übrig  bleibt.  Endlich  dürfen  wir  auch  nicht 
übergehen,  dass  in  allen  diesen  Beyspielen  nur  der  nachzuah- 
mende Sprachgebrauch  aufgeführt  ist ,  des  seitnern  aber  fast 
gar  nicht  gedacht  wird.  Aus  diesem  Grunde  konnte  auch  auf 
keine  Grammatik  verwiesen  werden,  da  diese  auch  den  seitnern 
Sprachgebrauch  berücksichtigt,  welchen  der  Lateinischschrei- 
bende nicht  zu  kennen  braucht  und  auch  nicht  nachahmen  darf. 
Das  Letztere  können  wir  nicht  missbiliigen.  Die  Hinneigung 
mancher  jungen  Leute  zum  Besondern  und  Gesiuchten,  die  den 
meisten  Jünglingen  so  natürliche  Liebe  zu  dichterischer  Farbe 
ihres  Ausdruckes,  verursacht  hier  so  manche  Fehlgriffe,  dass  der 
Lehrer  nicht  genug  dagegen  auf  seiner  Hut  seyn  und  auf  alle 
Weise  diese  Verirrungen  zu  verhüten  bemüht  seyn  kann.  3Iag 
auch  immerhin  ein  und  der  andre  Ausdruck  gut  und  dem  phi- 


*)  Herr  KR.  Mattliiä  z.  B.  nennt  in  seiner  Abhandlung-  über 
das  Futurum  Exactum  (hinter  der  zweyten  Ausgabe  der  von  ihm 
erläuterten  Ciceronianischen  Reden)  p.  241  die  vorliegende  Schrift  ein 
Über  utilissimus. 


Krebs:  Anleitung  zum  Lateinlschschreiben.  131 

losopliischen  Spracligesetze  angemessen  seyn  (wie  etwa  ein  po- 
tius  nach  tantiim  übest),  so  sind  wir  doch  nicht  befugt  da  den 
alten  Sprachgebrauch  nach  solchen  Gesetzen  zu  ändern  oder  zu 
verbessern.  Ausführlicher  haben  wir  uns  hierüber  in  diesen 
Jahrbüchern  1821,  III,  1  S.  101  geäussert. 

Ganz  besonders  erweitert  ist  nun  in  dieser  neuen  Ausgabe 
der  letzte  AbscJinitt,  welcher  ein  Verzeichniss  ujiclassischer 
Wörter  tmd  Redensarten  enthält.  Wir  werden  auf  denselben 
gleich  zurückkommen,  da  wir  ihn  in  unsrer  Anzeige  vorzugs- 
weise zu  behandeln  gedenken.  Könnten  Mir  nun  aucli  in  eini- 
gen der  frühern  Abschnitte  hier  und  da  Einzelnes  anmerken, 
hier  und  da  wohl  ein  Wort  oder  einen  Satz  anders  gestellt 
wünschen,  oder  die  Anordnung  der  einzelnen  Bestimmungen  vei- 
ändei't  wissen  wollen;  so  ist  diess  doch  im  Vergleich  zu  dem 
vielen  Guten,  was  das  vorliegende  Buch  enthält,  bey  weitem 
nicht  bedeutend  genug,  um  Gegenstand  vieler  Anmerkungen  zu 
seyn.  So  würde  Rec.  z.  B.  bey  der  Lehre  vom  Conjunctiv  (§ 
298  —  303)  die  in  §  303  a.  E.  gegebene  Bestimmung  eher  ge- 
setzt haben,  als  es  vom  Verf.  geschehen  ist.  Denn  wir  glau- 
ben, dass  die  von  ihm  übrigens  ganz  richtig  hervorgehobene 
Bedeutung  dieses  Modus,  dass  er  überhaupt  gesetzt  werde,  um 
eine  von  einem  Andern  gedachte  Sache  auszudrücken,  mag  sie 
nun  zweifelhaft  seyn  oder  nicht,  die  ganze  Abhandlung  hätte 
eröffnen  müssen.  Jlieran  würde  sich  nun  gleich  ganz  gut  schlie- 
ssen,  Avas  ilr.  Krebs  in  §  ö03  sagt,  dass  die  Mittelsätze  in  ei- 
ner abhängigen  Rede  von  der  Meynung  des  Sprechenden  ab- 
hängig gemacht  werden  müssten,  nicht  aber  von  der  Constru- 
ction,  so  dass  diese  sowolil  im  Indicativ  als  im  Conjunctiv  aus- 
gedrückt werden  könnten,  je  nachdem  sie  aus  der  Persoji  des 
Sprechenden  oder  aus  der  eines  dritten  herkommend  gedacht 
würden.  Passende  Beyspiele  dazu  geben  Gernliard  zu  Cic. 
de  Ofßc.  /,  26,  90;  zu  Cic.  de  senect.  6,  18  und  in  seiner 
Comment.  Grammat.  IFp.  6/.;  M  atthiä  zu  Cic.  pro  leg.  Ma- 
nil.  17,  üO  und  in  der  Abhandlung  de  anacol.  upud  Cic.  in 
Wolfs  liter.  Analect.  III .^  S.  6  ;  Walch  in  den  Emendat.  Liv. 
p.  191—195,  und  Eilend t  zu  Cic.  Brut.  49,  185. 

Ueber  das  Verhältniss  der  Conjunctionen  quando.,  quia 
und  quoniam  spricht  Hr.  Krebs  von  §  306  —  312  deutlich  und 
bestimmt.  In  einer  neuen  Ausgabe  dürfte  sich  vielleicht  Man- 
ches nach  Wunder's  Beobachtungen  in  seinen  Variis  Lection. 
libror.  aliq.  Cicer.  p.  LXXF  s.  und  p.  XCTI-  CXI  anders  ge- 
stalten, da  man  bis  dahin  auch  vielleicht  die  Lesarten  andrer 
Ciceronianischer  Handschriften  genauer  erforscht  haben  wird. 
Bevor  die  Untersuchung  freylicli  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
von  Wahrscheinlichkeit  geführt  worden  ist,  dürfte  es  nicht 
rathsam  seyn,  neue  und  nicht  allseitig  genug  erwogene  Sätze 
an  die  Stelle  der  bisherigen  treten  zu  lassen.  —  Bey  si  §  313 

9* 


132  Römische    Litteratur. 

wäre  vielleicht  für  Schiller  die  Bemerkung  nicht  ganz  überflü- 
ssig gewesen,  dass  .9/ nicht  für  quum  gebrauclit  werden  dürfte. 
Nur  in  der  Verbindung  mit  einem  Futurum  scheint  si  den  blo- 
ssen Zeitbegriff  auszudrücken ,  der  aber  doch  immer  mehr  im 
Futurum  liegt,  wie  hey  Horat.  Epp.  /,  7,  10:  qiiod  si  bruma 
nives  Albanis  illinet  agris^  oder  auch  wohl  eine  mehrfach  wie- 
derholte Handlung  anzeigt,  wie  Cic.  de  Offic.  /,  15,  47:  sin 
erunt  merita — maior  qnaedam  ciira  adhibenda  est.  Vgl.  J.  Fr. 
H  e  u  s  i  n  g  e  r  zu  // ,  20 ,  10.  Wird  jedoch  eine  wirkliche That- 
Sache  oder  eine  ausgemachte  Wahrheit  zur  Bedingung  aufge- 
stellt, so  passt  oft  in  der  Uebersetzung  unser  da  besser,  weil 
es  Zeit  und  Grund  zugleich  angiebt,  Avie  Cic.  in  Catil.  /,  1,  C: 
etenim  quid  est  iam.,  Caliiina.,  qnod  ioni  a?jipliiis  exspecles.^  si 
iieqne  nox  tenebris  obscurare  coetus  nefarios ,  nee  prioata  do- 
rnus  parietibiis  continere  voces  tiiae  coniurationis  potest  ?  Vgl. 
Günther  in  JVachsjuutJis  Athenäum  /,  2,  2ö6.  —  Ueber 
quum  (§323  —  328)  wird  die  Auseinandersetzung  des  Hrn. 
Krebs  ebenfalls  befriedigen.  Nur  hätte  wohl  der  Zusammen- 
hang beyder  Constructionen  noch  deutlicher,  als  es  in  §  327 
geschehen  ist,  angedeutet  werden  können.  Rec.  hat  diesen 
Unterschied  seinen  Schülern  gewöhnlich  so  erläutert,  dass 
quum  mit  dem  Indicativ  die  bestimmte  Zeit  bedeute,  da  wo.,  da 
wenn.,  in  welcher  Bedeutung  quum  einen  Satz  dem  vorigen  an- 
schliesst.  3Iit  dem  Conjunctive  aber  giebt  quum  den  Zusam- 
menhang mit  dem  Nachsatze  an,  wirkend  oder  bezweckend, 
sowohl  die  blosse  Anzeige  des  Gedankens  einer  dritten  als  ei- 
ner öfters  wiederholten  Handlung.  Demnach  bezeichnet  also 
quum  nicht  die  Zeit  allein ,  sondern  auch  die  Ursache  und  Fol- 
ge einer  Handlung.  Was  nun  aber  den  Gebrauch  betrifft,  so 
ist  derselbe  danach  zu  bestimmen,  ob  der  Erzähler  bald  mehr 
das  in  der  Zeit  Geschehene,  oder  die  Absicht  des  Handelnden 
berücksichtigt.  Bey spiele  zu  dieser  Regel  geben  ausser  Wop- 
kens  in  den  Lect.  Tullian.  II.,  12  p.  303;  Garatoni  zu 
Cic.  pro  Milon.'^b,  m  p.  318,  Orell.  z.  Philipp.  IF,  6  T.  II 
p.  81)  1f  ernsdorf,  und  zu  X,  1  T.  II p.  312;  Görenz  zu  Cic. 
deßnib.  II,  16,  54;  Ellen  dt  zu  Cic  Brut.  36,  138,  vgl.  mit 
Wunderlich  zu  Tibiill.  /,  2,  14. 

Ueber  den  historischen  Infinitiv  (§  385)  ist  der  Hr.  Verf. 
zu  kurz  hinweggegangen.  Die  Construction  hat  anfänglich  für 
Schüler  manche  Schwierigkeit,  hernach  aber  brauchen  sie  die- 
selbe gern  und,  wie  es  wohl  in  solchen  Fällen  geschieht,  zu 
viel.  Eine  etwas  längere  Auseinandersetzung  wäre  also  hier 
wohl  an  ihrem  Orte  gewesen ,  wie  wir  uns  erinnern  eine  recht 
genügende  Darstellung  von  einem  Gelehrten  in  der  Leipzig. 
Literat.  Zeit.  1824  Nr.  118  bey  Gelegenheit  der  Recension  von 
Mohr's  Schrift  über  diesen  Gegenstand  (Meiuingen,  1822.) 
gelesen  zu  haben. 


Krel)s :  Anleitung  zum  Lateinischsclirclbcn.  133 

Bey  der  Erläuterung  der  Construction  von  tantum  abest  (§ 
456),  wo  Hr.  Krebs  ganz  riclitig  das  potius  verwirft,  haben 
wir  die  Angabe  der  berüclitigten  Stelle  bey  dem  Verf.  des  Buchs 
de  hello  Alexandr.  cop.  22  vermisst,  auf  welche  die  Vertlieidi- 
ger  dieser  Redeweise  ihre  Ansicht  zumeist  begrVinden,  Am 
ausfiihrlichsten  hat  liardili  in  der  Hüdesh.  krit.  Bibl.  1822, 
IV  S.  412  f.  über  diese  Streitfrage  geliandeit,  womit  etwa  ver- 
glichen werden  kann,  was  wir  gegen  Hrn.  Gräfenhan  in  der 
Allgem.  Literat.  Zeit.  18.5  Nr.  117  bemerkt  haben. 

Zu  der  Auseinandersetzung  Viber  dieParticiiiialconstruction 
(§  493  —  518)  würde  liec.  gar  nichts  hinzuzusetzen  haben, 
wenn  er  nicht  eine  Berücksichtigung  derjenigen  Fälle  vermisste, 
wo  kein  Participium  nach  dem  Sprachgebrauche  guter  Lateiner 
stehen  darf.  Einige  solche  Fälle  liat  bereits  Rani  s  hörn  in 
seiner  lat.  Gramynat.  §  172,  g,  S.  482  f.  angeführt,  doch  Hesse 
sich  ausser  diesen  wohl  noch  bemerken,  dass  l)  ein  Participium 
nicht  gesetzt  werden  dürfte,  wenn  es  nicht  einen  Eigenschafts- 
begriff oder  einen  Zustand  ausdrückt,  in  welchem  sich  das 
Substantivum  befindet;  2)  wenn  der  Satz,  welcher  die  Partikel 
enthält,  oder  das  Relativum  irgend  eine  Folgerung  angiebt, 
die  hervorgehoben  werden  soll;  3)  wenn  ein  besondrer  Nach- 
druck auf  der  Partikel  ruht ,  wie  etwa  bey  Cicero  Tuscul. 
Quaesi.  F,  27,  78.*  mulier  es  in  India.,  qmim  est  cuius  earum 
vir  mortuus^  in  certamen  iudiciumqiie  veniunt^  quam  "pliirimiim 
nie  dilexerit:  quae  est  victris,  ea  laeta,  prosequentibus  suis^ 
una  cum  viro  in  rogum  imponitur, 

Ueber  den  Gebrauch  der  Präpositionen  bemerkt  Hr.  Krebs 
§  594  sehr  richtig,  dass  viele  unsrer  Präpositionen  da  ge- 
braucht würden,  wo  im  Lateinischen  ein  Genitiv  gesetzt  werden 
müsste.  Vielleicht  wäre  hier  die  Warnung  nicht  überflüssig 
gewesen,  dass  man  im  Lateinischen  vermeiden  solle,  Präposi- 
tionen von  Hauptwörtern  abhängig  zu  machen.  Bey  guten  Clas- 
sikern  kommen  solche  Beyspiele  selten  vor.  Cicero  schreibt 
O/"«^.  69,  230:  Anlipater  in  prooemio  belli  Punici  und  gleich 
darauf:  nobis  —  in  scribendo  atque  in  dicendo  necessitatis  es- 
cusaiio  non  probatur.  Verrin.  II I^  80,  1 87 :  quae  porro  prae- 
fatio  tuae  donationis  fuit?  Oder  in  längerer  Umschreibung  Cor- 
nelius Nepos  Attic.  9,1:  Secutum  est  bellum  gestum  opud 
Mutinam.  Dahin  gehören  auch  die  castra  nautica  in  Alcibiad. 
8,  3,  die  Heusinger  und  Bremi  ganz  richtig  erklärten. 
Man  vgl.  Schirlitz  in  den  Unterhalt,  aus  dem  griech.  Alterth. 
S.  179  und  Rosenheyn  in  diesen  Jahrbüchern  I,  2  S.  354  f. 

Mögen  diese  Bemerkungen  Hrn.  Krebs  beweisen,  dass 
wir  sein  nützliches  Buch  nicht  ohne  Aufmerksamkeit  durchge- 
lesen haben.  Wir  wenden  uns  nun  zu  dem  letzten  Theile  des- 
selben, der  das  Verzeichniss  unclassischer  Wörter  und  Redens- 
arten enthält  (S.  581 — 644).     Dieser  Abschnitt  fand  bereits 


134  Römische    Litteratur. 

in  der  dritten  Ausgabe  allgemeinen  Beyfall,  und  es  wurde  oft 
auf  ihn  verwiesen.  „Er  hatte  zur  Absicht,"  sagt  der  Hr.  Verf. 
in  der  Vorrede  S.  VI,  „die  immer  noch  bey  uns  sehr  unreine 
und  uncIassischeLatiuität  von  den  rohen  Scliiacken  derMönclis- 
iatinität  zu  reinigen.  Diese  Latinität  saugen  wir  meistens  schon 
mit  dem  ersten  Elementarunterrichte  ein,  und  der  junge  Latei- 
ner hegt  auch  nicht  den  geringsten  Argwohn  gegen  ein  von  sei- 
nem Lehrer  oder  andern  Gelehrten  geliörtes  oder  in  Schriften 
oft  gelesenes  Wort."  —  „Die  Auctorität  solcher  Männer,"  fährt 
er  fort,  „verführt,  unbedenklich  nehmen  wir  es  als  gute,  ächte, 
Münze  an,  brauchen  es  und  pflanzen  es  so  von  Jahrhundert  zu 
Jahrhundert  fort.  Der  Schulmänner  erste  Pflicht  ist  es,  sowie 
in  der  Muttersprache  vor  dem  Wortgemengsel  aus  allen  Jahr- 
hunderten zu  warnen,  so  bey'm  Lateinischschreiben  vor  dem 
Gebrauclie  unclassischer  Wörter  und  Redensarten.  Ein  voll- 
ständiger Antibarbarus,  wenn  ich  so  sagen  darf,  thut  höchst 
nöthig,  damit  endlich  überall  das  barbarische  Mönchslatein 
ganz  verbannt  und  nur  das  classische  Latein  gelesen  werde. 
Ihr  Schulmänner,  thut  das  Eurige  und  hört  auf  die  nicht,  wel- 
che ,  weil  sie  Gut  und  Schlecht  nicht  zu  unterscheiden  wissen, 
aus  Unwissenheit  und  Bequemlichkeit  das  Gegentheil  predigen 
und  um  der  angenehmen  Predigt  willen  gern  gehört  werden. 
Unsre  Rede  sey  gut  und  rein,  der  ganze  Ausdruck  classisch 
und  gewählt,  ohne  poetische  Kunst  und  gezierten  Schmuck! 
Vor  Allem  aber  sey  sie  in  Formen  und  Fügungen  grammatisch 
richtig  und  treu  der  Sprache  der  besten  Zeit." 

In  diesem  Sinne  spricht  sich  nun  derllr.  Vf.  von§613  —  629 
(S.  572  —  582)  über  Reinheit  und  Eleganz  der  Rede  aus,  stellt 
fest,  dass  die  Schriftsteller  des  goldnen  Zeitalters  uns  im  La- 
teinschreiben Muster  und  Vorbilder  seyn  müssten,  und  giebt 
an,  welche  Regeln  man  im  Allgemeinen  bey  ihrer  Nachahmung 
zu  beobachten  und  wo  man  zu  den  spätem  Schriftstellern  seine 
Zuflucht  zu  nehmen  habe.  Auch  in  der  Allgemeinheit  dieser 
Grundsätze  wird  man  den  practischen  Schulmann  nicht  verken- 
nen. Rec.  erklärt  sich  mit  diesen  Regeln  und  Grundsätzen 
ganz  einverstanden,  wie  diess  auch  aus  den  Bemerkungen  her- 
vorgeht, die  er  in  diesen  Jahrbüchern  an  dem  oben  angeführ- 
ten Orte  und  neuerdings  in  Seebode's  Kritischer  Bibliothek 
1828  Nr.l^  S.  133  niedergelegt  hat.  Wir  würden  also  das 
dort  Gesagte  keinesweges  hier  wiederholen,  wenn  uns  nicht 
eine  gegen  uns  gerichtete  Abliandlung  des  Hrn.  Prof.  Fuss  in 
Lüttich  Veranlassung  gäbe,  unsre  Ansicht  hier  wenigstens 
kürzlich  als  Erwiederung  auszusprechen.  Rec.  hatte  nämlich 
die  Sammlung  lateinischer  Gedichte,  welche  Hr.  Fuss  zu  Köln 
im  J.  1822  erscheinen  Hess,  in  derllildesh.  Krit.Biblioth.  1827, 
I  S.  D9  —109  mit  dem  Lobe  angezeigt,  welches  dem  geistrei- 
chen und  sprachgewandten  Uebersetzer  gebührt,  eich  jedoch 


Kre1)s:  AnleUnng  zum  Latelmschschreiben.  135 

zugleich  dahin  geäussert,  dass  die  Latinität  in  der  beygefügten 
Abhandlung  de  lingiiae  lat.  ad  poesin  usu^  deque  poesi  et  poetis 
neolatinis  nicht  rein  und  der  SpracligebraucJi  der  verschied iicn 
Zeitalter  zu  sehr  unter  einander  gemischt  sey.  Belege  zu  die- 
sem Urtheile  hatte  llec.  bey getilgt ,  und  seine  Meynung  ausge- 
sprochen, dass  aucli  fiir  diese  Art  des  Lateinschreibens  Cicero 
das  beste  und  vorzüglichste  Muster  sey.  Gegen  diese  Ansicht 
hat  sich  nun  Hr.  Fuss  in  einem  besondern  Schriftchen ,  vt^el- 
ches  uns  von  einem  gelehrten  Freunde  mitgetheilt  ist,  er- 
klärt*). Rec.  hat  mit  Vergnügen  bemerkt,  dass  der  aclitungs- 
voUe  Ton,  in  welchem  er  selbst  über  Hrn.  Fuss  sich  geäussert 
hatte,  auch  von  diesem  trotz  der  beyderseitigen  Meynungsver- 
schiedenheit  anerkannt  worden  ist,  und  demnach  hat  er  sich 
selbst  ganz  und  gar  nicht  über  den  Ton  des  Hrn.  Fuss  zu  be- 
klagen, er  freut  sich  vielmehr,  hier  wieder  einen  Beweis  zu 
haben,  wie  man  sich  bey  entgegengesetzten  Ansichten  doch 
human  und  würdig  gegen  einander  aussprechen  kann. 

Aber  llec.  muss  doch  bey  seiner  frühern  Behauptung  ste- 
hen bleiben:  er  begreift  noch  nicht,  wie,  um  mit  Hrn.  Fuss 
a.  a.  0.  S.  99  zu  sprechen ,  eine  „tam  rigida  ciceronianae ,  non 
artis  modo  scribendi,  sed  latinitatis  affectatio"  so  viele  Unbe- 
quemlichkeiten mit  sich  führen  sollte.  Er  giebt  gern  zu  — 
wie  auch  bereits  anderwärts  geschehen  ist  —  dass  für  Begriffe 
und  Ausdrücke,  welche  die  ciceronianische  Zeit  nicht  kannte, 
andre  nothwendig  gewählt  werden  müssen,  meint  aber,  dass 
auch  dann  dem  Ausdrucke  doch  immer  eine  ciceronianische 
Farbe  bleiben  könne.  Dass  wir  aber  Cicero's  Schriften  als  das 
Höchste  in  der  lateinischen  mustergültigen  Prosa  betrachten, 
dafür  spricht  das  vollendete  Zeitalter  der  römischen  Sprache, 
in  welchem  Cicero  lebte  und  schrieb ,  dafür  sprechen  die  Zeug- 
nisse ihm  näher  stehender  Männer,  eines  Quintilianus  (Instit. 
Orat.  X,  1,  108),  Catullus  (Carm.  49,  1  —  3),  Fronto  (epp.  ad 
Marc.  I,  1  p.  37  ed.  Francof.,  ad  Ver.  II,  4  p.  121)  u.  a.,  dafür  hat 
sich  endlich  die  Meynung  aller  der  Latinisten  seit  der  Wieder- 
herstellung der  Wissenschaften  entschieden,  welchen  das  Recht 
eines  vollgültigen  Urtheils  von  der  grössten  Mehrheit  der  Zeit- 
genossen zugestanden  wurde.  Die  beyden  ersten  Sätze  wird  uns 
Hr.  Fuss  wohl  zugeben,  weniger  vielleicht  den  letztern,  da 
er  uns  S^.  97  auffordert,  zu  bedenken,  „nullius  ad  haue  diera  iu 


*)  Der  Titel  ist:  Dissertatio  J.  D.  Fuss  (?)■,  versuum  homoeote- 
leutorum  sive  consonantiae  in  poesi  neolatina  usiim  commendatis ,  Herum 
auctiorque  et  emendatior  edita.  Adliaerent  cariiiina  latina  et  alia  et 
Schiller!  nonnulla  latine  reddita,  vaiiaruraque  aetatum  cunsonaiitia 
carmina  selecta,  nee  non  disceptatio  usuin  vocis  Nempe  aliaque  Cicero- 
niana  illui^trans.     Leodii ,  1828.   VIII  und  112  S.  gr.  8. 


136  Römische    Littcratur. 

literis  latinis  tantara  fuisse  auctoritatem,  ut  prijicipes  in  illisvi- 
ri  omnes ,  imo ,  ut  unus  vel  latinitatem  eius ,  vel  praecepta  de 
latiaitate  admitteiula  aut  excliidenda,  sine  exceptione  vel  pro- 
baverit  omnino,  vei  scribens  etiam  religiöse  sit  secutus."  Wir 
iiösers  Tlieils  sind  von  einer  solchen  Anmaasslichkeit  aucli  sehr 
weit  entfernt,  da  wir  bloss  im  Sinne  vieler  ausgezeichneten 
Männer  der  frühern  und  der  jetzigen  Zeit  gesproclien  haben, 
von  denen  wir  einstweilen  nur  auf  Mel  anch  tli  on's  Worte  in 
seiner  Rede  de  studio  art.  die.  in  seinen  Dedamat.  T.  I  p.  389 
sq.  und  auf  Matthiä's  Urtheil  in  seiner  Theo?ie  des  lateini- 
schen Styls  Ä.  4  —  7  verweisen  wollen. 

Es  liegt  ausser  dem  Bereiche  dieser  Anzeige,  mehr  als 
diese  allgemeinen  Sätze  gegen  die  Abhandlung  des  Hrn.  Fuss 
anzuführen,  da  wir  ohnehin  später  auf  dieselbe  noch  einmahl 
zurückkommen  müssen,  üeber  andre  Ansichten  desselben  wer- 
den wir  uns  vielleicht  zu  einer  andern  Zeit  erklären ,  nament- 
lich über  den  Anfang  seiner  Abhandlung,  und  über  das,  was 
er  S.  105  —  108  über  den  von  ihm  vielfach  angefeindeten  Ci- 
ceronianismus  sagt.  Dabey  scheint  uns  aber  Hr.  Fuss  beson- 
ders übersehen  zu  haben,  dass  Zusammenstellungen  und  Ver- 
gleichungen  mit  lebenden  Sprachen  auf  eine  todte  Sprache,  wie 
die  lateinische  ist,  nicht  passen,  und  dass  man  in  einer  ausge- 
storbenen Sprache  einen  oder  den  andern  Schriftsteller  notli- 
wendig  als  Muster  des  Sprachgebrauches  anerkennen  muss.  *) 


*)  Rec.  glaubt,  dass  man  an  diesem  Grundsätze  —  namentlich 
in  Schulen  —  sehr  fest  halten  muss.  Denn  die  Nichtachtung  der  la- 
teinischen Sprache,  welche  eine  Zeit  lang  ganz  unverdient  der  grie- 
chischen nachgesetzt  ward  ( vgl.  Heinrich's  Worte  in  der  Praef. 
Cic.  Orat.  pro  Scauro  etc.  p.  XXI) ,  sowie  ein  Einfluss  fremder  Spra- 
chen auf  das  Latein  in  Deutschland  hat  uns  empfindlichen  Schaden  zu- 
gefügt. Das  Letztere  gilt  namentlich  von  der  französischen  Spra- 
che ,  wie  Spalding  zum  Quintilianus  an  mehrern  Stellen  gezeigt  hat, 
und  wir  bereits  mit  einigen  Beyspielen  in  diesen  Jahrbüchern  (1827,  II, 
3  S.  318)  belegten.  Man  kann  das  dort  gerügte  naturae  vegetanti  un- 
möglich billigen ,  da  der  passende  Ausdruck  almae  naturae  so  nahe 
lag.  Dazu  kommt  noch  bey  vielen  eine  auffallende  Neigung  zu  alter- 
thümlichen  oder  poetischen  Ausdrücken,  die  sich  namentlich  in  den 
Schulen  der  Jesuiten  ausgebildet  zu  haben  scheint.  So  liegt  dem  Rec. 
eine  hier  in  Köln  1G20  gedruckte  Schrift  Mich.  v.  Is  seit 's  vor,  de 
hello  Coloniensi  Ubri  IV,  welche  die  Geschichte  der  Truchsessischen 
Unruhen  im  sechzehnten  Jahrhunderte  enthält.  Hier  finden  sich  der- 
gleichen poetische  Stellen  sowohl  als  Wörter  aus  den  verschiedensten 
Zeitaltern,  Gallicismen  und  Germanismen  in  grosser  Anzahl.  Die  Be- 
schreibung einer  Hochzelt  z.  B.  ist  auf  S.  278  ganz  mit  VirgUIanischen 
Redensarten  gegeben,  ohne  dass  diese  als  Verse  gedruckt  sind.  Aehn- 
liche  Stellen  von  dieser  Art  sind :  profundum  silentium  —  amore  demen- 


Krebs :  Anleitung^  zum  Lateinischschrcibcn.  137 

Wir  kehren  nun  zu  Hrn.  Krebs  zurück  und  werden  nun 
die  von  ilim  zu  einem  Antibarbarus  gegebenen  lieyträge  mit  ei- 
nigen Uemerkungen  begleiten.  —  Academia  tadelt  derselbe  als 
zu  gewagt  für  diese  neue  Idee,  und  glaubt,  es  sey  den  Alten 
unverständlich  gewesen.  Das  ist  Avohl  wahr,  aber  der  Begriff 
findet  doch  einige  Analogie  mit  dein  der  Specialschulen,  wie 
sie  im  römischen  Kaiserreiche  zu  Athen,  Alexandria  und  Bery- 
tus  blüljten ,  und  die  Umschreibung  mit  Uierarani  sedes  würde 
namentlich  da,  wo  der  Begriff  nur  kurz  angedeutet  seyn  soll, 
nicht  gut  passen.  Eben  so  denken  wir  über  An/totatio  und 
Edüio'.  im  rednerischen  oder  im  abhandelnden  Style  wird  man 
freylich  beyde  Wörter  mit  andern  vertauschen.  Dagegen  wür- 
den wir  das  Wort  textus  unbedingt  verworfen  haben:  ^^^gw 
diess  hätte  Hr.  Krebs  S.  638  besonders  warnen  sollen,  da 
man  ja  dafür  auch  eben  so  kurze  Ausdrücke  brauchen  kann.  — 
Bey  adlmc  bemerkt  Hr.  Krebs  mit  Recht:  „wird  vielfach 
falsch  gebraucht."  Daher  hätte  dieser  Artikel  vielleiclit  noch 
etwas  ausführlicher  seyn  können.  Wenn  es  aber  weiter  heisst, 
„dass  es  unlateinisch  zur  Verstärkung  des  Comparativs  in  der 
Bedeutung  noch  diene,"  so  möchte  diess  wohl  manchen  Schü- 
ler verwirren,  der  es  so  im  Quintilianus  oder  Tacitus  gebraucht 
findet.  Wir  meinen,  dass  die  Beschränkung  hätte  hinzugefügt 
werden  können,  dass  die  Schriftsteller  des  silbernen  Zeitalters 
(vgl.  Bremi  zu  Sueton.  Tiber,  c.  44,  Mahne's  Epicrisis  hin- 
ter W  ytteiibacJi  s  Leben  p.  241  Friedemann  und  Frotscher 
zu  Quintilian.  X,  1,  99)  bey  den  Comparativen  adknc  st.  etiam 
gebrauchten.  Den  Gebrauch  des  adlmc  at.  praeterea^  insuper 
hat  Hr.  Krebs  mit  Hecht  nicht  berührt,  da  in  diesen  Stellen 
die  Lesarten  so  sehr  von  einander  abweiclien,  Bey  Cicero 
scheint  derselbe  allerdings  nicht  vorzukommen,  da  in  den  ejip. 
ad  diu.  AFI,  11  u.  im  Lael.  9,  33  neben  adhuc  die  Handschrif- 
ten auch  ad  haec  haben.  Dagegen  scheint  bey  Tacitus  und  an- 
dern spätem  Schriftstellern  der  Gebrauch  für  insuper  nicht 


tatus  —  in  arce  latitaniem  detlnmt  (S.  167)  ,•  Quid  hie  faceret  ?  SoUicitat 
femina,  carotitiUat,  mordet  conscientia  (S.  K)8);  dies  dictus  prae  fori- 
bus  erat  (S.  169)  ;  archivnm  (S.  194)  .  Ilcligionis  alteratio  (  Reiigions- 
wecljsel  S.  257).  Suae  Celsititdinis  beneplucitum  (  d.  i.  le  l»on  plaisir  de 
son  Altesse  S.  200);  Gebhardus  —  ira  implacabili  excanduit,  coepitque 
consilia  captare ,  quomodo  merum  urbis  Imperium  absolutamque  polestatem. 
eins  in  se  transferret  (S.  202) ;  confoedcratus  (S.  204)  u.  s.  w.  Bey  allen 
diesen  Ausstellungen  lässt  sich  dieser  sowie  ähnlichen  Schriften  eine 
gewisse  Leichtigkeit  in  der  Verbindung  der  Sätze  sow  ohl  mit  als  un- 
ter einander  nicht  absprechen.  Um  so  mehr  ist  es  also  nöthig ,  dass 
man  gegen  dergleichen  Sprachmengereyen  und  Germanismen  auf  seiner 
Hut  sey. 


138  Römische  Litteratar. 

ungewöhnlich  gewesen  zu  seyn;  ra.  s.  Walch's  Emendat. 
Liv.  p.  190  und  die  ausführliche  Erörterung  eines  Gelehrten  in 
den  Ergänzungsbl.  zur  Jen.  Allg.  Literat.  Zeit.  1822  Nr.  63.  — 
Bey  aequanimitas  für  aequitas  animi  konnte  auch  mit  einem 
Worte  der  Gebrauch  des  aequabilis  und  aequabilitas  berührt 
werden.  Vgl.  Garatoni  zu  Cic.  p.  Milon.  28  p.  277  s.  OreU. 
mit  Fr ots  eher  zu  Quintil.  X,  1,  86.  —  Ueber  «w  hat  Herr 
Krebs  die  richtige  Ansicht,  dass  es  bey  Cicero  nur  in  der 
zweyten  oder  Gegenfrage  gebraucht  würde ,  wie  unser  oder. 
So  steht  es  auch  in  Steilen,  wo  dieser  erste  Fragesatz  muss  hin- 
zugedacht werden,  wie  Tuscul.  Quaest.  /,  6,  10:  an  tu  haec 
non  credis?  de  Offic.  /,  15,  48:  a?i  non  imitari  agros  fertilis., 
qui mutto plus  efferunt.,  quam  acceperunt.^  wo  Beier's,  des  viel 
zu  früh  verstorbenen,  Anmerk.  p.  116  nachzusehen  ist  *),  der 
auch  zugleich  den  spät.  Sprachgeb  erläutert.  Dass  in  den  sonst 
wohl  hieher  bezogenen  Stellen  aus  Cic.  Topic.  20  (21,  82  Ernest.) 
statt  quum  an  —  s?Y,  Mas  auch  bey  Orelli  steht,  aus  einer  gu- 
ten Handschrift  «m/ s^/y^e  zu  lesen  sey,  hat  Zumpt  in  diesen 
Jahrbüchern  1827,  I,  2  S.  111  erwähnt,  sowie  auch^.  Cluefit. 
19,  52  nach  einer  Randbemerkung  in  Lambinus  zweyter 
Ausg.  ecquae  inimicitiae  st.  aii  quae  —  inimic.  zu  lesen  ist,  was 
bey  Orelli  auch  noch  fehlt.  Vgl.  Zumpt 's  lat.  Grammat. 
( S.  287  viert.  Ausg. )  S.  306 ,  fünft.  Ausg.  —  Ueber  auctor 
stehen  hier  gute  Bemerkungen:  auch  hierüber  äusserte  sich 
Bei  er  in  diesen  Jahrbüchern  I,  2  S.  347  kurz  und  bestimmt. 
Vgl.  ausserdem  Ochsner  z.  Olivefs  Eclog.  Cic.p.lö  u.  über 


*)  Da  Rec.  hier  zum  ersten  Mahle  seit  dem  Absterben  Karl 
Beier's,  in  dem  auch  er  einen  sehr  werthen  Freund  betrauert,  des- 
sen Erwähnung  thut,  so  kann  er  nicht  unterlassen,  auch  seinerseits 
eine  Blume  auf  das  Grab  des  Freundes  zu  streuen.  Was  Beier  den 
Schriften  des  Cicero  genützt  habe  ,  lebt  hoffentlich  im  dankbaren  An- 
denken seiner  Zeitgenossen.  Aber  auch  in  der  Rechtsgelahrtheit  be- 
S'.iss  er  nicht  gewöhnliche  Kenntnisse.  Das  ehrenvolle  Urtheil  des  he- 
rühmten  Eduard  Seh  rader  in  der  Kritischen  Zeitschrift  für  Rechts- 
wissensch.  1827 ,  i//,  2  6\  302  dürfte  wohl  nicht  allen  Lesern  der  Jahr- 
bücher bekannt  geworden  seyn  und  wir  fügen  daher  dasselbe  hier  bey: 
„Freude  macht  es  dem  Juristen  hier  (d.  h.  in  der  Ausgabe  der  Ciceron. 
Fragmente)  einem  ausgezeichneten  Philologen  zu  begegnen,  der  mit 
den  Quellen  und  der  Literatur  des  römischen  Rechts  eigentlich  ver- 
traut ,  in  dieselben  nicht  etwa  nur  wie  in  ein  fremdes  ,  nicht  ganz  un- 
bekanntes, Gebiet  hinüberblickt,  sondern  aus  ihnen,  wie  aus  dem 
Seinigen  schöpft.  Möge  diese  Vertrautheit  mit  einem  wichtigen  Theile 
des  Alterthums  immer  häufiger  unter  Philologen  werden ,  so  m  ird  Al- 
terthumskunde  und  Rechtswissenschaft  gewiss  grossen  Kutzen  daraus 
ziehen." 


Krelis  :  Anleitung  zum  Lateinischschreiben.  139 

den  spätem  Gebrauch  des  Cellarius  Curae  Poster,  p.  80,  ed. 
tert,  —  Bey  civilis  wäre  wolil  mit  einem  Worte  der  Unter- 
schied zwischen  civitas  und  civilitas  ,  gegen  den  Schüler  recht 
oft  fehlen,  anzudeuten  gewesen.  M.  vgl.  die  Ausleger  zu  Cic. 
de  legg.  /,  4,  14  p.  34  Creuz.  —  Unter  elogium^  wel- 
ches als  uulateinisch  fiir  Lobrede  bezeichnet  ist,  wird 
auf  laudatio  verwiesen,  welches  Wort  wir  jedoch  nicht  in 
diesem  Verzeichnisse  gefunden  haben.  Auf  jeden  Fall  wäre 
hier  etwas  über  diesen  Ausdruck  zu  sagen  gewesen,  da 
er  an  Ruhnkenius  einen  so  berühmten  Gewährsmann 
gefunden  hat,  der  freylich  selbst  entschuldigend  hinzu- 
setzt: „serf  temporum  nostrorum  consuetudini  aliqnid  dan- 
dum  fait!-'-  Auch  war  die  Nachahmung  des  französischen 
eloge  hierbey  tadelnd  zu  erwähnen,  wie  llr.  Krebs  mit  Recht 
die  französisch -lateinischen  Ausdrücke  rationabilis^  recommen- 
dare ,  rigorosus ,  traditio  u.  a.  getadelt  hat.  —  Die  Redensart 
est  videre  ist  mit  Recht  als  nachaugusteische  Sprachweise  auf- 
geführt worden.  In  der  bekannten  Stelle  aus  Cic.  de  rep.  /,  38 
dürfte  aber  wohl  mit  Beier  vides  st.  vide  si  zu  schreiben  seyn. 
Vgl.  Allgem.  Schidzeitmig  1828 ,  //  Nr.  20  und  des  Rec.  An- 
merk.  z.  Lucian.  Alex.  36  p.  68.  —  Ueber  forte  hat  der  Hr. 
Verf.,  wie  zu  erwarten  war,  hier  und  §  588  das  Richtige  ge- 
geben. Vielleicht  hätte,  grade  weil  so  oft  in  diesem  Worte  — 
u.  sogar  von  einem  Er nesti  u.  Ruhnkenius  (vgl.  Linde- 
mann zu  den  Vit.  Dmunvir.  etc.  p.  100  und  Matthiä  zu  den 
Exempl.  Eloq.  p.  220)  —  gefehlt  worden  ist ,  noch  mit  wenigen 
Worten  auf  die  Versetzung  dieser  Wortes  aufmerksam  ge- 
maciit  werden  können.  Diess  geschieht  unter  andern  bey  Cic. 
de  Offic.  II.,  20,  70  und  epp.  ad  div.  VII,  7,  10,  wo  grade 
die  erste  Stelle  den  ächten  Begriff  des  forte  recht  deutlich 
macht.  —  Gegen  den  Gebrauch  des  imaginari  konnte  sich  Hr. 
Krebs  noch  stärker  aussprechen  und  zugleich  dem  Schüler  ei- 
nige bessere  Ausdrücke  nachweisen.  Rec.  hat  einige  solche  in 
Seebodes  Krit.  Bibl,  a.  a.  O.  S.  142  zusammenzustellen  ver- 
sucht, womit  auch  Friede  mann 's  Anmerk.  zu  den  Vit.  Ho- 
min.  Excelleiit.  T.  II  P.  1  p.  71  zu  vergleichen  ist. —  Der  Ge- 
brauch von  moralis  für  moralisch  gesinnt  wird  mit  Recht  zu- 
rückgewiesen :  nur  wo  es  auf  Kürze  oder  Bestimmtheit  der  Be- 
griffe ankommt,  darf  es  von  lateinschreibenden  Schülern  ge- 
braucht werden,  wie  auch  neuerdings  Stallbaum  in  der 
Einleitung  zu  Piaton.  Dial.  Select.  p.  XXIII  äusserte.  —  Ue- 
ber solidus  hat  sich  Rec.  bereits  an  andern  Orten  (Jahrb.  1827, 
II,  3  S.  326)  geäussert:  Hr.  Krebs  erklärt  diess  Wort  ganz 
richtig.  —  Wäre  es  nicht  vielleicht  für  Schüler  gut  gewesen, 
die  beyden  Stellen  aus  Cic.  Tuscul.  Quaest.  III,  2 ,  3  und  Phi- 
lipp. F,  18,  50,  welche  auf  den  ersten  Blick  sich  auf  geistige 
Eigenschaften  zu  beziehen  scheinen ,  einer  kurzen  Erläuterung 


140  Römische    Litteratur. 

zu  würdigen?  —  ^^Tragicus ^'-  sagt  Hr.  Krebs,  „kommt  bey 
den  Alten  nie  in  der  Bedeutung  traurig  vor."  Sehr  richtig: 
wir  bemerken  noch  mit  E.  W.  Weber  in  seiner  Uehungsschule 
des  lat.  Styls  /,  156,  dass  tragicus  (wie  rgay^oQ  im  Griechi- 
schen: m.  s.  unsre  Anmerk.  zu  Lucian.  Toxar.  II p.  60  f.)  stets 
den  Nebenbegriff  dessen  hat,  was  wohl  einem  Tragiker  Stoff 
darbieten  könnte.  So  bey  Liviiis  I^  46,  vgl.  Lange's  Vin- 
dic.  Tragoed.  Rom.  p.  32.  —  Gegen  versio  und  conversio  hätte 
der  Hr.  V elf.  nach  J.  M.  Heusinger's  Observait.  A7itibarb. 
p.  434  sq.  noch  stärker  auftreten  können. 

Auf  diese  Weise  Iiätten  wir  also  das  Verzeichniss  unlatei- 
nisclier  Redensarten  durchgegangen  und  müssen  wiederholt 
unsre  Freude  über  die  zweckmässige  Bearbeitung  zu  erkennen 
geben.  Einige  Barbarisnien  hat  Hr.  Kr  eb  s  ausgelassen,  die 
wir  Menigstens  oft  bey  Schülern  haben  verbessern  müssen  und 
die  wir  also  hier  nachtragen  wollen.  Vielleicht  tliun  diess 
auch  andre  Beurtheiler;  und  Hr.  Krebs  kann  dann  diese  Be- 
merkungen, mit  seinen  eignen  vereinigt,  einmahl  besonders 
abdrucken  lassen,  was  für  unsre  Prijnaner  ein  recht  nützliches 
Büchlein  seyn  würde. 

Welcher  Schulmann  liätte  nicht  nempe  und  niminim  un- 
zählige Mahle  zu  verbessern  nöthig  gehabt!  Hr.  Krebs  hat 
in  §  588  das  Richtige  über  diese  Partikeln  sowohl  als  über  sci- 
licet  und  videlicet  angegeben,  aber  wie  wir  glauben,  nicht  ge- 
nug Uebungsbeyspiele.  Er  selbst  führt  Web  er' s  Uebimgs- 
sclmle  an,  wo  S.  3  —  5  sehr  gut  von  diesen  Partikeln  gehandelt 
ist  und  aus  welcher  Abliandlung  ihm  mehrere  Beyspiele  zu  Ge- 
bote standen.  Bey  dieser  Gelegenheit  wollen  wir  bemerken, 
dass  Hr.  Fuss  den  von  uns  angefochtenen  Gebrauch  des  nempe., 
wie  es  in  seiner  Abhandlung  steht,  gegen  uns  von  S.  100  — 105 
zu  rechtfertigen  sucht.  Ohne  dabey  dem  Urtheile  Anderer 
vorgreifen  zu  wollen ,  können  wir  doch  nicht  umhin ,  Folgen- 
des zu  bemerken.  Nempe  kann  nur  im  schlechten  Latein  unser 
nämlkh  seyn:  bey  guten  Schriftstellern  aber  steht  es  im  Dialog 
oder  in  der  Abhandlung  bey  lebhafter  Unterbrechung  des 
Schriftstellers  durch  eine  an  sich  selbst  gerichtete  Frage,  wie 
etwa  unser  nicht  wahr  und  ovxovv  eine  Folgerung  mit  halber 
Frage  bedeuten.  Daher  sagte  bereits  der  Scholiast  zu  Horat. 
Sat.  7,  10,  1  gar  nicht  unriclitig:  nempe  aut  coiifinnantis  aut 
interrogantis  est.  Auch  Heindorf's  Erklärung  zu  dieser 
Stelle  ist  mit  der  gegebenen  Erörterung  sehr  gut  zu  vereinigen, 
wie  sehr  sich  auch  Hr.  Fuss  a.  a.  0.  S.  108  dagegen  sträubt. 
Noch  ausführlicher  bestimmt  Weber  a.a.O.  den  Gebrauch 
des  7iempe.,  videlicet .^  scilicet  und  niminim.,  indem  er  sagt, 
dass  diese  Partikeln  den  Sinn  des  unmittelbar  voihergehende« 
Gedankens  entweder  zu  einem  Nachdrucke  oder  zu  einem  ver- 
traulichen Zugeständnisse  oder  zu  einer  Verhöhnung  wiederho- 


Krebs :  Anleitung  zwm  Lateinischschreiben.  141 

len.  Für  die  erste  dieser  drey  Gebrauchsweisen  ist ,  beson- 
ders in  Fragwendungren,  nempe  am  gebräuchlichsten.  Vgl. 
Frotscher  z.  QuüilUiafhX^  2,  4*)  und  A.  Grotefend's 
Conimentar.  zu  lat.  StijUlbung.  S.2-i2ff.  Rec.  hatte  nun  frü- 
her a.  a.  0.  besonders  an  drey  Stellen  der  Abhandlung  des 
Hrn.  Fuss  das  7iempe  gemissbilligt.  S.  XVI  schreibt  derselbe: 
„relinquitur  tertia  de  bene  scribcutibus  iudicandi  ratio  :  iiempe 
ut  ad  bonae  aetatis  scriptores  recurramus."  In  der  zweyten 
Abhandlung  schützt  er  diesen  Gebrauch  durch  Cic. Brut.  3,  14; 
6,  21,  und  Partit.  Orat.  ü,  33,  wo  aber  nempe  nach  unsrer 
Ansicht  überall  doch  wohl  bedeutet  ujid  nicht  zur  Erläuterung 
eines  einzelnen  Begriffes  dient  (wie  diess  die  Bedeutung  des 
nämlich  ist) ,  sondern  einen  neuen  Satz  mit  Bezug  auf  das  Vor- 
hergegangene halb  fragend  einleitet.  Hr.  Fuss  musste  in  je- 
ner Stelle  (p.  XVI)  entweder  schreiben:  quae  in  eo  ceniitur 
oder  id  est^  wovon  das  letztere  häufig  so  steht  [Cic.  de  nat. 
Deor.  II,  50,  126,  Cic.de  Senect.  16,  56  und  das.  Gern- 
hard),  um  zwey  Wörter  zu  vereinigen,  die  man  in  einen  Be- 
griff zusammenziehen  kann.  Und  auch  Hr.  Fuss  spricht  von 
der  Beziehung  auf  gute  Schriftsteller ,  als  dem  dritten  Beur- 
theilungsgrunde.  Ferner  w  aren  wir  mit  Hrn.  Fuss  auf  S. 
XXIX  nicht  einverstanden,  wo  seine  Worte  also  lauten:  „nee 
vero  magis  ferendi  sunt,  quibus  placet  de  stylo  poetico  cei'tum 
iudicium  non  daii :  sunt  enim  et  inemini  nie  audire,  qui  sie  sta- 
tuant:  wewjpe  veterum  poetarum  orationem  eiusmodi  esse,  ut 
saepissime  nee  laudare  recentiorum  dictionem  et  multo  minus 
reprehendere  satis  certa  auctoritate  possis."  Hier  halten  wir 
nempe  für  unlateinisch :  besser  wäre  es  wohl  hier  ganz  wegge- 
blieben u.  etwa  nach  veterum  ein  qtiidem.  gesetzt.  Die  von  Hrn. 
F.  aus  Cic.  Tuscul.  Quaest.  F,  5,  12  angeführte  Stelle:  nempe 
negas.,  ad  beate  vivendiim  satis  posse  virtutem.,  scheint  uns  hier 
nicht  angeführt  werden  zu  können:  nempe  ist  dort  unser  gut., 
das  franz.  eh  hien.,  es  folgert  etwas  aus  den  unmittelbar  vor- 
hergegangenen Worten  und  schliesst  mit  raschem  Uebergange 
daran  die  Frage.  Bey  Cic.  Verr.II,  51,  127  lesen  wir:  hämo 
ingeniosus  et  acutus ,  Optiine,  inquit.  j\empe  scriptum  ita  est., 
quot  renuntiati  erunt.  D.  h.  JVun  es  ist  doch  wohl  aufgeschrie- 
ben, wieviele  ihrer  ernannt  sind;  wobey  wir  uns  den  Verres 
denken  können,  wie  er  die  Umstehenden  fragend  ansieht. 
Gleich  darauf  folgt  die  directe  Frage:  quot  ergo  sunt  renun- 
tiati. In  ähnlicher  Beziehung  sind  die  Worte  in  Tuscul.  Quaest. 


*)  Die  von  Hrn.  Frotscher  ang-eführte  Meinung-  eines  Gelehr- 
ten, dessen  genauere  Bezeichnung  ihm  entfallen  Avar,  ist  die  des  Rec. 
der  Iluschke'schen  Ausgabe  des  TIbullus  in  der  Jen.  AUgem.  Literat. 
Zeit.  1820  JVr.  31. 


142  Römische  Litteratnr. 

///,  20,  49  gestellt:  dicat  qiiamlibet:  nempe  eam  dicit.,  in 
qua  virtntis  mala  pars  insit,  d.  h.  er  mag  neuiieu  welche  er  im- 
mer will:  diejenige  nennt  er  aber  doch  wohl  u.  s.  w.  Die  Be- 
deutung unsers  nämlich^  wie  es  gewöhnlich  gebraucht  wird, 
hat  nempe  in  keiner  dieser  Stellen.  Am  richtigsten  ist  in  der 
letzten  jener  drey  Stellen  nempe  von  Hrn.  Fuss  nach  unsrer 
Ansicht  gebraucht  worden,  wo  es  einen  verhöhnenden  Sinn  hat. 
Die  Dichterstellen  ,  welche  Ilr.  Fuss  zur  Bestätigung  sei- 
ner Ansicht  u.  zur  Widerlegung  der  Ilei  nd  orf '  s  clien  Theo- 
rie bey  bringt,  miissen  wir  jetzt  iibergehen.  Aber  wir  können 
nicht  umhin,  auch  hier  unsrer  friihern  Meynung  treu  zu  blei- 
ben, indem  in  allen  derselben  (wie  Ilorat.  Epp.  I,  10,  22;  16 
31;  II,  1,  156;  Propert.  IV,  1,  85  u.  a.)  nempe  stets  in  un- 
willigen, trotzigen  oder  ironischen  Aeusserungen  gebraucht 
wird,  wozu  noch  Burmann  z.  Propert.  /,  3,  61,  Weber  z. 
Lucan.  T.  II  p.  544  und  Ob  bar  ins  z.  Ilorat.  Epp.  /,  10,  22 
p.  42  verglichen  werden  können.  Was  übrigens  die  Stellen  ans 
Muretus  anbetrifFt,  welche  Hi'.  F.  auf  S.  104  anfuhrt,  so 
glauben  wir  bey  aller  Hochachtung  gegen  Muretus  Vorziiglich- 
keit  doch  ihn  hier  eines  Irrthums  beziichtigen  zu  können.  Die 
erste  Stelle  ist  aus  den  Var.  Lect.  XI,  1:  „fore,  ut  duo  illi 
adolescentes  Interim,  dum  imperaturus  est  Tiberius,  icmp. 
premant,  quae  eos  quoque  aliqua  ex  parte  dominos  habitura  sit: 
quandoque  autem  ,  nempe  Tiberio  mortuo ,  quandocunque  tan- 
dem  id  futurum  sit,  eandera  distracturi  sint."  Muretus  hat 
hier  nempe  ganz  wie  ein  französisches  cest  ä  dlre  (  das  hollän- 
dische Wort  ist  uns  nicht  bekannt)  gebraucht  und  zu  seiner 
Entschuldigung  mag  wohl  gesagt  werden,  dass  ihn  das  Streben, 
in  der  Erklärung  jener  taciteischen  Stelle  (Annal.  I,  4)  recht 
deutlich  zu  seyn ,  veranlasst  hat,  von  der  acht  lateinisclieu 
Bedeutung  des  nempe  abzuweichen.  Dasselbe  möchte  auch  von 
den  beyden  andern  Muretischen  Stellen  gelten ,  wo  allerdings 
nempe  ganz  unserm  deutschen  nämlich  zu  entsprechen  scheint. 
Doch  enthalten  wir  uns  des  weitern  ürtheils,  da  wir  die  Stel- 
len selbst  nicht  im  Zusammenhange  einsehen  können.  Hr.  F. 
schliesst  dann  S.  105  mit  folgenden  Worten :  sed  saiis  super- 
qiie  de  particulae  nniiis  ciceronianismo:  quem,  si  meae  hie  la- 
tinitali.,  omnibus  ^  quae  dixi.,  rite  po7ideratis .,  tamen  onines 
nno  ore .,  si  post  multos  variique  ordinis  viros  Heinrichius.,  si 
I)r y opolios  {Kic\istä.dt\)  ?iegei.,  nihilomimis  corifido.,  exemplis 
ex  aurea  aetate  sie  esse  particidae  usum  a  nie  defensuni ,  ut  la- 
tinum  non  esse.,  iam  nemo  ausurus  sit  contendere .,  7iisi^  cui 
latinum  nil  sit.,  quod  non  ciceroniamim.''''  Rec.  glaubt  aber, 
dass  man  ohne  grade  bloss  das  ciceronianische Latein  fiir  Latein 
zu  halten,  mit  der  Beweisführung  des  Hrn.  F.  doch  nicht  über- 
einstimmen kann,  und  es  würde  ihm  daher  lieb  seyn,  auch  die 


Krebs :   Anleitung  zum  Lateinischschreiben.  148 

Stimmen  andrer  Männer,  als  der  bereits  angeführten,  über 
diesen  Punct  zu  vernehmen. 

Nach  dieser  zweyten  und  letzten  Abschweifung  kehren  wir 
nun  zu  Hrn.  Krebs  zuriick. 

Als  öfters  falsch  gebrauchte  Ausdrücke  würde  Reo.  ausser 
den  genannten  etwa  noch  folgende  bezeichnen  zu  müssen  glau- 
ben: ad  instar  st.  instar  (m.  s.  Mahne's  Epicrisis  hinter 
WytlenbacJis  Leben  p.  245  Friedem.)^  curiosus  ^  strenuitas, 
hodiermmi  (worüber  man  Frotscher  zu  Quintitian.  X^  1,  95 
nachsehen  kann),  undequaque^  per  quam  ^  rite  (st.  rede:  vgl. 
F  r  i  e  d  e  m  a  n  n  zu  den  Fit.  Homin.  Excellent.  T.  II.  P.  1  p. 
tl),  temper amentum  (was  selbst  Ernesti  in  der  Memoria 
Gellerti  in  den  Opusc.  Orat.  Nov.  Vol.  p.  134  brauchen  konnte : 
vgl.  N  o  1 1  e  n '  s  Lexic.  Antiharh.  p.  759  ed.  tert.).,  sefisibilia  und 
insensibilia  (s.  F  r  i  e  d  e  m  a  n  n  a.  a.  0.  p.  (il  ) ,  u.  dgl.  ra.  Fer- 
ner würde  Rec.  auch  auf  die  Bezeichnung  der  sogenannten  run- 
den Zahlen  und  auf  den  Unterschied  zwischen  millies.,  mille  und 
sescenti.,  sexcenties  aufmerksam  gemacht  haben.  Wir  meynen 
nämlich,  dass  man  sexcenti  und  sexcenties  nicht  gebrauchen 
dürfe,  wo  die  Rede  von  erhabenen  Gegenständen  ist,  dann, 
wo  die  Anzahl,  so  gross  sie  auch  seyn  mag,  doch  nicht  so  hoch 
steigen  kann,  als  die  eigentliche  Bedeutung  jener  Zahlen  ist, 
endlich  da,  wo  jene  Zahlen  viel  zu  wenig  sagen  würden.  Liv. 
z,  B.  konnte  III,  14  nicht  anders  sagen,  als:  mille  pro  uno 
Kaesones  extitisse.,  plebs  querebatiir.,  und  eben  so  wenig  durfte 
Cicero  de  Offic.  /,  31,  114  st.  Aiax^  quo  animo  fiiisse  tradi- 
tur .,  millies  oppetere  mortem.,  quam  contumelias  perpeti  rna- 
luisset .,  schreiben,  sexcefities  oppet.  tnort.  Unter  ille  hat  der 
Hr.  Verf.  nicht  gegen  den  häuligen  Germanismus  bey'ra  Ge- 
brauche dieses  Pronomens  gewarnt.  Gut  lateinisch  ist  es  dann, 
wenn  es  in  Beziehung  auf  ein  vorhergehendes  Substantivum  mit 
einer  neuen  Beziehung  verbunden,  dieser  einen  speciellern  Be- 
griff giebt.  Wir  pflegen  im  Deutschen  wohl  das  Substantivura 
zu  wiederholen ,  was  im  Lateinischen  bisweilen  auch  geschieht, 
wie  Cic.  de  Offic.  III.,  1,2:  Nee  hoc  otium  cum  AJricani  otioy 
und  gleich  daneben,  nee  haec  solitudo  cu7n  illa  comparanda  est. 
Vgl.  Cic.  Divin.  in  Caecil.  II.,  30 :  tiam  quam  omnis  arrogan- 
tia  odiosa  est.,  tuin  illa  ingenii  et  eloquentiae  multo  molestis- 
sima.,  und  andre  Stellen  in  R  a  m  s  h  o  r  n '  s  lat.  Grammat.  S.  336. 
Daher  wird  in  Cic.  Philipp.  III.,  8,  20  richtig  gelesen:  vino  at- 
que  epulis  retentus  est :  si  illae  epulae  potius  quam  popinae  no- 
minandae  sunt. 

Hiermit  schliessen  wir  unsre  Anzeige  einer  werthvollen 
Schrift,  in  der  Hoffnung,  dass  Hr.  K.  in  derselben  den  guten 
Willen  wahrnehmen  werde,  nach  unsern  Kräften  zur  Verbrei- 
tung und  Anerkennung  seines  Buches  zu  wirken.  In  diesem 
Sinne ,  glauben  wir ,    wird  er  auch  die  von  uns  niedergelegten 


144  Geographie. 

Zusätze  und  Bemerkungen  aufnehmen,  als  den  Beweis  vonTheil- 
nahme  eines  Jüngern  Mannes  an  einem  Werke,  das  so  deiitliclie 
Spuren  einer  mehr  als  dreyssigjährigen,  gesegneten  Wirksam- 
keit im  Schuifache  an  sich  trägt. 

Rec.  darf  aber  auch  das  Aeussere  des  Buclies  nicht  über- 
gehen. Man  war  durcli  Hrn.  Brönner's  Ausgaben  lateinischer, 
englischer  und  italiänischer  Werke  bereits  an  eine  ausserordent- 
liche Eleganz  gewöhnt:  wir  müssen  es  aber  mit  vieler  Aner- 
kennung erwähnen,  dass  er  auch  ein  deutsches  Buch  —  und  ein 
Schulb?ich  —  so  sauber  und  schön  in  Druck  und  Papier  auszu- 
statten nicht  verschmälit  hat.  Den  Preis  desselben  kann  man 
auch  nicht  anders  als  billig  linden.  Es  meynte  freylich  neulich 
Jemand,  dass  sich  der  Verleger  dadurch  „einen  papiernen  Eh- 
rentempel'''  erbaute:  wir  sehen  aber  zu  unsrer  Freude,  dass 
Hr.  Brönuer  anders  denkt.  Und  in  der  That  ist  der  Ruf  eines 
Manuzzi ,  eines  Bodoni,  Didot  und  Göschen  denn  doch  mehr 
als  ein  „papierner  Ehrentempel." 

Cöln.  Georg  Jacob. 


Geograpliie. 


Geographie  für  Gymnasien^  Mittelschnlefi  und 
Privatunterricht  ^  nach  natürlichen  Grenzen  und  historisch- 
etatistisch  bearbeitet  von  Theoph.  Friedrich  Dittenberger ,  Stadtpfar- 
rer zu  Heidelberg.  Zweyte  ganz  umgearbeitete  Ausgabe ,  mit  la- 
teinischem und  deutschem  Register ,  nebst  ()  Versinnlic-hungscliar- 
ten.  Mit  Grossherzoglich  Badischem  allergnädigsten  Privilegio  ge- 
gen Nachdruck  und  Nachdrucksverkauf.  Heidelberg,  bey  Chr. 
Friedr.  Winter.  1827.   XXII  u.  434  S.  gr.  8.    Preis  21  Gr.  netto. 

"er  Grundsatz,  von  welchem  der  fleissige  Verf.  bey  Bear- 
beitung des  vorliegenden  Werkes  ausgegangen,  ist  der,  dass 
die  Geographie,  wenn  sie  mit  vollem  Nutzen  für  die  Schüler 
gelehrt  werden  solle,  im  ersten  und  auch  im  zweyten  Kurs  le- 
diglich nach  Natur  grunzen.,  mit  gänzlicher  Beseitigung  der 
politischen  Geogr.  und  der  Statistik,  vorgetragen  werden  müsse, 
und  dass  daher  erst  im  dritten  Kurs  die  letzteren  vorgenommen 
werden  dürften.  Im  Vorworte,  welches  die  Ueberschrift  führt: 
lieber  Geographie  und  geographischen  Unterricht,  spricht  der 
Verf.  zum  Schlüsse  den  Wunsch  aus,  dass  diese  Arbeit  billig 
beurtheilt,  und  der  Standpunkt,  von  welchem  sie  ausgehe,  ge- 


DIttenLerger :  Geographie  für  Gymnasien  etc.  145 

hörig  gewürdigt  werden  möchte,  und  macht  sich  anheischig, 
die  Mängel,  die  ihm  er fahrne  Geographen  freundlich  darin  nach- 
weisen würden,  gern  und  dankbar  künftig  zu  verbessern. 

Rez.  verkennt  nun  zuvörderst  die  Vorzüge  keinesweges, 
welche  die  Trennung  der  politischen  Verfassung  von  der  eigent- 
lichen Geographie  für  den  ersten  Unterricht  habe.  Allein  lei- 
der muss  er  auch,  nach  seiner  Kenntniss  von  höhern  Unter- 
richtsanstalten, befürchten,  dass  es,  weil  auf  den  meisten  Schu- 
len dieser  so  nöthigen  Hülfswissenschaft  zu  wenig  Zeit  gewid- 
met ist,  vielen  Lehrern  schwer  fallen  werde,  alle  3  Kurse  auf 
die  Art,  wie  sie  der  Verf.  vorschlägt,  vornehmen  zu  können. 

Ferner  räumt  Uez.  recht  gern  ein,  dass  der  Verf.  im  Gawse« 
den  eben  ausgesprochenen  Grundsatz  unverrückt  vor  Augen  be- 
halten ,  auch  vielen  Fleiss  auf  dieses  Werk  verwendet  habe, 
und  dass  sonach  dasselbe  den  bessern  Lehrbüchern  der  Geogr. 
unbedingt  beygezählt  werden  dürfe. 

Wenn  der  Verf.  im  Vorworte  aber  sagt,  dass  es  in  unsern 
Tagen  sehr  leicht  und  gar  keine  Kunst  sey,  ein  blosses  Schul- 
buch der  politischen  Geogr.  zu  schreiben,  wie  sie  in  jeder  Messe 
zu  Dutzenden  erschienen,  —  weil  unsere  ächten  Geographen, 
worunter  er  hier  nur  Galletti^  Gaspari,  Hasselt  (doch  wohl 
Hassel*?),  Ritter  und  Stein  namentlich  anführt,  in  ihren  müh- 
sam gesammelten  treflichen  grössern  Werken  überflüssige  Mate- 
rialien niedergelegt  haben,  aus  welchen  mit  wenig  Mühe  ein 
Auszug  zu  kompiliren  sey,  —  dass  es  aber  dagegen  bis  jetzt,  — 
trotz  der  Menge  der  anwendbaren  Vorschläge,  ja  selbst  der 
wichtigen  Vorarbeiten  —  noch  gar  keine  leichte  Sache  sey ,  aus 
den  vorhandenen  Materialien  für  die  Geogr.  nach  Naturgrän- 
zen  und  die  damit  in  eine  abgesonderte  Verbindung  zu  bringen- 
de Statistik  das  Nothwendige  vom  Unwesentlichen  für  den 
Schulunterricht  zu  scheiden,  und  dem  Lehrer  zur  Erleichterung 
für  seinen  Vortrag  eine  zweckmässige  Vorarbeit  zu  liefern,  die 
den  Schülern  zugleich  zur  Wiederholung  dienen  könne;  so  kann 
Rez.  in  diese  —  etwas  anmaassende  Behauptung,  —  welche  ganz 
den  Anschein  hat,  als  ob  sie  das  Vorzügliche  seiner  Leistung 
auf  Kosten  anderer  verdienstvoller,  aber  der  altern  Methode 
huldigender  Geographen  herauszustreichen  suche,  —  nicht  ein- 
stimmen. Denn  er  lebt  der  Ueberzeugung,  dass  eine  Arbeit 
80  leicht,  oder  so  schwer  wie  die  andere  sey,  dass  zur  Sonde- 
rung beyder  Theile  nichts  weiter ,  als  ein  mit  Umsicht  entwor- 
fener und  mit  Konsequenz  durchgeführter  Plan,  gute  Gebirgs- 
und  Fluss- Charten  und  richtige  Begriffne  von  Politik  und  Sta- 
tistik gehören ,  und  dass  auch  beym  Entwurf  eines  tüchtigen 
Schulbuchs  nach  altem  Schrot  und  Korn  eine  verständige  Aus- 
wahl des  wesentlich  Nothwendigen  aus  der  Menge  der  vorhan- 
denen Materialien  wohl  die  schwierigste  Aufgabe  seyn  möchte. 
Rez.  irrt  wohl  nicht ,  wenn  er  behauptet ,  dass  Niemand  ,  dem 

Jahrb.  f.  Phil.  u.  PädaQ.  Jahrg.  III.  He/t  10.  JQ 


146  Geographie. 

jene  Begriffe  U.Eigenschaften  abgelien,  ein  gutes  Lehrbucli,  we- 
der nach  der  altern  noch  nach  der  neuern  Methode,  liefern  könne. 

Bey  dieser  Gelegenheit  möchte  es  auch  nicht  ganz  über- 
fllissigseyn, über  die  in  neuerer  Zeit  beliebteuNaturgränzen  einige 
Fragen  aufzuwerfen.  Was  bildet  Natiirgränzen'?  Wie  weit  dür- 
fen solche  ausgedehnt  oder  beschränkt  werden?  Und  sind  sie 
schon  auf  alle  Erdtheile  anwendbar*?  Die  sichersten  Gränzbestim- 
rmingen  geben  offenbar  solclie  Bergketten  und  Landrücken, 
welche  zwischen  den  Sti'onigcbieten  die  Wasserscheide  bestim- 
men. Der  Verf.  ist  daher  zu  loben,  dass  er  in  seinem  Werke 
meistens  dergleichen  Gränzlinien  angenommen  hat.  Schwie- 
riger ist  dagegen  die  zwevte  Frage  zu  beantworten,  weil  die 
Nationen  bey  der  Wahl  ihrer  Wohnsitze  und  bey  ihrer  spätem 
Verbreitung  sich  nur  selten  nach  den  Stromgebieten  gerichtet 
haben-  Und  diese  Verschiedenheit  der  Nationen  rauss  doch 
wohl,  so  weit  es  geht,  den  grössern  oder  geringern  Umfang 
der  einzelnen  Länder  bestimmen.  Leider  giebt  es  aber  in  Eu- 
ropa nur  4  Länder  —  die  Pyrenäische,  Italische  und  Skandi- 
navische Halbinsel,  und  die  Brittischen  Inseln  —  wo  natürliche 
und  Völker -Gränzen  so  ziemlich  mit  einander  übereintreffen. 
Bey  allen  übrigen  muss  dagegen  die  Gränzlinie  nach  Willkühr 
gezogen  werden,  und  darum  findet  man  in  den  Schulbüchern, 
welche  dieser  Lehrmethode  den  Vorzug  geben,  so  mannigfache 
Abweichungen.  —  Desto  leichter  beantwortet  sich  die  dritte 
und  letzte  Frage.  Denn  sie  kann  eigentlich  nur  auf  solche  Erd- 
theile  Anwendung  finden,  welche  uns  bereits  hinlänglich  be- 
kannt sind.  Darum  beruht  diese  Eintheilungsart  bey  fast  ganz 
Afrika,  bloss  mit  Ausnahme  der  Nordküste,  Senegambiens, 
und  des  Kaplandes,  beym  grössten  Theile  von  Hoch -Asien, 
beym  Australlande,  und  vielleicht  auch  bey  einem  Theile  des 
Innern  Amerika's  auf  willkührlichen  Annahmen. 

Endlich  sollte  auch,  nach  des  Rez.  Ansicht,  in  einem 
Lehrbuche,  welches  die  Erdbeschreibung  nach  Naturgränzen 
vorträgt,  auf  die  Topographie  nur  in  so  weit,  als  es  unumgäng- 
lich nöthig  ist,  Rücksicht  jS^enommen  werden,  damit  eines  Theils 
das  Gedächtniss  des  Schülers  —  (man  vergesse  nicht,  dass  diese 
Lehrmethode  nur  für  den  ersten  Kurs  passt)  —  nicht  zu  sehr 
angesti'engt,  und  andern  Theils  auch  Alles,  was  auf  Politik  und 
Statistik  Bezug  hat,  streng  vermieden  werde.  Rez.  kann  es 
demnach,  dieser  Ansicht  folgend ,  nicht  billigen,  dass  der  Vf. 
im  ersten Absclinitte  schon  so  viele  Orte  aufgenommen  hat;  er 
glaubt  vieLnehr,  dass  es  zweckmässiger  gewesen  sey,  wenn 
diese  Orte  erst  in  der  politischen  Abtheilung  beschrieben  wor- 
den wären.  Eben  so  wäre  es  vielleicht  besser  gewesen,  wenn 
der  Verf.  die  Angabe  der  Einwohnerzahl  erst  in  der  letzten 
Abtheilung  beygesetzt  hätte. 

Nach  diesen  Abschweifungen  kehrt  Rez.  zu  seinem  eigent- 


Dittenljerger :  Geographie  für  Gymnasien  etc.  14t 

liehen  Zweck  zurück,  nälimlicli  dem  Leser  zu  zeigen,  wie  der 
Verf.  die  sicli  gemachten  Aufgaben  gelöst  habe.  Zugleich  wird 
er  die  ihm  aufgestossenen  Mängel  —  auch  wohl  hin  und  wieder 
Gebrechen  —  nach  dem  billigen  Wunsche  des  Verf.  sine  ira  et 
studio  nachzuweisen  nicht  ermangeln. 

Das  Werk  zerfällt  in  3  Hauptabschnitte:  l)  allgemeine  Ein- 
leitung, 2)  Darstellung  de^^  Erde  nach  ISaturgränzen  und  S)  po- 
litische Geographie. 

Die  allgemeine  Einleitung  (S.l — 61)  besteht  wiederum  aus 
3  Abschnitten,  nähmlich  A)  Geographische  Fofkenntmsse(ß.l  — 
30)  mit  folgenden  8  §§  :  J^ie  Erde  vnd  ihre  Betrohner.  Ge- 
stalt und  Bewegung  der  Erde.  Grösse  des  Erdkörpers.  Der  Ho- 
7'izont  und  die  Ilimnielsgegenden.  Der  trockene  Theil  der  Erd- 
oberfläche^ oder  das  Land.  Die  auf  der  Oberfläche  des  trocke- 
nen Landes  vorhandenen  Gewässer.  Das  U  eltmeer  oder  der 
Ozean.  Die  Atmosphäre.  —  B)  Erdglobus  (S.  30  —  40)  mit 
folgenden  5  §§:  Künstliche  Erdkugel  und  ihre  Hauptlinien.  'Äo- 
nen und  Klimate.  Ekliptik.  Anwendung  des  Globus.  Die  Char- 
ten. —  C)  Eintheilung  der  Erdoberfläche  (S.  50  —  61)  mit  2  §§  : 
Entdeckungen  ;  Erdtheile ;  Hauptmeere ;  Hauptabdachungen 
der  Erdoberfläche ;  Stromgebiete  tmd  Strombecken;  Produkte. 
—  Eintheilung  der  Menschen  nach  Menschenstämme  (warum 
nicht  lieber  Ilauptrassen '?)  7iach  Völkern,  nach  SpracheJi  und 
nach  Religionen. 

Der  Leser  ersieht  schon  aus  denUeberschriften  der  einzel- 
nen §§,  dass  der  Verf.  zum  Vortrag  der  mathematischen  und 
physischen  Geogr.  sich  einen  neuen  Weg  vorgezeichnet  habe. 
Denn  zum  Gebiet  der  mathera.  G.  gehören  nur  aus  der  ersten 
Abtheilung  die§§  2,  3  und  4  und  dann  der  ganze  2teAbschnitt; 
zu  der  physischen  G.  hingegen  aus  dem  ersten  Abschnitt  die 
§§  1,  5,  (i,  7  u.  8,  so  ^yie  Verschiedenes  aus  dem  dritteii  Ab- 
scJinitt.  —  Der  zur  mathem.  Geogr.  gehörige  Theil  der  Astrono- 
mie ist  in  12  Zeilen  abgefertigt  worden.  —  In  §  1 ,  wo  auch 
schon  von  den  verschiedenen  Wohnorten  der  Menschen  gehan- 
delt wird,  heisst  es  unter  andern:  ^..Flecken  sind,  deren  Ein- 
wohner, neben  Ackerbau  und  Viehzucht,  auch  Handwerke  und 
Handel  treiben.  Wo  in  diesen  Märkte  gehalten  werden,  iVf«/Ä-/- 
flecken.'-'-  Mit  dieser  Definition  werden  nicht  alle  Geographen 
zufrieden  seyn.  Denn  viele  Orte  haben  Jahrmarktsrecht,  ujul 
sind  dennoch  nichts  als  Dörfer.  Und  wie  viele  Dörfer  giebt  es 
gegenwärtig  nicht,  wo  man  zahlreiche  Handwerker  findet,  oh- 
ne dass  sie  Flecken  oder  Marktflecken  genannt  werden  diirfen? 
Zu  dem  Begriff  eines  Marktfleckens  gehören  demnach  nicht  bloss 
Jahrmärkte  und  Handwerker,  sondern  auch  gewisse  städtische 
Rechte,  und  insonderheit  die  Befugniss  der  Einwohner,  sich 
Bürger  nennen  Zjjv^ürfen.  Auch  müssen  wirkliche  Marktflecken 
siqh  durch  Anlage  u,ud  städtische  Bauart  wenigstens  zum  TheU 


10 


* 


148  Geographie. 

vor  den  Dörfern  auszeichnen.  —  Ferner  theilt  hier  der  Verf. 
die  Städte  nur  in  Berg-,  Handels-  und  Seestädte  ein.  Warum 
übergeht  er  aber  die  Fabrik- und  Ackerstädte  ?  —  Die  Beweise, 
dass  die  Erde  sich  um  dieSonne^  u.  die  Sonne  sich  nicht  um  die 
Erde  drehe,  sucht  man  vergeblich.  —  Der  Verf.  unterschei- 
det zwar  bey  Betrachtung  der  Erdoberfläche  Landhöhen  oder 
Erdbuckel  von  etwa  1000  F.  und  Hochebenen  bis  zu  8  —  9000 
F.  Höhe,  aber  unrichtig  ist,  dass  er  nur  die  erstem  Plateau's 
nennt,  da  doch  diese  Benennung  jeder  Ebene,  die  nicht  Tief- 
land ist,  zukommt.  Von  Humboldt  bezeichnet  ja  selbst  alle 
Hochebenen  Amerika's  auf  dem  Rücken  der  Anden  mit  diesem 
Nahmen.  Ferner  ist  hier,  trotz  aller  Ausführlichkeit,  das  Stu- 
fenland nicht  beachtet  worden.  Auch  werden  nicht  alle  Leser 
der  Klassification  der  Gebirge  beystimmen.  Denn  nach  dersel- 
ben ist  eine  Anhöhe  50  — 100,  und  ein  Hügel  bis  1000  F.  hoch, 
alle  andere  Erhöhungen  über  1000  F.  werden  Berge,  und  bis 
zu  10,000  F.  und  drüber  Alpen  genannt.  Es  ist  jedoch  dabey 
nicht  bemerkt,  ob  die  Höhe  vom  Meeresspiegel,  oder  von  der 
Ebene  (oder  dem  Fusse)  gerechnet  werden  soll.  Rez.  glaubt 
seiner  Seits ,  dass  der  Unterschied  zwischen  Hügel  und  Berg, 
wenigstens  im  gemeinen  Leben ,  nicht  sowohl  auf  der  absolu- 
ten Höhe,  als  vielmehr  auf  der  Lage  beruht.  Denn  ein  auf  einer 
Hochebene  von  2  bis  3000  F.  Seehöhe  sich  erhebender  100  F. 
hoher  Gipfel  wird  sicher,  obschon  er  dann  eigentlich  Berg  ge- 
nannt werden  sollte ,  nur  als  Hügel  gelten,  zumahl  wenn  in  sei- 
ner Nähe  bedeutend  höhere  Gipfel  sich  befinden.  Noch  weniger 
möchte  die  Anwendung  des  Nahmens-^/;jew  auf  alle  höhere  Ge- 
birge passen.  Denn  nur  solche  Berggipfel  dürfen  auf  dieses 
Beywort  Anspruch  machen,  welche  reich  an  Pflanzen  und  Wai- 
den sind,  und  kein  Geolog  wird  kahle  Gebirge,  und  wenn  sie 
noch  höher  sind,  Alpen  nennen.  Warum  hat  der  Verf.  nicht 
lieber  das  so  bezeichnende  Wort  ^ocÄ^e^jVg'e  dafür  gewählt?  — 
Eben  so  stellt  der  Verf.  bey  Bestimmung  der  Qualität  der  Ge- 
birge keinen  Stich  haltende  Hypothesen  auf.  Nach  ihm  muss 
nähmlich  ein  Hauptgebirg  über  30,  ein  Miltelgebirg  an  20 — 30, 
und  ein  kleineres  Gebirg  bis  10  MI.  lang  seyn.  Aber  dieSerra  de 
Caldeirao  (Monchique)  im  südlichen  Portugall,  welche,  nach 
Bory  de  S.  Vincent,  als  ein  für  sich  bestehendes  Gebirgs- 
System  angesehen  werden  muss,  hat  nur  eine  Länge  von  16 — 17 
Ml.  und  muss  doch  als  ein  Hauptgebirge  gelten.  Dagegen  ha- 
ben die  Apenninen  bekanntlich  eine  Ausdehnung  v.  180  MI.,  und 
sind  dennoch  nur  ein  Ast  der  Alpen  ,  mithin  ein  Nebengebirge. 
—  Dasselbe  gilt  auch  von  der  Bestimmung  der  Länge  des  Laufs 
derFliisse.  Flüsse  von  10  —  60  Ml.  sind  nach  ihm  Küstenflüsse, 
von  60  — 200  Ml.  kleine  Flüsse ,  von  200  bis  400  Ml.  mittlere^ 
und  bis  400  Ml.  und  drüber  grosse  Flüsse.  Nach  diesem  Maass- 
stabe Bind  also  die  Themse,  Severne,  Scheide  u.  s.  w.  nur  Kü- 


Dittenberger  :  Geographie  für  Gymnasien  etc.  149 

stenflüsse,  und  Europa  hat  nur  2  frrosse  Ströme,  die  Wolga  und 
die  Donau.  Selbst  der  mächtige  St.  Lorenz  in  Nord -Amerika, 
wenn  man  ihn  als  denAbfluss  des  Ontario- Sees  betrachtet,  wäre 
nur  ein  kleiner  Fluss,  und  der  Orinoko,  Francisco,  Tocantines, 
Magdalena  u.  s.  w.  dürften  nur  als  Flüsse  mittlerer  Grösse 
gelten. 

Der  2te  Abschn.  beschäftigt  sich,  wie  schon  oben  bemerkt, 
lediglich  mit  der  Erklärung  der  vornehmsten  Lehrsätze  der  ma- 
them.  Geogr.,  so  weit  solche  mit  dem  Globus  in  Beziehung  ste- 
hen. Doch  hat  sicli  der  Verf.  dabey  ziemlich  kurz  gefasst, 
und  sich  meist  auf  das  Unentbehrliche  beschränkt.  Darum 
sticht  auch  dieser  Abschnitt  sehr  ^e^^*ii\  den  vorigen  ab,  wo  bey 
den  Vorkenntnissen  der  phys.  Geogr.  hin  und  wieder  eine  an 
Weitschweifigkeit  gränzende  Ausführlichkeit  vorherrscht. 

Im  3ten  Abschn.  wird  von  den  geographischen  Vorkennt- 
nissen im  Allgemeinen  gesprochen.  Ueber  die  Eintheilung  und 
Klassification  der  Europäischen  Gebirge  Hesse  sich  manches  erin- 
nern; aber  noch  immer  sind  die  Geologen  darüber  nicht  einig, 
welche  darunter  auf  den  Rang  der  Hauptgebirge  Anspruch  ma- 
chen dürfen,  und  so  mag  dieselbe  auf  sich  beruhen.  x\ber  ge- 
tadelt rauss  es  dagegen  werden,  dass  er  von  den  Gebirgen 
Hoch -Asiens,  Altai,  Mustag  und  Mussart,  mit  einer  Zuversicht 
spricht ,  als  ob  sie  schon  völlig  erforscht  wären.  —  Von  den 
Anden  wird  gesagt,  dass  sie  aus  Süd-Amerika  über  die  Land- 
enge von  Darien  durch  das  /wwe;e  von  Nord -Amerika  ziehen. 
Aber  sie  streichen,  wenn  anders  die  Charten  richtig  sind,  auch 
hier,  wie  in  Süd -Amerika,  längs  der  Westküste  hin,  und  drin- 
gen nirgends  ins  Linere  ein.  Denn  weder  die  Alleghanys  noch 
das  Landeshaupt  dürfen  als  Nebenzweige  derselben  angesehen 
werden.  —  Unter  den  Hauptsprachen  Europa's  ist  auch  eine 
Sarmatische  angeführt.  Wo  soll  diese  zu  Hause  seyn?  die  Poh- 
lische kann  nicht  darunter  gemeint  seyn  ,  da  sie  hier,  wie  es 
sich  von  selbst  versteht,  als  ein  Hauptdialekt  der  Slawischen 
bemerkt  wird. 

Der  2te  Hauptabschnitt  (S.  62 — 244)  handelt  von  der  Geo- 
graphie nach  Naturgränzen ,  ohne  dass  ilim  jedoch  ein  beson- 
derer Titel  gegeben  worden  ist. 

Europa  (S.  62  — 190).  Der  Flächenraum  utisers  Erdtheils 
soll  kleiner  seyn ,  als  der  Australiens.  Da  aber  demselben  seine 
natürlichen  Gränzen  gegen  Asien  (nähmlich  das  Ural-Gebirge 
mit  dem  Landrücken,  der  denKüstenfluss  Ilmba  noch  an  Europa 
überweist,  der  Kaspische  See  und  der  Kaukasus)  gegeben  wor- 
den sind,  so  steigt  sein  Areal,  wie  er  auch  hier  bestimmt  wird, 
auf  wenigstens  180,000  □  ML  Da  aber  ferner  der  Australiens, 
nach  Hassels  Berechnung,  nur  etwa  159,000  Q  MI.  beträgt,  so 
gebührt  Europa  der  Vorrang  vor  Australien.  —  Sehr  zweck- 
mässig wird  Europa  durch  Wasserscheiden  in  die  nördliche  und 


15d  Geographie. 

südliche  Abdachung  abgetheilt ,  und  zwar  vermittelst  des  Kan- 
tabrischen  Gebirgs,  der  Pyrenäen,  der  Sevennen,  des  Mont- 
Pilas,  Cote  d'Or,  Jura,  (sollte  heissen  mit  dem  Jurat,)  der  Alpen, 
des  Schwarzwalds,  der  Alb,  Fichtelgebirge,  des  Böhmerwalds, 
der  Sudeten,  Karpathen,  des  Pohlischen  LandrVickens ,  der 
Alaunischen  und  Waldaischen  Berge  und  des  Russischen  Land- 
rückens bis  zum  Ural.  Hier  fehlen  also  noch  die  Fränkischen 
Landrücken  und  das  Mährische  Gebirge.  Mit  der  nördlichen 
Abdachung  hat  es,  mit  Ausnahme  Finnlands  und  der  Skandina- 
vischen Halbinsel,  so  ziemlich  seine  Richtigkeit.  Aber  der  süd- 
lichen steht,  wenn  man  auch  die  Flussgebiete  desEbro,  Po  und 
Dniester  weiter  nicht  beachten  will,  das  Stromgebiet  der  nach 
O.  fliessenden  Donau  entgegen,  welches  wegen  seines  grossen 
Umfangs  wohl  eine  besondere  Auszeichnung  verdient  hätte.  — 
Die  Wolga -Gebirge  sollen,  vom  Kaukasus  aus,  weit  nach  N. 
hinauf  gehen.  Diess  ist  wohl  eine  unerwiesene  Behauptung. 
Denn  in  N.  des  Kaukasus  breitet  sich  ja  die  weite  Kaukasische 
Steppe  aus ,  welche  vom  Kaspischen  See  bis  zum  Schwarzen 
Meere  reicht,  und  offenbar  einst  Meeresgrund  gewesen  ist.  — 
Unter  den  Küstenflüssen  hat  Rez.  nur  die  Pregel  vermisst,  v/el- 
cher  aber  doch  ein  Platz  gebührt  hätte,  weil  dieEyder,  der 
Hucar,  Arno,  Strymon  etc.  aufgezählt  worden  sind.  —  Bey 
den  Producten  hätten  unter  den  Fischen  auch  die  Thunfische 
und  Sardellen  erwähnt  werden  sollen.  —  Die  Bevölkerung  wird 
hier  nur  zu  206  Mill.  angeschlagen.  Da  sie  aber,  bey  der  en- 
gern, die  untere  Wolga  ausschliessenden,  Begränzung,  schon 
im  J.  1825,  nach  Hassel,^  auf  208,850,000  Köpfe  stieg,  so  kön- 
nen für  das  J.  1827  gewiss  wenigstens  220  31111.  gerechnet 
werden. 

Spanien  oder  Pyrenäische  Halbinsel  (S.'Tl  —  81).  Dass  die 
Halbinsel  im  Innern  eine  ausgedehnte  Hochebene  sey,  wird 
nicht  erwähnt.  Bey  Aufzählung  der  Gebirge  hat  der  Verf.  we- 
der Bory  de  S.Vincent,  nocliAntillon  benutzt.  Denn  er  bezeich- 
net die  Gebirge  Guadarama ,  von  Toledo  und  Morena  nur  als 
Nebenzweige  des  Iberischen  Gebirgs  und  erwähnt  die  Sierra 
Nevada  nur  nebenbey.  —  Unter  den  Küstenflüssen  hätten  auch 
Nalon,  Segura,  Guadaluviar,  Hucar  und  Llobregat  genannt  wer- 
den können.  —  Frankreich  0(\.Q^v  West- Alpen  oder  Sevetmen- 
latid  (S.  82  —  89).  Der  Flächenraum  (10,000  D  MI.)  und  die 
Volksmenge  (28 Mill.)  sind  offenbar  zu  hoch  angeschlagen,  weil 
die  nördlichen  Departements,  so  weit  solche  zu  den  Stromgebie- 
ten des  Rheins,  der  Maas  und  der  Scheide  gehören,  davon  ab- 
gerechnet werden  müssen  ,  und  die  der  Lage  nach  zu  Frank- 
reich gehörigen  Gebietstheile  (Savoyen,  Wallis,  der  südliche 
Theil  des  Kant.  Waad,  und  die  Normannischen  Inseln)  bey  wei- 
tem keinen  vollen  Schadenersatz  gewähren.  —  Nantes,  obschon 
es  an  der  Loire  selbst  liegt,  ist  sonderbarer  Weise  zum  Ge- 


DUtcnberger:  Geographie  für  Gymnasien  etc.  151 

biet  der  Küstenflüsse  gczof^cii.     Und  Calais  gehört  ja  der  Lage 
nach  schon  zu  den  INiederlanden.  —    Italien  oder  kind- Al}>€n- 
land  (S.  90 — 100).  Unter  den  Küstenfliissen  hat  Rezv  d.  13  g. 
Ml.  langen  Ofanto  vermisst.  Der  Mont-Uosa  hat  hier  cinellöhe 
von  lo,()0()Fuss  erhalten.  Indess  ist  ihm  in  der  dem  Werke,  bey- 
gegebenen  Gebirgs- Tabelle  die  allem  Vermuthen  nach  richti- 
gere Hohe  von  14,580  F.  beygesetzt  worden.    Hey  Sizilien  ist 
östliche  statt  loestliche  Abdachnng  zu  lesen.     Und  vmter  den.  Li- 
parisclien  Inseln    hätte  die  gleichnahmigc  Ilauptinsel  mit  der 
auch  denselben   Nahmen  luiirenden  Hauptstadt  besonders  be- 
merkt werden  sollen.     Auch  hätte  bey  der  Maremna  von  Siena 
ihre  grosse  Ausdehnung  (überlOOQ  311.)  angeführt  werdenkon- 
nen.     Uebrigens  hat  diese  Halbinsel  für  das  bey  Frankreich 
beschriebene  Savoyen  durch  den  Schweizer  Kanton  Tessino,  das 
obere  Gebiet  der  Etsch  und  Istrien  nebst Friaul  und  dem  Deut- 
schen Litorale  reichen  Schadenersatz  erhalten,  und  «o  ist  sie 
in  ihrer  ganzen,    derselben  von  der  Natur  angewiesenen  Aus- 
dehnung dargestellt  worden.    —    Deutschlcmd  oder  Nord-^Al- 
peidand  (S.  100  — 149).   Dieses  hat,  nach  des  llez.  Ueberzeu- 
gung,  durchaus  eine  zu  grosse  Ausdehnung  bekommen.  Denn  es 
umfasst  nicht  allein  die  Stromgebiete  der  Scheide,  des  Rheins 
mit  der  Maas,  der  Weser,  Elbe  und  Oder  nebst  dem  KR.  Dä- 
nemark, sondern  auch  das  obere  Donau -Gebiet  bi§  zur  Gränsse 
!Ung.arns  hinab ,  nur  mit  Ausnahme  der  von  der  Drau,  Sau  und 
-Leytha  bewässerten  Landschaften.     Ist  diess  aber  eine  Abthei- 
lung nach  Naturgränzen'?  Zwar  fühlt  Rez.  recht  gut,  dass  das 
;ausgedehnte  Strombecken  der  Donau,  weil  es  von  so  verschiede- 
nen Nationen  bewohnt  wird,  und  weil  es  erst  mit  der  Mündung 
des  Lech  einige  Breite  gewinnt,  bey  der  Eintheilung  nach  Na- 
turgränzen  der  grösste  Stein  des  Anstosses  ist;   er  weiss  über- 
diess,  dass  noch  kein  Geograph,  der  beym  ersten  Unterricht 
den  Naturgränzen  vor  den  politischen  den  Vorzug  giebt,  dieses 
Stromgebiet  als  ein  besonderes  Land  zu  behandeln  sich  erlaubt 
hat;    gleichwohl  ist  er  der  Meinung,  dass  es,  wenn  jene  Einthei- 
lung nicht  Spielerey  seyn  soll,  schlechterdings   als  ein  beson- 
.  deres  Ganzes  dargestellt  werden  inüsse,  und  höchstens  wegen 
seines  grossen  üinfangs  in  das  obere  und  untere  zerlegt  werden 
könne.     Ueberdiess  hält  Rez.  dafür,  dass  es   nichts  schaden 
würde,  wenn   auch  das  Stromgebiet  des  Rheins  mit    dem  der 
Scheide  als  ein  eignes  Land  angenommen  werden  sollte. —  Der 
Deutschland  in  diesem  Umfange  gegebene  Flächeninhalt  voin 
15,000  n  MI.  scheint  eher  zu  gering  als  zu  hoch  zu  seyn.  — ^Ui^- 
ter  den  Vorgebirgen  wird  die  Spitze  von  Skagen  als  das  einzige 
angeführt.      Aber  der  Verf.  hat  dabey  das    Kap  Arkona  auf 
Rügen  ausser  Acht  gelassen.      Das  nördliche  Deutschland  soll 
auch  e/«?^e Sandstrecken  und  '/i»e«/^e,Sürapfein  sich  fassen.  Der 
Wahrheit  jbu  Ehren  hätte  aber  der  Verf.  sagen  sollen:  ciusge- 


152  Geographie. 

dehnte  Sandstrecken  und  zahlreiche  Sümpfe  und  Moore  zum 
Theil  von  bedeutendem  Umfang.  Und  Rez.  hat  wohl  nicht  nö- 
thig,  wegen  dieser  Behauptung  nähern  Beweis  zu  führen.  — 
Die  Volksmenge  ist  nur  zu  42  Mill. ,  also  bey  der  gegebenen 
Ausdehnung  um  3  bis  4  Mill.  zu  niedrig,  angeschlagen.  —  Im 
Donau 'Gebiet  ist  auch  Wunsiedel  einrangirt,  obschon  dieser 
Ort  an  der  Rösla,  einem  Nebenflüsschen  der  Eger,  liegt.  Im 
Rhein -Gebiet  sucht  man  unter  den  Nebenflüssen  dieses  Stroms 
die  Nahe,  Erft  etc.  vergeblich.  Auch  sind  bey  keinem  der  ge- 
nannten Nebenflüsse  deren  Nebengewässer  genannt,  und  Reuss, 
Linth,  Ziehl,  Ens,  Kocher,  Jachst,  Saale,  Rednitz,  Tauber, 
Saar,  Sur,  Sambre,  Urthe,  Dommel  etc.  sind  erst  in  den  ün- 
terabtheilungen  aufgezählt  worden.  Im  Elbe -Gebiet  werden 
unter  den  Nebenflüssen  dieses  Stroms  bloss  die  Moldau  mit  der 
Beraun  und  Eger  nahrahaft  gemacht.  Allein  bey  grösserer  Kon- 
sequenz würden  auch  Luschnitz ,  Watawa  und  Sazawa  nicht 
vergessen  worden  seyn.  Endlich  hätte  die  an  Schwedens  Kü- 
ste liegende  Insel  Bornholm  aucli  bey  Skandinavien  beschrieben 
werden  sollen.  —  Gross -Britanieti  oder  die  Nordsee- Inseln 
(S.  150—160).  Der  berühmte  Riesendaram  soll  aus  30,000  Ba- 
saltsäulen bestehen.  Wer  hat  sie  aber  gezählt?  Im  §  Einwoh- 
ner heisstes:  „Die  Bewohner  dieser  Inseln  stammen  von  den 
alten  Gelten  oder  Caledoniern  ab ,  aus  welchen  sich  im  Laufe 
der  Zeit  durch  Vermischung  mit  den  Römern,  Normännern  und 
Angelsachsen  die  jetzige  Brittische  Nation  gebildet  hat."  Die- 
ses passt  wohl  auf  das  Gros  der  Brittischen  Nation,  auf  die  Eng- 
länder, aber  keinesweges  auf  die  Walliser  oder  Kymmren,  auf 
die  Hochschotten  und  Irländer,  welche  sich  fast  unvermischt 
erhalten  haben ,  und  noch  heut  zu  Tage  ihre  alten  Sprachen 
reden.  Uebrigens  werden  die  Inseln  zweckmässig  nach  ihren 
Abdachungen  dargestellt.  Der  Lage  wegen  hätten  auch  hier 
die  Faröer- Inseln  und  Island  aufgenommen  werden  sollen.  — 
Skandinavien  oder  Kiölenland  (S.  161  — 165).  Der  Flächenraum 
wird  zu  16,000,  also,  weil,  wie  aus  der  Angabe  der  Gränzea 
hervorgeht,  das  Russische  Lappland  nicht  mit  hieher  gezogen 
worden  ist,  um  wenigstens  2000  Q  Ml.  zu  hoch,  angegeben. 
Sehr  willkührlich  werden  auch  die  Inseln  Faröer,  Island  und 
Spitzbergen  mit  besonders  bemerktem  Flächenraum  dazu  gezo- 
gen. S.  162  heisst  es:  „Wegen  des  sandigen,  steinigten  und 
eisenhaltigen,  auch  hie  und  da  sumpfigten  Bodens  ist  kaum 
der  24te  Theil  angebaut"  Das  angegebene  Verhältniss  des 
urbaren  Bodens  hat  allerdings  seine  Richtigkeit,  allein  an  die- 
sem geringen  Anbau  ist,  nach  dem  Urtheil  der  neuern  Reisen- 
den, nicht  sowohl  der  sterile  Boden,  als  vielmehr  der  Man- 
gel an  Uär^den  Schuld ,  weshalb  der  grösste  Theil  der  Ober- 
fläche ,  ohne  Rücksicht  ob  er  kulturfähig  sey  oder  nicht ,  mit 
Wald  bedeckt  bleibt.  Selbst  die  bevölkertste  Provinz  des  Reichs, 


Dittcnberger:  Geographie  für  Gymnasien  etc.  158 

Schonen,  könnte,  bey  vollkommener  Benutzung  aller  kulturfä- 
higen Läntlereyen,  die  doppelte,  wenn  nicht  die  dreyfache  Volks- 
zahl ernähren.     Auch  die  Bevölkerung  ist  nur  zu  3^  Mill.,  mit- 
hin um  einige  1 00,000  Kopfe  zu  niedrig,  angegeben.  —  Fohlen 
oder  Nord-Karpathe7iland   (  S.  167 — ITO).    Dieser  Abschnitt 
hat,  indem  er  die  Flussbecken   der  Weichsel,  Pregel  und  des 
Wieraen  umfasst,  eine  naturgemässe  Begränzung  erhalten;  doch 
hätten  noch  die  Orte  Libau  und  Windau  hieher  gezogen  werden 
sollen.     Der  Flächengehalt  von  5700  G  Ml.  möchte  wohl  etwas 
zu  niedrig  seyn.     Nicht  bloss  die  hier  wohnenden  Deutschen 
sind    grösstentheils  Protestanten,    sondern   auch  die    in  Ost- 
Preussen  ansässigen  Litthauer.  —    Russland  oder  Uralland  (S. 
170 — 179).  Diesen  ungeheuren  Landstrich,  demeinFIächenraura 
von  mehr  aic  92,000  □  Ml.  zugetheilt  ist,  wVirde  Rez. ,  wegen 
des  so  unverhältnissmässigen  Umfangs ,  in  2  oder  noch  lieber  3 
Ländermassen   zerlegt   haben,    und  zwar  ])  in  das  nördliche 
Uralland,  welches  die  ganze  nördliche  Abdachung  in  sich  schlie- 
ssen;  2)  in  das  südliche  Uralland,  welches  das  ganze  Strom- 
gebiet der  Wolga  mit  den  übrigen  in  den  Kaspischen  See  sich 
ausmündenden  Flüssen  begreifen;  u.  3)  in  das  Dnieperland,  das  die 
Flusssysteme  des  Don,  des  Dniepers,  des  Dniesters  u.  des  Kuban 
befassen  könnte.     Denn  dass  dieser  so  ausgedehnte  Landstrich 
nur  Einem  Herrscher  gehorcht,  das  kann  hier  für  keinen  aus- 
reichenden Grund  gelten,  denselben  als  ein  Ganzes  darzustel- 
len. —  Auch  hier  wird  wiederhohlt,  dass  das  Wolga -Gebirge 
vom  Kaukasus  an  nach  N.  streiche.     Aber  dieses  Gebirge  be- 
ginnt erst,    wie  jede  gute  Charte  nachweist,    am   nördlichen 
Ende  der  Kaukasischen  Steppe,  in  der  Nähe  der  Quellen  des 
Flusses  Sarpa,  und  steigt  von  da  an  nun  nach  N.  hinauf.     An- 
statt die  2i>es</ecÄe  Abdachung  muss  es  heissen :    nördliche.  Die 
hier  beschriebenen  Städte  Windau  u.  Libau  gehören,  wie  schon 
gesagt,  der  Lage  nach  zu  Pohlen.     Flussgebiet  des  Dniepers, 
Dieser  Strom  soll  bey  Kiew  bereits  3000  F.  breit  seyn,  gleich- 
wohl wird   der  dort  über  denselben  führenden  Schiffsbrücke 
nur  eine  Länge  von  1400  F.  gegeben.     Wie  geht  das  zu?  — 
Ungarn  oder  Süd  -  Karpatheiiland  (S.  179  — 184  ).    Dieses  be- 
greift nicht  nur  das  ganze  Donau -Gebiet  von  der  Gränze  Nie- 
der-Oesterreichs   an  bis  zum  eisernen  Thore  hinab,  mit  Ein- 
schluss  der  Gebiete  der  Baab,  Drau  und  Sau,  sondern  auch 
den  Küstenstrich  längs  des  Adriatischen  Meers  von  Istrien  an  bis 
nach  Cattaro  hinunter,  also  die  Ungarischen  Länder,  Sieben- 
bürgen, Servien  und  Bosnien,  Dalraatien,  den  grössten  Theil 
von  lUyrien  und  Steyermark  und  Theile  von  Nieder -Oester- 
reich  und  Tyrol.     Der  Flächengehalt  soll  8400  Q  Ml.  betragen. 
—  Türlcey  oder  Hämus  -  Halbinsel  (S.  184  — 190).    Auch  hier 
wird  der  unpartheyische  Leser  bey  dem  angenommenen  Umfang 
eher  auf  politische  als  auf  Naturgränzen  schliessen.   Denn  die- 
ser Landstrich  fasst  nicht  allein  die  Griechische  Halbinsel,  son- 


154  Geographie. 

der«  auch  das  untere  Gebiet  der  Donau  vom  eisernen  Thore  an, 
also  die  ganze  Europäische  Türkey  bloss  mit  Ausnahme  von 
Bosnien  und  Servien  in  sich ,  wozu  noch  die  loniscJien  Inseln, 
denen  nur  eine  Volkszahl  von  18Ü,00(»  (  statt  230,01)0)  K.  ge- 
geben wird,  kommen.  Rez.  aber  hält  dafür,  dass,  wenn  Euro- 
pa einmahl  nach  Natur^jränzen  dargestellt  werden  soll,  auch 
die  Griechische  Halbinsel,  zu  welcher  nicht  bloss  das  eigent- 
liche Griechenland,  sondern  auch  Thrakien,  Makedonien,  Al- 
banien u.  Dalraatien  mit  den  Ionischen  Inseln  zu  rechnen  sind, 
vom  Donaubecken  getrennt,  und  als  ein  fürsich  bestehendes  Gan- 
zes behandelt  werden  miisse. —  Ueberhaupt  scheint  in  diesem 
Abschnitte  eine  besondere  Fliichtigkeit  zu  walten.  In  Morea 
ist  nicht  einmahl  die  heutige  Hauptstadt  Tripolitza,  und  eben  so 
wenig  der  Haven  Navarin  aufgenommen,  und  auf  der  Ionischen 
Insel  Zante  sucht  man  auch  deren  Hauptstadt  mit  1J),IM)0  Einw. 
vergeblich.  Der  Hauptort  der  Mainotten  heisst  ferner  nicht 
Maina,  sondern  Skutari,  nach  andern  Zitries.  Aber  was  dem 
aufmerksamen  Leser  am  unerwartetsten  vorkommen  möchte, 
ist,  dass  der  Verf.  selbst  die  an  der  Asiatischen  Rüste  liegen- 
den Inseln  des  Griechischen  Archipelags,  als  Rhodos,  Sa- 
nios ,  Skios  (das  hier  noch  immer  130,000  Einw.  zugetheilt  be- 
kommen hat)  und  andere,  welche  jedes  geograph.  Handbuch, 
das  nichts  von  Naturgränzen  weiss  ,  als  Asiatische  Inseln  auf- 
zählt,  hier  zu  Europa  gezogen  hat. 

Beym  Schlüsse  dieses  Abschnitts  muss  Rez.  noch  bemer- 
ken, dass  die  den  Städten  beygesetzten  Einwohnerzahlen  häu- 
fig aus  älteren  Angaben  entlehnt,  ujid  mithin  schon  durch  neuere 
verdrängt  worden  sind.  So  hat  hier,  um  nur  einige  Bey spiele 
aufzustellen,  Madrid  noch  168,000,  Antequera  40,000,  INions 
9000,  Perugia  16,000,  Cittavecchia  12,000,  Reggio  (in  Kala- 
brien)  16,000,  Ancona  17,000,  Cagliari  35,000,  Sassari  30,000, 
Sigmaringen  3000,  Baden  in  Oesterreich  6000,  Brunn  20,000, 
Stuttgart  23,0(M),  Frankfurt  a.  M.  60,000,  Liraburg  (i.  d.  Nie- 
derlanden) 8000,  Solingen  9000,  Quackenbriick  4700,  Ilano- 
ver  23,000 ,  Nordhausen  und  Burg  jedes  7000 ,  Dover  4000, 
Norwich  37,000,  Harwich  3000,  Nottingham  34,000,  Yoik 
18,000,  Hüll  20,000,  Dublin  196,000,  Lim erik  50,000,  Chri- 
stiania  11,«!00,  Lemberg  42,000,  St.  Petersburg  336,000,  3Ios- 
kau  328,000,  Saratow  7000,  Pesth  48,000,  Debretzin  38,000, 
Laibach  20,000,  Ragusa  6800,  Janina  50,000,  Skutari  (in  Al- 
banien) 16,000  Einw.  etc. 

Asie7i  (S.191 — 214).  Auch  hier  kommt  dieser  Erdtheii 
hinsichtlich  seines  Areals,  das  nur  zu  700,000  D^^l^-  angeschla- 
gen wird ,  viel  zu  kurz  ,  da  er  von  neuern  Geographen  z.  B. 
Hassel  auf  818,700  DMl.  berechnet  wird.  Auch  hier  ver- 
schweigt der  Verf.,  dass  wir  von  den  Gebirgen  Hoch -Asiens 
noch  fast  gar  nichts  Näheres  wissen*     Unter  den  Landseen  leh- 


Dittenberger  :  Geograylile  für  GjTnnasIcn  etc.  155 

len  der  Uramich  ,  das  todte  Meer,  die  Chinesischen  Seen  etc. 
S.  193  sagt  der  Verf.:  „der  lleichthnm,  die  Mannigfaltigkeit  und 
die  Güte  der  Produkte  ist  in  diesem  Weittheile  grösser,  als  in 
jedem  andern,  obgleich  der  Anbau  des  Landes  sehr  veriiach- 
lässfgt  nn'/d.'-''  Wenn  derselbe  aber  dabey  an  China  und  Japan 
gedacht  hätte,  so  winde  er  nur  gesagt  haben  :  grössten  Tlieils. — 
Dieser  Erdtheil  wird  zuvörderst  in  Mord -Mittel-  und  Siid-yVsien 
eingetheilt.  Und  auch  die  Unterabtheilnngen  sind  im  Ganzen 
dieselben,  -wie  man  sie  in  jedem  geogr.  Ilandbuche findet.  Die 
T)edeutendsten  Abweichungen  sind  die,  dass  das  ganze  Strom- 
gebiet des  Indus  zu  Vorder -Indien,  und  der  Kreis  von  Nert- 
schinsk  zumTungusenlande  gerechnet  wird.  Rez.  hoffte  wenig- 
stens ,  dass  Syrien  zu  Arabien  geschlagen  w  orden  seyn  würde, 
von  welchem  es  der  Lage  nach  einen Theil  ausmacht;  allein  er 
fand  diese  Hoffnung  nicht  bestätigt.  —  In  der  Beschreibung 
Tungusiens  sind  Rez.  verschiedene  Irrungen  aufgefallen.  Das 
Land  soll  nur  an  einzelnen  Orten  zum  Ackerbau  tauglich  seyn. 
Ist  dieses  Land  aber  bereits  so  genau  erforscht,  dass  man  diess 
so  apodiktisch  niederschreiben  darf?  Auch  findet  diese  Be- 
"hauptung  wenigstens  auf  die  wegen  ihrer  Fruchtbarkeit  berVihra- 
ten  Ufer  des  Amur  keine  Anwendung,  weshalb  auch  die  Chine- 
sen so  Iiohen  Werth  auf  diese  Besitzung  legen.  Die  Tungusen, 
nähmlich  die  Stämme ,  die  gewöhnlicher  Manschuren  genannt 
werden,  sollen  zum  Theil  Nomaden  seyn  u.  von  Jagd  u.  vom  Zo- 
belfange leben ,  auch  meistens  als  Anhänger  des  Lama  gelten. 
Aber  nachTimbowsky  sind  jetzt  die  Manschuren  durchgehends 
ansässig,  und  keinesweges  Lamaiten,  sondern  Schamanen.  — 
Der  Flächenraum  Japans  ist  nur  auf  8000  OMl.  geschätzt.  — 
Von  der  Bevölkerung  China's  heisst  es:  „China  ist  ausserordent- 
lich bevölkert,  und  man  schätzt  seine  Einwohnerzahl  weit  über 
100  Mill."  Richtiger  sollte  es  heissen:  sehr  verscliieden  von 
1-15  b.  SSOMill.  —  Makao  wird  auch  hier  nur  emo,  Halbinsel  ge- 
nannt. Dagegen  ist  die  in  deren  Nähe  liegend«,  von  gefürch- 
teten Seeräubern  bewohnte  Inselgruppe  erwähnt.  —  Die  Grö- 
sse Vorder -Indiens  mit  Einschluss  von  Thibet  und  des  ganzen 
Stromgebiets  des  Indus  ist  nur  zu  85,000  0^^1-  bestimmt.  — 
In  Persien  sind  Abuschahr  und  Bender -Abassi  als  2  besondere 
Städte  beschrieben,  obschon  es  nur  verschiedene  Nahmen  eines 
und  desselben  Orts  sind. 

Afrika  (S.215  —  224).  Dieser  Erdtheil  wird  hier  nur  in 
Nord-  und  Süd -Afrika  unterschieden.  Die  Unter -Abtheilungeu 
bieten  von  den  gewöhnlichen  nur  wenig  Abweichungen  dar.  In 
dem  von  den  Gebirgen  handelnden  §  heisst  es:  „Afrika  wird  von 
W.  nach  O.  von  einer  grossen  Gebirgskette  durchschnitten,  in 
W.  Sierra  Leona  und  Kong-Gebirge,  in  der  Mitte  die  Monds- 
gebirge, in  O.  die  Ilabessinischen  Alpen  genannt ,  durch  welche 
die  ungeheure  Halbinsel  in  den  nördlichen  und  südlichen  Theil 


156  Geographie. 

zerfallt."  Darf  man  aber  diese  noch  durch  Nichts  erwiesene 
Hypothese  in  einem  Lehrbuche  schon  als  eine  ausgeraacliteWahr- 
heit  aufstellen  1  Wenn  der  Niger,  wie  Clapperton  behauptet, 
sich  wirklich  in  den  Meerbusen  von  Benin  ausmündet ,  so  ist 
der  Zusammenhang  der  Gebirge  Kong  und  AI  Komry  oder 
Mondsgebirge  eine  physische  Unmöglichkeit.  —  Der  Marawi 
wird  hier,  obschon  seinen  Umfang  noch  kein  Europäer  gesehn, 
viel  weniger  bestimmt  hat,  der  grösste  See  Afrika's  genannt. 
Und  doch  ist  es  leicht  möglich,  dass  die  Seen  Tsat  und  Aqui- 
longa  ihn  an  Ausdehnung  übertreffen,  oder  wenigstens  die 
Wage  halten.  —  Die  Bevölkerung  wird  (wohl  eher  zu  hoch 
als  zu  niedrig)  zu  140  Miil.  angeschlagen.  —  Die  Ureinwohner 
Nubiens  sollen  von  brauner  Farbe  seyn;  aber  nach  Burkhardt 
und  andern  sind  sie  mehr  schwarzbraun.  Unter  den  Orten  ist 
der  wichtige  Handelsplatz  Schendy  vergessen  worden.  —  Die 
Zahl  der  Oasen  in  der  Sahara  ist  sehr  genau  auf  32  festgesetzt. 
Sollte  man  nicht  glauben,  diese  Wüste  gehöre  schon  zu  den  völ- 
lig erforschten  Ländern?  Der  Niger  gilt  hier  noch  als  Step- 
penfluss. 

Amerika  (S.225 — 240).  Von  den  Gebirgen  sagt  der  Verf. : 
„Von  seiner  Südspitze  zieht  sich  das  sehr  hohe  Gebirge  Cordil- 
leras  oder  Andes"  etc.  Diess  ist  ein  unpassender  Ausdruck. 
Denn  Anden  ist  bekanntlich  der  Kollektivnahme  des  ganzen  Ge- 
birgs  in  seiner  ganzen  Breite.  Der  Nähme  Cordilieras  hinge- 
gen bezeichnet  lediglich  das  eigetitliche  Hochgebirge  oder  den 
Kern  des  Gebirgs.  Das  Gebirge  Landeshaupt  in  Nord-Amerika 
ist  gar  nicht  erwähnt  worden.  Die  Zahl  der  Einwohner  schätzt 
der  Verf.  auf  50  bis  (jO  Mill. ,  was  wohl  für  jetzt  noch  zu 
viel  seyn  möchte.  Denn  42  Millionen  möchte,  wie  Rez.  glaubt, 
wohl  noch  das  Maximum  seyn.  —  Das  Fort  S.  Juan  d'üUoa 
folgt  hier  gleich  auf  die  Beschreibung  der  HSt.  Mexico,  da  es 
doch  erst  weiter  unten  bey  Vera  Cruz  hätte  seinen  Platz  be- 
kommen sollen.  —  Süd -Amerika  wird  nur  in  das  nördliche, 
in  Brasilien ,  in  die  Westküste  und  in  den  südlichen  Theil  ab- 
getheiit.  Als  die  Quelle  des  Marannon  wird  noch  der  See  Lau- 
ricocha  betrachtet.  —  In  Brasilien  sind  Olinda  und  Fernam- 
buco  als  nur  JEin  Ort  angeführt.  Aber  Olinda  ist  ja  die  alte 
jetzt  sehr  öde,  undFernambuco  oderRecife  die  we?/e  Hauptstadt 
der  Kapitanerie,  und  beyde  Orte  liegen  |  Stunde  von  einander 
entfernt.  Bey  der  Einwohnerzahl  der  meisten  Städte  sind 
Schäfers  übertriebene  Angaben  zu  Grunde  gelegt  worden. 
Bey  der  Westküste  wird  nicht  einraahl  berichtet,  dass  der 
grösste  Theil  derselben  fast  gar  keinen  Hegen  kenne.  —  Der 
la  Plata- Strom  wird  nicht  durch  den  Zusammenfluss  des  Pa- 
raguay und  Parana,  sondern  erst  weiter  unten  durch  die  Verei- 
nigung des  Uruguay  mit  dem  Parana  gebildet.  —  Die  unter 
30^,  40'  S.  Br.  liegende  Stadt  S.Juan  de  la  Froutera  wird  hier 


Dittenberger :  Geographie  für  Gymnasien  etc.  157 

schon  zu  Patagonien  gerechnet,  wahrscheinlich  um  in  diesem 
Abschnitte  doch  wenigstens  einen  Ort  nahmhaft  machen  zu 
können. 

Australien  (S.  241  —  244).  Der  Flächeninhalt  wird  auf 
185,000,  also  wahrscheinlich  um  25,000  Q  M.  zu  hoch  ange- 
nommen. Beym  Australland  —  das  hier  noch  Neu- Holland 
genannt  wird  —  vermisst  man  die  meisten  neuern  Entdeckun- 
gen. Die  einzelnen  Inselgruppen  werden  hier  keinesweges  in 
die  innere  und  äussere  lleihe  unterschieden,  obschon  der  erste 
Blick  auf  die  Charte  solche  andeutet.  Die  12,000  Q  M.  grosse 
Insel  Neu -Guinea  hat  hier  gar  nur  A  Mill.  Einwohner  erhalten; 
dagegen  sind  den  Sandwichs -Inseln  noch  immer  400,000  Ein- 
wohner zugetheilt  worden. 

Zum  Schlüsse  dieses  Theils  bemerkt  Rez.  noch,  dass  die 
einzelnen  Länder,  zumahi  die  Europäischen,  in  folgender  Ord- 
nung dargestellt  werden:  1)  Lage,  Grösse,  Gränzen;  2)  Ge- 
birge; 3)  Gewässer;  4)  Rlima;  5)  Produkte;  6)  Einwohner, 
und  7)  Eintheilung,  bey  welcher  natürlich  die  Flussgebiete 
zur  Norm  dienen.  Bey  den  grössern  Stromgebieten  sind  wieder 
deren  Gränzen  (aber  nicht  der  Flächenraum),  so  wie  die  darin 
liegenden  Seen,  die  erheblichsten  Nebenflüsse  des  Ilaupt- 
stroms  u.  s.  w.  nahmhaft  gemacht,  worauf  die  Ortsbeschrei- 
bung folgt. 

Der  dritte  Hauptabschnitt  begreift  die  politische  Geogra- 
phie (S.  245  —  301).  In  der  Einleitung  zu  diesem  Abschnitte 
erfährt  man  erst ,  dass  die  Erdbeschreibung  in  die  mathema- 
tische, physische  und  politische  eingetheilt  werde.  Dann  folgt 
die  Erklärung  des  Begriff's:  Staat ^  so  wie  das  Nöthige  über 
die  verschiedenen  Regierungsformen,  über  Benennung  und  Ti- 
tel der  Staatsoberhäupter,  über  politische  Eintheilung,  Ver- 
waltung, Kriegsmacht,  Handel,  Münzen  u.  s.  w.  S.  247  drückt 
sich  der  Verf.  so  aus :  „Die  Begränzung  des  Flächenraums,  der 
zu  einer  Stadt,  einem  Flecken  oder  Dorf  gehört,  heisst  Bann 
oder  Gemarhung'-'-.  Nicht  auch  Flur  und  Weichbild'i  Ferner: 
„In  der  politischen  Geogr.  hat  man  in  Absicht  der  einzelnen 
Wohnorte  besonders  auf  Residenzen  oder  Hoflager  der  Regen- 
ten, auf  Haupt-  und  Provinzialstädte,  Fabrik-  und  Handels- 
städte, Seestädte  mit  Häven  oder  Rheeden,  und  Festungen  zu 
merken."  Ob  ein  Ort  Residenz,  Haupt-  oder  Provinzialstadt 
sey,  gehört  der  politisch.  Geogr.  allerdings  ausschliesslich  an. 
Aber  mit  den  aus  den  verschiedenen  Gewerben  und  Nahrungs- 
zweigen entspringenden  Beynahmen,  als  Fabrik-,  Handelsstadt 
u.  s.  w.  hat  die  polit.  Geogr.  an  sich  nichts  zu  schafften,  son- 
dern sie  sind  mehr  ein  Gegenstand  des  ersten  Hauptabschnittes. 
Auch  ob  ein  Ort  Festung  sey  oder  nicht,  hätte  bereits  in  jenem 
bemerkt  werden  sollen,  weil  sonst  mehrere  Orte,  die  nichts 
als  Festungen  sind,  z.  B.  Silberberg,  Friedrichsort,  Wilhelms- 


158  Geographie. 

stein  u.  s.  w.,  gar  nicht  in  der  Erdbeschreibung  nach  Naturgrän- 
zen  erwähnt  werden  dürften. 

Staaten  der  Europäischen  Mächte  ( S.  252  —  329 ).  Ist 
nicht  Macht  in  dem  Sinne ,  in  welchem  es  hier  genommen  wird, 
ein  Synonymum  von  Staat'?  Jedem  Staat  sind  zwei  Abtheilun- 
gen gewidmet,  nähmlich  a)  historische  Momente,  und  b)  ge- 
genwärtiger Zustand.  In  letzterm  werden  in  gedrängter  Kürze 
Nähme,  Lage,  Gränzen,  Areal,  Einwohnerzahl,  Religion, 
Unterrichtsanstalten,  Ackerbau,  Industrie,  Handel,  Münzen, 
Verfassung,  Staatseinkünfte,  Kriegsmacht  und  Eiiitheilung  er- 
örtert ;  doch  sind  in  der  letztern  die  Provinzen  eines  Staats  nur 
nahmentlich  angeführt.  Hierauf  folgen  die  Nahmen  der  dazu 
gehörigen  Städte,  welche  bereits  im  zweyten  Hauptabschnitt 
beschrieben  worden  sind.  Hin  u.  wieder  sind  indess  auch  welche 
aufgenommen  worden,  die  man  in  jenem  nicht  findet.  Und 
diesen  ist  gemeiniglich  in  parenthesi  die  Zahl  der  Einwoliner 
beygesetzt  worden.  Von  den  hier  aufgenommenen  statistischen 
Angaben  darf  llez.  natürlich  nur  solche  ausheben,  welche  von 
den  gewöhnlichen  bewährten  bedeutend  abweichen,  oder  eine 
Berichtigung  erheischen.  Portugal.  Unter  den  Einwohnern 
sollen  sich  über  200,000  (*?)  geistlichePersonen  befinden.  Has- 
sel bes^tiramt  aber  deren  Zahl  nur  auf  44,000,  was  für  eine  Be- 
völkerung von  etwa  3  jMill.  gerade  genug  ist.  Nur  300  Mittel- 
schulen. Die  zu  30,000  Mann  Linientruppen  und  30,000  Mann 
Miliz  angegebene  Kriegsmacht  möchte  wohl  zu  hoch  seyn.  — 
Spajiien.  Die  hist.  Elemente  schliessen  mit  der  Befreyung  des 
Königs  durch  Französische  Truppen  und  gedenken  der  neue- 
sten traurigen  Ereignisse  mit  keiner  Sylbe.  Ueber  SOOO  Klö- 
ster. Die  11  Universitäten  sollen  jetzt  13,000  Studirende  zäh- 
len. Unter  den  Handelsstädten  vermisst  man  Valencia,  AJican- 
te,  Mutaro,  Bilbao  und  St.  Ander.  Die  Kriegsmacht  ist  rich- 
tig zu  47  —  57,000  M.  aber  die  Seemacht  zu  10  Schiffen  wohl 
gar  zu  niedrig  berechnet.  —  Frankreich.  Bevölkerung: 
30,600,000  K.  Warum  hier,  wo  genaue  Volkszählungen  vor- 
liegen, nur  runde  Summen'?  Unter  den  Einwohnern  soll  es  3 
Mill.  Protestanten  geben.  Diese  Summe  ist  wohl  um  mehr  als 
die  Hälfte  zu  hoch.  Auch  bey  der  Kriegsmacht  mögen  sich 
Irrungen  eingeschlichen  haben ,  denn  die  Infanterie  ist  liier  auf 
210,000  (also  um  48,000  M.  zu  hoch)  und  die  Kavallerie  auf 
30,000  (also  um  12,000  M.  zu  niedrig)  berechnet.  In  den  De- 
partements Crcuse,  Aix,  Nieder- Alpen,  Lot-Garonne,  Cor- 
reze,  Indre,  Vendee  undCotes  du  Nord  findet  man  keinen  ein- 
zigen Ort  angemerkt.  —  Italien,  Roms  Weltherrschaft  soll 
.106,000  n  JVI.  mit  150  Mill.  Einw.  umfasst  haben.  Gab  es  aber 
zu  jener  Zeit  schon  Volkszählungen?  Die  Zahl  der  Jesuiten - 
Kollegien  soll  hier  schon  auf  30  steigen.  Eine  ei-freuliche  Aus- 
sicht für  die  Zukunft !  —    Sardinien^  I?6r,FläcIieurau^i^(23a9 


Dittenbergcr:   Gcogiapliie  für  Gymnasien  etc.  159 

□  M.)  ist  etwas  zu  hoch,  die  Volkszalil  (4,017,000  S.)  hinge- 
gen um  mehr  als  150,000  S.  zu  niedrig.  Als  Ilauptfestungen 
möchten  auch  wolil  Genua,  Tortona  und  Pignerol  anzusehen 
seyn.  Was  hier  in  der  Eintlieilung  schlechthin  das  Fiirsten- 
thum  Piemont  genennt  wird,  ist  nur  der  Theil  desselben^  wel- 
cher die  lientige  Provinz  Turin  bildet.  Bey  der  Insel  Sardi- 
nien lieisst  es:  „lleichsstände,  ans  dem  Adel,  Deputirten  und 
Geistlichkeit  bestellend."  Bey  den  Deputirten  fehlen  ofl'enbar 
die  Worte:  der  Städte.  —  Parma.  Die  Seelenzahl  zu  415,000 
K.  ist  zu  niedrig.  Das  Militär  aber  zu  ofiOO  M.  viel  zu  hoch 
angeschlagen.  —  Modena,  Avahrscheinlich  mit  Massa -Carara. 
Hier  ist  das  Militär  nur  zu  1300  M.  angegeben.  —  Liicca.  — 
Toscana.  Dass  das  Fürstenthujn  Piombino  ein  Schutzstaat  Tos- 
cana's  ist,  hätte  billig  bemerkt  werden  sollen.  —  Kirchenstaat. 
Die  Staatseinkiinfte  sind  auf  12  Mill. ,  also  um  2  Mill.  Gulden 
zu  hochgeschätzt.  —  S.  Marino.  —  Beyde  Sizilien  (2019  Q 
M.  ({,890,000  Einwohner).  Das  Areal  ist  wahrscheinlich  et- 
was zu  hoch,  die  Volkszahl  dagegen  um  2.30,000  K.  zu  niedrig. 
Dass  hier  die  Industrie  bedeutend  und  die  Fabriken.,  besonders 
in  Seide  und  Wolle,  blühend  sind,  wird  Mancher  als  eine  gro- 
sse Neuigkeit  erachten.  Unter  den  Handelsstädten  hat  der 
Verf.  Parghelia,  Manfredonia,  Gallipoli,  Catanea,  Syrakus 
und  Trapani  vergessen.  —  Schweiz  (=  874  D  M.  1,800,000 
Einw.  ).  Erstere  Angabe  ist,  wie  gewöhnlich,  etwas  zu  hoch 
und  letztere  etwas  zu  niedrig.  Die  Kantone  Waad  und  Genf 
sollen  ganz  reforjnirt .,  die  Kantone  Luzern  ,  Freyburg,  Solo- 
thurn,  Tessino ,  Schwyz,  Wallis,  Uri  und  Unterwaiden  ^aras 
katholisch  seyn.  Ersteres  ist  gar  flicht.^  letzteres  nur  zutn  Theil 
gegründet.  Denn  der  K.  Waad  umfasst  auch  4  kathol.  Gemein- 
den mit  3000  und  der  K.  Genf  gar  21  kathol.  Pfarreyen  mit 
17,000  S.  Eher  konnten  noch  Zürich,  das  nur  in  2  Gemein- 
den (Rheinau  und  Dietikon)  800  Katholiken  zählt,  u.  Schafhau- 
sen, weil  hier  nur  in  der  Gemeinde  llamsen  200  Katholische 
leben,  als  ganz  reformirte  Kantone  genannt  werden.  Dagegen 
darf  man  auch  wieder  Freyburg  und  Solothurn  nicht  für  ganz 
katholische  Kantone  ausgeben.  Denn  der  erstere  begreift  auch 
den  Bezirk  Mnrten  mit  5200,  und  letzteres  das  Amt  Buchegy- 
berg  mit  4200  refonnirten  Einwohnern.  Dafür  hätte  noch 
Zug  als  ein  reinkatholischer  Kanton  aufgezählt  werden  sollen. 
Industrie  und  Manufakturen  werden  liier  nur  nicht  unbedente?id 
genannt.  Rez.  weiss  aber  nicht  anders ,  als  dass  sie  in  den  K. 
Zürich,  Thurgan  ,  S.Gallen,  Appenzell,  Glarus,  Aargau  und 
Neuenburg  sehr  bliihetid  und  von  grosser  Wichtigkeit  sind.  Die 
den  einzelnen  Kant,  gegebene  Volkszahl  bedarf  bey  mehrern 
einer  Berichtigung,  von  welchen  hier  aber  nur  die  vorzüglich- 
sten bemerkt  werden  können.  Bern  hat  nicht  388,000,  sondern 
348,000,  Frey  bürg  nicht  70,000,   sondern  86,000,   Solothuru 


160  Geographie. 

nicht  48,000,  sondern  56,000,  Basel  nicht  47,500,  sondern 
51,000,  Schaihausen  nicht  30,000,  sondern  nur  27,000,  S.Gal- 
len nicht  140,000,  sond.  160,000,  Aargau  nicht  144,000 ,  sond. 
152,000,  Tessin  nicht  90,000,  sond.  98,000,  Waad  nicht  150, 
000,  sond.  165,000,  und  Genf  nicht  44,000,  sond.  51,000  Ein- 
wohner. —  Deutschland  (=  11,781  D  M.  30,300,000  Einw.). 
Das  Areal  ist  wahrscheinlich  etwas  zu  hoch ,  die  Volksmenge 
dagegen  um  2  —  300,000  Kopie  zu  gering.  Unter  den  Han- 
delsstädten im  Innern  wird  man  Frankfurt  a.  d.  Oder,  Miin- 
den,  Ulm,  Regensburg  u.  s.  w.  vergeblich  suchen.  —  Baiern. 
Die  Volkszahl  (3,743,000  S.)  ist  gegenwärtig  schon  um  100,000 
K.  wieder  gestiegen.  —  KR.  Sachsen.  Der  Flächengehalt  (300 
□  M. )  ist  um  25  O  M.  zu  hoch.  Die  Kriegsmacht,  welche  im 
Jahre  1825  in  13,307  Mann  bestand,  wird  hier  nur  zu  9000  M. 
angegeben.  —  Der  Satz:  „i*«>s^/. Schönburg. -Waldenburg'sche 
Güther  5|  D  M.,  42,500  Einwohner  mit  der  Stadt  Glau- 
chau", ist  unrichtig.  Denn  die  gegenwärtig  unter  die  zwey 
Aeste  Waidenburg  und  Hartenstein  vertheilten  Besitzungen 
der  Fürstl.  Linie  haben  gleichnahmige  Hauptorte,  und  die 
Stadt  Glauchau  gehört  den  zwey  gräflichen  Linien  Hinter - 
Glauchau  und  Penig,  deren  aber  hier  gar  nicht  Erwäh- 
nung geschieht.  —  Hanover.  Die  Zahl  der  Katholiken ,  wel- 
che Hassel  auf  242,000  K.  berechnet,  ist  hier  nur  zu  160, 
000  angenommen.  Bentheim,  Meppen  und  Emsbüren  hätten 
als  Standesherrschaften  bezeichnet  werden  sollen.  —  Würtem-' 
berg.  Die  Volkszahl  (1,505,000  S.)  ist  schon  um  50,000  K.  zu 
niedrig.  Die  Staatseinkünfte  sind  zu  9,666,000  Gulden,  und 
das  Militär  ist  zu  18,995  M.  angegeben.  Doch  hätte  dabey  be- 
merkt werden  sollen,  dass  der  Friedensstand  jetzt  auf  5,000 
M.  herabgesetzt  ist.  —  Baden  (1,108,000  Einw.).  —  Kur- 
Hessen.  Die  Staatseinkünfte  sind  nur  zu  5  Mill.,  also  um  1 
Mill.  zu  niedrig  angesetzt.  Zum  Schlüsse  wird  auch  die  Land- 
grafschaft Hessen -Homburg  abgehandelt.  —  »S.  Weimar -Ei- 
senach. Die  Bevölkerung  (205,000)  ist  um  13,000  S.  zu  niedrig. 
—  S.  Meiningen  (hier  fehlt  der  Beysatz:  Hildburghausen).  Die 
Volkszahl  beträgt  nicht  116,000,  sondern  138,000  K.  —  S.  Al- 
tenburg. Das  Land  enthielt  bis  zum  Jahre  1826  allerdings  25^ 
QM,  Allein  seit  der  Vertheilung  der  S.  Gotha -Altenburgi- 
schen  Lande  beträgt  der  Flächenraum  kaum  noch  23^  Q  Meile. 
Das  Bundes -Kontingent  ist  hier  nur  zu  550  M.  angenommen.  Es 
rauss  aber  wenigstens  900  M.  betragen.  Von  dem  blühenden 
Ackerbau  wird  auch  nichts  erwähnt.  Kamburg  gehört  nicht 
mehr  hieher,  sondern  zu  S.  Meiningen  -  Hildburghausen.  — 
S.  Koburg-  Gotha.  Hier  hat  sich  ein  arger  Druckfehler  einge- 
schlichen. Es  heisst  nähmlich:  „Es  liegt  im  Main-  u.  Saalege- 
biet." Die  Herrschaft  Baumholder  im  Mosel-  und  Nahegebiet 
ist  47  DM.  gross  mit  147,800  Einw.,  worunter  11,000  Katho- 


Dittenberger :  Geographie  für  Gymnasien  etc.  161 

liken,  900  Juden,  die  übrigen  evangelisch  sind.  Dieser  Satz, 
wenn  er  ganz  richtig  seyn  soll ,  muss  aber  heissen:  Es  liegt  im 
Main-,  Weser-  u.  Saalgebiet  und  das  Fürstenth.  Lichtenberg 
im  Mosel  -  und  Nahegebiet.  Das  Ganze  ist  48^  Q  ^^^-  gross  mit 
147,800  Einw.  u.  s.  w.  Im  Fiirstenth.  Lichtenberg  hätte  wenig- 
stens die  Hauptstadt  S.  Wendel  genannt  werden  sollen.  — 
BraunscJuveig. —  Aassau.  —  Meckle?iburg -  Schwerin.  Die  Be- 
völkerung (403,000  Einw. )  ist  schon  um  18,000  K.  zu  niedrig. 
—  Mecklenburg  -  Sir ehlils.  Die  angenom.  Volksmenge  (00,000) 
ist  wahrscheinlich  noch  zu  hoch.  —  Anhalt.  Der  lleligionsver- 
änderung  des  Herzogs  von  Anhalt -Kotlien  ist  nicht  gedacht 
worden,  —  Holstein- Oldenburg.  Die  Einkünfte  sind  nur  zu 
1,200,000  Gulden ,  also  otfenbar  zu  gering,  angeschlagen.  Bey 
den  übrigen  kleinen  Staaten,  so  wie  bey  den  freyen  Städten 
ist  Meiter  nichts  zu  erinnern,  ausser  dass  dem  Gebiet  von 
Frankfurt!!  wohl  übertrieben  eine  Volkszahl  von  62,000  K.  ge- 
geben worden  ist.  —  Oesterreich  ^=  12,077  Q  Ml. ,  also  eher 
zu  niedrig  als  zu  hoch,  u.  28,665,000  Einw.,  mithin  wenigstens  1^ 
Mill.  zu  wenig,  da  man  bereits  im  J.  1824  30,007,000  S.  zählte. 
Auch  die  Zahl  der  Protestanten  (3,560,000)  ist  um  170,000  zu 
niedrig  angegeben.  Unter  den  Landhandelsstädten  hätten  auch 
Mailand,  Verona,  Linz,  Brunn,  Pressburg,  Debretzin,  Sem- 
lin,  Ilermanstadt  u.  s.  w.  einen  Platz  verdient.  Die  Angabe 
der  Staatseinkünfte  (180  Mill.  Guld.)  ist  ^c^en  die  Hassel- 
sche  um  50  Mill.  zu  hoch.  Den  vornehmsten  Festungen  wer- 
den, sonderbarer  Weise,  auch  Grätz,  Semlin  und  Herraan- 
stadt  beygezählt.  Allein  der  Verf.  Avürde  auf  jeden  Fall  der 
Wahrheit  näher  gekommen  seyn,  wenn  er  dafür  Prag,  König- 
grätz,  l'heresienstadt ,  Josephstadt,  Ofen,  Peterwardein,  Te- 
nieschwar,  Essek  und  Raab  aufgenommen  hätte.  Illyrien  hat 
hier  nur  430  D  Ml.  und  897,000  Einw.  In  der  üebersicht  des 
KR.  Lo/nbardey-  Venedig  werden  65,000  Deutsche  in  den  7  Ge- 
meinden gerechnet.  Aber  diese  7  Gemeinden  zählen  wohl  kaum 
20,000  (nach  einigen  nur  15,000)  M.  Und  die  13  Gemeinden 
mit  50,000  Einw. ,  die  schlechthin  Nachkommen  der  Cimberu 
genannt  werden  —  diess  sind  doch  wohl  auch  Deutsche?  — 
kommen  erst  bey  der  Prov.  Vicenza  vor.  Galizien  ist  endlich 
gar  zu  flüchtig  behandelt,  denn  man  erfährt  hier  nicht  einmahl 
die  Nahmen  der  Kreise.  —  Preussen.  Unter  den  Einwohnetn 
(über  12  Mill.)  sollen  sich  nur  10,000  Franzosen  befinden. 
Nach  andern  steigt  aber  deren  Zahl  auf  40,000.  Stralsund  ge- 
hört wohl  nicht  zu  den  Festungen  des  ersten  Ranges,  wohl  aber 
Erfurt,  Minden,  Neisse,  Glaz  und  Torgau.  Die  Bevölke- 
rungsangaben der  Provinzen  sind  durchgängig  nach  frühern 
Zählungen  gemacht.  —  Niederlande.  Unter  den  Einwohnern 
(5,880,000)  sollen  sich  4,092,000  Katholiken,  1,625,000  Prote- 
stanten und  85,000  Mennoniten  befinden.     Aber  nach  Hassel 

Jahrb.  f.  F/iil.  u.  Pädug.  Jahrg.  111.  Heß  10.  Jj 


162  Geographie. 

beläuft  sich  die  Zahl  der  Protestanten  auf  1,970,000  (worunter 
320,000  Lutheraner)  und  die  der3Iennoniten  auf  115,000.  Von 
der  natürlichen  Eintheilung  iu  den  nördlichen  und  südli- 
chen Theil  weiss  der  Verf.  nichts,  er  wirft  vielmehr  aus 
beyden  Theilen  die  Provinzen  ohne  Ordnung  unter  einander. 
Von  den  einzelnen  Provinzen  werden  Süd-  und  Nord -Brabant, 
Limburg  und  Geldern  Herzogthüraer,  Lüttich  ein  Fürstenthum, 
Ost-  und  West -Flandern,  Hennegau  und  Namur  Grafschaften, 
und  die  übrigen  schlechtweg  Provinzen  genannt.  Da  der  Prov. 
Holland,  wegen  ihrer  Unterabtheilung  in  JNord-  und  Süd-Hol- 
land ,  2  Nummern  (9  u.  10)  gegeben  worden  sind ,  so  hat  der 
Verf.,  um  die  Zahl  18  nicht  zu  übersteigen,  die  Prov.  Ant- 
werpen (mit  15|  D  Ml.  und  2(;0,000  Einw.)  in  die  Prov.  Namur 
gesteckt,  dieser  zwar  ihren  richtigen  Flächenraum  (67  Q  Ml.) 
und  die  wahre  Bevölkerung  von  15(),000  Seelen  gelassen,  aber 
statt  der  Städte  Namur,  Dinant  und  Philippeville,  die  Orte 
Antwerpen,  Tornhout,  Lier,  Mecheln  und  Gheel  einrangirt. 
Der  ganze,  ein  drolliges  Quid  pro  quo  darbietende,  Abschnitt 
lautet  —  damit  der  Leser  sich  überzeuge,  dass  Rez.  dem  Vf. 
nicht  Unrecht  thue  — folgendermaassen:  „12)  Grafschaft  Na- 
mur (Namurcum)  67  D  Ml.  156,000  Einw.  in  3  Distr,  Antwer- 
pen (Anvers),  llSt.  und  F.  Tornhout,  Lier,  Mecheln  (Ma- 
lines ).  Kanal  von  Antwerpen  und  Löwen.  Flk.  Gheel  (7020 
Einw. )  schon  im  7ten  Jahrh.  durch  die  heil.  Nymphea  ge- 
gründet." —  Den  Provinzen  ist  übrigens  Flächenraum  u.  Volks- 
menge, letztere  aber  nach  frühern  Zählungen,  beygesetzt.  Das 
Grossherzogth.  Luxemburg  hat  hier  nur  eine  Grösse  von  102 
□  Ml.  Endlich  ist  auch  nicht  bemerkt ,  dass  der  König  die 
bisherige  Standesherrschaft  Bouillon  käuflich  an  sich  gebracht 
hat.  —  Gross  -  Britanien.  Die  Zahl  der  Katholiken  wird  für 
England  und  Schottland  auf  i  Mill.  für  Irland  aber  auf  6  Mill. 
berechnet.  Zahl  der  Klöster  =  55.  Die  Staatseinkünfte  sind 
(wohl  um  87  Mill.  zu  hoch)  zu  630  Mill.  Gulden  angenommen. 
In  England  werden  sowohl  die  7  vormahligen  Königreiche  als 
die  40  Shires  nahmentlich  genannt.  Der  Insel  Helgoland  sind 
nur  900  Einw.  zugetheilt.  Die  Besitzungen  in  den  fremden 
Erdtheilen  haben  hier  nur  einen  Flächengehalt  von  83,000  (?) 
bekommen,  weil  die  Nord- Amerikanischen  Kolonien  nur  mit 
38,000  n  Ml.  angesetzt  worden,  und  die  Australischen  Kolo- 
nien rein  vergessen  worden  sind.  Die  richtige  Grösse  aller  Be- 
sitzungen steigt  auf  wenigstens  179,000  D  Ml.  —  Däne- 
mark.  Areal  (2,467  □  Ml.)  und  Bevölkerung  (1,856,000)  sind 
zu  niedrig  berechnet.  Die  hier  befolgte  Eintheilungsweise  ver- 
räth  keine  Konsequenz.  Denn  das  Reich  zerfällt:  a)  in  die  In- 
seln mit  3,  b)  in  die  Halbinsel  Jütland  mit  4  Stiftsämtern,  und 
c)  in  die  Herzoglhüraer  Schleswig,  Holstein  und  Lauenburg.  — 
Schweden.  Die  Volksmenge  (3,506,000)  ist  zu  niedrig.    Unter 


DittenLerger :  Geographie  für  Gymnasien  etc.  163 

den  Handelsstädten  hätte  Gefle  wohl  eher  eine  Aufnahme  ver- 
dient, als  Murstrand.  Die  Einkünfte  sind  auf  20  Miil.  Gulden, 
mithin  wohl  zu  hoch,  j;;eschätzt.  Die  Landmacht  wird  zu  00,000 
M.  angesetzt.  Ist  darunter  bloss  das  stehende  Heer  zu  verste- 
hen, so  ist  diese  Zalil  zu  hoch,  ist  aber  Landwehr  und  Reserve 
mit  darunter  begrilFen,  so  ist  sie  viel  zu  niedrig.  —  liussland. 
Unter  den  Handelsstädten  hätten  wohl  Taganrock,  Kherson, 
Abo  und  Libau  eine  Stelle  verdient.  Die  Staatseinkünfte  sollen 
sich  über  200  Mill.  Gulden  belaufen,  was  wolil  übertrieben  ist. 
Den  einzelnen  Gouvernements  ist  weder  Areal  noch  Bevölke- 
rung beygesetzt.  Bey  der  Eintheiluug  wird  ,  sonderbarer  Wei- 
se, die  alte  Gränze  gegen  Asien,  welche  die  vorraahligen  Rei- 
che Kasan  und  Astrakhan  zu  Asien  schlägt,  zu  Grunde  gelegt. 
Berdiczew  hat  hier  nicht  weniger  als  24,000  Einw.  erhalten. 
Soll  aber  wohl  heissen:  2400?  Das  Land  der  Donischen  Kosa- 
ken prangt  hier  mit  2  Mill.  Einw.  (?)  —  Fohlen.  Der  Schluss 
der  historischen  Momente  lautet  allzukurz:  „Im  Pariser  Frie- 
den 1825  Avird  das  Herzogthum  Warschau  Russisch."  Es  hätte 
aber  doch  wohl  bericlitet  werden  sollen,  dass  es  erst  im  Jahre 
1807  aus  dem  Preussischen  Pohlen  gebildet  wurde,  dass  im  J. 
1809  auch  ein  grosser  Theil  von  Galizien  dazukam,  und  dass 
im  J.  1815  ein  beträchtlicher  Theil  davon  unter  dem  Nahmen 
Herzogth.  Posen  an  Preussen  zurücktiel.  Unter  den  Einw.  sol- 
len sich  100,000  Protestanten  ,  50,000  Tataren  und  220,000  Ju- 
den befinden.  —  Freystaat  Krakau.  —  Türhey.  Der  Flächen- 
inhalt wird  hier  sehr  genau  zu  41,344  D  Mi.  bestimmt,  und  die 
Bevölkerung  sehr  freygebig  auf  34  Mill.  (worunter  16^  Mill. 
Mahomedaner,  8^  Mill.  Christen,  2,(500,000  Armenier,  1  Mill. 
Juden)  geschätzt.  —  Die  Raubstaaten  Algier,  Tunis  und  Tri- 
polis werden  als  Bestandtheile  des  Türkischen  Reichs  ange- 
führt; ja  noch  mehr,  die  Städte  Marokko,  Murzuk  und  Fez  in 
Afrika  stehen  hier  in  der  Reihe  der  Osmanischen  Festungen. 
Wie  drollig!!  —  Ionische  Inseln. 

Asiatische  Staaten  (S.  330  —  343).  Die  historischen  Mo- 
mente sind  bloss  im  Allgemeinen  angedeutet  und  nur  Ost -In- 
dien hat  seine  besondern  erhalten.  —  Tatarey  oder  Turkestan. 
Die  Volksmenge  wird  zwar  hier  höher  als  anderv.^rts,  nähm- 
licli  zu  8  Mill.  angenommen ,  doch  möchte  diese  Schätzung  der 
Wahrheit  vielleicht  näher  kommen,  als  diejenigen,  welche  nur 
von  2  bis  3  Mill.  sprechen.  Aber  ein  arger  Verstoss  ist  der, 
dass  zum  Usbeckenlande  nicht  allein  die  grosse,  sondern  auch 
die  Meine  Bukharey  oder  Kaschgar  gerechnet  wird,  welche  be- 
kanntlich schon  seit  geraumer  Zeit  China  unterworfen  ist.  Auch 
sind  dem  Lande  Chiwa  (das  doch  nur  300  Q  Ml.  enthält)  sehr 
freygebig  3  Mill.  Einw.  zugetheilt  worden.  —  Arabien.  Die 
Einw.  (12 — 14  Miil.)  sollen  grösstcn  Theils  iMahomedaner  seyn. 
Hat  hier  der  Verf.  wohl  an  die  Wahabis  gedacht?  —  Zu  den 

11* 


164  Geographie. 

Türkischen  Besitzungen  rechnet  der  Verf.  auch  den  Staat  Je- 
men (!),  Aus  welchem  Grunde*?  Das  Land  ist,  wie  gewöhn- 
lich, in  die  5  Haupttheile  Jemen,  Oman,  Lachsa,  Nadsched  u. 
Hedschas  ahgetheilt.  Doch  sollten  hiilig  auch  die  Halbinsel 
des  Bergs  Sinai  und  die  grosse  Syrische  Wüste  als  besondere 
Haupttheile  betrachtet  werden.  —  Persien  d.  h.  Iran ,  Afgha- 
nistan und  Beludschistan.  Die  Kriegsmacht  des  eigentlichen 
Persiens  wird  noch  zu  200,000  M.  angeschlagen,  aber  der  kaum 
beendigte  Krieg  mitllussland  hat  zur  Gnüge  gezeigt,  dass  diese 
Angabe  viel  zu  hoch  sey.  Die  Afghanen  lässt  der  Verf.  von 
den  alten  3Iedern  abstammen.  Aber  ist  diese  Vermuthung 
schon  so  erwiesen,  um  als  eine  ausgemachte  Wahrheit  vorge- 
tragen werden  zu  können*?  Die  Hauptstadt  Beludschistans,  Ke- 
lat,  soll  8000  F.  über  dem  Meeresspiegel  liegen.  Ist  diess 
nicht  ein  Druckfehler'?  • —  Ost -Indien.  Aus  der  Schilderung 
des  gegenwärtigen  Zustandes  ergiebt  sich,  dass  bloss  Vorder- 
indien darunter  zu  verstehen  sey.  Die  Beschreibung  ist  aber 
so  flüchtig,  dass  unter  den  Brittischen  Vasallenstaaten  bloss 
die  des  Guikowar  und  des  Holkar  und  Oude  mit  Nahmen  ange- 
führt, und  die  übrigen,  selbst  Golkonda,  Mysore,  Travankore 
u.Nagpor  ganz  mit  Stillschweigen  übergangen  sind.  —  Hinter- 
Indien. Der  Ausdruck:  Eintheilung  in  b  Reiche  ist  unrichtig, 
weil  die  Halbinsel  Malakka  kein  für  sich  bestehendes  Reich 
bildet,  sondern  aus  mehrern  unter  sich  unabhängigen  Gebie- 
ten besteht,  was  auch  allerdings  bey  der  Beschreibung  dieser 
Halbinsel  zugestanden  wird.  Die  Bewohner  des  Reichs  Assam 
sollen  keine  Europäer  unter  sich  dulden.  Diess  hat  sich ,  seit- 
dem sie  durch  dieBritten  vom  Joche  der  Birmanen  befreyt  wor- 
den sind ,  wohl  geändert.  Birman  hat  noch  seinen  vorigen  Flä- 
chenraum und  auch  noch  10  —  11  Mill.  Einw.  behalten.  Aber 
die  Kriegsmacht  ist  nur  zu  45,000  M.  und  500  Kriegsbooten  an- 
gegeben. Die  Stadt  Arrakan  wird  hier  noch  zu  Birman  ge- 
rechnet. —  Ost -Indische  Liselgrnppe.  Die  gewöhnlichen  An- 
gaben ,  aber  dabey  äusserst  flüchtig.  —  Chinesisches  Reich  = 
252,448  D  Ml.  293  Mill.  Einw. ,  wovon  257,8r>0,000  auf  das  ei- 
gentliche China  kommen.  Die  Eintheilung  der  Mongoley  ist 
nach  alter  Weise  in  Scharra-u.Kalkas-Mong.,  inSoongarey  und 
Koschotay  entworfen.  —  Japanisches  Reich  =  8  —  12,000  D 
Meil. ,  etwa  45  Mill.  Einw. ,  wovon  39  Mill.  auf  Niphon  und 
800,000  auf  Jesso  gerechnet  sind.  Der  Inselgruppe  Bonin,  so 
wie  der  Niederlassungen  auf  Karafta  (Sachalien)  wird  gar  nicht 
gedacht. 

Afrikanische  Staaten  (S.  343  —  347).  In  Ansehung  der  hi- 
storischen Momente  verweist  der  Verf.  auf  Asien  und  das  Os- 
manische  fteich.  —  In  diesem  Abschnitt  findet  man  folgende 
Rubriken.  Marokko.  —  Biledulgerid.  —  Sahara.  —  Nubien  = 
12— 14,000  G  Ml,  2—4  Mill.  Einw.    Der  Verf.  hätte  bemer- 


Dittenberger :  Geographie  für  Gymnasien  etc.  165 

ken  sollen,  dass  Nieder  -  NuLien  big  nach  Sennaar  hin- 
auf, selbst  Dongola  nicht  ausgenommen,  aus  lauter  kleinen  Ge- 
bieten bestehe ,  welche  jetzt  säinmtlich ,  mit  Kinschluss  von 
Seunaar  und  Kordofan,  der  Oberbothmässigkeit  des  Türkischen 
Statthalters  von  Aegypten  unterworfen  sind.  Zwar  wird  die- 
ses von  den  in  den  Wiistcn  zu  lieyden  Seiten  des  Nils  hausen- 
den Beduinenstämmen  versichert,  doch  ist  wohl  sehr  die  Fra- 
ge, ob  sie  noch  jetzt  den  Befehlen  des  Pascha's  wiiklich  ge- 
horchen. —  Habessinien.  —  Adel  und  Ajan.  —  Nigritien  oder 
Sudan.  Die  neuern  Entdeckungen  der  Britten  sind  hier  noch 
nicht  benutzt.  —  Se?iegambien.  Die  neue  blühende  Brittische 
Niederlassung  Bathurst  hat  hier  noch  keinen  Platz  gefunden. 
—  Ober -Guinea.  —  Nieder-  Guinea  oder  Kongo.  —  Kapland. 
Inseln  im  W.  von  Afrika.  Ascension  wird  hier  noch  als  eine 
Portug.  Besitzung  betrachtet.  Diess  kann  aber  nicht  seyn,  da 
auf  derselben  gegenwärtig  eine  Brittische  Kolonie  besteht.  - 
Ostküste.  —  Das  Lmere  vo?i  Afrika.  —  Inseln  in  O.  von  Afrika. 

Amerikajiische  Staaten  (S.  348  — 361)-  I.  Nord -Ame- 
rika. Der  erste  Abschnitt  führt  die  Ueberschrift:  BrittaJii- 
sche  Staate 71.  Ei!  ei!  Seit  wenn  sind  denn  die  Brittischen 
Besitzungen  in  N.  A.  zu  besondern  Staaten  erhoben  worden? 
Vom  Mutterlande  abhängige  Gebiete  dürfen  doch  wohl  nicht 
auf  den  Nahmen  Staat  Anspruch  machen"?  Das  Brittischc 
Nord-Amerika  hat  hier  eine  Ausdehnung  von  121,000  D  Meil. 
erhalten,  weil  auch  Labrador ,  New -Wales  und  das  ganze  In- 
nere von  Nord- Amerika  in  N.  der  Kanadischen  Seen,  mit  der 
Nordwestküste  dazu  gerechnet  wird.  Die  Zahl  der  Einw.  ist 
aber  nur  zu  800,000  angegeben.  —  Nord-  Amerikanische  Frey- 
staaten. Areal  (sehr  oberflächlich)  über  100,000  D  Ml.  Ein- 
wohnerzahl beynahe  11  Mill.  Im  Jahre  1824  zählte  man  be- 
reits 12,400,000  S.  Den  einzelnen  Staaten  und  Gebieten  ist  die 
Volkszahl  v.  J.  1820  beygefügt.  Dass  aber  das  Gebiet  Florida 
nicht  weniger  als  341,000  Einw.  empfangen  hat,  ist  wohl  nur 
einem  Druckfehler  zuzuschreiben.  —  Aus  den  historischen  Mo- 
menten scheint  hervorzugehen,  dass  die  4  Freystaaten  Loui- 
siana, Missuri,  Missisippi  und  Alaburaa  aus  der  Landschaft 
Louisiana  eri-ichtet  worden  seyen.  Dem  ist  aber  nicht  so.  Denn 
die  2  letztern  liegen  am  linken  Ufer  des  Missisippi  und  gehör- 
ten früher  zu  Georgien.  —  Me.vico  =  10,000  D  Ml.  7  Milk 
Einw.  Die  20  Staaten  werden  nahmentlich ,  jedoch  ohne  An- 
gabe des  Flächenraums  und  der  Volkszahl ,  angeführt.  —  Mit- 
tel-Amerika =  11,000  □  Ml.  1,300,000  Einw.  Die  Nahmen 
der  einzelnen  Staaten  werden  hier  nicht  angegeben.  — 
II.  Süd -Amerika.  Dieser  Abschnitt  beginnt  mit  den  histori- 
schen Momenten.  S.  356  heisst  es:  vi^'n  nähralichen  Jahre 
wurde  Peru  als  unabhängiger  Staat  erklärt,  u.  später  in  Ober- 
und  Nieder -Peru  getheilt."    Wie  unrichtig!  Denn  Peru  wurde 


1d6  Geographie. 

schon  im  J.  ITITS  bey  Errichtung  der  Vize -Königreiche  in  das 
Obere  und  Niedere  abgesondert.  Letzteres  bildete  seitdem 
nur  für  sich  das  Vize -KR.  dieses  Nahmens,  welclies  jetzt  den 
Freystaat  Peru  ausmacht,  und  das  erstere  wurde  unter  dem 
Naliinen  Intendanz  Charcas  oder  Potosi  zum  V.-KR.  la  Plata 
gescliiagen  ,  und  hat  sich  nun  unter  dem  Nahmen  Bolivia  oder 
Bolivar  auch  zu  einem  besondern  Freystaat  proklamirt.  —  Co- 
lumbia =  63,500  D  Ml.  3^  Mill.  Einw.  ( letztere  Angabe  ist 
wolil  zu  hoch).  Die  12  Staaten  oder  Departem.  sind  nicht  ge- 
nannt. —  Peru.  Der  Beysatz  Nieder-  ist  überflüssig.  Auch 
hier  erfährt  man  weder  die  Zahl  noch  die  Nahmen  der  Provin- 
zen. —  Ober- Peru ^  das  erst  in  der  Beschreibung  Bolivar  ge- 
nannt wird.  —  Chile.  Die  Bevölkerung  wird  auf  nicht  geringer 
als  2,288,000  K. ,  worunter  1,300,000  (?)  Spanier,  geschätzt. 
Diese  Zahl  ist  aber  wohl  viel  zu  hoch.  —  la  Plata  =  68,000  U 
Meil. ,  1|  Mill.  Einw.  —  Paraguay.  —  Bey  allen  diesen  Staa- 
ten sind  die  Nahmen  der  Provinzen  nicht  berücksichtigt  wor- 
den. —  Brasilien.  Die  übertriebene  Angabe  der  Volkszahl  zu 
5  —  6  Mill.  hat  wahrscheinlich  Schäfer  veranlasst.  Hier  ist 
das  Reich  nur  in  11  Gouvernements  (Para,  Maranhao,  Fernam- 
buco,  Bahia ,  Rio -Janeiro,  Rio  grande,  S.  Paulo,  Minos- 
Geraes,  Gojaz,  Matto  grosso  und  Seara)  abgetheilt.  Soviel 
aber  Rez.  weiss ,  ist  diese  Eintheilung  nicht  mehr  gebräuch- 
lich. Auch  hat  Seara  (Siara)  nie  ein  besonderes  Gouvernement 
gebildet.  In  diesem  Gouv,  ist,  ausser  der  Hauptstadt  gl.  N., 
noch  ein  Ort  Amcata  mit  26,000  Einw.  aufgenommen,  den  Rez. 
noch  nicht  kennt,  auch  auf  keiner  Charte  gefunden  hat.  — 
Guiana.,  nur  die  Brittischen,  Niederländischen  und  Französi- 
schen Niederlassungen  begreifend.  —  Freye  Indianerländer. 
Ohne  nähere  Angaben,  wo  sie  zu  suchen  sind.  Es  ist  bloss  ge- 
sagt, dass  sie  in  verschiedenen  Staaten  zerstreut  liegen  und 
über  1  Mill.  Einw.  zählen.  Wer  hat  sie  aber  gezählt?  —  Pa- 
tagonien. —  III.  West -Indien  in  12  Zeilen  und  der  Neger- 
staat Haity  in  2  Zeilen  abgefertigt. 

Australische  Staaten  (S.  361).  Die  ganze  Schilderung  die- 
ses Abschnitts  ist  in  folgenden  Worten  enthalten :  „Dieser  Erd- 
theil  mit  seinen  Inseln  gehört ,  ausser  der  4516  D  Ml.  grossen 
Ostküste  von  Neu -Holland,  und  der  Insel  van  Diemensland, 
über  1200  D  Ml.  gross  ,  wo  sich  Brittische  Kolonien  befinden, 
der  Statistik  eigentlich  noch  nicht  an.  Die  einzelnen  Tlieile 
sind  oben  S. 241  —  244  beschrieben.  Städte:  a)  in  Neu-Hol- 
land:  Sidney,  Bathurst,  Windsor,  Paramatta;  b)  auf  der  In- 
sel van  Dieraensland  oder  Tasmanien:  Hobarttown,  Brigton." 
Letztere  Stadt  ist  Rez.  noch  nicht  bekannt.  Auch  hält  er  da- 
für, dass  die  Sandwichs -Inseln  und  die  Sozietäts- Inseln  bereits 
als  Staaten  betrachtet  werden  dürfen ,  und  dass  die  Marianen 
als  Spanische  Kolonien  liätten  bezeichnet  werden  sollen. 


Dlttenberger :  Geographie  für  Gymnasien  ctc,  16T 

Den  Bcschluss  des  Werks  machen :  1)  eine  Gebirgs-Tabelle  (S. 
362  —  303),  gegen  deren  Ausdehnung  sich  manches  einwenden 
Hesse,  da  hier  alle  Gebirge,  mit  welchen  das  Innere  von  Asien  u. 
Afrika  —  jedoch  bis  jetzt  leider  nur  erst  auf  den  Charten  — 
angefüllt  i>«t ,  in  Reih  und  Glied  geordnet  sind.  —  2)  Eine  Hö- 
hen- Tabelle  (S.  364  —  366),  welche  alle  5  Erdtheile  nach  der 
Reihe  vornimmt,  und  nach  aufsteigender  Höhe  eingerichtet  ist. 
In  Europa  sind  153 ,  in  Asien  31 ,  in  Afrika  10 ,  in  Amerika  41 
und  in  Australien  i)  Punkte  ausgehoben  worden.  —  3)  Eine 
Fluss  -  Tabelle  (S.  367  —  371),  welche  mit  dem  in  der  Einlei- 
tung untergelegten  Maassstab  nicht  recht  übereinstimmen  will, 
weil  selbst  Eyder,  Xucar,  Arno,  Tiber  u.  s.  w.  als  bedeutende 
Flüsse  hier  ihre  Stelle  gefunden  haben.  In  Asien  wird  der  Ti- 
gris als  ein  Hauptfluss  bezeichnet ,  obschon  er  nichts  weiter  als 
ein  Nebenfluss  des  Euphrats  ist.  Dagegen  ist  in  Süd-Amerika 
der  Tocantines ,  ungeachtet  er  sich  durch  den  rechten  stärkern 
Arm  unmittelbar  ins  Meer  ausmündet,  als  ein  Nebenfluss  des 
Marannou  behandelt ,  weil  sein  kleinerer  linker  Arm  sich  mit 
den  Gewässern  des  Marannon  vermischt.  —  4)  Ein  9  Seiten 
langer  Index  aller  Lateinischen  Benennungen,  und  5)  ein  53  S. 
langes  Register.  Ausserdem  folgen  noch  unmittelbar  auf  die 
Vorrede  a)  ein  Inhaltsverzeichniss ;  b)  eine  Erläuterung  der 
Versinnlichungscharten;  c)  eine  Erläuterung  der  vorkommen- 
den wichtigsten  Abkürzungen  (diese  hat  der  Verf.  gar  nicht  ge- 
spart, ja  hin  und  wieder  so  häufig  angewendet,  dass  das  Ver- 
stehen erschwert  wird  — );  und  d)  ein  Druckfehler  -  Verzeich- 
niss ,  das  jedoch  leider  nicht  vollständig  ist.  — 

Bemerklich  rauss  nun  auch  noch  Rez.  machen,  dass  der 
Vf.  in  der  Geogr.  nach  Naturgränzen  nicht  allein  den  Land- 
schaften u.  Städten ,  sondern  auch  den  meisten  Gebirgen,  Seen 
und  Flüssen  ihre  Lateinischen  Benennungen,  und  zwar  überall 
in  besondern  Anmerkungen  beygefügt  hat.  LTnd  dass  diese 
Nahmen  in  grosser  Menge  vorkommen,  beweist  schon  der 
oben  genannte  Index. 

Eben  so  ist  nrfch  zu  erwähnen,  dass  der  Verf.,  um  auch 
den  Lehrern,  welche  sich  bey'm  Unterricht  auf  den  ersten 
Kurs  beschränken  müssen,  die  Auswahl  aus  den  in  der  Topo- 
graphie dargestellten  Orten  zu  erleichtern,  denjenigen  Städten, 
welchen  er  in  dieser  Hinsicht  den  Vorzug  ertheilt ,  ein  Stern- 
chen vorgesetzt  hat.  Jedoch  scheint  Rez.  diese  Auswahl  nicht 
immer  ganz  passend  getroff"en  worden  zu  seyn.  Denn  so  sind 
bey  Spanien ,  um  nur  ein  Beyspiel  anzuführen,  die  Städte  Gra- 
nada und  Jaen  ohne  Stern  gelassen  worden. 

Endlich  muss  Rez.  sich  auch  darüber  missfällig  äussern, 
dass  der  Verf.  bey  Aufzälilung  der  Produkte  so  häufige  Wieder- 
hohlungen  für  nöthig  gehalten  hat.     Denn  man  findet  solche 


168  Geographie. 

niclit  allein  bey  Beschreibung  jedes  Erdtheils,  sondern  auch 
bey  den  einzelnen  Ländern,  ja  nicht  selten  bey  deren  Unterab- 
theüungen  aufgezählt.  Dass  nun  dergl.  Wiederhohlungen  den 
Schüler  wenigstens  langweilen  müssen  ,  wo  nicht  gar  vom  eifri- 
gen Studium  der  Geogr.  abschrecken  können ,  ist  eine  ausge- 
machte Sache.  Desshalb  räth  Rez.  dem  Verf.  dringend  an,  bey 
einer  neuen  Aufl.  diesen  Uebelstand  zu  vermeiden,  und  dafür 
lieber  die  von  neuern  Geographen  mit  Glück  befolgte  Methode 
anzunehmen,  nach  welcher  die  gewöhnlichen  Erzeugnisse  in 
der  allgemeinen  Einleitung  nach  den  Zonen,  und,  wo  solches 
nöthig,  nach  den  Breitengraden  aufgestellt,  in  der  Beschrei- 
bung der  einzelnen  Landschaften  aber  nur  solche  nachgehohlt 
werden,  welche  denselben  eigeJithümlich  sind. 

Papier  und  Druck  dürfen  nicht  getadelt  werden.  Insbe- 
sondere ist  zu  rühmen,  dass  der  letztere,  zumahl  in  den  zwey 
letzten  Hauptabschnitten,  so  kompeudiös  eingerichtet  worden 
sey.  Denn  häufig  zählt  man  56  bis  57  Zeilen  auf  einer  Seite, 
und  16  bis  22  Sylben  auf  einer  Zeile.  Druckfehler  sind  auch 
nicht  im  üebermaass  vorhanden. 

Rez.  könnte  nun  schliessen,  wenn  er  nicht  sich  für  ver- 
pflichtet erachtete,  dem  Leser  auch  nocli  über  den  Inhalt  der 
dem  Werke  beygegebenen  Versinnlichungscharten  Bericht  zu 
erstatten.  Diese  sind  zwar  nur  lithographirt,  aber  so  fein  ge- 
zeichnet und  gestochen  ,  dass  sie  mit  jedem  Kupferstich  wett- 
eifern können.  Ueberdiess  ist  das  Papier  von  ausgezeichneter 
Schönheit.  Jede  der  5  ersten  Tafeln  ist  8  —  9  Zoll  breit  u. 
7  —  8  Z.  hoch.  Die  erste  Tafel  ist  der  Breite  nach  gespalten.  Die 
obere  Hälfte  enthält  H  Figuren,  die  zur  Erläuterung  der  mathe- 
matischen Geogr.  dienen.  Die  untere  Hälfte  stellt  den  Fall 
des  Rheins  und  des  Neckars  von  ihren  Quellen  an  dar.  (Die 
Höhe  der  Rheinquelle  ist  zu  547T  F.  und  die  der  Neckarquelle 
zu  2448  F.  angenommen.)  Bey  dem  Rhein  sind  bis  nach  Kölln 
lu'nab  20  und  bey'm  Neckar  7  verschiedue  Höhen -Punkte  nie- 
dergelegt. —  Die  zweyte  Tafel  ist  der  Länge  nach  gespalten. 
Die  eine  Hälfte  besteht  wieder  aus  3  Figuren,  von  denen  die 
erste  die  Sonnenbahn  oder  Ekliptik  und  die  schiefe  Stellung 
der  Erde;  die  zweyte  die  Einwirkung  der  Sonnenstrahlen  auf 
die  5  Zonen,  und  die  dritte  den  Umschwung  der  Erde  um  sich 
gelbst  und  um  die  Sonne  durch  eine  Maschine  versinnlicht.  Die 
andre  Hälfte  stellt  die  Vegetations-Gränzen  in  den  Alpen  vor 
Augen,  und  reicht  vom  Spiegel  des  Vierwaldstädter  See's  bis 
zum  Gipfel  des  M.  Rosa  hinauf.  —  Die  dritte  Tafel  führt  den 
Titel:  ^^Gränzen  einiger  Produkte  in  Europa^  nach  den  Brei- 
iensraden  von  S.  nach  N.'-'-  Es  ist  Schade,  dass  auf  diesem 
('härtchen  die  Südspitze  Griechenlands  und  die  Inseln  Sizilien 
und  Kandia  fehlen.  Sie  beginnt  mit  dem  Zuckerrohr  und  der 
Papierstaude  im  38^  ßr.    und  endigt  mit  den  Farrenkräutern 


Dittenbcrgcr:  Geographie  für  Gymnasien  etc.  169 

unter  7C  Br.  Warum  sind  aber  nicht  noch  im  ZH^  die  Dattel- 
palmen einrangirt  worden'?  Wein,  Mais,  Kastanien  und  wilde 
Oelbäurae  haben  im  50"  ihre  Gränze  erhalten.  Aber  der  Wein 
gedeiht,  wie  Meissen  und  Naumbiirjif  lehren,  auch  noch  unter 
dem  51**.  —  Die  vierte  Tafel  cntliält:  ])  Darstellung  der  Län- 
ge von  20  Strömen,  und  2)  Darstellung  des  Flächenraums  eben- 
falls von  20  Strömen.  Erstere  ist  durcli  Linien,  letztere  durch 
Quadrate  angedeutet.  Dieser  Flächenraum  ist  zugleich  durch 
Zaiilen  angegeben ,  welche  Rez.  Jiier  niitzutheilen  fiir  schick- 
lich hält,  i)  Marannon  88,405,  Plata  71, (»65,  Obi  63,536, 
Lorenz  62,330,  Missisippi  53,536,  Jenisei  47,001,  Iloangho 
33,686,  Nil  32,620,  Wolga  30,154,  Ganges  20,224,  Donau 
14,423,  Dnieper8534,  Don  6088,  Rhein  3598,  Elbe  2800, 
Oder  2072,  Po  1410,  Weser  874,  Tiber  410  und  Ems  234 
□  Meilen.  Sind  aber  die  Quellen  des  Nils  und  des  Iloangho 
schon  so  genau  erforscht ,  dass  man  sich  an  eine  Berechnung 
des  Flächeninhalts  ihres  Stromgebietes  wagen  dürfte*?  Auch 
bey'm  Missisippi  ist  diese  Berechnung  noch  eine  schwierige 
Aufgabe,  weil  dessen  von  den  Mexikanischen  Gebirgen  her- 
abkommende Nebenflüsse  noch  nicht  genau  bis  zu  ihren  Quel- 
len hinauf  bekannt  sind.  Dann  ist  es  ein  Uebelstand,  dass  der 
Vf.  bey  der  Angabe  der  Länge  des  Laufs  nicht  dieselben  Strö- 
me gewählt  hat.  Denn  statt  des  Lorenz,  Jenisei,  Iloangho, 
Nil,  Ganges,  Weser,  Tiber  und  Ems  sind  dort  Irtysch,  Lena, 
Tajo,  Weichsel,  Rhone  und  Themse  aufgenommen.  Auch 
hat  hier  der  Missisippi  einmahl  eine  Länge  von  952  und  das 
andere  Mahl  von  nur  647,  so  wie  der  Marannon  einmahl  von 
6'J4,  und  das  zweyte  Mahl  von  622  Meilen  erhalten.  In  der 
obern  Ecke  derselben  Charte  ist  noch  das  Stromgebiet  der  Do- 
nau dargestellt,  ohne  dass  jedoch  die  Nebenflüsse  benannt 
worden  sind.  —  Die  fünfte  Tafel  ist  wiederum  der  Länge  nach 
getheilt.  Die  eine  Hälfte  bietet  eine  Vergleichung  des  Flächen- 
inhalts von  24  Staaten  dar,  und  zwar  ebenfalls  nach  Quadra- 
ten. Die  zweyte  Hälfte  enthält  dagegen  eine  Vergleichung  der 
Grösse  und  P'olksmenge  mehrerer  Staaten.  Dieser  Titel  ist 
aber  nicht  richtig  gewählt.  Denn  man  findet  auf  derselben  nur 
die  Angabe,  wieviel  Menschen  in  15  Staaten  auf  1  □  M.  kom- 
men. —  Die  sechste  Tafel  endlich  bringt  eine  Höhen -Charte 
od.  eine  bildlich  vergleichende  Darstellung  der  wichtigsten  Ber- 
ge und  anderer  Punkte  der  Erde,  nach  ihrer  Erhebung  über 
die  Meeresfläche  dar.  Auf  dieser  allerdings  sehr  instruktiven 
9^  Z.  hohen  und  12  Z.  breiten  Charte,  auf  welcher  zu  bey- 
den  Seiten  die  aufsteigende  Höhe  von  1000  zu  1000  Fuss ,  auf 
die  Weise ,  wie  auf  gewöhnlichen  Charten  die  Breitengrade  an- 
gegeben sind ,  thürmen  sich  rechts  mehrere  der  vornehmsten 
Berge  der  alten,  und  links  die  der  neuen  Welt  übereinander. 
Dabey  ist  zugleich  die  Höhe  mehrerer  Orte  als  in  der  alten 


110  Geschichte. 

Welt  von  Heidelberg,  Karlsruhe,  Greenvvich,  Basel,  Nürnberg, 
Bern,  Madrid,  Urseren,  der  Alpen,  Hospitäler,  und  in  der 
neuen  Welt  von  Caraccas ,  Loxa,  Mexico,  Bogota  und  Quito," 
so  wie  auch  unter  verschiedenen  Breitengraden  die  Schneegrän- 
ze  angedeutet  worden.  Der  höchste  Gipfel  der  alten  Welt  wird 
hier  statt  Dholagir,  Dhavvalagen  genannt.  Der  höchste  Vulkan 
der  alten  Welt  ist  hier  der  12,000  F.  hohe  Pic  de  Teyde,  und 
der  der  neuen  Welt  der  18,000  F.  hohe  Cotopaxi.  —  Rez. 
schliesst  diese  etwas  lange  Beurtheilung  mit  der  Versicherung, 
dass  der  Preiss  dieses  20  Bogen  starken,  enggedruckten  Werks, 
zumahl  wenn  mau  auf  die  6  beygegebenen  Charten  Rücksicht 
nimmt,  äusserst  billig  gestellt  sey. 

Dr.   Weise. 


Geschichte. 


Lehrbuch  der  Staatengeschichte  des  Alterthums 
und  der  neuern  Zeit  iür  deut.  Gjinnas.  Von  Chr.  Friedr. 
Ferd.  HaackCy  Rector  zu  Stendal.  Dritte  verLesserte  und  venu. 
Auflage.  Stendal ,  Lei  Franzen  und  Grosse.  8.  1  Thlr.  12  Gr. 
Erster  Tlieil.  Alte  Geschichte^  mit  geogr aphi" 
schen  Einleitu7igen.  1824,  VI  und  238  S.  Zweiter  Tli. 
Mittlere  und  neue  Geschichte.  1825.  XII  u.  492  S. 
Dazu:  Synchr onistische  Tabellen  zum  Lehrbuch 
der  Staatengeschichte  von  Chr.  Fr.  Ferd.  Haacke  gehörig.  1824. 
Drei  Tahellen  für  die  alte,  zwei  für  die  mittlere  und  zwei  für 
die  neue  Geschichte. 

Äowohl  der  Name  des  in  der  Schul-  und  Gelehrten -Welt 
rühmlich  bekannten  Verfassers,  als  auch  der  wiederholte  Ab- 
druck des  vor  uns  liegenden  Geschichtswerkes  scheint  für  die 
GVite  U.Brauchbarkeit  desselben  zu  zeugen.  — Auch  hat  Hr.  Re- 
ctor Haacke  dieses  Zeugniss  dadurch  zu  ehren  luid  in  einem 
erhöheten  Grade  zu  verdienen  sich  bemüht ,  dass  er  in  der  ge- 
genwärtigen dritten  Auflage  seines  bist.  Lehrbuchs  theils  den 
Quellennachweis  erweitert,  theils  die  Griechische  Geschichte 
ausführlicher  behandelt  hat.  Wenn  er  indess  in  Ansehung  die- 
ses letztern  Punctes  in  dem  kurzen  Vorbericht  oder  vielmehr 
Vorworte  bemerkt ,  „dass  die  beigefügten  u.  durch  den  Druck 
unterschiedenen  Zusätze  von  denen,  die  ihrer  nicht  bedürfen, 
leicht  überschlagen  werden  können,"  so  wissen  wir  nicht, 
wie  wir  diese  Bemerkung  mit  der  lehr-  inid  schriftstelleri- 
schen Besonnenheit  und  Einsicht  des  würdigen  und  verdienten 


Haacke :  Lehrbuch  der  Staatengeschichte.  171 

Mannes  in  Einklang:  bringen  sollen.     Denn  ein  anf  ein  wohler- 
MOgenes  Lelirbediiriniss  ökonomisch  angelegtes  u.  berechnetes 
Schulbuch  darf  nichts,  was  überschlagen  werden  könnte,  also 
nichts  Ueberflüssiges;    sondern  soll  eher  zu  wenig  als  zu  viel 
enthalten.     Ja!    wenn  irgend  wo  das  nc  quid   nimis!    als  eine 
goldene   Ilausregel   zu  empfehlen   seyn    dürfte,   so  ist  es  bei 
Abfassung  von  historischen  Schulbüchern ,    die  zur  Zeit  durch 
die  Masse  u.  Magazinirung  der  in  ihnen  aufgestapelten  Materia- 
lien alle  Schranken  der  Lehrgebicte  zu  durchbrechen  und  die 
einzig  richtige,     auf  Klassenstufen  zu  basirende  Lehrmetho- 
dik der  Geschichte  für  Schulen  zu  untergraben  drohen.  Möch- 
ten wir  doch,  wie  in  andrer,  so  auch  in  dieser  Hinsicht  zu  der 
historiographisch.  Lehrweisheiteines  Gatterer,  Schlözer, 
Spittler,   Wachler  und   anderer  zurückkehren,  die  in  all- 
gemeinen Zügen  und  grossartigen,  d.  h.  durch  irgend  eine  cha- 
rakteristische Idee  gehobenen  und  gleichsam  colorirten  Ent- 
würfen für  das  Lern-  und Lehrbedürfniss  auf  Schulen  und  Uni- 
versitäten sorgten,    die  nur  historische  Lineamente  und  Skiz- 
zen zu  Papiere  brachten  und  in  den  Druck  gaben,   die  Füllung 
und  Färbung  der  Umrisses  dem  mündlichen  Vortrage  und  der 
individuellen  Lehrfreiheit  überlassend!     Auch  unser  Verfasser 
würde  theiis  die  so  eben  gerügte  Bemerkung  beseitigt ,   theils 
manche  Parthien  seines  Lehrbuchs  kürzer  gefasst,   überhaupt 
mehr  an  sich  gehalten  haben ,  wenn  er  ein  bestimmtes  und  ab- 
zugrenzendes  Lehr-    und  Klassen -Gebiet   im  Auge   behalten, 
und  sein  Lehrbuch  nicht  mit  dem  vagen  Titel  „/'«r  deutsche 
GymnasieJi'-''  versehen  hätte.     Denn  wenn  gleich  der  erfahrene 
«nd  geübte,    d.  h.  mit  dem  Umfange  und  der  Bestimmung  des 
hist.  Gymnasial -Unterriclits  methodologisch  vertraute  Lehrer 
nicht  einen  Augenblick  iiber  die  Benutzung  des  Ha  a  ck  eschen 
Lehrbuchs  und  den  Grad  seiner  Brauchbarkelt  in  Zweifel  seyn 
kann,   so  wird  doch  z.  B.  der  junge  und  angehende  Lehrer  der 
Hlten  Geschichtsklasse  mit  sich  uneins  seyn  und  bleiben,    ob 
und  in  wie  weit  er  von  dem  ihm  dargebotenen  hist.  Gymnasial - 
Lehrbuche  Gebrauch  machen  könne  und  dürfe.     Wir  benutzen 
indess  diese  Wendung,    die  unsere  kritische  Berichterstattung 
genommen ,  um  einer  solchen  Verlegenheit  sofort  zu  begegnen, 
indem    wir  dem   fraglichen  Lehrbuche  der  Staatengeschichte 
und  zwar   zunächst  dem  Isten  Tlieile,    welcher  die  alte  Ge- 
schichte   enthält,    seinen    didaktischen   Standpunct   anweisen, 
und  hiermit  zugleich  den  nach  Hilfsmitteln  suchenden  und  in 
der  historischen  Litteratur   noch   unbewanderten  Lehrer    vor 
MissgrifFen  verwahren.     Denn  irren  wir  nicht ,    und  berechtigt 
uns  eine  15jährige  praktische  Erfahrung  auf  dem  Felde   des 
hist.  Schulunterrichts  zu  einiger  Competenz   des  Urtheils ,    so 
dürfte  das  gedachte  Lehrbuch  mehr  für  Schüler  ^    als  für  Leh- 
rer ^   insonderheit  aber  für  den  Lehrer  der  II  und  III  histori- 


172  Geschichte. 

sehen  Klasse  auf  Gymnasien  ein  bi'auclibares  Vorliereitungs- 
buch — jedoch  nur  für  den  ersten  Anlauf  —  seyn, —  Für  Schule?' 
enthält  dasselbe  ein  Detail  (vornehmlich  der  äussern  Staaten- 
gescliichte ) ,  das  tlieils  den  Präparations-  und  Repetitions- 
Fleiss  erschwert,  theils  das  Interesse  des  mündlichen  Lehr- 
vortrages schwächt;  jene?i,  eben  weil  es  Detail  und  zwar  ein 
leicht  auseinander  fallendes,  nicht  zu  einem  leicht  übersehli- 
chen  Ganzen  oder  zu  fruchtbaren  An-  und  üebersichten  verar- 
beitetes Detail  ist ;  dieses,  weil  es  dem  Unterrichte  des  Lehrers 
zu  viel  und  gerade  dasjenige  vorweg  nimmt,  was  derselbe  am 
leichtesten  zu  liefern  vermag,  nämlich  einzelne  chronische  und 
factische  Notizen.  Denn  wenn  der  historische  Schulunterricht 
seine  volle  Wirkung  auf  Geist  u.  Gemüth  des  zu  Unterrichtenden 
äussern,  namentlich  aber  zur  Vorübung  in  der  Kunst  dienen  soll, 
den  freien  Vortrag  des  Lehrers  entweder  ganz  frei  oder  epito- 
niatorisch  aufzufassen,  und  demgemäss  ganz  oder  theilweise  zu 
reproduciren ,  so  muss  dem  Lehrling  ein  gewisses  Fach- und 
Register- Werk  gegeben  und  dem  Lehrer  die  angemessne  Aus- 
füllung und  Bekleidung  desselben  überlasen  werden.  Und  ein 
Lehrbuch  der  Geschichte  für  Schulen  wird  um  so  vollkommner 
seyn,  je  vester  und  kräftiger,  je  pragmatisch -gebundener  und 
für  eine  bestimmte  Bildungs-  und  Klassen -Stufe  zusammenge- 
haltener das  Fach-  und  Dach -Werk  ist,  das  in  demselben 
lichthell  und  wohnlich  aufgestellt  und  aufgeschlagen  ist.  — 
Für  Lehrer  in  de?-  ersten  Geschichtslclasse  dürfte  das  Lehrbuch 
aber  d esshalb  weniger  brauchbar  seyn,  weil  es  bei  allem  sei- 
nen Reichthum  an  politischen  Thatsachen  und  deren  ins  Ein- 
zelne gehenden  Darlegung  doch  manches  höchst  wichtige  und 
lehr-  und  wissenswerthe  entweder  gar  nicht  oder  nicht  in 
zweckmässiger  Ausführlichkeit  enthält,  wohin  wir  unter  andern 
das  Verfassungs-,  Religions-  und  Cultur- Wesen  der  Völker 
des  Alterthums ,  so  wie  die  Darstellung  des  specifischen  Un- 
terschiedes des  orientalischen  und  occidentalischen  Völkerle- 
bens ,  endlich  die  Schriftstellerkunde  rechnen.  Denn  die  Ge- 
schichte des  Alterthums  ist  die  Pforte ,  die  in  das  Ileiligthum 
der  klassischen  Autoren  einführt,  und  wer  den  Iiistorischen 
Schlüssel  zu  derselben  nicht  hat,  wird  manchen  gepriesenen 
Autor  vielleicht  als  eine  erhabene  Trümmer  einer  grossen  Ver- 
gangenheit anstaunen,  aber  zum  Studium  desselben  weder 
Kraft  noch  Licht  in  sich  fühlen.  — 

Wenn  daher  Hr.  Rector  H  a  a  c  k  e  kein  Lehrbuch  für  irgend 
eine  bestimmte  Lehrstufe  und  Klasse  ausarbeiten  wollte,  so 
musste  er  sich  auf  den  Titel  ^för  Mittelklassen^  insonderheit 
zum  Frivatgebrauch  für  Lehrer'-''  beschränken;  denn  so  brauch- 
bar sein  Buch  auch  für  den  Wiederliolungsfleiss  des  Schülers 
secyn  mag,  so  eignet  es  sich  doch  im  eigentlichen  und  eugera 
l^inne  uiclit  für  die  Schule  und  Klasse  entweder  als  Leitfaden 


Haacke:  Lehrbach  der  Staatengeschichte.  173 

zur  weitern  mündlichen  Entwickclnn^,  oder  gleichsam  als  Au- 
tor und  Text  zur  Erklärung  und  Comnientirung  von  Seiten  des 
Lehrers.  Hätte  dagegen  der  Hr.  Vf.  alles  das,  was  an  Noti- 
zen aus  der  Kriegs-  und  Regenten -Geschichte  der  mVindliche 
Vortrag  zu  geben  und  zu  dem  Grunde  eines  Compendiiim's  zu 
ergänzen  hat,  von  seiner  Arbeit  ausgeschieden,  auf  der  an- 
dern Seite  in  dieselbe  mehr  Thatsachen  und  Resultate  aus  den 
Innern  Lebens-  und  Staats- Verliältnissen  der  Völker  aufge- 
nommen, so  würde  er  auch  nicht  nöthig  gehabt  haben  auf  seine 
Lehrbücher  der  Griech.  und  Römischen  Antiquitäten,  als  auf 
Hilfs-  und  Ergänzungs- Bücher  für  das  Lehrbuch  der  Ge- 
schichte, hinzuweisen,  zumahl  da  das,  was  in  den  vulgären 
Lehrbüchern  der  Antiquitäten  als  ein  wissenschaftliches  Ganze 
aufgestellt  ist,  theils  aller  wissenschaftlichen  Idee  und  Form 
entbehrt,  theils  und  wenigstens  für  Schulen  dem  Lehrgebiet 
der  Geschichte,  aus  dem  es  sich  abgesondert  und  verloren 
hat,  wieder  vindicirt  werden  sollte.  Möchte  es  daher  dem 
thätigen  Verf.  gefallen ,  bei  einer  neuen  Ausgabe  seines  Lehr- 
buchs dasselbe  mit  den  gedachten  antiquarischen  Compendien 
zu  Einem  organischen  Ganzen  zu  verarbeiten  und  in  demsel- 
ben vornehmlich  alles  dasjenige  recht  anschaulich  hervortreten 
zu  lassen,  was  sich  als  das  innere  Staatsleben  der  klassischen 
Völker  ankündigt.  Zum  Muster,  nach  welchem  der  Vf.  seine 
neue  Arbeit  zu  modificiren  haben  würde,  empfehlen  wir  Hee- 
re n's  treffliches  Handbuch  der  Geschichte  des  Alterthums.  — 
Uebrigens  hat  das  Haackesche  Lehrbuch,  auch  Avie  es  jetzt 
gearbeitet  liegt,  und  indem  es  in  einer  gewissen  Mitte  zwischen 
den  ihm  verwandten  Werken  von  Bredow,  Eichhorn, 
Presch  u.  a.  steht,  bereits  sein  Publicum  gefunden  und  wird 
es  ferner  finden,  wiewohl  wir  es  überhaupt  nur  zu  den  mittel- 
mässigen  Producten  auf  diesem  Felde  der  Litteratur  zählen, 
und  demselben  weder  in  materieller  noch  formeller  Beziehung 
einen  durchgehenden  und  wesentlichen  Vorzug  vor  seinen  Ri- 
valen beimessen  können;  am  wenigsten  möchte  dasselbe  aber 
mit  andern  und  neuerlich  erschienenen  Lehrbüchern  der  alten 
Geschichte,  z.  B.  mit  dem  mehrseitig  ausgezeichneten  von  El- 
len dt  eine  zu  seinem  Vortheile  ausschlagende  Vergleichung 
bestehen.  Zum  Erweis  dessen  bedarf  es  keiner  durchgreifen- 
den Kritik ,  die  der  ersten  Auflage  bereits  durch  andere  kriti- 
sche Blätter  geworden  ist,  sondern  nur  eines  hier  und  da  ein- 
schlagenden Obelus.  —  Wir  wählen  zu  dieser  kritischen  Re- 
cognition  die  allgemeine  nur  10  Seiten  befassende  Einleitung, 
in  deren  Bearbeitung  sich  der  Verf.  am  freiesten  bewegen  und 
theils  den  denkenden  und  methodischen  Lehrer,  theils  den  um- 
fassenden Geschichtskenner  bekunden  konnte.  — 

Vergebens  sehen  wir  uns  nach  einer  präcisen  Erklärung 
des  Begriffes  Geschichte  um;  vergebens  nach  einer  genauen  Er- 


114  Geschichte. 

örterung  und  üntersclieidung  Toii  Erzählung  und  Beschreibung, 
und  eben  so  vergeblich  nach  einer  gründlichen  Eintheilung 
theils  der  historischen  Disciplinen  überhaupt,  theils  der  eigent- 
lichen oder  politischen  Geschichte.  Eben  so  unvollständig  und 
unbestimmt  ist  die  Definition  vom  Staat  (ein  Verein  von  Men- 
schen, die  Menschenrechte  zu  sichern),  so  wie  von  Verfassung 
(die  Innern  Einrichtungen  machen  die  Verfassung  des  Staates 
aus!  *?).  Noch  unbefriedigender  sind  die  6  Zeilen,  welche  die 
ünentbehrlichkeit  und  den  Nutzen  der  Geschichte  darlegen 
sollen,  worüber  doch  der  Verf.  schon  in  RVihs  Propaedeutik 
eine  ampla  messis  fand.  —  Die  neueste  Geschichte  soll  eine 
Geschichte  des  Tages,  und  die  mittlere  Geschichte  von  der 
Art  seyn,  dass  sie  sich  im  Vortrage  von  der  neuern  Europ. 
Staatengeschichte  nicht  füglich  trennen  lasse:  so  wenig  gilt  al- 
so dem  Verf.  das  Mittelalter  als  ein  für  sich  bestehendes  und 
charakteristisch  abgeschlossnes  Ganze  (Siehe  jedoch  Th.  II, 
Einleitung).  Die  Wichtigkeit  der  Sagengeschichte  ist  kaum 
angedeutet,  geschweige  ausgeführt;  eben  so  die  Periodologie 
(das  Mittelalter  schliesst  mit  der  Entdeckung  von  Amerika  — 
als  wenn  ein  erst  100  Jahre  später  universal -wirksam  u.  wich- 
tig v/erdendes  Ereigniss  ein  ganzes  Zeitalter  abdämmen  und  ab- 
marken könnte!);  als  Hilfswerk  für  Mythologie  wird  die  Com- 
pilation  von  Fiedler ,  weder  Voss  nochCreuzer  empfoh- 
len, noch  sonst  ein  Wink  zur  Orientirung  auf  diesem  labyrin- 
thischen Hypothesen -Felde  gegeben. 

In  Verfolg  des  ersten  Lehrabschnitts  heisst  es :  Die  Quel- 
len der  alten  Geschichte  seyen  zuverlässiger  als  die  der  neuern 
(eine  unerweisliche  Behauptung);  als  Hilfsmittel  zur  Kenntniss 
der  alten  Geschichte  wird  Galetti's  Gesch.  d.  St.  u.  V.  d. 
Alterthums  angeführt  (durchaus  nicht  erapfehlungswerth,  wo- 
gegen wir  Beck 's  Namen  und  Hauptwerk  vermissen). 

Der  Verf.  beginnt  mit  der  Geschichte  der  altern  Babylo- 
nier  und  absolvirt  sie  höchst  dürftig  in  fünf  kurzen  Paragra- 
phen: also  von  Indien  und  Heeren's  Forschungen  und  ge- 
haltvollen Resultaten  keine  Spur!  Das  scheint  demnach  der 
Grundübelstand  des  Werkes  auch  in  seiner  erneuerten  und  ver- 
besserten Gestalt  zu  seyn,  dass  das  Neuere  und  Bessere  weder 
im  Inhalt  noch  in  der  Darstellung  benutzt  ist,  dass  die  Völker 
und  Staaten  des  Orients  mit  Dürftigkeit  behandelt  und  ober- 
flächlich abgefertigt  werden,  dass  selbst  die  geographischen 
Notizen  sich  nicht  über  3Iannert's  Compendium  erheben, 
dass  die  Anordnung  und  Ausführung  der  einzelnen  Parthien  we- 
der durch  wiederholte  Uebersichten  und  passende  Uebergänge 
vest  und  lichtvoll  gehalten,  noch  mit  Ebenmässigkeit  ausge- 
führt sind  (wie  denn  z.  B.  das  Verzeichniss  der  Symmachien 
Athens  und  Sparta's  im  Pelop.  Kr.  zwar  den  Kenner  des  Thucy- 
dides,    aber  weniger  den   historischen  Methodiker  verräth); 


Haacke:  Lehrbuch  der  Staatengeschichte.  175 

endlich,  dass  der  historische  Styl  des  Verf.  ein  sehr  trockner 
und  dabei  zerstückelnder  Lehrstyl  ist,  der  ohne  irgend 
eine  Farbe,  Frische  und  Lebendigkeit  sich  eben  so  fern  hält 
von  der  Kräftigkeit  und  Gedrängtheit  eines  Bredow,  als  von 
der  Gewandtlieit,  Fülle  und  >Vänne,  welche  die  Lehrbücher 
von  Pölitz  auszeichnet.  Und  doch  sollte  ein  historisches 
Lehr-  und  Schulbuch,  wie  in  seinem  Inhalte  gewählt ,  so  auch 
in  Form  und  Ausdruck  mit  möglicher  Sorgfalt  gearbeitet  und 
gefeilt,  und  für  Lehrer  und  Schüler  gleich  anregend,  Styl  bil- 
dend ,  kurz  mustergiltig  seyn !  — 

Die  Anzeige  der  Quellen  ist  mehr  einseitig  als  durchge- 
hend und  nicht  wohl  geeignet ,  den  Lehrling  zum  eigenen  Quel- 
lenstudium anzuleiten  und  anzuregen.  Zu  dem  Ende  war  eine 
Charakteristik  der  Haupt  -  Quellenschriftsteller  unerlässlich !  — 
Doch  wir  brechen  ab  und  wenden  uns  zum  zweiten  Theil  des 
Werks. 

Wenn  dieser  2te  Theil  den  ersten  an  Bogenzahl  übertriiFt, 
so  ist  nicht  sowohl  dieser,  sondern  vielmehr  der  Umstand  be- 
raerkensvverth  und  erfreulich,  dass  Grösse  und  Umfang  doch 
in  den  gemessnen  Grenzen  eines  handlichen  Schulbuches  ge- 
blieben ,  da  genannter  2ter  Theil  die  überschwengliche  Masse 
der  Begebenheiten  des  sogenannten  Mittelalters  und  der  neuern 
Zeit  bis  auf  das  Jahr  1818  umfasst.  Diese  allerdings  zweck- 
mässige und  löbliche  materielle  Beschränkung  eines  für  Schul- 
und  Unterrichts -Zwecke  bestimmten  Buches  (denn  ein  Schul- 
buch muss  compendiarisch  in  Form  und  Inlialt  seyn )  hat  der 
Hr.  Verf.  theils  durch  epitoraatorische  Kürze  und  Gedrängtheit 
des  Dargestellten  und  der  Darstellung  theils  dadurch  zu  errei- 
chen sich  bemüht,  dass  er  die  neue  Auflage  nur  mit  wenigen 
Abänderungen,  und  unerheblichen  Zusätzen  und  Ergänzungen 
nur  in  der  Geschichte  der  Kreuzzüge  und  der  neusten  Zeit,  zu 
verbessern  und  zu  erweitern  sich  veranlasst  sah.  Um  aber  die 
materielle  und  formelle  Kürze  und  Gedrängtheit  des  Verf.,  zu- 
gleich aber  auch  in  einem  Beispiele  zu  zeigen,  nach  welchen 
Grundsätzen  derselbe  eine  historische  Arbeit  für  den  Schulbe- 
darf einrichtet,  wählen  und  stellen  wir  den  Uten  Abschnitt  S. 
56  aus,  der  auf  dieser  und  den  4  folgenden  Seiten  die  Ge- 
schichte des  Mohammed  und  der  Araber  skizzirt  enthält.  — 
Er  lautet,  wie  folgt:  ,,Der  merkwürdige  3Iann  —  heisst  es  § 
55  —  der  in  diesem  Lande  als  Keligionsstifter  auftrat,  und  der 
Gründer  eines  der  grössten  Weltreiche  wurde,  Mnhamed  war 
570  geboren ,  und  zeigte  von  Jugend  auf  viel  JN  achdeiiken  und 
eine  feurige  Phantasie.  Das  Unglück  des  bedrängten  Vater- 
landes, das  daraahls  von  Persern  und  llabessiniern  geschmälert 
ward,  ging  ihm  zu  Herzen,  und  er  hielt  sich  berufen  der 
Retter  desselben  durch  einen  neuen  Glauben  zu  werden.  Auf 
das  Volk  wirkten  seine  Orakel,  und  seine  Flucht  nach  Medina 


176  Geschichte. 

d.  16  Juli  622,  wozu  Partheigeist  ihn  nöthigte,  war  der  Anfangs- 
punct  seiner  öffentlichen  Wirksamkeit.  Seine  Parthei  vermehrte 
sich ,  und  nach  7  Jahren  vermochte  er  mit  seiner  begeisterten 
Schaar  seine  Feinde  in  Mecca  zu  besiegen.  Nun  forderte  er 
Annahme  des  Islam,  die  in  Arabien  willig  erfolgte,  weil  seine 
Gesetze  dem  Charakter  der  Nation ,  seine  Lehre  dem  Glau- 
ben der  Väter  gemäss  war.  Auch  zu  den  Nachbarn  trugen  die 
Gläubigen  den  Islam  mit  dem  Feuer  der  Begeisterung,  die  eine 
neue  Lehre  einflösst.  Der  Feldhauptmann  Chalid  eroberte  mit 
etwa  4500  Gläubigen  die  Länder  zwischen  dem  Tigris  und 
dem  Mittelmeer,  die  damahls  Persern  und  Griechen  gehörten. 
Die  Christen,  mit  Ausnahme  der  Mönche  schonte  er,  wenn  sie 
sich  dem  Tribut  unterzogen.  Muhamcd  starb  an  Gift  632  u.  s. 
w."  —  Wir  bemerken  zur  Kritik  diesses  Passus  nur  Ein  und 
das  Andere. 

Abgesehen  davon,  dass  das  Geburtsjahr  Mohammeds  hi- 
storisch ungewiss,  dass  das  Häuflein  Gläubiger,  das  die  Län- 
der zwischen  dem  Tigris  und3Iittelmeer  erobert,  ein  Arabisches 
Mährchen  ist,  dass  die  Unterdrückung  des  Landes  durch  Per- 
ser undllabessinier  weder  so  allgemein  noch  so  bedeutend  war, 
um  in  dem  Mohammed  einen  Moses  zu  erwecken,  dass  die  Be- 
hauptungen: seine  Lehre  Mar  dem  Glauben  der  Väter  gemäss 
und  die  neue  Lehre  flösste  Begeisterung  ein,  sich  theihveise 
aufheben,  dass  der  Zug:  Moh.  zeigte  viel  Nachdenken,  flach 
und  ausdruckslos,  dass  Partheigeist —  Islam —  Chalif,  Koran 
u.  s.  w.  weder  an  und  für  sich  für  hist.  Lehrjünger  verständ- 
lich, noch  genügend  erklärt  sind,  dass  das:  nun  forderte  er 
Annahme  u.  s,  w.  ungehörigen  Orts  steht:  so  düifte  die  ganze 
Stelle  wohl  eine  von  den  vielen  im  Buche  seyn,  die  weder  von 
dem  Schauplatze,  noch  von  dem  Helden  der  Begebenheit,  noch 
von  der  energischen  Kraft  und  erschütternden  Thätigkeit 
desselben  nicht  einniahl  eine  klare  Vorstellung,  geschweige 
eine  verhältnissmässig  deutliche  und  vollständige  Beschrei- 
bung, geschweige  eine  das  Jugendgemüth  anregende  und  er- 
greifende Schilderung  liefern.  —  Rec.  würde  die  unter  den 
obigen  Titel  gehörige  Materie  —  in  Form  einer  historischen 
Chrie  —  etwa  so  angeordnet  haben:  A)  die  Araber  vor  und 
zur  Zeit  Mohammed' s ;  B)  die  Aruber  (Mohammedaner)  nach 
Mohamjned.  —  I)  Ansicht  vom  Lande  oder  Schilderung  der 
Arabischen  Halbinsel  —  nach  Ritters  meisterhafter  Vorarbeit. 
II)  Ansicht  vom  Volke  oder  Schilderung  des  Arabischen  Volks- 
stamraes  in  seiner  hervorstechendsten  physischen  und  raoral. 
Eigenthümlichkeit  zur  Zeit  des  M.  (ebenfalls  nach  Ritters 
Musterbehandlung).  III)  Ansicht  von  dem  politischen^  religiö- 
sen ujid  bürgerlichen  Zustande  der  gleichzeitigen  Hauptvölker 
(insonderheit  der  Perser,  Byzantiner,  der  Christen  und  Juden), 
um  hieraus  wie  aus  der  sittlichen  und  religiösen  Versunkenlieit 


Haacke :  Lehrbuch  der  Staatengeschichte.  1T7 

und  Verworrenheit  des  Arabischen  Volkes,  wenn  nicht  die 
Nothwendigkeit  doch  die  Natürliclikeit  einer  neuen  Rcligions- 
stil'tun^  darzuthun.  IV)  Mohammeds  Auftritt  (Geburt,  Fami- 
lien-Stamm, Standes- Verhältnisse,  Charakter,  Lehre,  Le- 
ben u.  s.  w.  —  Mohammed  muss  dem  Jüngling  als  Orientale, 
als  Emir,  als  Enthusiast,  Prophet,  Fiirst  und  Papst  seines  Lan- 
des und  Volkes  erscheinen,  als  ausserordentlicher  3Iensch,  als 
eine  universalhistorische  Person,  als  ein  nothwendiges  Glied 
in  der  Kette  der  Dinge,  als  ehi  Werkzeug  in  der  Hand  der  die 
Menschheit  erziehenden  Vorsehung,  wobei  obgleicli  in  sehr 
untergeordneter  Beziehung  und  Bedeutung  zu  Moses  und  Chri- 
stus). V)  Verbreitung  von  Mohammeds  Lehre  (Islam,  Koran, 
aus  welchem  den  Schülern  einige  Stellen  mitzutheilen)  durch 
Arabien ,  über  «S  Erdtheile.  VI)  Herrschaft  der  Mohamtneda- 
wey  (Chalifen,  Chalifate),  VII)  Welterschütternder  und  welt- 
bildender Einßuss  des  Mohammedanis mus  u.  s.  w. ,  —  kurz  das 
Ganze  sei  eine  in  zweckmässigen  Einzelnheiten  durchgeführte 
synchronistische  Monographie  des  Entstehens,  Wachsthums, 
der  Blüthe,  des  Verfalls  der  Arabisch -mohammedanischen  Re- 
ligionsherrschaft mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Momen- 
te ihres  meteorartigen  Steigens  und  Sinkens.  —  So  wenig  Reo. 
diese  chrienartige  Disposition  zur  Grundlage  einer  Musterbe- 
handlung des  historischen  Stoffs  für  die  Schule  unbedingt  em- 
pfehlen kann  und  mag,  so  glaubt  er  doch  die  Bedingungen  und 
Grundsätze  gegeben  und  vorgezeichnet  zu  haben,  tinter  und 
nach  tcelchen  er  selbst  sein  Material  für  seine  historische  Ite 
Kl.  abzuhandehi  pflegt,  und  wenn  er  den  Wunsch  ausspricht, 
dass  diess  in  ähnliclier  Form  auch  unter  ähnlichen  Verhältnis- 
sen geschehen  möge,  so  hat  er  die  Erfahrung  für  sich,  dass 
nur  durch  Hervorhebung  des  Wesentlichen  und  Charakteristi- 
schen, Erhebenden  und  rein  Menschlichen,  in  der  Menschen - 
und  Völker -Geschichte  ein  heilbringendes  bist.  Studium  auf 
Gelehrtenschulen  gefördert  und  erzielt  werden  kann.  —  Herr 
Rect.  Ilaacke  würde  sich  daher  noch  verdienter  um  seine  und 
die  Gymnasial- Jugend  des  Vaterlandes,  für  die  er  geschrieben, 
gemacht  haben,  wenn  es  ihm  gefallen  hätte,  in  seine  politische 
oder  Staaten -Geschichte  mehr  Elementar -Notizen  aus  der  Sit- 
ten-, Religions-,  Kunst-,  Cultur-  und  Verfassungs -Geschichte 
der  Völker  aufzunehmen,  auch,  wie  in  dem  Iten  Th.  des  Lehr- 
buchs, die  Quellen  anzudeuten;  überdiess  mehr  Gemähide  und 
Gruppen  von  Thatsachen,  die  den  gesellschaftlichen  Zustand 
und  den  allgemeinen  Gang  des  Völkerlebens  charakterisiren, 
als  ein  Aggregat  von  minder  bedeutenden  Facten  aus  der  Re- 
genten-und  Kriegshistorie  aneinander  zu  reihen;  dabei  stets 
den  Hausbedarf  und  das  Interesse  der  historisch  zu  unterrich- 
tenden Jugend  im  Auge  zu  behalten,  und  jenen  eben  so  wenig 
durch  UeberfüUung  zu  gefährden,  als  dieses  durch  Entziehung 

Jahrb.  f.  Flui.  u.Fääag.  Jahrg.  HI.  Heft  10.  J2 


178  Kleinere     S  chulschrif  ten. 

des  mittelst  Vortrag  und  Darstellung  zu  entbindenden  Wärme- 
stoffs zu  kälten  und  niederzuschlagen.  Hätte,  wie  gesagt,  Hr. 
llect.  Haacke  mehr  fiir  das  eigene  Lehrbedürfniss,  und  weni- 
ger für  das  allgemeine  Lesebedürfniss  gearbeitet,  so  würde 
sein  Buch  als  Schulbuch  an  Werth  und  Brauchbarkeit  gewon- 
nen haben.  So  m  ie  es  jetzt  liegt,  eignet  es  sich  weniger  zu  ei- 
nem Lehrbuche,  als  Grundlage  und  Gerippe  für  den  mündlichen 
Vortrag  und  als  ein  Ersatzmittel  der  Dictata,  sondern  vielmehr 
zu  einem  Lese- und  Ilepetitions- Buche  für  Schüler,  d.  h.  für 
Scliolaren  der  I  und  H  historischen  Klasse  auf  Gymnasien.  Und 
wie  dasselbe  in  materieller  Hinsicht  ein  mit  Urtheil  und  Beson- 
nenheit angelegter  Auszug  aus  den  Handbüchern  von  Eich- 
horn, Rotteck,  Pölitz  u.a.  oder  wenigstens  eine  Vorbe- 
reitung auf  diese  und  andere  Staatengeschichten  (ausführlichere) 
zu  seyn  scheint:  so  nähert  es  sicli  auch  in  formeller  Beziehung 
denselben,  wenigstens  erinnert  der  Styl  an  die  Lebhaftigkeit 
und  rhetorische  Gewandtheit  jener  Historiker,  und  hat  wesent- 
liche Vorzüge  vor  der  im  li^w  Th.  herrschenden  Magerkeit  und 
Trockenheit.  —  Von  der  Benutzung  anderer  und  neuerer  Histo- 
riker, eines  Luden,  Rülis,  Rehm  u.  a.,  zeigt  sich  wenig 
Spur,  und  doch  lag  diePfliclit  und  derGenuss  der  Vergleichung 
und  Benutzung  gleich  nahe!  Die  Periodeneintheilung  ist  mehr 
oberflächlicli  als  tief,  und  beruhet  eben  so  Menig  als  der  bei- 
gegebene Tabellen -Entwurf  auf  neu  erforschten  oder  alt- be- 
währten Grundsätzen.  Unerlässlich  Mar  zur  vorläufigen  An- 
und  Uebersicht  des  Ganzen,  und  wenn  auch  nur  als  Capitel- 
Ueberschrift  ein  der  jedesmaligen  Special- Geschichte  voran- 
zustellendes Summarium  der  epochemachenden  Personen  und 
Begebenheiten,  oder  eine  Periodik  nach  biographischen  Prin- 
cipien  und  Momenten,  worüber  Schlözer  in  seiner  Vorstel- 
lung der  Universal -Historie,  wenn  auch  in  derber  und  barok- 
ker  Manier,  doch  eben  so  viel  Wahres  als  Beherzigungswer- 
thes  für  jeden  Schulhistoriker  gesagt  hat. 


Kleinere  Schulschriften, 


Staat^  Schule  und  Haus  müssen  in  ihr en  Strebun- 
gen eins  seyn^  wenn  das  Werk  der  Jugendbil- 
dung gedeihen  soll.  Eine  Schulrede  von  J.  C.  Leber. 
Hantschkc.  Progr.  Elberfeld,  Schönian'sclie  Buchliandlung.  1827. 
16  (8)   S.  gr.  4. 


Hantschke's  Schulrede,  u.  desselb.  Zuschr.  an  das  gross.  Publlcura.  179 

Wesen  und  Zweck  des  Gymnasialunterrichtes. 
Eine  Zuschrift  an  das  f^rössere  Publikum.  Nebst  einer  Beylagc  aus 
Dr.  Martin  Luthers  Schrift  an  die  Ilatbsherrn  aller  Städte  üeutscb- 
lands  etc.  Von  Dr.  Joh.  Carl  Leberecht  Ilantschke ,  Oberlehrer  an 
dem  Gymnasium  zu  Elberfeld.  Elbcrfeld,  Scbönian'scbe  Buch- 
handlung. 1827.  26  S.  gr.  8.  geh.  6  Gr. 

M*ic  Sclnilrede  des  Hrn.  Dr.  Ilantschke,  die  einen Theil  des 
Elberfelder  Ilerbstprogr.  vom  J.  1827  ausniaclit,  und  die  be- 
sonders erschienene  Zuscliril't  an  das  grössere  Publikum  kön- 
nen ihres  Terwandten  Inlialtes  und  Ursprungs  wegen  füglich 
mit  einander  verbunden  werden.  Sie  sind  unverkennbar  aus 
lokalen  Verhältnissen  des  Gymnasiums  zum  Publikum  hervor- 
gegangen, welchem  direkt  und  indirekt  Mangel  an  gehöriger 
Würdigung  und  allseitiger  Förderung  der  Gyninasialstudien  zur 
Last  gelegt  wird.  Aber  auch  anderwärts  fehlt  es  leider!  noch 
immer  in  beydcr  Hinsicht,  und  der  behandelte  Gegenstand  hat 
sonach  nicht  bios  für  Elberfeld  Interesse. 

Die  allseitige  Förderung  der  Gymnasialbildung  macht  das 
eigentliche  Thema  der  Schulrede  aus,  mit  der  richtigen  Wür- 
digung der  Gymnasialstudien  insbesondere  beschäftigt  sich  die 
Zuschrift  an  das  grössere  Publikum.  Wenn  nun  der  Hr.  Verf. 
in  ersterer  Hinsicht  nicht  nur  für  Elberfeld  Treffendes  gesagt, 
sondern  auch  Manches  berührt  hat ,  was  anderwärts  ebenfalls 
beachtet  zu  werden  verdient,  so  ist  ihm  in  der  andern  Hinsicht 
beydes  misslungen.  Das  Elberfelder  Publikum  kann  und  wird 
es  nicht  gleichgültig  aufgenommen  haben ,  was  ihm  über  die 
ausgezeichnete  Sorgfalt  des  Preussischen  Staates  für  Bildung 
tüchtiger  Staatsbürger  aus  allen  Klassen  in  der  Schulrede  tref- 
fend zu  Gemüthe  geführt  wird;  es  muss  die  Schulzwecke  eh- 
ren, die  in  Rücksicht  des  Unterrichts  und  der  Erziehung  ange- 
geben werden,  und  hat  allen  Grund,  auf  Beseitigung  der  Hin- 
dernisse bedacht  zu  seyn ,  welche  die  häusliche  Erziehung  der 
öffentlichen  in  den  Weg  legt.  Anderwärts  sind  die  Bemühun- 
gen Preussens  für  die  gesammte  Jugend  bildung ,  und  die  Gym- 
nasialbildung insbesondere,  bekannt;  wenn  jedoch  der  Hr. 
Verf.  sagt,  dass  aus  der  Schule,  und  aus  einem  Gymnasium 
insbesondere,  die  Bildner  der  Jugend,  die  Lehrer  des  Volkes, 
die  Bürger  und  Unterthanen,  die  erwerbende  und  handelnde 
Klasse,  die  Geschäftsleute  für  alle  Verzweigungen  des  staats- 
bürgerlichen Lebens,  die  Berather  des  Fürsten,  die  Träger  und 
Stüzen  des  l'hrons  hervorgehen  sollen ,  so  verträgt  sich  diese 
Forderung  allerdings  mit  dem  Elberfelder  Gymnasium,  an  wel- 
chem, nach  dem  übrigen  Inhalte  des  Prograiums,  Bürger-  und 
Gelehrtenschule  lokaler  Verhältnisse  MCgen  vereinigt  sind, 
aber  sie  ist  nicht  einmal  für  die  Preussischen  Gymnasien  ailge- 
meia  geltend,  viehveniger  allgemein  gültig.    Darum  ist  es  auch 

12* 


180  Kleinere    Schulschriften. 

nur  relativ  richtig ,  dass  die  höhere  oder  gelehrte  Schule  die 
dereinstigen  Staatsbürger  mit  den  für  alle  Fächer  und  Zweige 
des  staatsbürgerlichen  Lebens  erforderlichen  Kenntnissen  und 
Fertigkeiten  auszurüsten  liabe.  Allgemein  lässt  sich  diess  nicht 
behaupten ,  und  eben  so  wenig  diesem  Hauptzweck  die  Sorge 
für  frühzeitige  Begründung  staatsbürgerliclier  Gesinnungen  in 
den  jugendlichen  Geuiüthern  als  Aufgabe  geradezu  coordiniren. 
Wenn  ersteres  den  Unterricht  angeht,  so  fordert  die  ihm  zur 
Seite  stehende  Erzieliung  doch  alier  Orten  mehr  als  das  lez- 
tere,  ohne  damit  ein  örtliches  und  zeitliches  Bedürfniss  der 
besondern  Beachtung  staatsbürgerlicher  Gesinnungen,  oder  die 
Einbildung,  Anmaassung,  Dünkelhaftigkeit,  Aufgeblasenheit, 
Kechthaberey  und  Widerseziichkeit  unserer  Jugend,  nur  nicht 
überall  als  JN  ach  wehen  früherer  Verirrungen  eines  durch  unge- 
wöhnliche Zeitereignisse  veranlassten  Freyheitsschwindels,  in 
Abrede  stellen  zu  wollen,  eben  so  wenig  als  das  dringendste 
Bedürfniss  kräftiger  Ankämpfung  ge^tn  solche  und  ähnliche 
Entartungen  für  Schule  und  Haus  zu  misskennen.  Diese  trauri- 
gen Erscheinungen  haben  gar  zu  häufig  ihre  nächste  und  Haupt- 
veranlassung in  verkehrter  häuslicher  Einwürkung,  welche  über- 
haupt den  Bemühungen  der  Schule  nach  des  Hrn.  Verf.  Ansicht 
theils  aus  gänzlicher  ünbekanntschaft  der  Eltern  mit  dem  We- 
sen und  Zweck  eines  Gymnasiums ,  theils  aus  vorurtheilsvollen 
spiessbürgerlichen  Lebens-  und  Bildungsansichten,  theils  aus 
Mangel  eines  allgemeinen  Schulsinnes  und  Widerstreben  gegen 
den  Erziehungsernst  der  Schule  hemmend  entgegentritt.  Ander- 
wärts finden  sich  diese  Dinge  mit  ihren  unseligen  Ergebnissen 
wohl  auch,  aber  man  schweigt  manchmal  lieber  dazu,  als  dass 
man  sich  öffentlich  bey  schicklichen  Gelegenheiten  darüber 
ausspricht,  um  es  mit  den  bösen  Leuten  nicht  zu  verderben, 
die  man  ohnehin  nicht  mehr  ändere.  Der  Herr  Verf.  hat  den 
Gymnasien,  welche  mit  tlenselben  oder  mit  verwandten  Hera- 
raungen zu  kämpfen  haben,  ein  nachahmungswerthes  Beyspiel 
gegeben,  sich  darüber  vor  versammelten  Schülern  und  Leh- 
rern, Gönnern  und  Freunden,  Begründern  und  Vorstehern  der 
Schule  mit  Offenheit  und  treffenden  Bemerkungen  zu  erklären, 
üeberhaupt  rauss  diese  Schulrede,  ungeachtet  einzelner  Aus- 
stellungen, jeden  Schulmann,  dem  es  mit  seinem  Amte  Ernst 
ist,  freundlich  ansprechen. 

Unbefriedi-'t  hingegen  legt  der  Scliulmann  die  Zuschrift 
an  das  grössere  Publikum  aus  den  Händen,  und  diess  nicht  et- 
wa darum,  weil  ihm  nichts  geboten  wird,  das  er  nicht  schon 
wiisste,  sondern  weil  sie  der  Absicht  nicht  entspricht,  die  sie 
sicli  selbst  vorsezt,  mag  man  nun  zunächst  an  El  b  er  fei  d  und 
die  Umgegend  oder  an  einen  weitem  Kreis  denken,  wo  es  an 
richtigem  Urtheil  über  die  Würksamkeit  eines  Gymnasiums  ge- 
bricht.    Denn  will  man  diese  mit  dem  Hrn.  Verf.  durch  dieBe^ 


Hantschke's  Schulrede,  u,  dessclb.  Zusclir.  an  das  gross.  Publicum.  181 

stimmaiig  desjenigen  kenntlich  maclien,  was  Wahres  nnd  Fal- 
sches an  der  Ansicht  sey ,  als  ob  aiii"  einem  Gymnasium  nur 
Griechisch  und  Lateiniscl»,  oder  heydes  docl»  vorzugsweise, 
mit  Ilinlansezung  anderer  Sprachen  «ind  WissenscIiaTtcn,  ge- 
lelirt  und  gelernt,  folglich  nur  die  IJildung  des  eigentlichen 
Studirenden  oder  des  sogenannten  Gelehrten  bezweckt  würde; 
so  liesst  man  am  Ende,  anstatt  iiber  Wesen  und  Zweck  des 
Gymnasiaiunterrichts  belehrt  zu  werden,  eine  Apologie  desGrie- 
einsehen  und  Lateinischen  gegeniiber  einem  verstockten  Publi- 
kum, das  wahrscheinlich  alles  nach  augenblicklichem  iVuzeu 
oder  auch  nach  Procenten  zu  bemessen  gewöhnt  ist.  Diesem 
Theildes  grössern  Publikums  wird  es  dann  auch  ziemlich  gleich- 
gültig seyn,  woher  wir  unsere  Gymnasien  haben  und  wie  sie  ge- 
worden sind ;  erdenkt  vielleicht  gar,  der  geschichtliche  Ur- 
sprung derselben  sey  nicht  der  Gesichtspunkt  zu  ihrer  richtigen 
Würdigung,  denn  sonst  hätte  man  sich  von  dem  Trivium  und 
Quadrivium  niemals  entfernen  dürfen.  Er  kann  es  zugestehen, 
dass  durch  Griechisch  und  Lateinisch  die  Denkkraft  geübt  und 
gestählt  werde,  und  dennoch  die  Nothwendigkeit  der  alten  Spra- 
chen fürGewerhsbefähigung  und  allseitige  Entwicklung  der  Gei- 
steskräfte läugnen.  Er  braucht  den  Gymnasien  den  gesteiger- 
ten Denkstoff  nicht  anzustreiten,  ohne  darum  ihren  ganzen  Lehr- 
kreis zur  Erlangung  geistiger  Fähigkeit  für  unentbehrlich  zu 
halten.  Er  mag  den  Einfluss  der  Griechen  und  llömer  auf  die 
Bildung  von  ganz  Europa  glauben,  aber  er  Mird  es  nicht  ein- 
räumen, dass  der  Gymnasiast  an  den  Griechischen  u.  Römiscliea 
Meisterwerken  der  Sprache  Deutsch  lerne.  Eben  so  wenig  be- 
weisst  ihm  die  Erleichterung  der  sogenannten  neueren  Sprachen 
neben  der  Erlernung  der  Griechischen  und  Lateinischen,  oder 
gar  die  Ungewissheit  unserer  künftigen  Lebensverliältnisse.  So 
kann  in  Elberfeld  und  so  auch  anderwärts  selbst  derjenige  Theil 
des  grösseren  Publikums  denken,  welcher  für  die  sogenannten 
Kealien  eingenommen  ist;  und  wer  alles  Heil  für  Gymnasien  in 
die  klassischen  Sprachen  sezt,  wird  liinwiederum  die  angeprie- 
sene Verbindung  mit  Elementar-  und  Mittel-  oder  Bürgerschule 
unstatthaft  finden.  Ueberhaupt  lässt  sich  die  Würksamkeit  der 
Gymnasien  durch  die  Betrachtung  der  einzelnen  Unterrichisge- 
gcnstände,  auch  wenn  sie  vollständig  wäre,  niemals  befriedi- 
gend darstellen,  so  gewiss  die  Schulen  niclit  lediglich  Anstaitcji 
zur  Entwicklung  der  Erkenntnissseite  der  menscldichen  Geistes- 
thätigkeit  sind,  und  ohne  pelitio  principii  kann  man  selbst  bey 
dieser  Einseitigkeit  nicIit  einmal  versteckter  Weise  die  beste- 
hende Einrichtung  eines  einzelnen  Gymnasiums  zuGrunde  legen. 
Die  auf  dem  Titel  bezeichnete  Zugabe  mag  auf  sich  beru- 
hen, weil  daraus  im  Grunde  doch  nicht  mehr  hervorgeht,  als 
dass  die  alten  Sprachen  (Griechisch,  Hebräisch  und  Lateinisch) 
um  des  Evangeliums  willen  gelernt  werden  sollen»  und  mithin 


182  Kürzere     Anzeigen. 

entweder  nur  der  Tlieolog  so  etwas  zu  wissen  braucht  oder  alle 
und  jede  christliche  Seele. 

Rastatt.  Prof.  Dr.    JVinnefeld. 


Gymnasien  sind  Voj- schulen  der  Weisheit.  Rede, 
bey  seiner  feierlichen  Einführung  als  Direktor  des  königl.  kathol. 
Gymnasiums  in  Briiunsberg  am  30  Ottober  1827  gebalten  von 
Gideon  Gerlach.  Braunsberg ,  gedruckt  bey  G.  D.  Feyerabend. 
25  S.  kl.  8. 

In  dieser  Rede  nimmt  der  Hr.  Verf.  aus  seiner  neuen  Stel- 
hmg  als  Direktor  der  Anstalt  die  passende  Veranlassung,  über 
die  Aufgabe  der  Gymnasialbildung  seine  Ansicht  auszusprechen, 
um  seinem  Streben  ein  festes  Ziel  vorzuzeichnen ,  und  Lehrer 
und  Schiller  zur  treuen  MitwVirkung  einzuladen  ,  damit  das  be- 
gonnene Werk  glücklich  gelinge.  Insofern  nämlich  die  Gymna- 
sien lediglich  für  den  wissenschaftlichen  Beruf  vorbereiten  sol- 
len, und  der  wahrhaft  wissenschaftlich  Gebildete  der  Weise  ist, 
so  müssen  sie  durch  Unterricht  die  vollkommenste  Einsicht  und 
durch  Erziehung  die  vollendete  That  bey  den  Zöglingen  möglich 
zu  machen  streben.  Jenes  wie  dieses  Ziel  wird  per  enumera- 
tionem  partium  in  dem  Sinne  einer  wissenschaftlichen  Vorschule 
anschaulich  gemacht,  und  der  lezte  Halt  des  Ganzen  in  wah- 
rer Gottesfurcht  gefunden.  Neues  ist  in  der  Ausführung  dieser 
Ansichten  eben  nichts  gesagt,  aber  was  gesagt  ist,  das  ist  in 
Rücksicht  des  Inhaltes  wahr  und  in  Rücksicht  der  Darstellung 
durch  klaren  Ausdruck,  ernste  Haltung  und  liebevolle  Gemüth- 
lichkeit  durchweg  ansprechend.  Ref.  hat  die  Rede  mit  all'  der 
Theilnahme  gelesen,  die  eine  Folge  verwandter  Ansichten  über 
die  Angelegenheiten  des  Lehrerberufs  ist.  Möge  das  Gymna- 
sium unter  der  neuen  Leitung  den  herzlichen  Wünschen  des 
Hrn.  Gerlach  entsprechen! 

Rastatt.  Prof.  Dr.    JVinnefeld. 


Kürzere  Anzeigen. 


Katechismus  der  deut  sehen  Vaterlandshunde^ 
vom  Hofrath  und  Professor  Gallctti.  Leipzig,  Baumgartncrsclie 
Buchhandlung.  1826.  XU  und  181  S.  kl.  8.  br.  12  Gr. 

▼  V  ir  leben  —  leider!  —  in  einem  Zeitalter  der  litterarischen 
Mode -Waaren  und  Galanterie  -  Arbeiten,  und  des  Kleinhandels 


Goiletti :  Katechismus  der  Dcutsclicn  Vatcrlandi^kundc.        183 

und  Hausirens  mit  beiden.  Der  Geist  gestrenijer  Wissenschaf- 
ten, welcher  vordem  in  der  Form  schwerer  Qiiartanten  und  Fo- 
lianten erschien,  die  nur  in  Staats-  und  Gelehrten -Bibliotlie- 
ken  Aufnahme  und  ein  Quartier  fanden,  wird  jetzt  in  Sedez- 
Forraate  gegossen,  auf  Taschenbücher  gefüllt  und  in  Etui- Aus- 
gaben abgezogen,  die  ihren  l'latz  in  den  Cabiiietten  der  Dilet- 
tanten, und  in  den  Boudoirs  und  auf  den  Toiletten  der  Damen 
suchen  und  finden.  Und  wenn,  nach  Hufeland,  ein  Ilaupt- 
triumpfder  neuem  Kochkunst  die  Kunst  ist,  Nahrungssaft  in  der 
cojicentrirtesten  Gestalt  in  den  Kiirper  zu  bringen:  so  scheint 
es  ein  für  die  litterarische  Productions- Kunst  und  die  damit 
verbundenen  geistigen  Nahrungs-  und  lleslaurations -Anstalten 
des  lOteu  Jahrhunderts  vorbehaltener  Triumpf  zu  seyn ,  die 
Wissenschaften  durch  Auspressen  und  Einkochen  derselben  als 
Consommees,  Gele'es  oder  als  wohlriechende  Essenzen  zuzube- 
reiten, und  diese  wie  andere  dergleichen  vermeintlich  leichtere 
und  verdaulichere  Nahrungssäfte,  den  Magen  vorbei,  sofort 
ins  Blut  der  Leser  und  Liebliaber  zu  schicken.  Daher  denn  die 
gangbaren  und  beliebten  Quintessenzen  und  Kraftauszüge  aus 
Göthe's,  Schiller's,  Jean  Paul's,  Ilerder's  u.a.  Wer- 
ken unter  dem  anlockenden  Titel:  Geist!  Daher  die  vielen 
spottwohlfeilen  Kunsttheorien,  wie:  in  -1  Wochen  Französisch 
sprechen  und  schreiben  zu  lernen,  so  wie  die  mancherlei  ent- 
hüllten Geheimnisse  — •  der  Bierbrauer,  der  Taschenspieler; 
daher  die  endlose  Reihe  von  Lehr-  und  Leitfäden,  von  Com- 
pendien  und  Breviarien;  die  sich  einander  iiberrennende  Folge 
von  Encyclopädien  und  Keal- Wörterbüchern;  daher  die  Legion 
von  Zeit-  und  Tagesschriften,  die  Alles  liefern  und  in  den  Kauf 
mitgeben,  nur  die  kostbare  Zeit  zum  Lesen  nicht;  die  Massen 
und  Ballen  gesammelter  und  sämmtlicher  Werke,  die  einzeln 
schon  llepositorien  füllen;  und  daher  denn  endlich  auch  —  die 
Katechismen  aller  möglichen  Künste  und  Wissenschaften,  denn 
diess  ist  der  neueste  und  jüngste  Titel,  unter  welchem  die  Sy- 
steme des  menschlichen  Wissens  zu  Elixiren  und  Lebenswas- 
sern destillirt  und  feil  geboten  werden.  Vorausgesetzt,  dass 
diese  katechetischen  Modeartikel  einen,  wejin  aucli  nur  relati- 
ven, Werth  und  ihr  kauflustiges  Publicum  haben,  also  einem 
geistigen  Zeitbedürfnisse  abhelfen:  so  gebührt  der  Baum gü/l- 
nei  sehen  BucJihandlnng  in  Leipzig  das  Verdienst,  dieselben  zu- 
erst in  Bestellung  gegeben,  in  Umlauf  gesetzt  inid  in  Aufnahiue 
gebracht  zu  haben.  Denn  eben  diese  Buchhandlung,  die  auch 
den  vorliegenden  Gal  le  1 1  ia,chen  Katechismus  zum  Druck  be- 
sorgt und  in  Verlag  genommen  hat,  bietet  in  der  demselben 
angehängten  buchhändlerischen  Anzeige  an  drei  Dutzend  solche 
Katechismen  aus ,  worunter  auch  Katech.  für  Kindbetterinneii^ 
Neuvermählte^  iür  Reiter ^  für  Bierbrauer^  so  wie  Katech.  der 
Höflichkeit^   der  Mythologie ^   der  Homöojjathie .,  der  Griechi- 


184:  Kürzere     Anzeigen. 

sehen  Alterthümer  ^  der  Aesthetik^  der  Algebra  u.  s.  w.  figuri- 
ren  und  paradiren  —  das  Stück  im  Durclischnitt  zu  12  Gr.  — 
Also,  wie  gesagt,  die  Wissenschaften  iu  einer  ISussschaale  ,  die 
Künste  in  Broschüren  concentrirt!  Der  Geist  der  Gelehrsam- 
keit in  Kraft- Dosen  verdichtet  und  gereicht,  Ragouts  gebraut 
von  Andrer  Sclimaus!  0  goldenes  Zeitalter  der  Litteratur,  wo 
die  Olympischen  Musen  Hand  in  Hand  mit  den  niedern  Haus- und 
Erden -Göttern  gelien,  und  an  der  Tafel  Mercurs  schmausen! 
Fern  sey  es  von  uns,  mit  diesem  „Scherz  in  Ernst"  das 
Verdaramungsurtheil  sowohl  diesen  Katechismen  als  ähnlichen 
Popularisi/ungs -\ ersuchen  gelehrter  Kenntnisse  zu  sprechen! 
Denn  das  ist  und  sey  das  endliche  Ziel  der  Gelehrsamkeit  und 
Wissenschaft,  dass  beide —  in  ihren  Resultaten  und  Wirkun- 
gen —  volksthünilich  und  praktisch  werden,  dass  sie  aus  dem 
Kasten -Monopol  zu  einem  Geraeingut  für  die  Menschheit  sich 
veredeln!  Aber  stark  und  nachdrücklich  müssen  wir  uns  erklä- 
ren gegen  die  u7ipopulcire  Weise,  wie  dieses  —  wenn  nicht  über- 
haupt in  den  Bauiiigärtnerschen  Artikeln,  die  in  ihrer  Anzahl 
und  Folgenreihe  eher  den  Schein  einer  buchhändlerischen  Spe- 
culation,  als  den  Geist  eines  gemeinnützigen  Unternehmens  ver- 
rathen ,  —  doch  wenigstens  in  dem  vorliegenden  Beispiele  ge- 
schehen ist.  Denn  unpopulär  nennen  wir  mit  Recht  eine  Schrift 
und  einen  Schriftsteller,  die  weder  einen  volksmässigen  Zweck^ 
nocli  einen  volksmässigen  Gehalt,  ja!  nicht  einmahl  ein  volks- 
mässiges  Publician  haben.  —  Dass  diess  der  Fall  sey  mit  Gal- 
letti  und  der  vorbetitelten  Schrift,  die  zwar  seinen  Namen 
trägt  —  aber  ihn  gewiss  nicht  auf  die  Nachwelt  bringen  würde, 
wenn  derselbe  nicht  schon  durch  gediegenere  Werke  gesichert 
und  geborgen  wäre  —  wird  sich  leicht  ergeben ,  wenn  wir  die 
Eigenschaften  und  Vorzüge  eines  Katechismus  wie  er  seyn  soll, 
mit  dem  Gallettischen,  d.h.  mit  einem,  wie  er  nicht  seyn 
soll,  vergleichen. —  Hier  nur — denn  das  genügt  für  den  Zweck 
der  Ki'itik  —  einige  Grundzüge  dieser  Vergleichung.  — 

I.  Ein  Katechismus  soll  i/i  Fragen  imd  Antworten  gefasst, 
soll  ein  Volks  -  Fragbüchlein  seyn.  —  Allein  der  Gallettische 
Katechismus  ist  so  wenig  in  Fragen  und  Antworten,  oder  in 
einem  lebendigen  Wechselgespräch  abgefasst,  dass,  wenn  ein 
Paar  Anfangs  -  und  Schlussblätter  herausgeschnitten  werden, 
der  übrige  Text  eine  fortlaufende  Rede  und  Beschreibung  ist. 
Die  Frageform  desselben  ist  nicht  der  leicjit  und  nett  gearbei- 
tete Rahmen ,  sondern  ein  kaum  scheinbares  Stiftchen  des  ge- 
stalt-  und  geschmacklosen  Ganzen,  das  auf  etwa  10  —  12  Fra- 
gen eine  176  Seiten  lange  Antwort  gibt.  —  So  wenig  daher  — 
und  der  Vergleich  ist  noch  ehrenvoll!  —  Cicero's  Tusculanen 
Platonische  Dialogen  sind,  so  wenig  ist  Gailetti's  Vaterlands- 
kunde ein  Katechismus. 

II.  Ein  Katechismus  soll  die  Anfangsgründe  oder  Haupt- 


Galletti:  Katechismus  der  Deutschen  Vatcrlandskundc.        185 

sätze  einer  Wissenschaft  oder  Kunst  in  dialogischer  Form  dar- 
legen  —  denn  er  ist  ein  Katecluinienen -,  d.  h.  ein  Lelirlings- 
Buch,  wobei  es  gleichgiilti;?  ist,  ob  die  zu  Unterrichtenden  bür- 
gerlich raVuldijj  oder  unmündig  sind:  genug  wenn  sie  es  geistig 
und  •wissenschaftlich  sind.  —  Der  Katechismus  von  Galletti 
aber  ist  eine  ziemlich  \oll«*tändige  ,  für  die  erste  Lehrklasse  ei- 
nes Gyranasii  ausreichende  Geographie  v.  Deutschi.,  mit  einem 
so  reichen  topischen  Detail,  dass  man  vor  der  Masse  der  be- 
schriebenen Marktflecken,  Dörfer,  Schlösser,  Ruinen,  Arbeits- 
häuser, Nähnadel-  und  anderer  Fabriken,  dass  man  vor  dieser 
geograpliischen  Anticaglie  kaum  das  eigentliche  Länder-  und 
Volksbild  erblicken  würde,  wenn  überhaupt  ein  solches  aufge- 
stellt wäre.  Wie  daher  dem  Katechismus  die  katechetiscl« 
Form,  so  fehlt  ihm  auch  der  katechetische  Inhalt. 

in.  Kin  Aatechismiis  soll  —  seinem  Gehalt  nach  —  init 
psychologischer  Lehrklugheit  und  einer  volksthümlichen  Sprache 
und  Manier  abgefasst  seyn.  Galletti  oder  sein  Katechismus- 
Macher  (denn  fast  glauben  wir,  dass  der  ehrwürdige  Greis  nur 
den  Namen  zum  Kinde  gegeben)  hat  weder  sein  Lese- Publicum 
und  dessen  individuelle  Kräfte  und  Bedürfnisse  im  Auge,  noch 
auch  die  Sprache  in  der  erforderlichen  Gewalt !  Zwischen  dem 
nüchteren  und  einförjnigen  Lehrstyl  dieses  und  der  anziehenden 
und  geist-  und  gedankenreichen  Lebendigkeit  eines  Zschok- 
ki  sehen  Volksbuches  —  welch  ein  Abstand!  Quantum  distant 
aera  lupinis ! 

IV.  Ein  katechetisches  Lehrbuch  soll  ?nit  Liebe  ?md  Begei^ 
sterung  neu  und  frisch  ^  wie  aus  Einem  Guss ,  geformt  und  ge-- 
bildet  seyn.  Das  Gallettische  ist  nur  ein  Abguss  oder  ein 
epitomirter  Abdruck  seines  grössern  Lehrbuchs  (der  sogenann- 
ten anschaulichen  Geographie),  was  der  Leser  dem  Referenten, 
der  das  letztere  bereits  kritiscli  gewürdigt  hat  —  vergl.  Jbb. 
II  S.  247  ff.  —  auf  seine  Autorität  glauben  w  ird. 

V.  Ein  Ratechismus  soll  tvenig,  aber  das  ff  enige  7nit  JVahl 
und  Einsicht.,  mit  fVahrheit  und  Treue  geben.,  und  wenn  er  ein 
geographischer  ist  ^  keine  Hcdb  wahr  heilen  und  Irrthümer  ver- 
breiten lind  gleichsam  volksmässig  machen.  —  In  w  ie  weit  diese 
Forderungen  erfüllt  sind,  wird  aus  den  kleinsten  Proben  erhel- 
len, die  wir  —  raumschonend  —  mittheilen.  —  Wenn  Sorau 
eine  gut  gebaute  Stadt  genannt  wird,  S.  HS,  welches  Praedicat 
wird  Berlin  erhalten*?  Eben  daselbst  wird  Guben  als  die  ge- 
werbreichste  Stadt  der  Niederlausitz  aufgeführt,  und  doch  hat 
Cottbus  ihr  längst  den  Vorzug  abgerungen.  Von  Cottbus  selbst 
heisst  es:  es  sey  von  Abkömmlingen  von  Wenden  und  Franzosen 
bewohnt,  und  habe  ein  Waisenhaus!  —  Was  soll  die  Cottbus- 
ser  Jugend  denken,  wenn  man  ihr  diese  Charakteristik  ihrer 
Vaterstadt  vorhält.  Trefflicher  noch  wird  Spremberg  als  eine 
Stadt  charakterisirt,  wo  ein  Fräuleinstift  seinen  Sitz  hat!  (!*?) 


186  Kürzere  Anzeigen. 

als  wenn  eine  Versorguiig'sanstalt  für  Fräulein,  selbst  wenn  die- 
selbe von  Belang  wäre,  eine  Fluss-  und  Fabrikstadt,  iiberliaupt 
aber  einen  städtischen  Wohnplatz  charakterisiren,  d.  h.  physio- 
gnomisch  —  aucii  nur  schattiren  könnte — !  Von  Magdeburg 
wird  gemeldet:  dem  Unterrichte  sind  das  Paedagojriura,  die 
Domschule,  2  Gymnasien  u.  a.  gewidmet  (also  4  und  meiirere 
Gelehrtenschulen!).  Doch  genug  des  Nichtigen,  Flüchtigen  und 
Irrthümlichen ! 

VI.  Endlich  soll  ein  Katechismus  klare  u?id  deutliche  Be- 
griffe —  entweder  in  synthetischer  oder  analytischer  Form  — ■ 
enthalten.  Wie  es  hiermit  stehe,  zeigt  das  8te  oder  Schluss- 
Capitel,  wo  unter  der  Aufschrift  gegenwärtige  Verfassung  von 
Deutschland  folgende  Fragen  gestellt  und  nothdürftig  beant- 
wortet worden  sind:  l)  Wie  verhalten  sich  die  Deutsclien Bun- 
desstaaten in  Hinsicht  auf  Volkszahl**  2)  Wie  viele  Einwoliner 
zählen  die  bedeutendsten  Deutschen  Städte"?  3)  Wie  unterschei- 
den sich  die  Bewoliner  Deutschlands  in  Hinsicht  ihrer  Herkunft'? 
4)  Wie  unterscheiden  sich  die  Deutschen  in  Hinsicht  auf  ihr  Ge- 
werbe'? 5)  Wo  blühen  die  Künste'?  ß)  Wo  die  Wissenschaften 
vorzüglich*?  7)  Wie  werden  die  Bewohner  Deutschlands  regiert'? 
Antiv.:  Durch  1  Kaiser,  5  Könige,  8  Grossherzöge,  10  Herzöge  — 
«.  s.  w.  —  Denn  ohe  jam  satis !  rufen  wir  und  mit  uns  gewiss 
die  Leser,  deren  Geduld  wir  durch  weitere  Auszüge  missbrau- 
chen würden.  Armes  Deutschland!  Also  das  ist  deine  Verfas- 
sung! So  erscheinst  du  vor  dem  Volk,  von  deinen  Historiogra- 
phen  charakterisirt!  Das  sind  deine  Lehr-  und  Lese-Bücher, 
deine  Katechismen !    Longe  fuge !  Rcuscher. 


JÜloquentium  vir  oruni  narr  atione s  de  vitis  homi- 
num  doctrina  et  vir  tute  ex  celle  nt  ium.  Collegit 
et  in  usiim  juvenum  liberalibus  studiis  operantium  edidit  Carolas 
Hernie.  Frotscher,  Pliilos.  Dott.  priv.  in  Univers.  litt.  Lips.  et  AA. 
LL.  Mag.  schul.  ]Nicol.  Lips.  Coli.  III,  Biblloth.  Senat,  praefect.  II, 
SOG,  oeconom.  Lips.  sodal.  Seminar,  reg.  Sax.  philo!,  et  soc.  Lat. 
lenens.  sodal.  lionor.  Vol.  I.  Lipsiae.  1&20".  Sunitus  ferit  et  vennm- 
datllartniannus.  28G  S.  Vol.  II.  ib.  eod.  416  S.  gr.  8.  2  Thlr.  8  Gr. 

Zwar  eine  leichte,  aber  doch  nützliche  Art  von  Schriftstel- 
lerei.  Wenigstens  dem  lleferenten  hat  die  wiederholte  Lesung 
dieser  ■ —  ihm  seit  seinen  akademischen  Jahren  bekannten  — 
Biographieen  grossen  und  vieKäitigen  Genuss  gewährt.  Von  den 
meisten  derselben  gilt:  Magna  laus,  laudari  alaudato  viro.  Lind 
vielfach  lehrreich  werden  sie  allen  den  Srudirenden  seyn,  queis 
meliore  luto  Titan  praecordia  iinxit.  Wie  überhaupt  das  intuerl 
in  vitas  liominum  tanquam  in  speculum  Meit  bildender  ist,  als 
alle  Paränesen,  so  besonders  für  Jünglinge.    Es  genüge,   auf 


Eloquentium'virorum  narrat.  de  vitis  hom.  doctt.  Colleg.  Frotscher.  187 

SO  manche  in  diesen  Bioj^raplaeen  vorkommende  Data  zur  Ge- 
schichte und  Charakteristik  der  Schule  Pl'orta  und  der  Leipzi- 
ger Thomasschule  (wie  nämlich  diese  Anstalten  in  friilierer  Zeit 
heschaffen  waren),  auf  dieMethode,  welche  die  geschilderten 
Männer  beim  Lesen,  beim  Studireii  iiberliaupt,  beim  Erklären 
der  Classiker  und  der  Bibel,  so  wie  im  Allgemeinen  beim  Un- 
terricht und  bei  der  Erziehung  der  Jugend,  befolgten,  auf  die 
—  zum  Theil  vortreffliclien  —  Charakterzuge  und  merkwürdi- 
gen Schicksale  der  geschilderten  Männer  und  den  wesentlichen 
Einfluss  ,  Avelchen  diese  Schicksale  auf  ihre  Bildung  liatten,  auf 
so  viele  unterhaltende,  literarliistorische,  pädagogische  und  an- 
derweitige Anekdoten,  woran  besonders  die  N  iklas' sehe  Bio- 
graphie Gesner's  reich  ist,  auf  so  vieles  Interessante,  was 
nebenher  über  andere  Männer,  mit  denen  die  geschilderten  in 
Berührung  kamen,  als  über  den  Rect.  Freitag  in  Pforta,  llect. 
Köhler  in  Anspach,  Ritter  J  oh.  üav.  Michaelis  in  Göttin- 
gen, und  andere,  auch  Holländische,  Gelehrte  vorkommt,  auf 
die  sinnreiche  Anwendung  vieler  Aussprüche  der  Classiker  auf 
allerlei  Fälle  im  Leben,  so  wie  auf  manche  treffende  Bemerkung 
über  den  Weith  und  Einfluss  eines  gründlichen  Studiums  der 
Humanitäts- Wissenschaften  und  über  andere  wissenschaftliche 
Gegenstände  aufmerksam  gemacht  zu  haben.  Ein  Namen-  und 
Sach- Register,  worin  das  Gleichartige  zusammengestellt  wäre, 
dürfte  wo!  eine  wünschenswerthe  Zugabe  zu  der  ganzen  Samm- 
lung gewesen  seyn. 

Im  Vol.  I  ist  enthalten :  I)  Vita  Jo.  Jac.  Reiskii.  Scripsit 
Jo.  Georg.  Eccius  (denn  so,  nicht  Eckius,  schrieb  sich 
der  Prof.  Eck  zu  Leipzig).  II)  Ejusdem  vita^  ab  Sam.  Frid. 
Nath.  Moro  scripta,  p.  27  IF.  (Bei  I  und  II  liätte  noch  Man- 
ches aus  Reis  ke's  Deutsch  geschriebener  Autobiographie,  wel- 
che nach  seinem  Tode  seine  Gattin  herausgegeben ,  zur  Erläu- 
terung in  den  Anmerkungen  ausgehoben  werden  können).  III) 
Memoria  Jo.  Aug.  Krnestii.  Scripsit  Aug.  Guil.  Ernesti,  p. 
79  ff.  (Ausser  diesem  Leipziger  üniversitäts- Programm,  wel- 
ches auch  ins  Deutsche  übersetzt  worden  v.  Carl  Gfr.  Kütt- 
ner  (Frankfurt  und  Leipzig  1782.),  sollten  auch  noch  andere 
Schriften  auf  J.  A.  Ernesti  benutzt,  wenigstens  angeführt, 
seyn ,  als :  C  a  r.  L  u  d  o  v.  B  a  u  e  r  i  Fornmlae  ac  disciplinae  Er- 
nestianae  indoles  et  conditio  Vera.  (Lips.1782,  wo  auch  p,  115  ff. 
die  eben  gedachte  Denkschrift  wieder  abgedruckt  ist) ,  auch 
Deutsch  von  Strodtmann,  unter  dem  Titel:  Bauers  ivahre 
Natur  ufid  Beschaffenheit  der  Erncstischen  Lehrart.  Flensb. 
u.  Leipz.  1785.  8.  (Wilh.  Abr.  Teller)  /.  ^7.  Ernesti s  Ver- 
dienste um  die  Theologie  und  Religion ,  ein  Beitrag  zur  theo- 
log. Litteraturgeschichte  der  neuern  Zeit.  Berl.  1783.  Zusätze 
zu —  Teller  s  Schrift  über  Ernesti  s  p^erdietiste ,  von  J.  Sal. 
Semler.  Halle  1783.  Jo.  Frid.  Neumanni  Progr.  de  J.  J. 


188  Kürzere  Anzeigen. 

Ernestio  ejusque  meritis^  cutn  in  Immanitatis  Uteras,  tum  in 
eariim  in  scholis  disciplinain.  Gorlic.  P.  I.  II,  1783.  4.  Jo.  van 
V  o  o  r  s  t  orat.  de  J.  A.  Ernestio ,  optinio  post  Hugonem  Gro- 
iium  duce  et  magistro  interpietum  hioti  Foederis^  publice  ha- 
bita  d.  VIII  Febr.  1804.  Lu^d.  Bat.  1804.  Oß  S.  4.  Hinsiclit- 
licli  des  aus  der  nielirgedachteii  Memoria Ernestii  mitgetheilteu 
Verzeichnisses  der  zahlreichen  Schriften  dieses  grossen  Gelehr- 
ten hätte  sich  Hr.  F rot  scher  ein  besonderes  Verdienst  erwor- 
ben, wenn  er  diejenigen  Schriften,  welche  sich  auf  Em  esti- 
sche beziehen,  oder  durch  sie  veranlasst  worden  sind,  mit  an- 
geführt hätte,  z.  E.  die  auf  Ernesti's  Inslitutio  interpretis 
N.  T.  sich  beziehenden  reichhaltigen  Abhandlungen  von  M-o- 
rus  und  Eichstädt;  die  Fortsetzung  der  Theologischen  Bi- 
bliothek durch  Döderlein  und  Andere.  P.  lOÜ  sollte,  beiGe- 
legenlieit  des  Tadels,  welchen  Ernesti  von  seinen  ehemali- 
gen Schillern  erfuhr,  J  o  h.  F  r  i  e  d  r.  W  o  1  f's  Sendschreiben  an 
J.  J.  G.  Scheller  ^  die  in  dessen  Vorrede  zu  seinem  Int.  Wörter- 
buche befindlichen  unbilligen  Kritiken  über  den  sei.  1).  Ernesti 
betreffend.  Leipz.  1184.  4  Bogen  in  8.  (rec.  im  Lausitz.  Magaz. 
1784  S.  285  ff.)  nicht  fehlen.  Einige  andere  Ergänzungen  wird 
J.  G.  M  e  u  s  e  1 '  s  Lexikon  der  —  verstorbenen  teutschen  Schrift- 
steller. Band  III  S.  ]5()ff.  darbieten.)  IV)  Petri  Burinanni 
Oratio  funebris  in  obilum  Jo.  Georg.  Graevii.,  p.  131  ff.  V)  l)av. 
Kuhnkenii  Elogium  Tiber.  liemsterh/sii,  p.  205  ff.  (Die Ten- 
denz dieser  Biographie  bestimmte  ihr  Verf.  in  der  Vorrede  zur 
ersten  Ausgabe  derselben  —  Lugd.  Bat.  17(>8  —  so:  Periectam 
Critici  fomiara  in  Tiberio  Hemsterhusio  spectavi.  Und  hiermit 
ist  zugleich  ihr  grosser  Werth  für  studirende  Jünglinge  hinläng- 
lich angedeutet.  IN  ach  der  edit.  II,  castigatior,  welche  ib.  1189 
erschien,  ist  sie  hier  abgedruckt.  Es  macht  dieses  Elogium  auch 
die  Hälfte  folgender  Schrift  aus:  Vitae  Duumvirorum  doctrina 
et  meritis  excellentium^  Tib.  Ilemsterhusii  et  JJac.  liuhnkenii  etc. 
Lips.  1801.  8.,  wovon  Fr.  Lindemann  eine  neue  Ausg.  Lips. 
1822  und  Fr.  Theodor  llink  eine  Uebersetzung  mit  vielen 
eigenen  Zusätzen  besorgte  (unter  dem  Titel :  Tiberius  Henister- 
huys  und  JJavid  Ruhnken.  Biographischer  Abriss  ihres  Lebens^ 
für  Freunde  der  Humanität  uJtd  des  Studiums  der  Allen  insbe- 
sonderebearbeitet. Konigsb.  1^01).  Von  den  übrigen  Ausgaben 
dieses  Elogii,  welches  auch  in  Tib.  Hemsterhusii  Oratt.  sepa- 
raiim  ed.  Friedemann.  Viteb.  1822  auf  XXXII  Seiten  wie- 
der abgedruckt  i>t ,  s.  1)  a  v.  11  u  h  n  k  c  n  i  i  Opuscuta  orator.  phi- 
lol.  crit.  nunc  piimuni  cottjnnctim  ed.  Lugd.  Bat.  1807  p.  3J>-74. 
Zur  Ergänzung  dieses  Elogii  hätten  auch  die  Anecdoia  Jlem- 
sterhusiana.1  e.r  schedis  MSS.  in  bibliotheca  Lugd.  Bataoa  ser- 
vatis  collegit^  dispos.  et  ed.  Jac.  Geel.  P,  I.  Lugd.  Bat.  1825. 
mit  gebraucht  werden  können.)  VI)  J  o.  Jac.  Keiskii  de  vita 
sua  conimentariolum^  p.  273  ff. 


Eloquentitim  virorum  narrat.  devitis  hom.  doctt.  Colleg.  Frotscher.  189 

Vol.  II  hat  auch  den  besondern  Titel:  Jo.  Aug.  Erne- 
stii  Narratio  de  Jo.  Matthia  Gesnero  (aus  Ernesti  üpusc. 
orator.  recus.  Lugd.  Bat.  1767.)  et  Jo.  Nie.  Niciasii  de  eo- 
dem  Gesnero  epistola  famüiaris  (ad  Jerein.  Nie.  Eyiinffium,  von 
8.79  an,  aus  J.  M.  Gesneri  Biograph.  Acad.  Gotling.  Vol. 
III.  Gotting.  ITfiO  p.  1  —  180).  In  usum  juvenum  liberalibus 
studiis  operantiuni  cdidit  etc.  Accedit  Memoria  Gesneri  ab  J  o. 
Dav.  iMicliaele  scripta  [\on  p.  341  an,  aus  Biograph.  Acad. 
Gotling.  Vol.  I.  Hai.  17()8).  Diese  Memoria  ist  durch  eine 
körnige  Kiirze  ausgezeichnet,  aber  nicht  frei  von  Wiederho- 
lungen, die,  bei  einem  festern  Plane  des  Ganzen,  vermie- 
den werden  konnten ,  und  nicht  durchaus  in  classischem  La- 
tein geschrieben.  Zu  den  meisten  Bemerkungen  und  Kritiken 
aber  in  dem  vom  Herausgeber  versprochenen  Commentar  zu  der 
ganzen  Sammlung  wird,  ausser  der  Eckischen  vita  Reiskii, 
die  Niclas'sche  Biographie  Gesner's,  welche  iibrigens  unge- 
mein sachreich  ist,  Veranlassung  geben,  besonders v.  S.251  an. 
Die  Arbeiten  von  Morus,  Ernesti,  Ruhnken,  Burmann 
ragen  durch  ihre  stylistische  Form  über  die  Niclas'sche  soweit 
empor,  quantum  lenta  solent  inter  viburna  cupressi.  Die  An- 
merkungen des  Herausgebers,  mitunter  auch  andrer  Gelehrten, 
unter  dem  Texte  der  sämmtlichen  Biographieen  enthalten  theils 
Varianten,  welche  die  versclnedenen  Ausgaben  einiger  unter  ih- 
nen darbieten,  theils  Literar- Notizen  ,  theils  historische  oder 
antiquarische  Erläuterungen,  besonders  auch  Nachweisungen  der 
in  den  Biographieen  häufig  berücksichtigten  Stellen  aus  Classi- 
kern,  theils  Belege  zu  den  im  Text  enthaltenen  Aeusserungen, 
theils  (aber  im  Ganzen  viel  zu  selten)  die  Angabe  paralleler 
Stellen  in  mehrern  Biographieen  eines  und  desselben  Mannes, 
theils  endlich  auch  Berichtigungen,  z. E.  in  Vol.  I  p. 49,  61,  81, 
145,  Vol.  II  p.  49.  Bei  den  Bemerkungen  p.  146  fg.  über  Erzie- 
hung vergl.  Lange  Orot,  de  severitate  scholae  Portensis.  Die 
Stelle  p.  257  nee  posse  hominem  quidquam  accipere.,  nisi  datum 
eifuerit  divinitus ,  ist  ans  Job.  Ev.  3,  27  und  die  Worte  p.  319 
meruimus  hoc  de  fratre  nostro  aus  Gen.  42,  21. 

Die  Sammlung  ist  übrigens  auf  weissem  Papier  recht  gut 
gedruckt  und  im  ersten  Vol.  ziemlich  frei  von  Satzfehlern.  Ira 
zweiten  steht  p.  1^0  canditatum .^  p.  238  hoc  ftiit  statt  fugit.^ 
p.  256  quoties  —  ad  illos  (wol  st.  alios)  esset  visurus.,  p.  356 
plucra  st.  pTdcra.1  ebendas.  si  quis  ipso  arbilrio  (st.  arbitro)  in- 
genii  uteretur .,  p.  363  ianquani  alia  (st.  aliqua)  Scabies  schola- 
stica.  P.  S34  ist  nach  den  Worten  inter  scribendum  vero  das 
Komma  sinnstöreud. 

J.  D.  Schulze. 


190  Kürzere    Anzeigen. 

Katechismus  der  Rhetorik  nach  Quintilian,  v.  Dr.  Ferd.Phl- 
lippi,  Grossherz. -Sachs.  Hofrath(e).  Motto:  Fungar  vice  cotis  etc. 
Horat.  Lcipz.  b.  Bauingärtner.  1826.  VIII  u.  232  S.  gr.  8.  geh.  18  Gr. 

Es  ist  diess  gerade  der  40ste  unter  den  in  dem  nemlichen 
Verlage  erschienenen  Katechismen  so  vieler  Wissenschaften. 
Quinctilianns  liegt  dabei  zum  Grunde  und  ist  sehr  frei,  d.  i. 
planlos  benutzt ;  Vieles  ist  unllhührlich  weggelassen  oder  aufge- 
nommen; nur  Weniges  ist  ziemlich  genau.  Die  geschmacklose 
Einkleidung  der  Belehrungen  in  Fragen  und  Antworten  verlei- 
tete, y\\c  man  vermuthen  kann,  zu  unnützer  Weitschweifigkeit 
(da  es  denn  an  unzähligen  Stellen  so  Iieisst,  wie  S.  132:  „Die 
Corrcction.  Was  ist  die  Correction ?'•'■),  und  diente  nur  dazu,  die 
üebersicht  und  Behaltbarkeit  des  Ganzen  zu  erschweren.  Bald 
scheint  übrigens  der  Verf.  für  Anfänger  gearbeitet  zu  haben, 
bald  für  Geübtere,  bald  für  Studirende,  bald  für  Nichtstudi- 
rende;  so  wenig  ist  eine  bestimmte  Classe  von  Lesern  ins  Auge 
gefasst.  Man  findet  daher  in  diesem  3Jachwerk  ex  omnibus  ali- 
quid, ex  toto  nihil.  —  Der  Verf.  hätte  von  seinem  grossen  Mu- 
ster Quinctilianns  vor  allen  Dingen  gehörige  Anordmuig  des  Gan- 
zen und  seiner  Theile  lernen  sollen.  Dann  würde  er  nicht  so 
vieles,  was  zusammengehört,  von  einander  getrennt  haben.  So 
ist  von  der  Wahrscheinlichkeit,  welche  die  Erzählung  haben 
müsse,  S.  25  unter  der  Frage:  Darf  man  in  dergleichen  Gemälde 
jeden  Umstand  nach  Belieben  aufnehmen'?  und  S.  :;0  wieder  un- 
ter der  Frage:  Wie  muss  die  Narration  beschaffen  seyn*?  ge- 
handelt. Vom  Styl  in  der  narratio  ist  S.  31  If.  umständlich  die 
Rede,  da  doch  S.  77  der  „Elocution"  ein  eigner  Abschnitt,  „drit- 
tes Buch"  genannt,  gewidmet  ist;  und  S.  1({0  ff.  wird  wieder  in 
einem  neuen  Kapitel  von  den  verschiedenen  Arten  des  Styls  ge- 
handelt. Auch  die  Beweisführung  hat  ihren  eigenen  Abschnitt 
S.  42  ff.,  obgleich  von  derselben  bereits  unter  der  „Narration" 
S.  40  fg.  luit  gehandelt  worden.  Von  der  gehörigen  Stellung  und 
Aufeinanderfolge  der  Beweise  ist  ebenfalls  zweimal  die  Rede, 
S.  ()3  und  76.  So  wird  auch  S.  79  an  zwei  verschiedenen  Stel- 
len dasVerhältniss  der  Gedanken  und  des  Ausdrucks  durch  das 
Verhältniss  zwischen  Geist  und  Körper  erläutert.  S.  114  wird 
schon  die  Frage  beantwortet:  Wodurch  unterscheiden  sich  die 
Figuren  von  den  Tropen*?  da  doch  S.  128  ein  eigenes  Kapitel 
von  den  Figuren  folgt.  Unter  „Prolepsis"  S.  132  findet  sich  noch 
ein  Nachtrag  zu  dem  „Artikel  vom  Exordium",  S.  15  ff.  —  Un- 
verhältnissmässig  kurz  ist  von  der  Disposition  gehandelt,  nera- 
lich  blos  auf  zwei  Seiten,  während  der  einzige  „zweite  Artikel'' 
im  zweiten  Kapitel  des  ersten  —  von  der  Invention  handelnden  — 
Buches,  „von  der  Narration"  überschrieben,  S.  23  —  42  ein- 
nimmt. —  S.  83  werden  über  die  Lehre  vom  Erhabenen  einige 
Schriften  nachgewiesen.     Warum  aber  blos  über  diesen  Gegen- 


Philipp!:  Katechismus  der  Rhetorik.  191 

stand  der  Redekunst,  und  sonst  Viber  keinen?  Aus  Allem  er- 
hellet die  Planlosigkeit  des  Werkes. 

Manches,  uas  darin  empfolen  wird,  ist  offenbar  unsittlich, 
und  hätte  daher  nicht  aus  den  alten  Uhetoren  beibehalten  wer- 
den sollen.  So  heisst  es  S.  S:  „Der  Redner  niuss  wissen,  wel- 
che Tugend  seinen  Zuhörern  fi'ir  die  höchste  gilt,  und  welches 
Laster  sie  empört,  um  beide,  nach  den  Umständen,  an  der  Per- 
son, von  welcher  er  (in  einer  Rede  der  demonstrativen  Gattung) 
spricht,  zu  finden,"  Nach  S.  19  soll  man,  um  die  Gunst  der 
Zuhörer  zu  gewinnen,  dasjenige,  was  sze  lobenswerth  finden, 
herausheben!  S.  43  steht  geschrieben:  „Scheint  das  Gerücht 
oder  die  allgemeine  Meinung  dem  Redner  ITir  seinen  Zweck  vor- 
theilhaft,  so  liegt  es  am  Tage,  dass  er  den  Werth  des  Rufs  im 
Allgemeinen  erheben  muss.  Er  wird  das  Sprichwort:  \ox  po- 
puli  vox  ])ei  als  völlig  wahr  anpreisen"  u.  s.  w,  S.  (18  fg.  wird 
ein  ähnlicher  vom  Verfasser  sogenannter  „rhetorischer  Gewalt- 
streich oder  gewaltsamer  rhetorischer  Kunstgriff"  mit  Beifall  er- 
M'ähnt.  Mit  solchen  Stellen  contrastirt  nun  gar  sehr  dieAeusse- 
rung  Seite  71:  ,,IIier,  wie  überall,  fährt  man  besser  mit  der 
Wahrheit,  als  mit  der  Lüge. "• 

Der  Verf.  schliesst  S.  148  seine  Anweisung  mit  der  Zerglie- 
derung einer  Rede  aus  Liv.  XXI1I,9.  Darauf  folgt  S.15T:  „Bei- 
spielsammlung  zu  dem  Katechismus  der  Rhetorik",  und  zwar 
A)  (fünf)  „Beispiele  (aus  J.  Engel,  Jacobi,  Sallustius, 
Katharina  Fonk  und  v.  Kotz  ebne)  in  unmittelbarer  Be- 
ziehung auf  die  im  Vorhergehenden  erläuterten  Fragen",  wie- 
der mit  vorgesetzten  Fragen,  z.  E.  Zu  welcher  Gattung  von  Re- 
den gehört  das  nachstehende  Bruchstück?  Welcher  iutegrirende 
Theil  einer  Rede  ist  in  dem  nachstehenden  Beispiel  übergangen 
und  warum?  B)  Rhetorische  Musterstücke  über  die  wichtig- 
sten Abschnitte  des  31enschenlebens  als  Gegenstand  der  Nach- 
ahmung (S.  188  ff.  nemlich  eine  Taufrede  von  Herder,  eine 
Abendmahlsrede  von  Mörlin,  eine  Schulrede  von  Matthiä, 
eine  Taufrede  und  eine  Grabrede  von  Jacobi  und  eine  maure- 
risclie  Dankrede  am  Johannisfeste).  C)  Rhetorische  Fragmente 
(von  L.  Tiek  —  Avelches  füglich  wegbleiben  konnte  — ,  von 
Jean  Paul,  Swift,  E.  Wagner,  Moritz  und  Engel) 
S.  213  ff.  Jedoch  sind  auch  im  Katechismus  selbst  viele  —  oft 
mehrere  Seiten  hindurch  fortlaufende  —  Stellen  aus  Lateini- 
schen, Französischen  und  Deutschen  Schriftstellern  (die  letz- 
tern jedoch  ohne  Nachweisung  der  Schriften,  aus  denen  sie  ge- 
nommen sind),  die  meisten  aus  Jean  Paul,  zur  Erläuterung 
mitgetheilt ,  und  diese  ausgehobenen  Stellen  sind  vielleicht  das 
Beste  am  ganzen  Buche.  Aber  Mehreres  in  den  Lat.  und  Franz. 
Stellen  ist  sonderbar ,  und  Vieles  zu  frei  und  paraphrasirend 
übersetzt.  So  S.  29  die  Stelle  Liv.  XXVI,  18,  desgleichen 
S.  30  das  Stück  aus  Flechier's    Leichenrede  auf  Turenne. 


192  Kürzere  Anzeigen. 

Wie  schwerfällig  und  sprachwidrig  sind  Uehersetzungen ,  wie 
folgende!  S.  93:  „was  mir  jetzt  gesagt  zu  werden  nothwendig 
Bcheint"  (quae  dicenda  hoc  tempore  arbitror).  S.  103:  „Diese 
Beschäftignngen  —  bilden  das  irdische  Glück  aus"  (secundas  res 
ornant).  S.  111:  „Freiheit  (Frechheit*?)  wurde  durch  Tapfer- 
keit unterdrückt  (überwältigt'?)"-  (oppressa  virtute  andacia  est). 
Eben  so  unbehülflich  ist  der  Ausdruck  auch  anderwärts.  S.113: 
„Der  mittlere  Styl  ist  mit  Anmuth  und  Sorirfalt  in  der  Wahl  des 
Ausdruckes  —  geziert.'-'-  Ebendas. :  Verlebendigung  der  Rede. 
„Der  heulende  Sturm''  heisst  S.  117  eine  Metapher,  welche  das 
^m\\Y\f\\Q.  vergeistigt.  S.  129:  Figurendes  (st.  zur  Anregung  oder 
Beschäftigung  des)  Vorstellnngsvermögens.  S.  136:  Figuren  für 
(st.  zur)  Erregung  des  Gemüthes.  S.  138:  Die  Ironie  muss  Fein- 
heit besitzen.  S.  36:  Der  Styl  darf  nicht  aus  reinen  Verstandes- 
begriffen bestehen  (st.  Ausdrücke  enthalten,  die  solche  Begriffe 
darstellen).  S.5:  eine/?/«j^ßcAe  Eintheilung  (st.  eineEinthl.  in 
fünf  Theile).  S.  64:  Cicero  icirft  die  Beschuldigung  —  dadurch 
über  den  Haufen.  Was  ist  doch  S.  38  sor^e  Ausmahlung  derGe- 
fülile?  Der  Verf.  scheint  dieses  Adjectiv  liebgewonnen  zu  haben. 
S.  79  sagt  er:  „Je  mehr  der  Gegenstand  zu  dem  Gefühle  spricht, 
desto  zarter  müssen  die  Gedanken  seyn'-',  und  S.  85:  „Es  ist  ^^/^- 
sflr^,  jemanden  offen —  zu  loben."  Ebend.:  „Piiiiius  erhebt  sehr 
Zfly^  die  Wohlthätigkeit  desTrajan."  MehrFranz.,  als  Deutsche, 
Wortfügung  ist  S.  8:  warnen  vor  Unsinn  (st.  vor  Uns.  warnen), 
S.  61:  erwiesen  göttliclie  Ehre  den  Männern  (st.  den  M.  göttl. 
Ehre).  Mehr  nach  Lateinischer  Art  ist  S.  15  gesagt:  Was  ist 
das  Geschäft  des  Exordiums*?  Sonderbar  ist  es,  dass  die  Lat. 
Kunstausdrücke  —  nicht  etwa  in  Parenthese  den  Deutschen  bei- 
gesetzt, sondern  —  mit  Deutscher  Endung  vor  den  Deutschen 
aufgefülirt  sind  oder  damit  wechseln,  z.E.  JVarration,  Confirma- 
tion  oder  Beweisführung.  (Beiläufig,  wie  seltsam  klingt  die  Fra- 
ge S.  42:  „Worin  besteht  die  Confirmation'?''  Sollte  man  nicht 
bei  diesen  Worten  eher  an  die  geistliche  als  an  die  rednerische 
Confirmation  denken*?)  Von  der  Art  ist  auf  S.37  Prägnanz  des 
Ausdruckes.  Argumenta  sind  bald  durch  „Argumente",  bald 
durch  „Beweisgründe"  und  „Schlüsse"  wiedergegeben. —  S.88, 
wo  von  Schönheit  des  Ausdruckes  die  Rede  ist,  ist  offenbar  Cor- 
rectheit  (elegantia),  nicht  ornatus,  gemeint.  Die  Erklärung  von 
Tropus  S.  113  und  von  Metapher  S.  115  ist  fast  gleichlautend. 
Cicero  lieisst  S.  121  noch  immer  ohne  Bedenken  Verf.  der  Rede 
pro  Marcello. 

Der  Verf.  schreibt  PubliÄ-um,  CorreAtion,  Communi^ation, 
SubjeA-tion,  ImpreAation ,  und  doch  richtig  Synekdoche. 

Satzfehler  finden  sich  in  Menge.  So  S.  22  Esodium^  S.  39 
Naration,  S.  14  gemeinlick,  S.  43  ein  Gerücht^  dass  (st.  das)y 
S.  46  Anzeichen  st.  Anzeigen.^  S.  56 :  Kein  Fürst  erschlafft  (st. 
erschafft)  Talente^   S.  74  ins  Unglück  geraden  (st.  geruthen), 


Fhllippi :  Katechismus  der  Rhetorik.  193 

S.79  durch  die  Geschichte  oder  der  (st.  die')  Naturlehre^  S.88 
die  Belagerung  von  Veja  (st.  Veji)^  S.  95  Protosis  st.  Protasis, 
S.  100  rythmisch  st.  rhythmisch^  S.  132  und  ist  dem  Wesen  nach 
sie  vertvandt  (st.  und  sie  ist  dem  Wesen  nach  verw.^,  S.  141  V7t(0 
st.  vjto.  Auch  die  in  den  Noten  unter  dem  Texte  befindlichen 
Lat.  Stellen  sind  oft  fehlerhaft  abj^edruckt.  So  steht  S.  61  In- 
dices  infestitum  reo  vener ant  statt  judices  infesti  turn  reo  ven.^ 
S.  122  gremium  sniun  et  totum  tribunalis  (st.  tribunal)  implevit. 
Unzähligemal  steht  ein  Komma  zwischen  dem  Suhject  oder  Ob- 
ject  und  dem  Prädicat,  desgleichen  vor:  oder ^  und^  wann  die 
eine  oder  die  andere  Conjunction  blos  Begriffe,  nicht  Sätze, 
trennt,  und  so  auch  vor  dem  Genitiv,  wann  dieser  unmittelbar 
nachdem  regierenden  Substantiv  folgt.  In  der  (S.  93  ange- 
führten) Stelle  Cic.  Phil.  I,  1 :  Antequam  de  republica  etc.  steht 
nach  arbitror  ein  Kolon  statt  eines  Komma  und  nach  breviler  ein 
unnützes  Komma. 

J.  D.  Schulze. 


Handbuch  zur  Kunde  vonDeutschla?id  u.  Preussen. 
Ein  Hülfsmittel  zur  zweckmässigen  Behandlung  beyder  Länder; 
für  Schule  und  Haus;  in  besonderer  Beziehung  auf  ^.  Hälsig' s  (^,') 
Lehrer (s)  am  Seminar  zu  Breslau,  Wandebarte  von  Deutschland; 
gearbeitet  v.  Christian  Goltlieb  Scholz(^,)  Rector  zu  INeisse.  Erstes 
Heft.  Breslau  in  der  Kunst-  und  Bucliliandlung  bey  J.  D.  Grüson 
und  Comp.  1827.  XIV  und  107  S.  gr.  8.  1  Thlr.  8  Gr. 

Die  Vorrede  giebt  zuerst  Aufschluss  über  die  Entstehung 
dieses  Buchs.  Der  Verf.  hatte  nähmlich  sich  beym  Unterricht 
in  der  Geographie,  Geschichte,  Naturgeschichte  und  Natur- 
lehre der  Weltkunde  von  Harnisch  bedient,  aber  dabey 
wegen  der  zu  grossen  Kürze  dieses  Werks  sich  genöthigt  gese- 
hen, bey  seinen  Vorbereitungen  noch  Vieles  niederzuschreiben, 
und  ganze  Abschnitte  weiter  auszuführen,  wodurcli  nun  gegen- 
wärtiges Handbuch,  jedoch  ohne  die  Absicht,  diese  Arbeit  in 
Druck  zu  geben,  entstand.  Als  aber  nun  die  Verlagshandlung 
eine  Wandcharte  von  Deutschland  und  Preussen  herausgeben 
wollte,  wurde  er  von  derselben  um  Mittheilung  seiner  eigenen 
Wandcharte  zu  diesem  Zweck  angegangen.  Da  ihm  aber  seine 
Charte  hierzu  nicht  genügte,  so  theilte  er  dafür  seine  Hefte  mit, 
wonach  die  auf  dem  Titel  genannte  Wandcharte  verbessert  wurde. 
Kaum  war  diese  Charte  zu  Stande,  so  wurde  er  von  der  Ver- 
lagshandlung ersucht,  ihr  diese  Hefte  ganz  als  Kommentar  zur 
Charte  zu  überlassen ;  und  dieses  Verlangen  hat  der  Verfasser, 
weil  Charte  und  Buch  mit  einander  in  engster  Beziehung  stehen, 
nicht  von  der  Hand  weisen  können,  weshalb  er  dieselben,  nach 
nochraahliger  Ueberarbeitung ,  wobey  mehrere  der  vorzüglich- 
sten Hülfsmittel  —  die  auch  nahmenllich  aufgeführt  werden  — 

Jahrb.  f.  Fhil.  u.  Pädag.  Jahrg.  111.  Htjt  10.  ^^ 


194:  Kürzere     Anzeigen. 

benutzt  wurden,  zum  Druck  überliess.  —  Dann  enthält  die  Vor- 
rede auf  8  Seiten  eine  kurze  Gebrauchsanweisung  für  Anfänger 
im  Lehramte,  und  scliiiesst  mit  der  Bemerkung,  dass  dieses 
Handbuch,  theils  weil  die  Charte  früher  a ollendet  worden  sey, 
als  dessen  Druck,  theils  weil  die  Verlagshandlung  die  Anschaf- 
fung des  Buchs  auch  den  weniger  Bemittelten  erleichtern  wolle, 
hefiweise  erscheine.  Nach  der  Versicherung  des  Verf.  sind  dem- 
nach, ausser  dem  vorliegenden,  noch  2  Hefte  zu  erwarten. 

Dieses  Heft  ist,  wie  Rez.  recht  gern  einräumt,  im  Ganzen 
mit  grossem  Fleisse,  und  dabey  mit  einer  solchen  Ausführlich- 
keit behandelt,  welche  in  einem  Schulbuche  nur  sehr  selten  sich 
vorfinden  mag,  ja,  wie  Rez.  befürchtet,  von  vielen  Lehrern  der 
Geographie  in  einigen  Abschnitten,  vornehmlich  in  den  §§,  wel- 
che die  Landseen,  Kanäle  und  Moorstriche  darstellen,  für  gar 
zu  weitschweifig  erklärt  werden  möchte.  Gleichwohl  bewährt 
auch  dieses  Buch  das  alte  Sprichwort:  „Es  ist  nichts  Vollkom- 
menes auf  der  Welt.'-'  Denn  trotz  der  grossen  Brauchbarkeit 
desselben,  muss  Rez.,  wenn  er  anders  gerecht  seyn  will,  ver- 
schiedene Ausstellungen  machen.  Die  wichtigste  darunter  ist 
die,  dass  der  Verf.  sich  bey  der  Ausarbeitung  keine  feste,  nie 
zu  überschreitende  Gränzlinie  gezogen  hat.  Auf  dem  Titel 
hat  er  nähmlich  Deutschland  und  Preussen  als  die  einzigen  Ge- 
genstände des  Werks  bezeichnet.  Und  hätte  er  nur  diese  Aus- 
dehnung stets  vor  Augen  behalten,  so  würde  ihm,  als  einem 
Preussen,  —  da  jeder  von  dem  Staate,  welchem  er  angehört, 
am  ausführlichsten  zu  sprechen  weiss  und  zu  sprechen  berech- 
tigt ist  —  durchaus  kein  Vorwurf  gemacht  werden  können,  und 
um  so  weniger,  da  Ost-  und  West -Preussen,  ja  zumTlieil  jetzt 
selbst  Posen,  gewissermaassen  als  Deutsche  Länder  angesehen 
werden  können,  obschon  sie  nicht  zum  Deutschen  Bunde  ge- 
hören. Aber  bey  den  Flüssen  sind  nicht  allein  der  Po  mit  sei- 
nen von  den  Alpen  herabfallenden  Nebenflüssen,  so  wie  über- 
haupt alle  Gewässer  des  Oesterreich.  Königreichs  Lombardey  - 
Venedig,  sondern  auch  die  Zuidersee,  die  Scheide,  Vechte 
und  andere  Niederländische  Gewässer,  ingleichen  auch  alle  zu 
Fohlen  gehörige  Nebenflüsse  der  Weichsel  beschrieben  worden, 
und  sonach  hat  der  Verf.  das  sich  gesteckte  Ziel  nicht  wenig 
überschritten.  —  Die  übrigen  Ausstellungen  werden  sich  am 
schicklichsten  der  Anzeige  des  Inhalts  anreihen  lassen. 

Das  vorliegende  Heft  umfasst  nur  drey  Abtheilungen.  Der 
erste  Abschn.  (S.  3 —  11)  begreift  ausser  der  Einleitung  Nah- 
men, Lage,  Gränzen,  Grösse  und  Eintheiliing. —  In  der  Ein- 
leitung heisst  es  gleich  anfangs:  „Wenn  gleich  Deutschland  au 
Naturschönheiten,  Reiz  und  Anmuth  minder  reichlich  ausge- 
stattet ist,  als  die  benachbarte  Schweiz  und  das  milde  Italien 
mit  seinem  üppigen  Boden  u.  seinen  herrlichen  Dattel-^  Ananas-^ 
Orangen-  und  lleissfelderu  u.  s.  w."     Aber  das  milde  Italien  be- 


Scholz:  Handbuch  zur  Kunde  von  Dcutscliland  und  Freusscn.  195 

sitzt,  soviel  Rez.  weiss,  keine  Dattel-  und  Ananas  -  Felder,  weil 
solche  der  heisseii  Zone  angehören,  und  die  wenigen  in  Nea- 
pel und  Sizilien  vorkommenden  Dattelpalmen  sind  noch  immer 
Fremdlinge,  die  ihr  Vaterland  nicht  vergessen  können.  Richti- 
ger würde  der  Verf.  gesagt  haben:  fnt't  seinen  Orangen-,  Oliven- 
vnd  Mandelbaum  -  Hainen  und  seinen  Reissfeldern.  —  Ferner 
heisst  es:  „wenn  auch  Schwedischem  Eisen  ein  höherer  Werth 
bey  gelegt  wird  als  Deutschem;"  hier  hat  der  Verf.  nicht  an  das 
Steyerische  Eisen  gedacht!  Unter  den  Produkten  Deutschlands 
wird  zwar  der  Braunschweigische,  aber  nicht  der  noch  vorzüg- 
lichere Böhmische  Hopf e 71  genannt.  Und  des  so  wichtigen  Obst- 
baues, der  ausgebreiteten  Pferde-,  Rindvieh-  und  Schafzucht, 
welche  doch  so  bedeutende  Summen  in  die  Wagschale  der  Aus- 
fuhr werfen,  wird  mit  keinem  Worte  gedacht.  Auch  möchte 
die  Behauptung,  dass  es  kein  Land  gebe,  in  welchem  Schlacht- 
feld so  an  Schlachtfeld  gränze,  wie  in  Dtschl.,  manches  ^e^^u. 
sich  haben.  Man  denke  nur  an  die  Niederlande  und  an  Ober- 
Italien!  —  Dass  die  längsten  und  kiirzesten  Tage  stets  den  21 
Jun.  und  21  Dez.  fallen ,  ist  eine  Behauptung ,  die  jeder  Kalen- 
der Lügen  strafen  wird.  —  Der  Flächenraum  wird  nur  zu 
12,000  OMl.  angegeben.  Aber  diess  ist  nur  der  von  den  Deut- 
schen Bundesländern.  Wo  bleibt  der  der  3  übrigen  Preuss.  Pro- 
vinzen? Da  diese  aber  hier  mit  beschrieben  werden  sollen,  so 
hätte  deren  Flächenraum  auch  mit  dazu  gerechnet  werden  sol- 
len. Und  so  erhöht  sich  doch  wohl  das  Areal  auf  13,700  0^11.'? 
In  der  zur  Vergleichung  beygesetzten  Arealgrösse  der  übrigen 
Europ.  Staaten  hat  Dänemark  mit  Island  durch  einen  Druckfeh- 
ler nur  425  QMl.  erhalten.  —  Im  Artikel:  Eintheilung,  wer- 
den noch  immer  die  Anhaltischen  Länder  nur  Fürstenthümer, 
Lippe,  Schaumburg  und  Schwarzburg  nur  Grafschaften,  und 
die  Reussischen  Lande  nur  Herrschaften  genannt.  Auch  die 
Aufzählung  der  Besitzungen  der  Sachs. -Ernestinischen  Linie  — 
sie  werden  nähmlich  als  FürUenthilmer  Altenburg,  Weimar, 
Gotha,  Eisenach,  Meiningen,  Hildburghausen  und  Koburg  in 
Reihe  und  Glied  gestellt,  —  ist  ungeographisch.  Denn  die  vor- 
mahligen  Besitzungen  des  Herzogs  v.  S.  Hildburghausen  mach- 
ten grössten  Theils  einen  Bestandtheil  vom  Fürstenth.  Koburg, 
und  die  altern  Länder  des  Herz,  von  S.  Meiningen  gehörten 
theils  zum  Fstth.  Koburg,  theils  zur  Grafschaft  Henneberg. 

Zweyter  Abschn.  (S.  12  —  43)  Von  den  Höhen,  mit  den 
Ünter-Abtheilungen:  Bodenhöhe;  südliche  und  südöstliche  Ge- 
birge; südwestliche  Gebirge;  nördliche  Gebirge;  östliche  und 
nordöstliche  Gebirge;  westliche  Gebirge;  Vorgebirge;  einzeln 
liegende  Berge;  tabellarische  üebersicht  einiger  Berge.  Sehr 
zweckmässig  unterscheidet  hier  der  Verf.  Gebirgsland ,  Hoch^ 
land  (Plateau)  und  Tief-  oAer  Niederland,  wozu  noch  als  Ueber- 
gang  vom  Hoch  -  zum  Tieflande  das  Stufenland   kommt.   — ' 


196  Kürzere     Anzeigen. 

Säramtliche  Gehirge  Deutschlands,  selbst  die  Sudeten,  den 
Harz  und  das  Siebengebirge  rechnet  er  zum  System  der  Alpen. 
Als  die  Verbindung  des  Schwarzwaldes  und  der  Alb  mit  den 
Rhätischen  Alpen  betrachtet  er  den  Höhenzug  zwischen  dem 
Bodensee  und  Basel,  welcher  die  Wasserscheide  zwischen  Rhein 
und  Donau  macht;  als  die  Verbindung  der  Alb  mit  dem  Fichtel- 
gebirge den  Fränkischen  Landriicken,  welcher  das  Flussgebiet 
der  Donau  von  dem  des  Main  scheidet;  als  die  Verbindung  des 
Harzes  mit  dem  Thüringer  Walde  das  Diingebirge  und  das  hohe 
Eichsfeld.  Freylich  wenn  Höhenzüge  und  Landriicken,  die  Was- 
serscheiden bilden,  als  ausreichende  Verbindungsmittel  zwi- 
schen 2  wirklichen  Gebirgen  gelten  sollen,  so  sind  sämmtliche 
Gebirge  des  Europäischen  Kontinents  nichts  als  Fortsetzungen 
der  Alpen,  ja  es  dürfte  nicht  schwer  fallen,  auch  alle  Asiati- 
schen Gebirge  an  diese  anzureihen.  —  Unter  den  einzelnen 
Bergen  hat  Rez.  die  Elm  im  Braunschweigischen  vermisst.  Der 
Zoptenberg  in  Schlesien  dagegen  wird  erst  als  ein  Nebenzweig 
der  Sudeten,  dann  auch  als  ein  isolirter  Berg  aufgeführt. — 
Die  tabellarische  üebersicht  enthält  48  Berggipfel  und  deren 
Seehöhe  in  runden  Summen  vom  Ortles  -  bis  zum  Jakobsberg 
im  Wesergebirge  herab.  Doch  darf  diese  Tabelle  nicht  auf  Voll- 
ständigkeit Anspruch  machen. 

Dritter  Abschn.  (S.  44  — 107)  Deutschlands  Getvässer^  mit 
nachstehenden  Unter- Abtheilungen:  Abdachung  und  Wasser- 
scheiden; Deutschlands  Meere;  Flüsse;  Wasserverbindungen 
oder  Kanäle;  Binnen- oder  Landseen;  Moore,  Sümpfe  oder 
Moräste.  Dieser  Abschnitt  ist  der  ausführlichste,  und  wird 
wohl  von  Seiten  des  Lehrers,  wenn  er  das  Gedächtniss  seiner 
Schüler  nicht  gar  zu  sehr  anstrengen  will,  mancher  Abkürzung 
bedürfen.  Dennoch  wird  man  hin  und  wieder,  zumahl  in  der 
Darstellung  der  Flusssysteme,  einen  gleichmässigen  Maassstab 
vermissen.  Am  dürftigsten  ist  die  Donau  weggekommen.  Denn 
liier  fehlen  die  Nebenflüsse:  Blau,  Mindel,  Günz,  Paar, 
Laber,  Vils,  Roth,  Hz,  Erlach,  Ips,  Trasen,  Zwettel,  Fischa 
U.S.  w. ,  welche  eben  sowohl  als  die  beym  Rhein  angefxihrten 
kleinen  Flüsse  Aah,  Alb,  Glatt,  Wiesen,  Biers,  Zorn,  Moder, 
Queicli ,  Speier,  Isenach,  Pfrim,  Selz  u.  s.  w.  die  Aufnahme 
verdient  hätten.  —  Dass  das  Adriatische  Meer  mehrere  Deut- 
sche Flüsse  aufnehme,  war  Rez.  neu,  weil  er  ausser  dem  Gränz- 
fluss  Isonzo  nur  einige  unbedeutende  Bäche  kannte.  Der  Verf. 
hilft  sich  aber  weiter  unten  damit,  dass  er  alle  zwischen  Istrien 
und  dem  Po  befindlichen  Küstenflüsse  aufzählt  und,  freygebig 
genug,  Deutschland  zutheilt.  —  Der  Rhein  hat  durch  einen 
Druckfehler  eine  Länge  von  175  (st.  125)  Ml.  bekommen.  — 
Bey  der  Oder  liätte  bemerkt  werden  sollen,  dass  sie  uter  allen 
Deutschen  Strömen  das  geringste  Gefälle  habe.  Auch  tritt  sie 
nicht  unterhalb,  sondern  oberhalb  Thorn  in  dasPreuss.  Gebiet. — 


Scholz:  Handbuch  zur  Kunde  von  Deutschland  und  Preussen.  lOlf 

Die  Ucker  und  Persante  sollen  nicht  schiffbar  seyn ,  im  Wider- 
spruch mit  Andern,  z.  IJ.  mit  v.  Restorff  (S.  dessen  topogra- 
phische Beschreib,  von  Pommern).  —  Unter  den  Kanälen,  die 
übrigens  nur  zu  vollständig  aufgezählt  sind,  da  selbst  der  aus 
der  Elster  abgeleitete  Flossgral)en  niclit  vergessen  worden  ist, 
fehlt  docJi  der  Steckenitz- Kanal  zwischen  dem  See  von  Müllen 
und  der  Klbe. 

So  viel  fiir  diessmahl!  Ueber  den  m irklichen  Werth  des 
ganzen  Buchs  kann  Rez.  natiirlich  nicht  eher,  als  bis  die  Vibri- 
gen  Hefte  erschienen  sind  ,  aburtheilen.  Er  schliesst  mit  dem 
Wunsche,  dass  der  Verf.  in  der  begonnenen  Weise  fortfahren, 
dabey  aber  das  sich  anfangs  gesteckte  Ziel  stets  unverrückt  vor 
Augen  behalten ,  und  auch  die  Topographie  nicIit  vernachlässi- 
gen möge. 

Druck  und  Papier  sind  ohne  Tadel,  aber  eine  sorgfaltigere 
Korrektur  ist  höchst  wünschenswerth. 

Dr.   Weise. 

Cornelius  JVepos.  Zum  Gebrauch  der  ersten  Anfäng-er  mit  kur- 
zen grammatischen  und  historischen  Anmerkungen ,  wie  auch  mit 
einem  Wörterbnche  versehen,  von  J.  Chr.  Meinecke.  4te  Aull. 
Lemgo,  Hofbuclih.  1825.  284  u.  (das  Wörterb.)  156  S.  8.  1  Thlr. 
Doch  wird  auch  die  Ausgabe  ohne  das  Wörterbuch  für  16  Gr., 
und  letzteres  allein  fiir  8  Gr.  verkauft. 

Da  die,  von  dem  im  Jahre  1807  verstorbenen  A.  Chr.  Mei- 
necke, besorgte  Schulausg.  des  Corn.  Nepos  in  diesen  Jahrbb. 
bisher  noch  nicht  beurtheilt  worden  ist,  so  dürfte  es  wol  nicht 
ausser  dem  Bereich  dieser  kritischen  Blätter  liegen ,  ihrer  mit 
einigen  Worten  zu  gedenken ,  indem  es  einer  resp.  Hofbuclih. 
in  L.  gefallen  hat ,  im  Jahre  1825  eine  neue  4te  Aufl.  von  der- 
selben zu  veranstalten  *). 

Mit  Recht  rauss  man  sich  wundern ,  dass  diese  neue  Auf- 
lage als  eine  völlig  unveränderte  erscheint,  da  eine  zeitgeraässe 
Umarbeitung  durchaus  nothwendig  gewesen  wäre,  wenn  diese 
für  die  Zeit  ihres  ersten  Erscheinens  nicht  ganz  unbrauchbare 


*)  Die  erste  Aufl.  erschien  1791 ,  die  zweite  1819  und  1820,  die 
dritte  1823.  Alle  sind  unverändert  nach  der  ersten  abgedruckt,  ja  die 
drei  letzten  stimmen  so  mit  einander  überein ,  dass  man  sie  für  eine 
halten  möchte,  welche  nur  den  Titel  dreimal  verändert  habe.  Ueber 
die  vierte  Aufl.  kann  man  die  Anzz.  in  Beck's  Rcpert.  1825,  IV  S.  326 
und  in  der  Allg.  Schulzeit.  1826,  11  L.  B!.  45  vergleichen.  Die  erste 
Aufl.  wurde  in  der  Neuen  allg.  Deut.  Bibliothek  Bd.  I  St.  2  S.  357,  in 
der  Oberdcut.  allg.  Lit.  Zeit.  1793  Bd.  I  S.  337  ff. ,  und  in  der  Allg. 
(Halliöch.)  Lit.  Zeit.  1793  Bd.  IV  S.  56S  beurtheilt.  [Anm.  d.  ßcd.] 


198  Kürzere     Anzeigen. 

Schnlausg;abe  auch  den  gegenwärtigen  Bedürfnissen  nur  eini- 
gerraaassen  geniigen  sollte.  Laut  Titel  und  Vorrede  des  verst. 
Verf.  war  sie  fü?  die  ersten  Anfänger  zum  Behvf  der  Vorbe- 
reiUing  zu  den  Lektio?ie?i  bestimmt.  Die  Anmerkungen,  >velclie 
dem  Schiller  ziini  Verständniss  dieses  Schrijtstellers  behülflich 
sein  sollen^  erscheinen  gegenwärtig  als  grösstentheils  unbrauch- 
bar, und  da  sie,  statt  zu  erklären,  meist  nur  wörtliche  und  oft 
unpassende  Uebersetzung  geben,  befördern  sie  die  dem  Schü- 
ler so  eigenthümliche  Säuniniss  in  Gebrauch  des  Wörterbuchs 
und  der  Grammatik,  und  werden  nicht  selten  Ursache,  dass 
derselbe  die  Eigenthümlichkeiten  und  unleugbaren  Schwierig- 
keiten dieses  Schriftstellers  völlig  übersieht.  — 

Um  des  Lesers  ürtheile  nicht  vorzugreifen  giebt  Rec.  fol- 
gende Proban  aus  den  Anmerk.  zu  dem  ersten  Paragraphen:  — 
„  wow  dubito:)  ick  glaube  wol.  Hierauf  hann  nun  quin  mit  dem 
Nom.  u.  Cofij.  oder  der  Acc.  c.  I.  folgen.  Attice.)  also  dem 
T.  P.  Atticus.,  desseti  vorzüglichste  Lebensumstände  Nep.  am 
Ende  dieses  Buchs  selbst  eizählt^  dedicirte  der  Ferf.  s.  v.  excell. 
imp.'-''^  wobei  der  Verf.  hätte  bemerken  sollen,  dass  dieLebens- 
beschreib.  d.Att.  nicht  zu  diesen  vit.  excell.  imp.  gehören  könne, 
weil  sonst  auffallen  rauss,  dass  Nep.  sein  Buch  demAtt.  zueignet, 
dessen  Tod  er  beschreibt,  ^^persojiis)  der  Abi.  v.  dignus  reg. 
Uebrigens  will  sunimorum  vir.  perso?iis  tvirklich  mehr  sage?i^  als 
wenn  es  Messe  summ,  viris."-  Doch  genug!  Dass  dem  Schüler  fer- 
ner gesagt  wird:  saltasse  stehe  für  saltavisse,  cantasse  für  can- 
tavisse,  obrutus  komme  von  obruo  u.  s.  w.,  ist  unnöthig  ,  indem 
die  Grammatik  darüber  bessere  Auskunft  giebt.  —  Dasselbe 
gilt  noch  weit  mehr  von  den  beigefügten  syntaktischen  Bemer- 
kungen, wobei  ebenfalls  weit  zweckmässiger  auf  eine  Gramma- 
tik verwiesen  worden  wäre.  Unrichtig  sind  folgende  Bemerkk. 
zu  Them.  1 :  Der  Römer  könne  nur  sagen  natum  esse  ex  aliqua^ 
da  de  aliqua.^  ab  aliqua  u.  aliqua  nat.  esse  eben  so  häufig  vor- 
kommt; ferner:  dass  bei  laudi  ducilur  zu  ergänzen  sei  esse, 
woher  der  Dat.  kotmne;  ferner:  die  so  häufige  Ergänzung  von 
negotium.^  z.B.  Milt.  1  hei  prospera  futura:  nach  quo:  der  Ge- 
nitiv bei  periius  erklärt  durch  negotium  Paus.  1 ,  das  ebenfalls 
nach  quid.^  u.  nach  quid  causae  supplirt  wird.  Widersprechend 
ist  Miltiad.  5  bemerkt  bei  etsi  videbat:  .^.^Wir  sehen ^  dass  hier 
keiner  vo?i  den  Fällen  ist,  wo  etsi,  ivie  jede  andere  Partikul 
(sie)  einen  Conj.  regirt,'-'-  und  dagegen  bei  quamvis:  es  regire, 
wie  jede  Partikul,  eigefitlich  eitie7i  Indikativ.  Unverständ- 
lich ist  Milt.  2  „qui  miserant:  gehört  zu  eorum,  daher  (?) 
hat  hier  qui  kei?ien  Conj.  bei  sich,  obgleich  einer  vorherging.'"''  — 
Falsch  ist  officium  ühers.  (Att.  c.  4)  durch  „Bescheidenheit.'-'' 
Schwierige  Stellen  sind  unerläutert  oder  leicht  berührt:  z.  B. 
namque  arbores  mullis  locis  erant  rarae  (Milt.  5),  „sie  liefer- 
ten ein  Treffen.     Dabei  kam  es  ihnen  sehr  zu  statten ,  dass  hin 


Cornelius  Nepos  von  Meinecke.  199 

tind  wieder  Bäume  standen;  so  wurden  sie  also  einmal  von  dem 
Gebirge^  andrer  Seits  durch  die  llüume  sicher  gestellt  und  ge- 
deckt.'-'' Hier  nimmt  der  Verfasser  weder  an  der  ungescliickten 
Durcheinanderwerfiiug  der  Gedanken,  wie  sie  sich  in  s.  Texte 
findet,  Anstoss,  noch  fällt  ihm  der  Widerspruch  der  Worte: 
arb.  rarae  und  des  unmittelbar  folgenden  arb.  tractu^  noch  die 
Scliwierigkeit,  sich  gegen  Reiterei  hinter  nur  einzelnstehenden 
Bäumen  zu  vertheidigen ,  auf.  Die  Sacherklärungen  sind  vor 
Allem  mangelhaft,  und  Att.  (5  \\e,Ae.v  praes  noch  manceps^  noch 
anderwärts  subscribere .,  praetor.,  aedilis.,  quaestor .,  consul  er- 
läutert, und  praefectura  übersetzt  durch  .^^Amt  der  Präfecten^ 
u. /iT-ße/ec^z/s  im  Wörter  buche  genannt:  .,.,Aufseher.,  Vorsteher'-^, 
z.B.  classis^  Admiral:  regis.,  ein  königlich  persischer  Ge?ieral  und 
Rom7na7ideur  !'•'•  —  Unerörtert  sind  die  Ausdrücke  sistere  vadi- 
inonium ,  causam  agere ,  jus  dicere  u.  s.  w. ,  und  hei  den  Namen 
Caesar,  Brutus,  Antonius  ist  nichts  bemerkt.  Chronologische 
Angaben  fehlen  meist  oder  sind  nacli  Jahren  der  Welt  citirt. 

Die  geograph. Bemerk,  sind  oft  falsch:  z.B.  Olympia:  eine 
Stadt  in  dem  Ländchen  Elis  genannt.,  ivo  ma?i  die  Olympischen 
Spiele  seit  3228  ab  orbe  gefeiert;  da  bekanntlich  Olympia  nur 
der  heil.  Hain  war;  Milt.5  ist  ein  Berg  Pßwos  st.  Farnes  genannt. 

Die  deutsche  Sprache  ist  oft  fehlerhaft,  z.  B.  wegen  c.  Dat. 
und  der  Ausdruck  nicht  selten  veraltet  und  provinciell.  Die  In- 
haltsanz.  vor  den  Lebensbeschr,  sind  ungleichmässig  abgefasst. 

Sinnentstellende  Druckfhl.  sind  unter  vielen  andern:  S.  17 
Anm.  1  Simons  Sohn  st.  Cimons^  S.  ()5  potius  st.  potitus.,  S.  208 
opes  st.  opus.,  S.  99  aberbium  st.  adverbiu.n.,  S.  11  muss  ut  weg. 
2JrQv^(ovos  (sie)  Cim.  2.  4.  st.  2tQv^6vog. 

Das  Wörterbuch  erscheint  bei  oberflächlicher  Durchsicht 
schon  völlig  mangelhaft,  und  es  fehlen  unzählige  Wörter,  z.  B. 
acumen.,  alicubi.,  Arabicus.,  Arretinus.,  adscisco.,  adspergo.,  ad- 
spicio.,  adspectus .,  auctoramentum,  autem.,  cadus .,  parricida, 
perfugio.,  Perinthus.,  Phidias.,  Philenius.,  jwema.,  propraetor^ 
prout ,  protinus ,  pubes ,  Publius ,  pus ,    qtie ,   quominus  etc. 

Die  Bedeut.  der  Wörter  sind  schlecht  angeordnet  und  die 
Angabe  der  Stellen  ist  mangelhaft.  Reo.  hebt  nur  ad  hervor, 
„ad,  2m;  2)  bei.,  der  Zeit  nach."-  Hier  fehlt  ad  adventura.  Bei: 
zu  fehlt:  Them.  25.  5. 1.  Cim.  21. 1.  fehlt  dieBed.  bis  in.,  bis 
%u.  Iphic.  3.  ad  senectutem ,  ad  nostram  memoriam ,  ad  extr. 
aetatem,  ad  eura  finem,  ad  internecionem :  ferner  an:  ad  Rho- 
dios,  ad  exteros  testimonium  dare:  die  Bedeut.  bei  dem  Orte 
nach:  ad  quintum  lapidem  sepultus:  gemäss:  ad  nostram  con- 
üuetudinem.  Eben  so  unvollständig  sind  sämmtliche  Präpositio- 
nen behandelt,  und  imter  andern  Wörtern  fehlt  suscipio.,  teneo., 
und  das  Verb,  titi.,  was  Nep.  so  mannigfaltig  brauclit,  Druck- 
fehler sind  unter  vielen  andern  besonders  in  Bezug  auf  die  pro- 
sodischen  Zeichen:  x.^.  populiscttum  Tür  populisciitu?n.,  irritus 


200  Abhandlung. 

für  irritus ,  Lacedaetnö/its ,  Menestheus  für  Menestheus ,  mu- 
liebris  für  ebris^  expröhro^  exilis  ^  Decetia^  commüto^  — 
bei  Tiribacus ,  Tisogoras ,  iransfuga  fehlen  die  Zeichen.  Für 
Artabazus  steht  Artabatus  ^  für  perfuga  —  perfiigo^  für  di- 
mitto  —  demitto^  compositio  für  composito^  Archeas  für 
Archeas  u.  s.  w. 

Rec.  glaubt,  dass  diese  Proben  hinreichen  werden,  um  zu 
zeigen,  wie  die  neue  unveränderte  Herausgabe  dieses  Meineck- 
sclien  Nepos  zur  Zeit  völlig  unnütz  und  von  Seiten  einer  resp. 
Verlagshandlung  nicht  wol  zu  verantworten  sei.  Auch  ist  der 
Preis  für  diese  unbedeutende  Ausgabe  noch  zu  hoch  gestellt. 
Druck  und  Papier  ist  im  Ganzen  zu  empfehlen. 

Ernst  Struve. 


Abhandlung* 


Beitr äge    zu   einer  neuen  Bearbeitung   der   An- 
thologia  Latina. 

XXerrn  Bardili's  vor  kurzem  in  diesen  Jahrbüchern  (Bd.  111  S.  216 
ff.)  niitgetheilte  Abhandhing  über  eine  neue  Ausgabe  der  Anthologia 
Latina  hat  mich  veranlasst,  in  diesen  Tagen  meine  kleine  Sammlung 
von  Excerpten  aus  verschiedenen  Handschriften  vorzunehmen  und  zu 
sehen ,  ob  sich  unter  diesen  etwas  finde ,  Avas  als  ein  Beitrag  zur  all- 
mälichen  Vervollständigung  des  literarischen  Apparats  für  diess  Unter- 
nehmen dienen  könnte.  Was  ich  fand,  will  ich  hier  kurz  aufführen, 
in  der  Ueberzeugung,  dass  nur  auf  diese  Art,  wenn  Einzelne  ihre  auch 
noch  so  kleinen  Entdeckungen  bekannt  machen ,  etwas  Umfassenderes 
gewonnen  werden  kann,  vielleicht  dass  reichere  Besitzer  ebenfalls  ihre 
Speicher  öffnen.  Im  Voraus  will  ich  erwähnen,  dass  bei  der  mir  fernlie- 
genden Aufzählung  der  neuern  Leistungen  für  jene  Gedichtsammlung 
Hr.  Bardili  einen  trefflichen  Aufsatz  des  Hrn.  Prof.  Passow  über 
denselben  Gegenstand  nicht  gekannt  hat ,  der  sich  in  der  Allgemeinen 
Encyclopädie  von  Ersch  und  Gruber  (Th.  IV  S.  262  —  268)  findet. 
Gleicherweise  ist  ihm  entgangen ,  dass  für  die  Priapeia ,  auf  die  ich 
weiter  unten  zurück  kommen  werde,  nicht  unwichtiges  von  Hrn.  For- 
te r  g  in  seiner  Ausgabe  von  dem  Hermaphroditus  des  Antonius  Panor- 
mila  geleistet  worden  ist,  so  wie  auch  Hr.  Prof.  Weichert  in  sei- 
nen so  gehaltreichen  Programmen  mehrere  Gedichte  der  Anthologia 
Latina  erläutert  hat;  so  z.  B.  II,  251  (de  China  II  p.  8),  II,  238 
und  239  (de  Turgido  Alpino  p.  16);  II,  65  (de  Valgio  Rufo  p.  14); 
II,   226  ideDomitio  Marso  p.  20);   II,    247  (ibid.  p.  21).     Endüch. 


Silllg :  Beiträge  zu  einer  neuen  Bearbeitung  d.  Anthol.  Latlna.    201 

durfte  die  BelianiUung  cinip^cr  Eiiigramnie  von  Or eil  und  Jacobs  in 
ihren  Lateiniticlicn  poetischen  Chrcstomathieeii  nicht  ganz  mit  Still- 
schweigen übergangen  werden.  Zu  S.  21!)  ist  hinsichtlich  der  Sal- 
inasischen  Handschrift  zu  bemerken,  dass  sie  allerdings  auf  der 
königl.  Bibliothek  zu  Paris  sich  befindet,  im  gedruckten  Catalog  aber, 
wenn  ich  mich  recht  erinnere,  nicht  verzeichnet  ist.  Dass  sie  eine 
ik  neue  genaue  Collation  wolil  verdient,  werden  folgende  Lesarten  zei- 
gen, die  von  Burraann,  obgleich  in  ihr  befindlich,  gar  nicht  oder 
ungenau  angeführt  worden  sind.  Freilich  ist  zu  erwähnen,  dass  die 
Handschrift  von  Fehlern  wimmelt  und  einen  sehr  unwissenden  Abschrei- 
ber verräth.  Ich  thcile  die  Varianten  in  der  Folge  mit,  wie  sich  die 
Gedichte  im  Codex  selbst  finden.  Die  erste  Stelle  nimmt  ein  Burm. 
Anthol.  Lat.  Lib.  I  ep.  171.  Vs.  3  ccrcm  —  mundis.  Vs.  6  Ad  —  ni- 
tiscit.  V  s.  8  redolentque.  Vs,  9  vcrib :  qiie.  Lib.  III  ep.  81.  Vs.  1  Artis 
opisquc  tua  (tuae  fehlt).  Vs.  11  excmplo  (^bei  Burmann  ist  hier  ein 
Druckfehler).  Vs.  19  alternas.  Vs.  2^  tunica.  Vs.  29  unianimcs.  Vs. 
30  Haercnitendi  ( sie ) ,  Vs.  47  Ja  appetunt.  Vs.  73  Dixit  adque. 
Vs.  80  redit  si  poscit.  Vs.  82  desit.  Vs.  84  omnis.  Vs.  91  nautorum.  Nach 
Vs,  99  folgt  zunächst  folgende  Zeile:  ISon  vires  alias  conversaque  nomi- 
na  sentis  Caede  locis.  Vs.  102  facta.  Vs.  108  retines.  Vs.  109  clauco, 
Lib.  I  ep.  146  Vs.  3  sacro.  4  Et  insignis  —  vivebat.  10  pendit.  16  ne 
quid.  Lib,  I  ep.  147  Maborti  iudicium  Paridis,  Vs.  3  viso  —  nomen. 
6  tunc  uno.  12  pascentis.  15  Ursa.  35  sentcniiam  vertit.  37  eveniam.  Lib. 
I  ep,  170  u,  s.  w.  —  Da  ich  aber  einmal  von  diesem  theiis  durch  an- 
dere Vorzüge  theiis  durch  sein  Alter  wahrhaft  ehrwürdigem  Codex 
spreche  (er  stammt  nach  sichern  Kennzeichen  aus  dem  7ten  Jalirhun- 
dert ')  ),  so  scheint  mir  hier  auch  der  Ort  zu  sein,  um  ein  für  allemal 
die  unlängst  erhobenen  Zweifel  über  das  Alter  des  Pervigilium  Veneris 
zu  heben.  Diess  Gedicht  existirt  zu  Paris  in  zwei  Handschriften ,  eben 
unserer  Saumaise'schen  und  dann  in  Nr.  8071,  welche  eben 
die  membranae  Thuaneae  ist,  die  Heins,ius  und  Burmann  in  der 
Römischen  Anthologie  so  oft  erwöhnen.  Es  ist  nun  wunderbar  zu  se- 
hen,  wie  dasselbe  Gedicht  bald  dem  Catull,  bald  dem  im  I5ten  Jfilir- 
hundert  lebenden  luterpolator  Seneca  Camers  zugeschrieben  worden  ist; 
letztere  Muthmaassung,  der  auch  Hr.  Bardili  keinen  Glauben  zu 
schenken  vermochte ,  ist  nun  wohl  auf  immer  beseitigt.  Die  von 
L  i  p  s  i  u  s  (Elect.  1,  5)  erwähnte  Handschrift  des  Pythoeus  ist  nun  eben 
der  Cod.  Thuan.  8071,  wie  diess  die  genauste  Vergleichung  zeigt,  und 
von  dessen  übrigem  Inhalt  ich  ebenfalls  hier  einiges  bericliten  will. 
Die  Handschrift  ist  überhaupt  von  der  höchsten  Wichtigkeit;  sie  ent- 
hält mehreres ,  was  sich  nur  in  ilir  findet,  oder  wovon  sie  wenigstens 
die  älteste  Abschrift  giebt,  und  es  dürfte  für  den  Liebhaber  solcher 
Sachen  nicht  ohne  Werth  sein,  die  Bestandtheile  dieses  trciFlichen 
Buches  näher  kennen  zu  lernen.      Diese   sind   folerende  :    Juvenals  Sati' 


*)  Diess  bestätigt  auch  Fr,  üsann  in  der  Allg.  Schulzeit.  1828,  II 
Nr.  116  S.  959  f.  [Anni.  d.  Red.] 


202  Abhandlung. 

Ten  in  einer  von  der  geMcHinlichen  abweichenden  Ordnung,  Opuscula 
Eugenii,  Auszüge  aus  Martial,  das  Epithalamium  des  Catull  L\II  ( s. 
Jbb.  Bd.  I  S.  423.)  und  min  eben  die  Beiträge  zur  Anihologia  Latina, 
aber  auch  in  einer  ganz  verschiedenen  Ordnung:  Lib.  II  ep.  2()8.  Vs. 
1  canculo.  4  tollere  certat.  5  jyroiectus.  Lib.  V  ep.  1C5.  III,  183.  Vs.  2 
Titrumque.  5  ncc  per  loca.  6  casta  marita  viris.  III ,  178.  Vs.  1  sexu.  2 
leUum.  4  solertis.  7  mirabilis  artem.  III,  179.  Vs.  2  Quemfido.  3  Quam 
super.  6  lapsa  gracili.  8  pinnis  persecuisse.  10  funus.  III,  181.  Vs.  2  vulgu 
auribus.  Z  Siat  lactuque  potens.  ^  Nam  Ura  aequali  ambo  moderamlne  Ubram. 
6  socia  astemperat.  8  T'ox  atrum  canat  an  lyraqiie  sola  sonet.  V,  66.  Vs.  3  re- 
dimito.  V,  84.  haus  omnium  mensuum.  Vs.  1  honorißco  indoctus  iam  men- 
sis  comictu.  9  Malus  adblantis  nate  dicatus  honori.  10  senta.  16  recreant. 
17  degerlt.  Lib.  I  cp.  90.  Hierauf  folgt  das  Pcrvigilium  Veneria  und 
nach  einer  langen  Reihe  von  Epigraiuiuen  aus  der  Anthologie  machen 
des  Ovidius  Halieuticon  und  des  Gratius  Cynegeticon  den  Beschluss.  Aus 
diesem  Codex  dürfte  mehr  wesentlicher  Nutzen  für  die  Anthologie  zu 
ziehen  sein  ,  als  aus  dem  S  au  ma  is  e  '  s  eben,  weswegen  ich  auch 
von  dem  Thuaneus  mir  eine  vollständige  Vergleichung  angefertigt  habe. 
Ein  Wolfenbüttler  Codex  des  Catullus  (Nr,  283  bei  Ebert)  ent- 
hält nach  dem  16tcn  Gedicht  dieses  Dichters  die  beiden  bekannten 
Epigramme  des  Furius  Bibaculus  mit  folgenden  Abweichungen  von  der 
Burmannschen  Lesart;  Anthol.  II  ep.  238  Vs.  1  fere —  catotini.  2  ni- 
mio  assilas  et  cylios.  3  videt  ortalosque  lapi.  6  Qua  celibrua  calculus  et 
tros  farris.  8  senectas.  ep.  239.  As.  1  Ecironis.  3  unum.  4  optimumque.  5 
Omnis  —  questiones.  7  En  cor  enoccatis  en  lecum  catetis.  Eine  zweite 
Handschrift  desselben  Dichters  auf  derselben  Bibliothek  (Nr.  170  bei 
Ebert)  enthält  auf  dem  letzten  Blatt  Anthol.  III  ep.  177.  Vs.  3  vinoque 
(wie  sehr  oft  Juno  und  vino  verwechselt  worden  ist).  5  letum  sie  iuno 
ait.  6  aquas.  8  Quae.  IV  ep.  92.  Versus  Augusti  ut  aiunt.  Vs.  1  dum  lu- 
dit  in  Ilebro.  3  traheremur.  6  flammis  peperi.  Von  den  Priapejis  zu 
sprechen  giebt  uns  L  essin  gs  Wort  (Werke  1  S.  282.  Berlin  1771.) 
die  Erlaubniss :  „Da  sind  sie  doch  einmal :  und  besser  ist  überall  bes- 
ser. Kann  sich  hiernächst  kein  Arzt  mit  Schäden  beschäftigen ,  ohne 
seine  Einbildungskraft  mit  dem  Orte,  oder  den  Ursachen  derselben  zu 
beflecken'?"'  Ausser  drei  Wolfenbüttler  Handschriften  (bei  Ebert  Nr. 
703,  704,  705.)  und  den  Varianten  einer  unbekannten  Handschrift,  die 
Lindenbruch  seiner  Ausgabe  beischrieb  (s.  Lessing  a.  a.  O.  S.  287.) 
eirhielt  ich  aus  demselben  Rehdigerschen  Codex,  aus  dem  ich  eine  Col- 
Ifiition  der  Silven  des  Statins  mitgetheilt  habe  (s.  jetzt  noch  Alb  recht 
Wach  1er  Tlwmas  Rehdiger  und  seine  Büchersammlung  S.  54.)  Lesar- 
t«!n  zu  den  dort  allein  enthaltenen  83sten  und  85stcn  Priapischen  Ge- 
dichten. (Diese  Handschrift  ist  demnach  von  einer  andern  vollständigen 
in  derselben  Bibliothek  zu  unterscheiden,  die  Les  sing  a.  a.  O.  S. 
'185  und  Wach  1er  S.  40  s.v.  Calpurnius  erwähnt  haben.)  Vorzügliche 
Ausbeute  für  diesen  Theil  der  Appendix  Virgiliana  (denn  in  dieser  Be- 
ziehung glaubte  ich  auch  auf  diese  Auswüchse  des  menschlichen  Gei- 
stes Rücksicht  nehmen  zu  müssen )  gab  mir  die  königl.  Bibliothek  in 


Sillig:   Beiträge  zu  einer  neuen  Bearbeitung  d.  Anthol.  Latina.     203 

Paris,  wo  Cod.  8236,  6206,  8232  und  8205  diese  Sammlung  vollstän- 
dig enthalten,  während  Nr.  8207  nur  das  83ote  Gedicht  darbietet.  — 
Das  Gedicht  Est  et  non.  Vir  bomia ,  de  rosis  nascentibus ,  {Pseudo-) 
Octaviani  versus  in  laudcm  f'irgilii  enthalten  Cod.  Paris.  7936  und  7927. 
Reiche  Beiträge  zur  Anthologie  gieht  iiber  auch  vorzüglich  Cod.  Pa- 
ris. 8069  (früher  ein  Thuaneus)  und  Cod.  Guelferbytamis  (früher  Ilelm- 
stadiensis)  ,  den  Wernsdorf  vieifacli  benutzt  (s.  jetzt  über  diesen 
Theil  der  viclenthaltenden  Handschrift  Ebert  Nr,  917).  Zwei  Ele- 
gieen  des  sogenannten  Albinovanus  hat  die  oben  erwähnte  Rehdi- 
g  e  r  s  c  h  e  Handschrift  des  Statins. 

Zum  Schluss  dieses  kleinen  Aufsatzes  theile  ich  eine  Elegie  mit, 
welche  in  einem  dritten  Wolfenbüttler  (frülicr  Corvinianischcn)  Codex 
des  CatuU  (bei  Ebert  Kr.  168),  am  Ende  desselben  sich  befindet. 
Trotz  vielem  Nachsuchen  habe  ich  nicht  finden  können,  dass  sie  ir- 
gendwo gedruckt  väre,  und  so  mag  sie  so  lange  für  ein  dvtaöozov 
gelten,  bis  ein  kundigerer  Literator  mich  eines  bessern  belehrt. 

Schon  Wernsdorf  kannte  sie,  dessen  Bemerkung  hier  gleichsam 
als  Einleitung  vorangehen  möge :  „In  Codice  Ms.  bibliothecae  Guelfer- 
byt.  triumviris  Amorum,  Catullo,  Tib.,  Prop.,  anuexa  legitur  Elegia  ad 
Deliam,  antiqua  manu  scripta,  quae  incipit:  Delia  feminei  specimen 
venerabile  sexus.  Hane  quia  elegantem  planeque  ad  veterum  genium 
compositam  reperiebam,  parura  aberat,  quin  liis  Amatoriis  adiungercm. 
Sed  intercedebat  suspicio  non  levis,  esse  a  recentiore  poeta,  fortasse 
Italo ,  saeculi  XIV,  vel  XV'  scriptam,  quem  curiosiiis  investigare  non 
vacabat."  (Poet.  Lat.  Min.  T.  VI  P.  I  p.  248.)  Ich  gebe  sie  genau 
nach  dem  Codex  nur  mit  berichtigter  Interpunction: 

Delia  feminei  specimen  venerabile   sexus , 

O   desideriis  Delia   prima   raeis ! 
Quid   prius   aggrediar  de   te  ?      quae    ( cod.   que )    exordia  sumam  ? 

Singula  si  referam ,    quis   mihi  finis   erit? 
O   superis  dilecta  Deis,    cui  Gratia  servit  5 

Et  Venus  et  Veneris  iam   superatus  Amor! 
O  merito   coeleste   genus,    divina  propago^ 

Tu  licet  humanis  conspiciare  locis. 
Ordine  iuncta  tribus,    quamvis  postrema  venires, 

Prima  tarnen  Phrygio   iudice  dicta  fores.  10 

Lumina  siderea   subter  radiantia  fronte 

Qui  videat ,    longas  marmoreasque  manus , 
Flaventemque  comam ,    corpus  ,    gressumque  severum  , 

Dixerit  (cod.  dixerat}:    o   summo   digna  puella  Jove ! 
Tune   humiles  habitare  potes  pulcherrima  terras ,  15 

Perpetuo    aethereis   conspicienda   choris? 
Tune  potes  cupidi  contemnere   furta  Tonantis  ? 

Forma   quidem  magnis   convenit  ista  Deis. 
Ecce  tibi  volucrem  timeo  niveunique   iuvencum , 

Ecce  tibi  aurcolas  in  gremio  pluvias ,  20 


204  M  i  8  c  c  1  1  e  II. 

Et  qiiodcuhque  Jovem   vertit,    quodcunque  refinglt 

Iniiuinerisque   modis   iiig-eniosus   Amor. 
Tu   tarnen   immotum  retines    (cod.  retinens)  fortissima  pectus, 

Praesidio   sanctae  fulta  pndicitiae, 
Divitias   animi   stabiles   mentisque  recessus,  25 

Excolis  et  veri  gaudia  summa   boni. 
Te  minor  est,    quae   certa  mori,    quae   (qnod?)  fida  marito; 

Mors,   ait,    ipsa  animi  mors  tibi  testis   erit. 
Inclyta  seque  tibi  siimmittat  Portia  Bruti, 

Ilaec  licet  ardentes  hauscrit   ore   faces.  30 

Iure   Minerva  suas   igitur   tibi   contiilit  artes, 

Iure   suum  (corf,   suam)   tribuit  Cypria  victa  dccus, 
Cynthia  propositum ,     claram   Saturnia  sortem, 

Pegasides  linguae  dulce  dedere  melos. 
Rara  pudicitiae  viget  et  concordia  forinae;  35 

Tu   tarnen  amplexa  es,    Delia,    utrumque   decus. 

Dresden   am  20  September  1828.  JuliuS    Sill'lg. 


Miscellen. 


V  on  den  Memoires  de  VAcademie  Imperiale  des  Sciences  de  St.  Peters- 
bourg  ist  1826  der  lOte  Th.  avec  l'historie  de  rAcademie  pour  les  an- 
nees  1821  et  1822  [48  und  820  S.  4.  mit  2  Charten  und  25  Kpftf.  5 
Thlr.  16  Gr.]  erschienen,  v elcher,  wie  überhaupt  die  Denkschriften 
dieser  Akademie,  für  Mathematik ,  Naturgeschichte,  und  Orientalische 
Literatur  im  weitern  Sinne,  wichtig  ist.  In  philologischer  Hinsicht 
enthf^lt  er:  1)  Memoire  sur  les  Tragiques  Grecs,  par  Mr.  le  president 
d'Ouwaroff,  welches  besonders  darauf  dringt,  dass  man  die  drei  Tra- 
giker Aeschylos,  Sophokles  und  Euripides  nicht  einzeln  jeden  für  sich, 
als  drei  einzelne  Epochen  bildend ,  betrachte ,  sondern  sie  vereinigt 
als  die  Blüthe  der  Griechischen  Tragödie  auffasse ,  und  zugleich  über 
den  Ursprung  und  allgemeinen  Charakter  der  Griechischen  Tragödie 
überhaupt  sich  verbreitet.  2)  Memoire  sur  les  iles  et  la  coiirse  consa- 
crees  ä  Achille  dans  le  Pont-  Euxin  ,  avec  des  eclairissemens  sur  les  anti- 
quites  du  littoral  de  la  Sarmatie  et  des  recherch.es  sur  les  honneurs  que  les 
Grecs  ont  accordes  ä  Achille  et  aux  autres  heros  de  la  guerre  de  Troie  par 
H.  Köhler,  welches  besonders  für  die  Erläuterung  des  Strabo  und  Pto- 
lemäus  sehr  wichtig  und  dessen  Hauptinhalt  in  Beck's  Repertorium 
1828  Bd.  II  S.  8  — 15  angegeben  ist. 


Der  in  diesen  Jahrbüchern  II  S.  394  erwähnte,  in  der  llofbiblio- 
thek  zu  AVien  befindliche  Codex  rescriptus  aus  Bobbio  ist  in  neuerer 
Zeit  von  einem  gelehrten  Pressburger ,  Stephan  Ladislaus  End- 
licher, genauer  untersucht  worden,    welcher  34  sehr  alte  u.  höchst 


M  i  8  c  c  1  1  e  n.  205 

interessante  Edita  und  Inedita  darin  gefunden  hat.  Die  letztern  sollen 
aliniälig  herausgtj^eben  werden,  und  den  Anfang  hat  Endlicher 
bereits  geuiaelit  mit  Prisciani  grammalki  de  Laude  Imperatoris  Anaslasii, 
et  de  Pondcribus  et  Mcimiris  carmina.  Jlternm  nunc  prlmum,  alterum 
plenius  cdidit  St.  L.  Endlicher.      Wien,  bei  Schalbacher.  1828. 

In  Oxford  wurde  im  vorigen  Jaiire  der  Preis  für  die  besste  poeti- 
sche Schulübung  dem  Lehrgedicbt  von  T.  L.  C  1  a  u  g  h  t  o  n  :  Machinae 
vi  vaporis  impulsae,  ertheilt.  Das  Mechanics'  Magazine  1828  S.  384  fin- 
det darin  den  Beweis,  dass  der  Sihisigeist  auf  dieser  „rostigen"  Uni- 
versität anfange  eine  praktisclie  Uücksicht  zu  nehmen ,  fragt  aber,  wie 
man  Kurbeln,  Stämpel,  Cylinder  u.  s.  w.  in  Lateinischen  Hexametern 
besingen  könne ,  ohne  knarrende  Verse  zu  liefern. 


Zu  Bordeaux  hat  man  unter  einem  Pavillon  der  ehemaligen  In- 
tendanz auf  einem  länglichen  Viereck  von  grauem  Marmor  folgende 
Lateinische  Inschrift  gefunden:  TVTELAE.  AVG.  C.  OCTAVIVS. 
VITALIS.  EX.  VOTO.  POSVIT.  L.  D.  EX.  D.  D.  DEDIC.  X.  KAL. 
IVL.  IVLIANO.  II.  ET.  CRISPIN.  COS.  Diese  der  Schutzgöttin  von 
Bordeaux  geweihte  Inschrift  ist  besonders  wegen  ihres  Zeugnisses  für 
das  zweite  Consulat  des  Julianus  wichtig,  da  dasselbe  immer  in  Zwei- 
fel gezogen  worden  ist. 

Durch  die  unter  der  Leitung  von  Langlais  hei  Havre ,  in  der  Ge- 
gend des  Römischen  Theaters  von  Lillebonne ,  angestellten  Kachgra- 
bungen hat  man  vor  kurzem  die  Statue  einer  Römischen  Dame  gefun- 
den ,  Avelche  in  schönem  Stil  gearbeitet  ist.  Kopf  und  Hände  sind  ab- 
gebrochen,  aber  zugleich  mit  aufgefunden  worden. 


Ueber  die  verlorene  Kunst  der  Alten,  Purpur  zu  färben,  bemerkt 
ein  Aufsatz  im  Median.  Magazine  Nr.  252,  14  Juni,  S.  336,  dass  man 
sie  zur  Zeit  Beda's  (nach  dessen  histor.  eccles.')  noch  in  England 
trieb ,  ja  dass  C  o  1  e  noch  1685  ein  A'erfahrcn  beschrieb  ,  aus  Purpura 
lapillus  eine  Art  Scharlachfarbe  zu  erhalten.  M  o  n  t  a  g  u  in  dem  Sup- 
plement zu  seiner  TestaceaBritannica  hat  andere  Bemerkungen  darüber 
mitgetheilt.  Eine  Art  von  Scharlachfarbe,  nur  minder  schön  und  min- 
der haltbar ,  giebt  Scalaria  Clathrus ,  eine  noch  schlechtere  Planorbis 
Comeus. 


Der  Architektur ,  Bildhauerei ,  Mahlerei ,  Musik  und  SchifFbau- 
kunst  der  Alten  hat  Dubais  im  Mechanics'  Magazine  Nr.  250 ,  31  Mai, 
S.  291  eine  grosse  Lobrede  gehalten,  und  zwischen  den  Erzeugnissen  al- 
ter und  neuer  Zeit  aus  jenen  Fächern  interessante  Vergleichungen  an- 
gestellt. Er  meint  unsere  Gothischen  Bauten  seyen  nur  elende  Stein- 
massen und  Ameisenhaufen  gegen  die  Ruinen  von  Babylon  und  die 
Pyramiden  in  Aegypten,  die  Peters-  oder  Paulskirche  nur  Schatten  in 
Vergleich  mit  den  Ruinen  Griechischer  Tempel,    die   Triumphbogen 


206  M  i  s  c  e  1  1  e  n. 

zu  London  und  Paris  mit  den  Römischen  gar  nicht  Zu  vergleichen,  kein 
kaiserlicher  oder  königl.  Pallast  neben  das  goldene  Haus  des  Nero  zu 
stellen.  In  der  Bildhauerei  erklären  unsere  grössten  Bildhauer  (selbst 
Canova)  die  Alten  für  unerreichbar,  obschon  von  ihren  grössten  Mei- 
sterwerken (von  Praxiteles  undPhidias)  nichts  erhalten  ist.  Auf  die 
Mahlerei  der  Alten  können  vir  nur  aus  den  Ruinen  zweier  Landstiidt- 
chen,  Pompeji  und  Herculanura ,  schliessen,-  aber  keine  Landstadt  hat 
bei  uns  an  ihren  Mauern  ähnliche  Meisterwerke  aufzuweisen ,  und 
Anekdoten  ,  wie  die  vom  Apelles  und  Zeuxis ,  erzählt  man  auch  von 
den  Meisterwerken  unserer  ersten  Mahler  nicht.  Kenntniss  und  Studium 
der  Musik  ist  bei  uns  lange  nicht  so  verbreitet,  als  bei  den  Griechen, 
wo  jeder  nur  etwas  gebildete  Mensch  Musiker  war.  Unsere  grössten 
und  feinsten  Musiker  begnügen  sich  mit  halben  Tönen ,  w  ährend  der 
Grieche  Viertel -Töne  in  seinen  Noten  unterschied;  und  die  Musik  ei- 
nes Volks,  von  welcher  man  die  Mythen  von  Arion  und  Orpheus  ersin- 
nen konnte ,  musste  vorzüglich  seyn.  Ptolemäus  baute  ein  Schiff  von 
420  Fuss  Länge  und  7200  Tonnen  Ladung,  und  das  Schiff,  auf  wel- 
chem unter  Caligula  der  grosse  Obelisk  nach  Rom  geschafft  wurde, 
hatte  ausser  dem  Obelisk  allein  1140  Tonnen  Ballast:  in  Vergleich  mit 
ihnen  ist  selbst  der  Columbus  der  Amerikaner  eine  Kleinigkeit.  — — 
Viele  dieser  Behauptungen  sind  allerdings  übertrieben,  namentlich  was 
über  die  Schifffahrt  der  Alten  gesagt  wird ,  avo  der  Verfasser  die  Um- 
schiffung von  Afrika  aus  den  Trümmern  Spanischer  Schiffe ,  die  man 
zur  Zeit  des  Plinius  im  rothen  Meere  fand,  und  aus  den  nach  Deutsch- 
land verschlagenen  Indischen  Schiffen  beweist.  Aber  zu  beachten 
sind  die  Zeugnisse  aus  Clemens  Alexandrinus ,  Aelian,  Marcellinus, 
Seneca  und  Diodor,  durch  welche  zu  beweisen  gesucht  wird,  dass  die 
Alten  Amerika  kannten. 


In  London  ist  erschienen :  The  Temple  of  Jupiter  in  the  Island  of 
Aegina,  nach  Turners  bekanntem  Geraählde  von  J.  Pye  gestochen. 
1  Pf.  11  Seh.  6  P.  —  In  Neapel  hat  der  Canonicus  von  Jorio  einen 
neuen  Wegweiser  durch  Herculanum :  Notizie  su  gU  Scavi  di  Ercolano 
(122  S.  mit  5  Kpftfln.)  herausgegeben. 


In  Paris  hei  Fruger  erscheint  von  L  ap  i  e  ,  Vater  und  Sohn,  ein 
Atlas  universel  de  gcof^raphie  ancienne  et  moderne,  50  Charten  mit  Text. 
Jeden  Monat  soll  eine  Lieferung  von  zwei  Charten  und  einem  Bogen 
Text  ausgegeben  werden  [die  erste  ist  im  Juli  erschienen],  welche  3 
Franken ,  auf  Velinpapier  6  Fr.  kostet.  —  Ebendaselbst  ist  der  7te  Bd. 
von  Malte  -  Brun's  Precis  de  la  Geographie  universelle  erschienen. 
—  In  Delft  und  Dortrecht  hat  f.  G.  van  Kunopen  den  ersten  Bd.  einer 
Gerschiedenis  van  Griekenland  etc.  herausgegeben,  welche  die  Geschich- 
te der  Griechischen  Staaten  bis  zur  Zeit  des  Persischen  Kriegs  enthält, 
und  interessante  Vergleichungen  der  altern  Institutionen  und  Sitten  mit 


M  i  s  c  e  1  1  e  n.  207 

der   neuern  Zeit  anstellt.        Ausser    den  Quellen  sind  dazu   die  Werke 
von  Heeren,  Müller,  Ciavier,   Gillies   und  Mitford  benutzt  worden. 

Nach  xM  o  r  e  a  u  de  J  o  n  n  e  s  Berechnung  [  s.  Jbb.  III,   4  S.  102. } 
kostete  in  Rom  unter  üiocletian: 

Ein  Liter  alter  Wein   von   besster  Qualität      .        10  Frank.  90  Cent. 
Ein  Liter  Falerner,   Picener,   Tiburtiner,   Salcr- 

ner ,   Arniinier,   Surentiner,    Sotiner      .      .         13  —  50    — 

Ein  Kiliosrainm  (2  Pfd.)   Rindfleisch    ...  2  —  40    — 

Ein  Kiliof^r.  Lamm-,   Ziegen  -  od.  Schweinfleisch    3  —  CO    — 

Ein  Kiiiogr.  Schinken 6  —  — 

Ein  Kiliogr.  Seefische  der  bessten  Art  ...  5  —  40    — 

Ein  Kiliogr.  Honig  von  der  bessten  Qualität  .18  —  — 

Ein  Kiliogr.  Oehl 18  —  — 

Ein  Kiliogr.  Essig 2  —  70    — 

Ein  gemästeter  Pfau 56  —  25    — 

Eine  gemästete  Gans 45  —  — 

Eine  Ente  oder  ein  Kaninchen 9  —  — 

Ein  Repphuhn 6  —  '5    — 

Ein  Kohlkopf  von  der  bessten  Art    ....  0  —  90    — 

Ein  Paar  Calcei 33  —  75    — 

Ein  Feldarbeiter  täglich 5  —  60    — 

Ein  Maurer  oder  Schneider  täglich         ...        11  —  25    — 

Ein  Mosaikarbeiter  täglich 13  —  50    — 

[Aus  der  Biblioth.  Italiana ,  April  S.  46.J 


Die  Meinung,  dass  die  Hesperiden-  Gärten  der  Alten  in  der  Nähe 
von  Berenices  zu  suchen  scyen  [Jbb.  IV  S.  231.],  hat  der  Franzose 
Facho  [Jbb.  VI  S.  131.]  vor  kurzem  in  einer  Sitzung  der  geogra- 
phischen Gesellschaft  in  Paris  bestritten  und  diese  Gärten  auf  die  Spitze 
des  Vorgebirges  Phycus  gesetzt.  Er  stützt  sich  dabei  vorzüglich  auf 
die  Beschreibung  des  Skjlax  und  auf  einige  Stellen  im  Herodot,  Lu- 
can  u.  A.  Auf  jenem  Vorgebirge  nämlich,  in  der  Nähe  eines  alten  von 
den  Phöniciern  häufig  besuchten  Hafens,  fand  er  dieselben  Bäume  und 
Gesträuche,  die  Skylax  in  seiner  Beschreibung  angiebt,  so  wie  auch 
die  übrigen  topographischen  Details,  die  jener  über  diese  Gärten  an- 
führt und  die  man  nirgends  anderswo  in  der  Cyrenaica  antriff't. 


Böckh's  Staatshaushaltunff  der  Athener  ist  in    einer  Englischen 
Uebersetzung  in  zwei  Bänden  erschienen. 


Den  Freunden  symbolischer  Deutung  in  der  Griechischen  Mytho- 
logie wollen  wir  Hans  Georg  Nägeli's  Vorlesungen  über  die  Mu- 
sik,  mit  Berücksichtigung  der  Dilettanten  (^Stattgart,  Cotta.  1826.  gr.  8. 
1  Thlr.  16  Gr.) ,  empfohlen  haben ,  da  sie  eine  ganz  neue  Deutung  von 
der  Fabel  des  Apollo  u.  derDaphne  geben.  Die  hierher  gehörige  Stelle 
ist  folgende:    „Die  Kunst  erscheint  dem  Menschen  und  wirkt  auf  ihn 


208  Mis   Celle  n. 

unter  der  Form  des  Raums  als  Plastik  oder  bildende  Kunst ,  und  un- 
ter der  Form  der  Zeit  als  Musik.  Dort  erzeugt  sie  in  ihm  Aftecte,  hier 
Stimmungen.  DerAffect  ist  der  Stimmung  entgegengesetzt;  er  ist  bin- 
dend, sie  entbindend ;  er  sondernd,  sie  amalgimirend ;  der  Affect  hebt 
die  Stimmung  auf,  die  Stimmung  vernichtet  den  Affect.  Der  Affect 
berulit  auf  dem  Grundbedürfnisse  der  Liebe ,  die  Stimmung  auf  dem 
Grundbedürfnisse  der  Lust,  beide  Worte  im  philosophisch  allgemein- 
sten Sinne  genommen ;  die  Liebe  zieht  an ,  die  Lust  macht  frei.  Je- 
nes Anziehen  ist  der  Grundcharakter  der  bildenden  Kunst,  dieses  Frei- 
machen ist  die  Grundeigenschaft  der  Musik.  —  —  —  Apollo ,  der 
Leiergott,  ist  in  der  Liebe  unglücklich.  Er  vermag  nicht  die  Daphne 
einzuhohlen;  wie  er  sie  haschen  will,  entstaltet  sie  sich  ihm  als  Ge- 
genstand seiner  Liebe ,  seines  Affects.  Die  Bedeutung  ist  offenbar  ganz 
einfach  diese:  Die  Stimnmng  als  das  Leben  (die  Lebensweise)  des  Lei- 
ergottes kann  sich  mit  dem  Affect  nicht  vermählen.  So  bleibt  dem 
Apoll  nur  die  Leier.  Mit  dieser  besuchte  er ,  wie  die  Mythologie 
sagt,  öfters  die  Erde;  ohne  darauf  die  irdische  Liebe  zu  finden.  Dann 
sagt  die  Mythologie  weiter:  schnell  wie  ein  Gedanke  war  er  wieder 
bei  den  Göttern.  Auch  diess  ist  für  uns  symbolisch  klar.  Nothwen- 
dig  muss  der  Leiergott,  das  personificirte  musikalische  Princip  ,  auf- 
und  absteigen ,  zwischen  Himmel  und  Erde  hin  -  und  herschweben. 
Denn  dieses  Schweben,  dieses  Auf-  und  Absteigen  ist  eben  dem  Wesen 
nach  Musik ,  so  wie  ihr  Endeffect  die  Erhebung  zum  Himmel  ist." 


Die  von  dem  König  der  Niederlande  in  Brüssel  ernannte  Commis- 
sion  zur  Beförderung  der  Bekanntmac'hung  der  vaterländischen  Ge- 
echichtmonumente  und  der  Abfassung  einer  National- Geschichte  hat 
den  Beschluss  gefasst  unter  dem  Titel:  Scriptores  rertim  Bclgicarum  eine 
Sammlung  von  Chroniken  herauszugeben ,  in  denen  überall  die  Spra- 
che des  Originals  beibehalten  und  der  Text  mit  Noten ,  Zusätzen  und 
Registern  begleitet  wird.  Die  erste  Reihenfolge  soll  etwa  30  Bände 
ausmachen  und  folgende  Schriften  enthalten :  1)  eine  Reimchronik 
von  Nicol.  de  Clercq  in  Flaniändischer  Sprache;  2)  den  Johann  von  Bra- 
bant;  3)  den  Johann  von  Heeln ,  welcher  in  Flamändischen  Versen  die 
Geschichte  von  Brabant  schrieb;  4)  die  diplomatische  Geschichte  von 
Bral)ant  von  Peter  zu  Thymo ,  in  einem  Gemenge  von  Flamändischer, 
Französischer  und  Latein.  Sprache  geschrieben;  5)  die  Brabantische 
Geschichte  von  Dinterus ;  0)  den  Johann  Molinet;  7)  die  Erzählung  von 
den  Unruhen  in  Gent  unter  Carl  V,  von  einem  Augenzeugen;  8)  Ban- 
denesVs  Tagebuch  über  die  Reisen  Carls  V;  9)  Anton  von  Lalain's  Be- 
schreibung der  Reise  Philipps  des  Schönen  nach  Spanien ;  10)  die  Chro- 
niken von  Mucidus  und  Saint  -  Bavon  und  einen  Theil  der  Chronik  von 
Brando. 


Zu  Voltaire's  und  Rousseau's  Schriften  ist  in  Paris  bei  C.  L.  F. 
Fanckoucke  1828  auf  70  S.  in  8.  ein  Nachtrag  erschienen,  nämlich 
Lettres  de  Voltaire  et  de  J.  J.  Rousseau  a  C.  J.  Fanckoucke ,    cdileur  de 


TodesfüUe.     Schul  •   und  Unlversltätsnachrlclitcn.  209 

Vencyclopedie  methodique.  Die  Briefe  berühren  freilich  nur  freundschaft- 
liche und  GescliiUtsangelegenlieiten ,  aber  spiegeln  auch  hierin  den 
Geist  heider  Männer  ah.  Der  Herausgeber ,  C.  L.  F.  Panckoucke ,  als 
Uehersetzer  des  Tacitus  u.  s.  w.  wohl  bekannt,  hat  das  Schriftchen  den 
Manen  seines  Vaters  {€.  J.  Panckoucke)  gewidmet  und  auch  eine  Le- 
hensbeschreibung  desselben  vorausgeschickt.  Beigelegt  ist  ein  litho- 
graphierter Brief  Voltairc's ,  als  Facsimile  seiner  Handschrift. 


Todesfälle. 


Aren  28  Mai  starb  zu  Selb  bei  Wunsledel  der  Pfarrer  und  Senior  M. 
Andreas  Schumann,  ehemals  Professor  am  Gymnasium  in  Baireuth,  im 
71sten  Jahre. 

In  demselben  Monat  zu  Paris  der  Abt  Halma,  der  bekannte  Ucber- 
setzer  der  Astronomie  und  Geographie  des  Ptolemäus. 

Den  19  Juli  zu  Sorau  der  vierte  Lehrer  und  Cantor  Schwerdtfeger 
am  Gymnasium. 

Den  24  Juli  zu  Kreutznacli  der  dasige  Oberlehrer  Eichhoff  am 
Gymnasium. 

Den  17  Aug.  zu  Salzwedel  der  Subrector  des  dasig.  Gymnasiums 
Dr.  Friedr.  JVilh.  Solbrig ,  im  32sten  Lebensjahre. 

,  Zu  Sobernheim  ist  vor  kurzem  der  Director  des  dasigen  Progym- 
nasiums  Otto  plötzlich  mit  Tode  abgegangen. 

In  Paris  ist  der  älteste  Professor  der  Universität  Jac.  Nie.  Mou- 
chard ,  87  J.  alt  gestorben.  Er  hat  eine  Sammlung  Lateinisch  ge- 
schriebener Gedichte  und  Fabeln  hinterlassen. 


Schul-  und  Universitätsnachrichten,    Beförderungen  und 
Ehrenbezeigungen. 


iVRNSBERG.  Der  Lehrer  Gerling  beim  Gymnasium  ist  Pfarrer  in  Cör- 
becke  geworden.  Statt  seiner  wurde  der  Schularatscandidat'ßrüg-g-e- 
mann  als  Oberlehrer  und  an  Plassmann's  Stelle  [Jbb.  VH  S.  117.]  der 
Schulamtscand.  Stieve  angestellt ,  eine  neuerrichtete  dritte  Lehrstelle 
aber  dem  bisher.  Hülfslehrer  am  Progymnasium  in  Dorsten ,  Pider, 
übertragen. 

Berlin.  Am  Berlinischen  Gymnasium  zum  grauen  Kloster  hat 
der  Director,  Consistorialrath  Dr.  BcUermann  am  6  Octbr.  sein  Amt  nie- 
dergelegt und  der  bisher.  Mitdirector  Küpkä  ist  zum  Director  der  An- 
stalt ,  der  Oberlehrer  desselben  Gynin. ,  Prof.  Dr.  Kibbeck  aber  zum 
Director  des  Friedrich  -  Werder'schen  Gymn.  [Jbb.  VI  S.  373.  ]  ernannt 
Jahrb.  f.  Flut.  u.  Pädag.  Jahrg.  111.  Heft  10.  j^ 


210  Schul-  und  Universitätsnachrichten, 

worden.  Der  Dir,  Bellcrmann  schrieb  zur  Niederlcgnng  seines  Amtes 
das  Prog^rainm :  Eückblickc  mif  die  Iclzlen  25  Jahre  des  grauen  Klosters 
zu  Berlin.  Er  hat  142  Lehrer  zu  CoUegen  gehabt  und  während  seines 
Directorats  5086  Schühir  iramatriculiert ,  776  aus  Selecta  entlassen. 
Am  Joachimstliarschen  Gymnasium  wurde  der  Schulamtscandidat 
Seebeck  [Jbb.  VII  S.  356.  ]  als  Alumnen -Inspector  angestellt.  Am  7 
Octbr.  feierte  der  Prof.  und  Mitdirector  des  Cölnischen  Realgymnas. 
Dr.  H.  V.  Schmidt  sein  funfzigjähr.  Amtsjubiläum,  erhielt  bei  dieser 
Gelegenheit  das  allgenipine  Ehrenzeichen  erster  Classe,  und  wurde 
mit  seinem  ganzen  bisher.  Diensteinkommen  von  1324  Thlrn.  in  den 
Ruhestand  versetzt.  Die  Universität  zählte  im  Sommer  dieses  Jahres 
1631  Studierende,  darunter  430  Ausländer,  549  Theol. ,  563  Juristen, 
306  Medic.  und  213  Philos.  Vgl.  Jbb.  VI  S.  264.  Für  den  Winter  d. 
J.  haben  112  akademische  Lehrer  [47  ordentliche  und  33  ausserord. 
Professoren,  1  Akademiker  und  31  Privatdocenten]  22  theologische, 
51  juristische,  75  medicinische  ,  15  philosophische,  13  mathematische, 
31  natnr\\issenschaftliche,  16  kameralistische,  14  geschichtliche  und 
geographische ,  4  kunstgeschichtliche  und  29  philologische  Vorlesun- 
gen angekündigt.  Dem  Verzeichniss  der  Vorlesungen  hat  Hr.  Professor 
Böckh  eine  wissenschaftliche  Abhandlung  (8  S.  4.)  vorausgeschickt, 
in  welcher  er  seine  frühere  Behauptung,  dass  in  Athen  der  Areopag  das 
Gericht  über  Mörder,  welches  er  früher  ausübte,  durch  Ephialtes  ver- 
lor, aber  ZMischen  Olymp.  88,  2  und  92^  wiederbekam,  gegen  die 
Einwendungen  in  Schutz  nimmt ,  welche  Meier  im  Rhein.  Mus.  f.  Phi- 
lol.  II  S.  264  ff.  gemaclit  hatte. 

Bielefeld.  An  die  liier  neu  zu  errichtende  Gewerbschule  wird 
der  Dr.  Carte  aus  Rinteln  berufen  Averden ,  welcher  zugleich  den  ma- 
thematisch-physikalisdien  Unterricht  übernehmen  soll,  für  welchen 
ein  ausserord.  jährl.  Zuschuss  von  200  Thlrn.  aus  allgemeinen  Staats- 
fonds bewilligt  worden  ist. 

Brai  NSBERO.  Am  Gymnasium  sind  in  Folge  der  Ernennung  eines 
neuen  Directors  [  Jbb.  VI  S.  378.  ]  mehrere  Veränderungen  eingetreten. 
Der  Oberlehrer  Biester  ist  in  die  erste,  der  Oberlehrer  Dr.  Kruge  in 
die  zweite  Oberlehrerstelle  aufgerückt.  In  die  dritte  Oberlehrerstelle 
wurde  am  15  Juni  d.  J.  der  Dr.  Fricdr.  Bumke  als  neuer  Lehrer  einge- 
führt. Noch  soll  eine  vierte  Oberlehrerstelle  errichtet  werden ,  für 
welche  der  Lehrer  Lingnau  bereits  designiert  ist.  Als  ausserord.  Hülfs- 
lehrer  ist  der  M.  Saage  eingetreten.  Zum  Examinator  der  kathol. 
Abiturienten  in  der  Religion  wurde  der  kathol.  Religionslehrer  Ditki 
ernannt.  Das  Lehrerpersonale  besteht  demnach  jetzt  aus  dem  Director 
Dr.  Gcrlach;  den  Oberll.  Biester  (Ord.  in  I),  Dr.  Kruge  (Ord.  in  II), 
Dr.  Bumke  (Ord.  in  III)  und  Dr.  Lawerny;  dem  kathol.  Religionslehrer 
Ditki;  den  Lehrern  Li« »Tißu  (Ord.  in  IV) ,  Lilicnthal  (Ord.  in  V)  und 
Saage  (Ord.  in  VI);  dem  evangel.  Pfarrer  Kräh;  dem  Zeichenlehrer 
Höpffner;  dem  Schreiblehrer  Prengel  und  dem  Gesanglehrer  Lindaner; 
welches  in  wöchentl.  195  Lehrstunden  unterrichtet.  Das  Programm  zu 
den  öffentl.  Prüfungen  (am  11  — 13  Aug.  d.  J.    Königsberg,  gedr.  bei 


Beförilcrungen   und  Klirenbezcig'ungen.  211 

Hartung^.  23  S.  4.)  enthält  auf  (i  Seiten  eine  Abliandl.  des  Dr.  liumke: 
De  Fato  Ilomerico. 

ISiiAirxscHWEiG.  Das  durch  Fricdcmantis  Abgang-  [Jbb.  VI  S.  378.] 
erledigte  Directorat  des  hics.  Obergy""iasiunis  ist  dem  Conrector  AVü- 
ger  in  Wolfenbüttel  übertragen  worden. 

I^KKSLAU.  Am  katliol.  Gymn.  ist  der  Scliulamtäcandidat  Gebauer 
als  Oberlehrer  angestellt  worden. 

CüLiv.  Am  Jesuiter  -  Gymnasium  ist  der  Schulamtscand.  Rhein- 
städtcr  als  Hülfslehrer  angestellt  worden. 

Cösiiix.  Zu  den  üffentl.  Prüfungen  im  Gymn.  zu  Michaelis  d.  J. 
hat  der  Director  Dr.  Otto  Moritz  Müller  durch  ein  Programm  eingela- 
den, welches  ausser  den  gewöhnlichen  Schulnachrichten  (S.  21 — 28) 
dessen  Anrede  an  die  obern  Classen  des  Gymn.  gesprochen  am  Tage  der 
Durchreise  Sr.  K.  II.  des  Kronprinzen  von  Preiisscn  am  25  Juni  d.  J.  (  S. 
3  —  6)  und  S.  9  —  20  Obscrvationes  de  vi  et  usu  verborum  quorumdam  La- 
tinorum  enthält,  welche  letzteren  zum  grossen  Theil  gegen  die  in  die- 
sen Jahrbüchern  enthaltene  Recension  von  MüUer's  Ausgabe  von  Cic, 
ürat.  pro  Sextio  (Bd.  V  S.  123  fl.)  gerichtet  sind  und  eine  Art  Anti- 
kritik derselben  bilden. 

Dresden.  Am  Cadetten- Hause  ist  in  die  durch  IIasse''s  Abgang 
[Jbb.  VlI  S.  355.]  erledigte  Professur  der  Professor  Förster  aufgerückt, 
dessen  Lehrstelle  aber  dem  bish.  Professor  Chalybäus  an  der  Landes- 
echule  in  Meissen  [Jbb.  I  S.  244.]  übertragen  worden. 

Duisburg.  Am  9  Juni  dieses  Jahres  ist  das  neue  Gymnasialge- 
bäude eingeweiht  und  dem  Gymnasium  überwiesen  worden. 

Elberfeld.  Zum  Lehrer  der  Matliematik  und  Physik  am  hies. 
Gymnasium  ist  Hr.  Mieding  ernannt  worden. 

Halberstadt.  Gegen  die  Mitte  des  Sommers  1827  wurde  der 
Lehrer  Kretschmar ,  nachdem  er  einige  Jahre  den  matheiuatij^chen  und 
physikalischen  Unterricht  in  den  obern  Classen  und  einige  geo- 
graphische Stunden  in  den  untern  Classen  besorgt  hatte ,  von  sei- 
nen Lehrstunden  entbunden.  Michaelis  desselb.  Jahres  trat  der  Schul- 
amtscandidat  Baron  Mex.  Zoller  von  Brand  sein  Probejahr  an.  Er 
übernahm  den  mathematischen  Unterricht  in  Selccta  und  Prima ,  und 
erwarb  sicli  durch  seine  gründlichen  Kenntnisse  in  den  mathem.  Wis- 
senschaften so  wie  durch  seine  Methode ,  dieselben  auf  eine  fassliche 
und  Theilnahme  erweckende  Weise  mitzutheilen,  die  allgemeine  Liebe 
und  Achtung  seiner  Schüler.  Leider  verliess  er  die  Anstalt  schon  nach 
einem  Vierteljahre,  um  eine  Stelle  bei  einer  Saline  in  Westphalen,  die 
ihm  für  den  Augenblick  wünschenswerth  seyn  musste,  anzutreten.  Sei- 
ne Lehrstunden  versah  der  Candidat  Meinecke  bis  Joliannis  1828,  wo 
er  das  Rectorat  der  Stadtschule  zu  Gentin  übernahm.  Die  mathem. 
Lehrstunden  in  den  beiden  obern  Classen  sind  seitdem  dem  Collaborator 
Duhm,  übertragen ,  der  schon  früher  diesen  Unterricht  in  den  übrigen 
Classen  mit  gutem  Erfolge  besorgt  hatte.  —  Zu  Micliaelis  1827  bezo- 
gen 13  Gymnasiasten,  die  sämmtlich  dasZeugniss  Nr.  11  erhielten,  die 
Universität.      Zu  Ostern  1828  verliesseu  15  Gymnasiasten ,    einer  mit 

u  * 


21^  Schul-  und  Universitätsnachrichten, 

dem  Zengnisrse  Nr.  I,  die  übrigen  mit  Nr.  II,  die  Anstalt,  Zu  der 
feierlichen  Entlassung  derselben  lud  der  Director  Dr.  Maass  durch  ein 
Programm  ein,  Avelches  eine  Epistola,  observationcs  in  Q.  Horatii  Flacci 
locos  quosdam  contincns  ad  f  iriim  Eruditissimum  L.  S.  Obbarium,  Gymnasii 
Rudolphopolitani  Professorem  missa  des  Oberlehr.  Theodor  Schmid  enthält. 

Halie.  Die  Universität  zählte  im  Sommer  d.  J.  1316  Studierende, 
wovon  951  zur  theol. ,  232  zur  Jurist. ,  51)  zur  medic.  und  74  zur  i)hi- 
losoph.  Facultät  gehörten.  Seit  1715  war  die  Zahl  der  Studierenden 
nie  so  gross  als  jetzt. 

Heiligenstadt.  Am  Gymnasium  ist  in  die  erledigte  3te  Lehrstelle 
[  Jbb,  All  S.  355.  ]  der  vierte  Lehrer  Rinke ,  in  die  vierte  der  fünfte 
Lehrer  Richter  aufgerückt,  und  die  fünfte  Lehrstelle  dem  bisher.  Leh- 
rer am  Pädagogium  des  Klosters  unserer  lieben  Frauen  zu  Magdeburg 
Dr.  Stern  übertragen  worden.  Der  Prof.  Hindenburg  ist  auf  sein  An- 
suchen in  den  Ruhestand  versetzt  worden. 

Helmstedt.  Zu  der  öfFentl.  Prüfung  der  vier  untern  Classen  dea 
Helmstedt- Schöningenschen  Gymnasiums  am  26  Septbr.  d.  J.  lud  der 
Director  und  Prof.  Dr.  Ph.  C.  Hess  durch  ein  Programm  ( 11  S.  4, )  ein, 
das  nur  die  gewöhnlichen  Schulnachrichten  und  andere  örtlich  wichtige 
Nachrichten  enthält.  Die  Schülerzahl  betrug  im  Sommer  d.  J.  325, 
darunter  62  Auswärtige,  9  in  I,  16  in  II,  25  in  III,  43  in  IV,  65  in 
V,  88  in  VI,  79  in  VII.  Das  Lehrerpersonal  wurde  durch  Anstellung 
des  Bauzeichenlehrers  Stövesand  aus  Schöningen  vermehrt,  der  in 
wöchentl.  4  Stunden  die  Schüler  der  5  obern  Classen  im  arcliitelitoni- 
echen  Zeichnen  unterrichtet,  welche  sich  dem  Baufache,  dem  Forst - 
oder  Bergwesen  oder  der  Landwirthschaft  widmen  wollen.  Interessant 
ist  das  Verzeichniss  der  im  Gymnasium  eingeführten  Lehrbücher  und 
Ausgaben  der  Classiker,  die  im  Ganzen  sehr  zweckmässig  ausgewählt 
sind  und  ein  sehr  umsichtiges  Directorium  verriathen. 

Kasan.  Das  hiesige  Universitätsgebäude  zeichnet  sich  eben  so 
durch  seine  Grösse  als  durch  seine  innere  u.  äussere  Eleganz  aus.  Die 
Universität  zählt  etwa  antlerthalbhundert  Studenten,  von  denen  die 
Hälfte  auf  Kosten  der  Regierung  im  Universitätsgebäude  selbst  wohnt. 
Als  Beweis,  dass  man  auch  hier  für  die  Wissenschaften  thätig  ist,  dient, 
dass  auf  Veranlassung  des  einsichtsvollen  Curators  PuscAfcm  jetzt  [im 
April  1828.]  zwei  junge  Männer  von  hier  auf  öffentliche  Kosten  fünf 
Jahr  lang  nach  Irkutzk  geschickt  werden  sollen,  um  dort  die  Mongo- 
lische Sprache  zu  studieren  und  Materialien  für  ihre  wissenschaftliche 
Behandlung  zu  sammeln. 

Kiel.  Zum  Lector  der  Französ.  Sprache  bei  der  Universität  ist 
unter  dem  16  Septbr.  Heinrich  von  Buchivaldt  ernannt  worden. 

London.  Am  Isten  Octbr.  ist  die  neugestiftete  Universität  mit  den 
physiologischen  Vorlesungen  des  Prof,  C.  Bell  im  anatomischen  Hörsaal 
eröffnet  worden.  Die  übrigen  Vorlesungen  sollten  im  November  be- 
ginnen. Die  Professuren  der  Logik ,  Geschichte  und  Philosophie  sind 
noch  unbesetzt.  Bis  jetzt  sind  für  die  Einrichtung  dieser  Lehranstalt 
87,735  Pf.  ausgegeben  worden. 


Beförderungen    u  nd  Elirenbe«  eigungen.  213 

LircKAU.  Der  bisher.  ObcrKlircr  KrelscJmar  vom  Gymnasium  in 
Halberstadt  ist  in  gleicher  Eigenschatt  an  das  liies.  Gymnasium  versetzt 
worden. 

LiJTTicn.  Der  Minister  des  Innern  hat  an  die  Professoren  der 
Rhetorik  hei  allen  Atlicnäen  und  Collegien  ein  llundschreihen  erlas- 
ben,  wodurch  denselben  untersagt  wird,  die  Zöglinge,  welche  im 
Auslände  studiert  haben,  aufzunehmen,  wenn  sie  nicht  mit  einer  Er- 
mächtigung des  Ministers  versehen  sind.  Eltern,  Avelche  ihre  Kinder 
im  Auslande  studieren  lassen  wollen,  müssen  eine  solche  Ermächtigung 
erst  einhohlen. 

Meissen.  Das  Programm ,  womit  der  Professor  M.  Joh.  GoltUeb 
Kreyssig  das  jährl.  Stiftungsfest  der  Landesschule  (am  3  Juli  d.  J.)  an- 
kündigte (Meissen,  gedr.  bei  Kllnkicht.  24  S.  4.  )  ,  enthält  auf  20  S. 
von  demselben:  Commentationis  de  C.  Crispi  Salustii  Historiarum  Lib. 
III  Fragmentis,  ex  bibliotlieca  Christinae ,  Siiecorum  Reginae ,  in  f'ati- 
canam  translatis.  Pars  I.  Die  durch  CAaZj/fcäus  Beförderung  [s.  Dres- 
den] erledigte  Professur  ist  dem  bisher.  Conrector  am  Gymnasium  in 
Zerbst ,   G.  J.  Becker ,  übertragen  worden. 

MÜNSTER.  Die  Lehrer  Kersten  und  Slemers,  von  denen  der  erste 
in  Bonn,  der  andere  in  Berlin  seine  Studien  fortgesetzt  hat,  werden 
jetzt  wieder  in  ihren  praktischen  Wirkungskreis  zurückkehren, 

Obls.  Am  Gymnasium  ist  der  Schulamtscandidat  Albano  KleUke 
als  vierter  Lehrer  angestellt. 

Paderkorn.  Dem  Professor  und  Gymnasial -Director  Ililker  ist 
eine  Canonicat-Präbende  am  hiesigen  Dom  übertragen  worden. 

Pforta.  Als  vierter  Adjunct  der  hies,  Landesschule  ist  unter  dem 
22  Aug.  der  Schulamtscand.  Buttmann  angestellt  worden. 

Posen.  Der  Professor  Trojanski  am  hies.  Gymnasium  hat  einen 
Ruf  auf  die  Universität  Krakau  erhalten  und  angenommen. 

Prevssen.  Se.  Maj.  der  König  hat  die  prachtvolle  und  in  ihrer 
Art  einzige  archäologische  Sammlung  von  antiken  Vasen,  Terra  Cot- 
ta's,  Glasurnen,  Tischgefässen ,  Marmorarbeiten,  Bronzen,  Pasten, 
Münzen ,  Aegyptischen  Alterthümern  etc.  des  verstorbenen  Feldmar- 
schalls von  Koller  zu  Obrzistwy  in  Böhmen ,  welche  der  Verstorbene 
in  Neapel  durch  Ankauf  u.  Nachgrabungen  zusammengebracht  hatte, 
für  das  neue  Museum  in  Berlin  um  den  Preis  von  100,000  Thlrn.  an- 
kaufen lassen.  Von  dem  bei  dem  Buchhändler  Boike  in  Berlin  erschei- 
nenden encyclopädischen  Wörterbuche  der  medicinischen  Wissenschaf- 
ten sind  50  Exemplare  aus  Staatsfonds  zur  Vertheilung  an  öffentliche 
Institute  angekauft  worden.  Das  Ministerium  der  geistlichen  Schul - 
und  Medicinalangelegenheiten  hat  dem  Gymnasium  in  Coesfeld  einen 
mathematisch -physikalischen  Apparat  für  343  Thlr.  geschenkt  und 
demselben  auch  Hoffnung  gemacht,  im  nächsten  Jahre  für  die  Ver- 
mehrung der  Schulbibliothek  etwas  zu  thun ;  dem  Gymnasium  in  Ma- 
BiENWERDER  zur  Einrichtung  einer  Dienstwohnung  für  den  Rector  Un- 
gefug  eine  Beiliülfe  von  500  Thlrn. ,    dem  Professor  Ranke  in  Berlik 


214  Schul-und  Universitatsiiachricliten, 

zu  seiner  wissensclrnftlichen  Reise  nach  Venedig  und  Rom  eine  weitere 
Unterstützung  von  500  Tlilrn.  bewilligt.  Vgl.  Bielefkld.  Der  Lehrer 
Sauer  am  Gymnasium  in  Liegnitz  erhielt  eine  ausserordentliche  Remu- 
neration von  50  Thlrn. ,  der  Prof.  Meyer  an  der  Univ.  in  Kömgsberg 
eine  gleiche  von  100  Thlrn  ;  der  Lehrer  Born  an  der  Stadtschule  in 
IssTEBBURG  clnc  »usscrord.  Unterstützung  von  72  Thlrn.,  der  Pro- 
rector  Pauli  in  Pillau  eine  gleiche  von  300  Thlrn,  Gehaltszulagen 
erhielten  in  Arnsberg  der  Lehrer  Marchand  am  Gymn.  40  Thlr. ,  in 
Berliiv  der  Professor  Heinsius  100  Thlr.,  in  Greifswalde  die  Profes- 
soren Roscnthal,  Berendt,  Kosegarten,  Barkoiv ,  Stiedenroth,  Hörn- 
Schuck,  Schömann  und  Erichson  jeder  100  Thlr. 

RASTE^Bl^RG.  Am  Gymnasium  ist  Carl  Eduard  Thiem  als  Schreib- 
und Zeichenlehrer  angestellt  worden. 

Ratibor.  Der  vor  kurzem  an  das  hiesige  Gymnasium  versetzte 
Oberlehrer  Dr.  Pinzger  [Jbb.  VII  S.  359.]  hat  das  Prädicat  Prorector 
erhalten. 

Reckiinghausen.  Das  dasige  Progyranaslum ,  dessen  Umwand- 
lung in  ein  vollständiges  Gymn.  bereits  durch  das  Minist,  der  geistlichen 
und  Unterrichts  -  Angelegenheiten  genehmigt  ist ,  hat  durch  eben  das- 
selbe die  Vergünstigung  erlangt ,  schon  mit  dem  neu  eintretenden 
Schuljahre  seinen  bisherigen  Classen  die  Prima  hinzuzufügen,  obgleich 
noch  kein  DIrector  angestellt  ist.  Da  zmcI  Lehrer  der  Anstalt,  Heu- 
mann  und  Berning ,  welche  in  Bonn  und  Berlin  ihre  Studien  fortgesetzt 
haben,  jetzt  Avieder  in  ihre  Stellen  eintreten,  so  kann  dejr  Unterricht, 
mit  7  Lehrern ,  vollständig  eingerichtet  werden. 

Rheimpreussen.  Das  Ministerium  der  geistlichen ,  Unterrichts  - 
und  Medicinal- Angelegenheiten  in  Berlin  bemüht  sich,  für  die  Si- 
cherung und  Erhaltung  der  Rheinischen  Merkwürdigkeiten  Sorge  zu 
tragen ,  und  bezweckt  eine  vollständige  Aufsuchung  und  genaue  Ver- 
zeichnung aller  dem  Staate,  den  Kirchen  und  Communen  gehörigen, 
in  historischer ,  artistischer  und  literarischer  Hinsicht  merkwürdigen 
Gegenstände  der  Rheinischen  Provinzen ,  um  auf  amtlichem  Wege 
diese  Denkmäler  sicher  zu  stellen  und  an  ihren  Oertern  zu  erhalten. 
Der  mit  diesem  Geschäfte  beauftragte  Conservator  Geerling  wird  dess- 
lialb  die  verschiedenen  Kreise  dieser  Provinzen  nach  einander  bereisen 
und  untersuchen,  und  Archive,  Bibliotheken,  alterthümlich  -  merk- 
würdige Gebäude,  Altäre,  Tabernakel,  Leichensteine,  Statuen,  Inschrif- 
ten, Altarbilder.  Wandgemähide,  Portraits,  Glasmahlereien,  Schnitz- 
und  Gusswerke  etc.  aufzeichnen,  Ausgrabungen  veranstalten  und  zur 
Conservierung  der  merkwürdigen  Gegenstände  das  Erforderliche  vor- 
gchlageu  und  einleiten. 

Stettin.  Am  Gymnasium  sind  die  Hülfslehrer  Scheibert  und 
Wellmann  [Jbb.  V  S.  120.]  als  Collaboratoren  angestellt  worden. 

Straisund.  Am  25  Juli  d.  J.  beging  die  Stadt  die  zweite  Säcu- 
larfeier  der  Befreiung  Stralsunds  von  der  Wallcnstcinischen  Belage- 
rung. Zu  den  im  Gymnasium  desshalb  veranstalteten  Feierlichkeiten 
lud  der  Director  Dr.  Kirchner  ein    durch  die  Hede  gehalten  am  Oltofcstc 


Beförderungen    und  Ehrenliezeigungen.         215 

im  Stralstindischcn  Gymnasium  zur  siebenten  Sücularfeier  der  Einführung 
des  Cliristerithums  in  Pommern  den  Ui  Jan.  1H24.  Stralsund,  gedr.  in  der 
kön.  Uegicrunf:;;s-IJii(-lidriir.Kerci.    18  S.   4. 

Stuttgart.  Die  erledigte  Stelle  des  OberLIljIiotliekars  an  der 
kön.  öffentl.  Bibliothek  ist  dem  bisher.  Bibliothekar,  Professor  von 
Lebret,  mit  dem  Titel  und  Hanj;-  eines  Ober- Studienraths  übertragen, 
und  der  bisher.  Unter -Bibliothekar  Dr.  Stülcn  zum  wirklichen  Biblio- 
thekar ernannt  worden. 

WiESBADEiv.  Die  drei  Nassauischen  Pädagogien  zu  Dilienburg, 
IIabamak  und  Wiksbaden  kündigten  ihre  Frühjahrsprüfungen  durch 
ein  Programm  (Wiesltaden,  gedr.  bei  Schellenberg.  71  S.  4.)  an,  wel- 
ches auf  20  S.  folgende  gelehrte  Abliandlung  des  Prof.  u.  Itector  Just. 
Hcinr.  Dresler  in  Dillenburg  enthält:  Eratoslhencs  von  der  Verdoppe- 
lung des  Würfels.  Ein  Brief  an  Plolemüus  Euergctes ,  übersetzt ,  kritisch 
berichtigt  und  erläutert.,  mit  J'ergleichung  einer  mechanischen  Auflösung 
des  Problems.  Am  Pädagogium  in  Dillenbirg  rückte  nach  Schmiithen- 
ncr's  Abgang  [Jbb.  V  S.  424.  J  zu  Ende  des  vor.  J.  der  erste  Conrector 
Fischer  in  das  Prorectorat,  der  zweite  Conrector  Dr.  Metzler  in  das  er- 
ste Conrectorat  auf  und  der  Candidat  Schmitthenner  wurde  provisorisch 
als  zweiter  Conrector  angestellt.  Im  Dec.  desselben  J.  gab  der  Schul- 
lehrer Flick  die  Stelle  eines  Gesanglehrers  am  Pädagog.  auf  und  an 
seine  Stelle  trat  der  Elementarlehrer  Klamberg.  Die  Schülerzahl  war 
45  in  vier  Classen.  Das  Pädagog.  in  Hadamar  erhielt  im  Schulj.  IS^j 
einen  neuen  Religionslehrer  in  dem  Pfarrer  Schmidt  y  nachdem  der 
frühere  Pfarrer  und  geistl.  Rath  Bausch  zur  Dompfarrei  Limburg  be- 
fördert worden  war.  In  den  vier  Classen  sassen  66  Schüler.  Das  Pä- 
dagog. in  Wiesbaden  zählte  in  eben  soviel  Classen  122  Schüler.  Das 
Prorectorat  wurde  nach  hcx''s  und  Schmitthenner'' s  Abgang  [Jbb.  V  S. 
424  und  VII  S.  239.  ]  dem  ersten  Conrector  Christian  Snell ,  das  Ordina- 
riat der  vierten  Classe  dem  Candidatcn  Carl  Ludw.  Mencke  übertragen. 
Wegen  der  Privatlectionen  des  zweiten  Conrectors  Flicdner  am  herzogl. 
Hofe  zu  BiEBRicH  wurde  der  Lehrer  der  das.  herzogl.  Militärschule 
Carl  Rotwitt  als  Hülfslehrer  der  dritten  Classe  angestellt. 

Wittenberg.  Zu  den  Frühlingsprüfungen  im  Gymnasium  [den 
28  März  ff.]  lud  der  Conrector  Schmidt  ein  durch  den  Versuch  einer  ge- 
netischen Entwickelung  der  Sprachgesetze.  (Wittenberg,  gedr.  bei  Rü- 
bener.  38  (18)  S.  4.)  Das  Gymnasium  zählte  114  Schüler  in  4  Clas- 
sen und  6  Abiturienten  [1  mit  dem  Zeugnissl,  1  mit  II,  4  mit  III]. 
Seit  dem  19  Januar  d.  J.  ist  der  Candidat  Dr.  Albert  Giese  als  ausser- 
ordentlicher Hülfslehrer  eingetreten,  um  sein  Probejahr  abzuhalten; 
4  andere  Stunden  wöchentlich  wurden  etwas  später  dem  Candidaten  Dr. 
Lehmstädt  übertragen.  Der  seit  dem  Januar  erkrankte  Mathematicus 
und  Subrector  A.  Schmidt  erhielt  vom  kön.  Consistorium  einen  halb- 
jährigen Urlaub  und  75  Thlr.  Unterstützung  zu  einer  Badereise.  Seine 
Stunden  sind  interimistisch  dem  bisher.  Studiosus  der  Mathematik  und 
Schulwissensch.  Heinrich  Deinhardt  aus  Klederzlmmern  bei  Erfurt  über- 
tragen.    Der  Prof.  und  Rector  Spitzner  erhielt  im  Juni  neben  einem 


216 

6  —  8  wöchentlichen  Urlaub  zu  einer  Baderelse    ein  kon.  Gnadenge- 
schenk von  100  Thlrn.  und  ausserdem  15  Thir.  vom  kön.  Consistoriura. 

Zur  Recension  sind   versprochen: 

Jaeger:  Disputationes  Herodoteae. —  Lycurgi  orat.  hiLeocrat.  von 
Blume  und  von  Korais.  —  Welcher  s  Sylloge  epigraramatum  Graeco- 
rum.  —  J'oigtlaender:  Dlsputat.  de  locoHorat.  Od.  III,  3,  9.  —  Land- 
voigt: De  tertiae  declinationis  Gr.  et  Lat.  generibus.  —  Heffter:  De 
casibus  linguae  Latinae.  —  Vömel:  Casus-  und  Genus -Regeln  der 
I^t.  Spr.  —  Rotteck's  Allgemeine  Geschichte.  —  IloecWs  Kreta.  — 
MeuscVs  gelehrtes  Deutschland  im  19  Jahrh. ,  bearbeitet  von  Lindner. 
—  Bornemanns  Gelehrten -Almanach.  —  VoigVs  Neuer  Nekrolog  der 
Deutschen. 


Angekommene   Briefe. 

Vom  15  Juli  Br.  v.  Kr.  a.  W.  [Der  Brief  und  die  mir  sehr  ange- 
nehme Beilage  kamen  sehr  spät  und  der  eine  Wunsch  ist  sogleich,  der 
andere  wird  nächstens  erfüllt  werden.  ]  —  Vom  6  u.  16  Septbr.  Br.  v. 
K.  a.  G.  u.  M.  [freundlichen  Dank.  Die  Geschichte  ist  noch  nicht  ein- 
gegangen.] —  Vom  9  Sept.  Br.  v.  W.  a.  G.  [freundlichen  Dank.]  — 
Vom  14  Sept.  Br.  v.  S.  a.  B.  [desgleichen.]  —  Vom  13  Octbr.  Br.  v. 
W.  a.  B.  mit  Abhandlung.  —  Vom  14  Octbr.  Br.  v.  B.  a.  B.  —  Vom 
14  Octbr.  Br.  v.  5.  a.  D.  — 


Druckfehler. 
In  der  Recens.  der  Neue'schen  Sammlung  der  Sapphischen  Fragmente 
Bd.  VI  ist  S.  399  Z.  19  Accusativ  für  Genitiv,  S.  422  Z.  6  v.  u.  xÜTiQov 
für  z6  änQOv,  S.  425  Z.  19  es  für  so,  S.  426  Z.  8  v.  u.  Künstler  für 
Dichter,  und  S.  432  Z.  7  verivandt  war  zu  lesen,  wogegen  ebendas.  in 
der  folg.  Zeile  das  ivar  zu  tilgen  ist.  Bd.  VII  S.  218  Z.  4  v.  u.  lies 
Wissenschaften  für  Wissenschften ,  Z.  5  v.  u.  Hartman  Ebcrhardt  statt 
Hartmann  Eberhadt ,  Z.  16  v.  u.  Catull  statt  Catall. ,  S.  222  Z.  17  v.  u. 
verbessert  statt  verbesserte ,    S.  224  Z.  18  v.  u.  auf  dem.  statt  auf  den. 


Zur     Nachricht. 

I  Das  Ute  und  12te  Heft  dieses  Jahrgangs   werden, 

ß    weil  sie  die  Journahiotizen  enthalten  sollen ,    erst  im  neuen 

Jahre  erscheinen.    Dagegen  wird  das  erste,  und  vielleicht 

auch  das  zweite  Heft  des  folgenden  Jahrgangs  noch  im 

li    December  dieses  Jahres  ausgegeben  werden. 

'"'  J)ie  Redaction. 

li 


Inhalt 

von  des  dritten  Bandes  zweitem  Hefte. 

Platons  Leluen  aus  dem  Gebiete  der  Naturforschang  und  der  Heilkunde» 
Bearbeitet  von  Licittenstädt.  —  Vom  Profeasor  Gerlach  in 
Basel S.   115  -   121 

Tacitus  über  Lage,  Sitten  und  Völkerschaften  Germaniens.  Uebersetzt   von 

Klein.  —     Vom    Gymnasial  -  Director   Dr.    Reiischer   in    Cottbus.    121  —    129 

Krebs:  Anleitung  zum  Lateinischscbreiben  in   Regeln    und   Beispielen   zur 

Uebung.  —     Vom  Oberlehrer  Dr.  Jacob  in  Cöln.         *         .         .   129  —    144 

Dittcnberger :  Geographie  für  Gymnasien  etc.  —      Vom   Dr.    JVeise  in 

Orlamünde 144  —    170 

HaacJte:  Lehrbuch  der  Staatengetichichte  des  Alterthums  and  der  neuem 

Zeit.  —     Vom  Gymn.- Director   Dr.  Reuscher  in  Cottbus.     .         .   170  —    178 

Hantschhe:  Staat,   Schule  und  Haus  müssen  in\ 

ihren    Strebnngen    eins    eeyn,    wenn    das!  ,       _         _       „„ 

f  Vom  Prof.   Dr.    JVtn- 

AV'erk  der  Jugendbildung  gedeihen  soll.        >  _,,       ^        .             __.o           ,oo 

^               i^''                         r  nefeld  in  Rastadt.     .  178  —    183 
Hantschke:   Wesen  und  Zweck  des    Gymnasial-I 

Unterrichtes.    ...,./ 
Gerlach:  Gymnasien  sind  Vorschulen  der  Weisheit.  —     Von  demselben.  182 

Galetti:  Katechismus  der  Deutschen  Vaterlandskunde.  —     Vom  Director 

Dr.  Reuscher  in  Cottbus, 182  —    186 

Eloquentium    virorum    narrationes    de    vitis     hominum    doctrina   et   virtute 
escellentium.     GoUegit   Frotscher.    —     Vom   Gymnasial -Director 

Dr.  Schulze  in  Duisburg 186  —    189 

Phtlippi  :  Katechismus  der  Rhetorik.  —     Von  demselben.         .         .         .    190  —    193 
Scholz:   Handbuch    zur  Kunde    von  Deutschland  und   Preussen.  —     Vom 

Dr.    Weise  in  Orlamünde 193  —    197 

Cornelius  Nepos.     Herausgegeben  von  Meinecke.   —      Vom    Gymnasial - 

Lehrer  Struve  in  Berlin 197  —■    200 

Beiträge  zu  einer  neuen  Bearbeitung  der  Anthologia  Latina.     Vom   Ober- 
lehrer Dr.  Sillig  in  Dresden.       .......   200  —    204 

MiHcellen 204—209 

Todesfälle 209 

Schul-  und  Universitätsnachrichten,  Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  209  —    2^6 


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JAHRBUCHER 

FÜR 

PHILOLOGIE  UND  PÄDAGOGIK. 


Eine  kritische  Zeitschrift 

in  Verbindung  mit  einem  Verein  von  Gelehrten 

herausgegeben 
von 

M.  Joh,  Christ,  Jahn, 


Dritter    Jahr  gang. 


Dritter  Band.     Drittes   Heft. 

Oder  der  ganzen  Folge 
Achter    Band.     Drittes    Heft. 


Leipzig, 

Druck   und   Verlag  von   B.  G.  Teubner. 

18     2     8. 


Si  quid  noiisti  rectius  istis, 
Candidus  iniperti;    si  non,   Iils  utere  mecuin. 


Geographie. 


Handbuch  der  Geo^T'ajJÄ/e  zum  Gebrauch  für  höhere  Schul- 
anstalten und  für  gebildete  Leser  Ton  Dr.  IV'dlidm  Friedr.  Volgcr, 
Subconrector  am  lohanueum  in  Lüneburg.  Mit  6  Tabellen  und 
einem  alphabetischen  Verzeichnisse,  u.  s.  w.  Hannover,  im  Verlage 
der  Hahn'schen  Hof- Buchhandlung.  1828.  VIII  und  87T  S.  gr.  8. 
1  Thlr.  16  Gr. 

J?  ast  in  jedem  recensirenden  Blatte  finden  wir  die  Klage,  dass 
in  jeder  Messe  eine  grosse  Menge  von  Lehrbüchern  der  Geo- 
graphie erscheine,  und  hinterher  folgt  dann  die  erklärende 
Beschwerde,  dass  der  Wissenschaft  durch  sie  nicht  geholfen 
sei.  Jeder  Schulmann  weiss ,  wie  schwierig  der  Vortrag  der 
Geographie  ist,  wieviel  Vorbereitung  er  kostet,  wenn  man  mit 
Liebe  und  Erfolg  lehren  will,  namentlich  iiber  das,  was  uns 
am  nächsten  liegt.  Es  fehlt  an  Mitteln:  also  muss  die  Klage 
gegriindet  sein.  Der  menschliche  Geist  ist  jetzt  schon  so  weit 
vorgeschritten,  dass  er  einsieht,  wie  es  sein  müsste ;  jeder 
fühlt  sich  also  gedrückt,  wenn  die  Hülfsmittel  zur  Erlangung 
der  Kenntniss  nicht  so  beschaffen  sind,  wie  der  Standpunkt  der 
Bildung  sie  fordern  könnte.  So  ist  es  auch  in  der  Geographie. 
Wohl  nie  ist  der  menschliche  Geist  so  vielfach  und  gross- 
artig angeregt  gewesen,  als  in  der  gegenwärtigen  Zeit;  und  man 
darf  es  sich  nicht  verhehlen,  dass  auch  das  gt^ographische  In- 
teresse im  höchsten  Grade  lebendig  geworden  ist;  ja  die  Geo- 
graphie ist  die  Grundlage  vieler  Wissenschaften  geworden,  statt 
dass  sie  sonst  ein  leicht  zu  entbehrender  Anfang  der  Historie 
war.  Um  hier  nur  Eines  zu  erwähnen,  so  ist  die  Geographie 
die  Basis  des  politischen  Interesses  ganzer  Völker  geworden. 
Was  beschäftigt  uns  Alle  jetzt  wohl  mehr,  al^  das  Verhältniss 
Russlands  zu  Persien  und  zur  Türkei?  Die  Eroberungen  in  Per- 
sien haben  ein  rein  geographisches  Interesse;  das  Glück  Grie- 
chenlands hängt  von  den  geographischen  Verhältnissen  der  Ein- 
gänge zur  Türkei  ab.  Jeder  forscht  ängstlich,  jeder  fragt  theil- 

15* 


220  Geographie. 

nehmend ;  —  wir  nehmen  Bücher  zur  Hand ,  finden  aber  nir- 
gends den  Aufschhiss,  den  wir  haben  wollen.  Der  Wanderstab 
und  das  Segel  des  Europäers  durchkreuzen  alle  Zonen  der  Erde; 
neue  Welten  werden  uns  aufgeschlossen ,  wir  sehen  den  Geist 
der  Aufklärung  und  der  Thatkraft  über  den  Erdball  schreiten: 
wir  wollen  Theil  nehmen  und  finden  keine  Befriedigung.  Un- 
sere Geographien  geben  nur  Schalen,  d.h.  iVaraen,  keinen  Kern. 
Darum  klagen  wir  mit  Hecht.  Der  menschliche  Geist  ist  mün- 
dig geworden  auf  seinem  angestammten  Boden;  während  des- 
sen ist  die  Geographie  eine  Wissenschaft  geworden;  und  dies 
hat  man  übersehen.  Seitdem  grosse  Geister,  wie  ein  Hum- 
boldt, ganze  Welttheile  überschauten  und  uns  die  herrlich- 
sten Aufschlüsse  gaben,  ist  es  Schande,  den  Reichthum  unbe- 
nutzt zu  lassen.  Oder  für  wen  sind  die  Geographien  geschrie- 
ben? Für  Männer,  welche  die  Erde  kennen*?  Diese  bedürfen 
solcher  Compendien  nicht.  Oder  für  unsere  Jugend?  Für  diese 
sind  sie  zu  herz-  und  geistlos.  Und  wen  soll  man  anders  mit 
Geist  nähren,  als  den  jugendlichen  Geist?  Es  scheint  über- 
haupt, als  wenn  man  die  Jugend  noch  lange  nicht  hoch  genug 
achte,  da  man  ihr  vorenthält,  was  jedes  Gemüth  in  freudige 
Bewegung  setzt. 

Die  Geographie  ist  eine  Wissenschaft  geworden.  Dies  wer- 
den Viele  bestreiten  wollen,  die  noch  zu  sehr  am  Alten  kleben. 
Geographie  heisst  Erdzeichnung  oder  Erdbeschreibung.  Möchte 
doch  der  Begriff  dieses  Wortes  beim  Niederschreiben  jeder  Zeile 
mahnen!  Der  sogenannten  politischen  Geographie  pflegt  man 
vorzugsM'eise  den  Namen  Geographie  zu  ertheilen ;  sie  trägt  aber 
diesen  Namen  sehr  mit  Unrecht.  Die  politische  Geographie,  wie 
sie  bisher  dargestellt  wurde,  begreift  in  sich  eine  planlos  zu- 
sammengehäufte Masse  von  Nachrichten  über  Menschenwerke, 
bei  deren  Beschreibung  man  Naturbildungen  als  Wegweiser  hin- 
stellt. Eine  ^^/'r/beschreibung  nennt  man  den  Inbegriff  dieser 
Nachrichten,  und  dennoch  redet  man  von  Gebäuden  und  Fabri- 
ken, von  Gerichten  und  Geistlichkeit  u.  s.  w. ,  gleich  als  wenn 
dies  Alles  dem  Erdkörper  angehörte.  Man  mag  ein  solches 
Aggregat  von  Nachrichten  eine  Topographie  nennen.  Schon  die 
Benennung  politische  Geographie  hat  etwas  Widersprechendes 
in  sich,  da  sich  die  Ü'/ r/oberfläche  nicht  nach  den  jedesmaligen, 
oft  willkührlich  gesteckten,  und  daher  nur  temporären  Grenzen 
der  Staatskunst  und  politischen  Macht  darstellen  lässt.  Und 
wollte  man  die  politische  Geographie,  wie  sie  jetzt  ist,  als  einen 
Zweig  menschlicher  Kenntnisse  unangetastet  lassen,  so  verdient 
sie  doch  nicht  den  Namen  einer  Wissenschaft ,  da  sie  nur  ein 
Aggregat,  ein  Register  grösstentheils  von  Zufälligkeiten  ist.  Je- 
der Schulmann  weiss,  Avie  wenig  er  seine  jungen  Zuhörer  mit 
der  politischen  Geographie  fesselt,  und  wie  wenig  sie  von  der 
ganzen  Discijilin  im  Gedächtnisse  behalten,  eben  weil  ihnen  ai- 


Volger's  Handbuch  der  Geographie.  221 

les,  was  sie  enthält,  nur  als  zufällig  erscheint, —  weil  es  grund- 
und  hodenlos  ist. 

Der  höchste  Zweck  einer  jeden  Disciplin,  wenn  sie  auf 
den  Namen  einer  Wissenschaft  Anspruch  machen  will,  ist  der  • 
Mensch  selbst;  —  das  Material,  welches  die  Geographie  als 
Wissenschaft  verarheiten  soll,  ist  die  Erdoberfläche^  der  Bo- 
den, ohne  welchen  das  ganze  Sein  des  Menschen  nicht  bestehen 
kann.  Die  Geographie  soll  also  die  Erdoberfläche  darstellen 
und  das  Verhältniss  derselben  zum  Menschen.  So  betrachtet 
w  ird  sie  die  höchste  Aufgabe  für  jeden ,  der  in  einem  Staate 
lebt.  Der  Mensch ,  als  Bürger  eines  Staates  ,  soll  sich  des  Bo- 
dens, auf  dem  er  wandelt,  bewusst  werden.  Wenn  das  Volk 
die  EigenthVimlichkeit  seines  Bodens  erkennt  und  benutzt,  ist 
es  gross.  So  lange  das  Volk  der  Aegypter  die  Eigenthümlich- 
keit  seines  Bodens  erkannte,  war  es  gross  in  sich;  jetzt  liegt 
das  Land  öde.  China  hat  die  Individualität  seines  Landes  er- 
griffen, vielleicht  von  der  einzig  richtigen  Seite;  deshalb  ist  es 
bedeutsam  in  sich  und  altert  nicht,  so  lange  es  diese  Individua- 
lität nicht  untergehen  lässt.  So  haben  England  und  Holland  ihre 
Weltstellung  begriffen,  und  sie  sind  Weltmächte  geworden. 
Diese  Individualitäten  der  Glieder  der  Erde  rauss  der  Geograph 
erkennen ,  sie  anschaulich  darstellen  und  mit  den  Bewohnern  in 
Verbindung  zu  bringen  suchen.  Und  wem  möchte  dies  besser 
gelungen  sein,  als  dem  würdigen  Geographen  Carl  Kitt  er? 
Dennoch  scheint  man  die  Schätze,  die  er  aus  den  Fundgruben 
grosser,  imerraüdlicher  Männer  zu  Tage  förderte,  nicht  heben 
zu  wollen;  es  scheint,  als  scheue  man  sich  vor  den  Ritter- 
schen  Werken,  wie  man  vor  der  Grimmschen  Grammatik 
sich  scheut.  —  Wir  wollen  nicht  behaupten ,  dass  die  Erde 
ein  belebtes,  organisches  Wesen  sei;  aber  so  viel  scheint  ge- 
wiss zu  sein,  dass  die  Erdoberfläche  nach  bestimmten  Gesetzen 
gebildet  ist,  deren  Befolgung  wir  allenthalben  finden.  Ritter 
hat  diese  Gesetze  in  der  Lehre  von  der  dreifachen  Abstufung 
der  trocknen  Erdoberfläche:  in  Hochlafid,  Sliifenland  u.  T/e/- 
land,zvi  denen  noch  isolirte  Gebirgsglieder  kommen,  entwickelt, 
und  hat  durch  seine  Darstellung  bewiesen,  dass  sie  gegründet 
sind.  Wir  sollten  also  stets  die  vertikale  Ausdehnung  derTheile 
der  Erdoberfläche  und  ihre  klimatische  Lage  betrachten,  und 
hiernach  das  Land  beschreiben ;  eben  so  sehr  müsste  unser  Au- 
genmerk auf  die  horizontale  Ausdehnung  der  Länder  gerichtet 
sein,  um  nach  ihr  das  Verhältniss  zu  den  übrigen  festen  und  zu 
den  flüssigen  Formen  der  Erdrinde  und  zum  Erdgange  darzu- 
stellen. Denn  vollkommene  Erdbildung  scheint  nur  da  zu  herr- 
schen, wo,  mit  Berücksichtigung  der  klimatischen  Lage,  die  ho- 
rizontale und  vertikale  Ausdehnung  der  Erdoberfläche  in  richti- 
gem Verhältnisse  stehen.  Geographie  wäre  uns  also :  die  Wis- 
senschaft von  der  Lage ^  Gestaltung  und  Belebung  der  Krdober- 


222  Geographie. 

fläche  im  Verhältniss  zu  de?n  Menschen  und  seinen  höchsten  In- 
teressen. Systematischen  Zusammenhang  wird  man  in  dieser 
Wissenschaft  nicht  vermissen,  wenn  man  nur  den  Zusammen- 
hang in  den  Bildungen  der  Erdoberfläche  erkennen  will. 

Mit  dieser  Grundlage  stimmt  auch  die  Ansicht  von  derEin- 
theilung  nach  Natiirgrenzen  überein,  welclie  ebenfalls  noch 
heute  ihre  Gegner  findet.  Jedes  Land,  welches  von  einem  Volke 
bewohnt  wird,  das  einen  Staat  bildet,  hat  in  der  Regel  wirk- 
lich Naturgrenzen.  Die  Völker  finden  Befriedigung  ihres  Le- 
bens nur  durch  die  Individualität  ihres  Bodens ,  auf  welchem 
sie  geboren  wurden.  Vermag  auch  der  einzelne  grosse  Geist 
sich  iiber  seinen  väterliclien  Boden  zu  erheben  und  sich  mit 
dem  Geiste  der  Weltgeschichte  in  Verbindung  zu  setzen;  das 
Volk  vermag  nicht  den  Stempel  auszulöschen,  den  der  heimi- 
sche Boden  ihm  aufgeprägt  hat.  Daher  finden  wir,  dass  die 
Völker  nicht  gerne  Viber  ihre  Naturgrenzen  hinausschreiten, 
selbst  wenn  sie  es  vermöchten ;  aber  so  gross  dieses  Festhal- 
ten ist,  eben  so  gross  ist  auch  ihr  Streben,  sich  Naturgrenzen 
zu  erwerben.  Man  betrachte  nur  die  Geschichte  des  geogra- 
phischen Erkennens  Deutschlands.  Li  der  Zeit  der  Zerstücke- 
lung der  deutschen  Kräfte,  die  in  der  neuern  Geschichte  bis  zum 
Anfange  unsers  Jahrhunderts  reicht,  hatten  die  fast  unzähligen 
Herrschaften  in  Deutschland  keine  Naturgrenzen;  Deutschland 
war  geographisch  ein  Nichts.  Seitdem  aber  die  deutsche  Kraft 
ihre  Bestimmung  erkannt  hat ,  seitdem  ist  ein  Streben  nach  Na- 
turgrenzen so  vorherrschend  gewesen,  dass  die  deutschen  Staa- 
ten, im  Allgemeinen  genommen,  Naturgrenzen  gefunden  haben. 
Ist  dies  bei  einzelnen  kleinen  Staaten  nicht  der  Fall,  so  schliesst 
man  sie  in  die  grösseren  Staaten  ein,  welche  feste  Grenzen  haben. 

War  es  auch  bisweilen  der  Fall,  dass  Völker  sich  aus  ihren 
Grenzen  ergossen  und  fremde  Länder  überflutheten,  so  war  die- 
ser Erguss  einer  einzelnen  Woge  gleich,  die  entweder  wieder 
zurückfluthete,  oder  in  ihrem  Laufe  versiegte,  oder  ein  leeres 
Becken  fand,  oder  eine  andere  Bevölkerung  erstickte  und  bis  an 
deren  Naturgrenzen  hinanging. 

Der  Standpunkt  eines  llecensenten  kann  sehr  verschieden 
sein.  Unsere  Absicht  war  es ,  eine  Meinung ,  die  höher  steht 
als  die  gewöhnliche,  zu  repräsentiren,  sie  auszusprechen,  ihr 
Anhänger  zu  verschaffen  und  sie  als  Maassstab  für  andere  Er- 
zeugnisse aufzustellen,  bei  denen  wir  Fleiss  und  Geist  anerken- 
nen, und  welche  das  Gepräge  gleicher  Meinung  tragen.  Es  ist 
damit  nicht  hochmüthig  ausgesprochen,  als  könnten  wir  Alles 
hesser  machen:  die  Wissenschaft  muss  in  ewigem  Fortschreiten 
begriffnen  sein ,  und  so  wollen  wir  denn  lieber  dankbar  anerken- 
nen und  unser  Scherflein  beitragen,  als  beissig  tadeln. 

Der  Maassstab,  den  wir  hier  für  ein  geographisches  Lehr- 
buch  festgesetzt  haben,  ist  freilich  etwas  hoch  gestellt.  Werke, 


Volger's  Handbuch    der  Geographie.  223 

nach  diesem  Plane  angelegt,  fordern  mehr  Vorkenntnisse,  als 
man  von  einem  Schüler  erwarten  darf;  und  unsere  geographi- 
sehen  Compendien  enthalten  doch  manches  Wissenswürdige. 
Es  kommt  daher  vorzüglich  auf  eine  bessere  Anordnung  an, 
auf  sorgfältigere  Sichtung  und  Verschmelzung  so  manigfacher 
Kenntnisse  zu  einem  Ganzen  für  den  Geiuiss  der  Jugend. 
Meiner  Meinung  nach  könnte  ein  geographisches  Lehrbuch  für 
Schulen  folgendermaassen  angelegt  werden:  den  Ilauptbestand- 
theil  bilde  die  genaueste  Beschreibung  des  Landes  nach  seiner 
vertikalen  u.  horizontalen  Ausdehnung,  nach  seiner  Abdachung, 
seinen  Naturgrenzen,  seinen  Strömen,  seinen  Pässen  u.  s.  w. 
Daraus  leite  man  die  historische  Wichtigkeit  der  Lage  der  ein- 
zelnen Oerter  historisch  ab;  denn  eine  gute  Geographie  umfasst 
alle  Zeiten.  Man  zeichne  darnach  kurz  die  Bedeutsamkeit  des 
Volks  und  deducire,  wie  und  wann  es  seine  und  des  Bodens  In- 
dividualität erkannt  habe.  Aus  der  Betrachtung  der  Umgebun- 
gen —  denn  jede  gute  Geographie  muss  vergleichend  sein  — 
kann  wieder  die  Bedeutsamkeit  anderer  Oerter  hergeleitet  wer- 
den. Dann  beschreibe  man  genauer  geognostisch  und  minera- 
logisch die  Oberfläche,  ferner  nach  ihrer  Fauna  und  Flora;  und 
auch  hier  werden  viele  Oerter  ihre  rechte  Stelle  finden.  In 
einem  Anhange  könnte  man  der  Vollständigkeit  wegen  die  übri- 
gen, unwichtigem  Städte  und  Flecken  aufzählen.  In  Anhänge 
und  Tabellen  wären  zu  verweisen:  Nachweisungen  über  den 
wissenschaftlichen  Znstand  des  Staats,  die  Aufzählung  und 
Darstellung  der  Universitäten  und  Schulen,  die  Regierung  und 
geistliche  Verfassung,  die  Kunstwerke  aller  Art.  Dies  Alles 
zersplittert  sich  zu  sehr  u.  verliert  sich  aus  dem  Gedächtnisse, 
wenn  man  es  zersplittert  vorträgt.  Anschaulichkeit^  Vebersicht^ 
Wärme  sindllaupterfordernisse  der  geographischen  Darstellung. 
Guths  Muths  hat  hierin  Treffliches  geleistet;  aber  auch  er 
wird  iibersehen  und  nicht  genug  verarbeitet,  wie  Ritter. 

Betrachten  wir  unsere  gewöhnlichen  Lehrbücher  für  die 
Schulen  von  Busch  in  g  an  bis  auf  Fahr  i,  Stein,  Gas  pari, 
Cannabich  u.  A.  m.,  welche  jetzt  allgemein  Eingang  gefun- 
den haben,  so  finden  wir,  dass  ihre  Methode  der  entgegenge- 
setzt ist,  welche  hier  vorgelegt  ist.  Den  Ilaupttheil  der  Com- 
pendien dieser  Verfasser  macht  die  Beschreibung  der  Städte 
aus;  der  rein  geographische  Tlieil,  welcher  den  Grnndfaden 
bilden  sollte,  wird  in  eine  dürre  Einleitung  verwiesen.  So  er- 
hält der  Boden  keine  Wichtigkeit  durch  die  Städte,  und  die 
Städte  erhalten  keine  Bedeutsamkeit  durch  den  Boden.  Es 
fehlt  der  geistige  Faden ,  der  Alles  zu  Einem  unzertrennlichen 
Ganzen  verbindet. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  dem  vorliegefiden  WerTce^  so  kön- 
nen wir  nicht  umhin ,  demselben  einen  Vorzug  vor  den  bisher 
erschienenen  geographischen  Compendien  alten  Styls  zu  geben ; 


224  Geographie. 

der  umsichtige  Fleiss  bei  der  schwierigen  Arbeit  ist  dankbar 
anzuerkennen,  und  der  Hr.  Verf.  strebte  darnach,  einen  wisseu- 
schaftliclien  Geist  in  dieselbe  zu  bringen. 

Hören  wir  ihn  selbst  in  der  Vorrede:  „Der  Zweck  dieses 
Handbuchs  ist,  jedem  Gebildeten  Viber  geographisclie  Gegen- 
stände nicht  bloss  nach  Art  eines  Lexikons^  sondern  in  zusam- 
menhangender und  mö^Wch^i  wissenschaftlicher  For7n^  so  wie 
in  einer  durch  den  Umfang  des  Werkes  selbst  bedingten  Aus- 
führlichkeit, hinreichend  Auskunft  zu  geben  und  zugleich  in 
den  obern  Klassen  der  Gymnasien  und  anderer  höherer  Schul- 
anstalten dem  Unterrichte  zum  Grunde  gelegt  zu  werden,  so 
lange  noch  ein  für  letzter  eti  Zweck  eijizig  und  allein  bestimmtes 
wirklich  zioeckmässiges  Werk  dieser  Art,  dessen  Bearbeitung 
der  Verf.  vielleicht  noch  versucht,  fehlt. '-'■  Ferner  sagt  er: 
„Wenn  gleich  in  Rücksicht  auf  die  Zahl  der  Namen  von  0er- 

tern  dies  Buch  keinem  von  ähnlichem  Umfange  nachsteht, 

so  habe  ich  es  doch  für  besser  gehalten ,  nur  bei  den  Haupt- 
städten der  Länder  länger  zu  verweilen ,    als  bei  jedem 

Orte  alle  seine  Fabriken  u.  a. herzuzählen,  weil  erstlich 

ein  Handbuch  der  Geographie  kein  Zeitungslexikon  sein  soll, 
und  zweitens  alle  solche  Einzelnheiten  stets  so  sehr  der  Verän- 
derung unterworfen  sind,  dass  es  kaum  möglich  ist,  darin  etwas 

auf  längere  Zeit  uur  einigermaassen  Richtiges  zu  liefern. 

Lächerlich  ist  wahrlich  die  Aengstlichkeit,  mit  welcher 

die  Verfasser  ?nancher  geographischen  Hand  -  und  Lehrbücher 
Summen,  angeben^  die  gewiss  an  dem  Tage  der  genauesten  Zäh- 
lung nicht  mehr  richtig  waren. —  Die  Summe  der  Ein- 
wohner ist  stets  — •  in  runden  Zahlen  genannt."  Und  daran  hat 
der  Hr.  Verf.  sehr  wohl  gethan.  In  einem  XeA/buche  der  Geo- 
graphie ist  das  geistlose  Zusammenhäufen  unendlicher  Summen 
eine  höchst  überflüssige  Arbeit.  Welcher  jugendliche  Geist 
kann  in  einem  solchen  Wüste  von  Zahlen  sich  orientiren'?  Wel- 
cher Lehrer  lässt  die  Jugend  sie  lernen'?  Welcher  Lehrer  der 
Geographie  weiss  für  jeden  Zeitraum  den  zehnten  Theil  dersel- 
ben? Zahlen  gebe  man  an,  wo  sie  wichtig  sind^  d.  h.  wo  man 
aus  der  Zahl  auf  den  Stand  u.  Fortschritt  der  Cultur  sehlicssen 
kann  und  soll,  und  wo  man  aus  der  Zahl  ersehen  kann,  ob  und 
wie  die  Bevölkerung  die  Individualität  einer  Stelle  der  Erdober- 
fläche erkannt  hat. 

Man  sieht,  wie  sehr  der  Verf.  mit  unserer  Ansicht  über- 
einstimmt. Er  strebte  nach  „einer  ausfuhr  liehe  rn  und  syste- 
viatis ehern  Behandlung  der  physischen  Geographie.,  bei  der 
eine  blosse  Aufzählung  von  INameu  vermieden  war."  Er  ver- 
suchte es,  ,,eew  Bild  des  Landes  in  kurzen^  aber  deutlichen 
Zügen  zu  enttüerfen;'-''  und  ,,  nicht  allein  blosse  Umrisse  des 
ganzen  Gemähides,  sondern  auch  von  den  einzelnen  Theilen 
möglichst  deutliche  Bilder  zu  geben.'"''     So  sieht  Jeder  unsern 


Volger'ö  Handbuch  der  Geographie.  225 

und  des  Verf.  Standpunkt  und  Ziel  klar  vor  Augen.  Es  fragt 
sich  nur  noch,  ob  und  wie  der  Ilr.  Verl',  sein  Ziel  erreicht  habe. 
Die  Klippen,  vor  welchen  derselbe  warnt,  liat  er  gescliickt  ver- 
mieden; wir  finden  allenthalben  eine  glückliche  Kürze  in  Din- 
gen, die  keine  Ausführung  verdienen  ;  man  sieht  es,  er  vvusste 
das  Wichtige  vom  Unwichtigen  zn  unterscheiden.  Aber  in  der 
Hauptsache,  „em  Bild'-'-  des  Landes  zu  entwerfen,  hat  er  wohl 
nicht  immer  das  Ziel  erreicht,  das  er  selbst  zu  erreichen  wünsch- 
te; wir  vermissen  die  klare  Einfalt,  den  Innern  Zusammenhang 
in  den  Schilderungen,  zu  denen  der  würdige  Ritter  (den  er 
unter  seinen  vorzüglichsten  Quellen  nicht  einmal  nennt)  so  mu- 
sterhafte Vorbilder  gegeben  hat.  Aus  einer  guten  Beschreibung 
muss  man  sich  augenblicklich  eine  Charte,  ein  Bild,  entwerfen 
können.  Zwar  sieht  man  es  schon  der  Aiisdehmmg  der  Ein- 
leitungen an,  und  man  erfährt  es  bald  aus  dem  Inhalle  dersel- 
ben^ dass  der  Herr  Verfasser  viel  mehr  leistet^  als  bisher  ge- 
leistet ist;  lief,  möchte  es  aber  nicht  unternehmen,  nach  den 
Schilderungen  des  Hrn.  Verf.  eine  Charte  oder  eine  Darstellung 
des  Landes  zu  entwerfen;  seine  Schilderungen  sind  noch  zu  kurz 
und  die  einzelnen  Theile  derselben  zu  unverbunden.  Sicherer 
wäre  der  Hr.  Verf.  gegangen ,  trenn  er  gleich  die  Produkte  in 
der  Beschreibung  des  Bodens  an  der  passenden  Stelle  einge- 
führt halte.  Wir  schlagen  S.  372  auf  und  finden  hier  eine  Schil- 
derung Englands  in  folgenden  Worten:  „Der  Boden  ist  nur  in 
S.  O.  völlig  eben  ;  den  VibrigenTheil  durchstreichen  mehre  Ge- 
birgsketten, die  im  Westen  am  höchsten  sind.  Die  Provinzen 
Wales,  Cornwall,  York,  Curaberland,  Westmoreland,  Northura- 
berland,  Lancaster  und  Derby  sind  die  gebirgigsten,  berühmt 
durch  romantische  Gegenden  ist  Monmouth  und  Hereford.  Die 
höchsten  Gipfel  sind  Snowdon  =  330«  F.  u.  s.  w.  Die  Gebirge 
sind  also  weit  unter  Alpenhöhe,  zeichnen  sich  aber  besonders 
in  Wales  durch  ihre  Rauheit  aus ,  und  sind  ausserdem  durch 
Höhlen  bemerkenswerth,  unter  denen  die  vonCastieton  am  Peak 
in  Derby  die  berühmteste  ist."  Diese  Schilderung,  die  viel- 
leicht zu  den  gelungensten  des  Werks  gehört,  und  die  wir  nicht 
ausgesucht  liaben,  ist  uns  nicht  anschaulich  genug.  Der  Bau 
und  die  Verzweigung  der  Gebirgsglieder  mit  den  vor  denselben 
liegenden  Ebenen  hätte  mit  wenig  jnehr  Ausführlichkeit  klarer 
geschildert  werden  können.  —  Ganz  aber  verdient  unsern  Bei- 
fall der  Hr.  Verf.,  wenn  er  fortfährt:  „Die  S.  und  O.  Küsten 
bilden  grösstentheils  Kalkfelsen  (wie  hoch'?),  nur  die  Ufer  zwi- 
schen Huraber  und  Themse  sind  flach,  wie  denn  überhaupt  die 
Grafschaften  Lincoln  und  Norfolk  a  öllige  Ebenen ,  erstere  zum 
Theil  völlig  Morast-  und  Marschboden  haben.  Die  Küsten  sind 
in  S.O.  voll  Sandbänke  (Dünen)  und  der  Schilffahrt  selir  gefähr- 
lich. Die  W.  Küste  ist  die  steilste  und  zerrissenste ,  in  Wales 
aus  Granitfelseu  bestehend,  voll  kleiner  Buchten.   Fürchterliche 


226  Geographie. 

Meeresbraiidung  an  der  S.  W.  Küste.  Die  schönsten  Häfen  bie- 
tet die  S.  Küste  dar,"  u.  s.  w.  Noch  mehr  befriedigt  werden 
wir,  wenn  wir  diesem  Umrisse  noch  die  einzelnen  zerstreuten 
Bemei'knngen  hinzufügen.  Wären  doch  diese  Schattirungen 
gleich  dein  Grundrisse  des  Bildes  aufgetragen! 

Richtig  geht  der  Hr.  Verf. ,  wann  er  die  Flüsse  den  Ge- 
birgen folgen  lässt.  Ca nnabicli  macht  es  umgekehrt.  Wa- 
rum ?  — ! 

Was  ferner  ein  geographisches  Werk  gleich  als  ein  tüch- 
tiges erkennen  lässt,  ist  der  Gong ,  die  Reihenfolge  der  Län- 
der in  der  Darstellung.  Jeder  Erdtheil ,  jedes  grössere  Land 
ist  ein  Körper  mit  vielen  Gliedern.  Will  man  nun  die  Eigen- 
thümlichkeit  desselben  analytisch  darstellen,  so  sei  man  ein 
geschickter  Anatom,  und  zerschneide  nicht  die  Nerven  und 
Bänder,  nach  welchen  man  sucht.  Man  stelle  die  Länder  so 
dar ,  dass  das  eine  seine  Wichtigkeit  und.  Abhängigkeit  immer 
durch  das  andere  erhält;  man  kann  oft  ein  Land  ohne  die 
Nachbarländer  nicht  verstehen.  Dies  scheint  der  Hr.  Verf. 
nicht  scharf  genug  verfolgt  zu  haben.  Beobachten  wir  z.  B. 
seine  Darstellung  Äfrika's  (  die  wohl  etwas  mehr  Ausführlich- 
keit verdient  hätte,  denn  sie  umfasst  mit  den  Inseln  von  den 
781  Seiten  des  Werks  nur  48),  so  hat  der  Hr.  Verf.  allerdings 
eine  gewisse  Ordnung  befolgt,  unserer  Meinung  nach  aber  nicht 
die  rechte;  wir  finden  die  Anordnung  bei  Ilitter  so  treffend, 
dass  man  gezwungen  wird  ,  sie  anzunehmen,  man  möchte  denn 
den  Lauf  des  Orangeflusses  etwas  früher  stellen,  am  Anfang 
der  Darstellung  der  Westküste;  dadurch  würde  man  das  hö- 
here Binnenland  im  Osten  der  Namacquaküste  mit  dem  im 
Osten  der  Kongoküste  in  engere  Verbindung  bringen.  Der  Hr. 
Verf.  fängt  z.  B.  mit  Aegypten  an ;  dann  folgt  bei  ihm  Nubien, 
Habesch,  die  Berberei  u,  s.  w.  Bei  diesem  Gange  steht  aber 
das  bedeutsame  Aegyptenland  zu  sehr  ohne  Verbindung  da; 
und  es  kann  doch  nur  in  einer  physischen  Abhängigkeit  von 
Habesch  gedacht  werden.  Noch  schlechter  kommt  Deutsch- 
land fort,  dessen  Länder  sich  eine  Darstellung  nach  dem  Ti- 
telrange ihrer  Herrscher  haben  gefallen  lassen  müssen.  Es 
folgen  auf  einander :  Oesterreich,  Preiissen,  Baiern,  Hanno- 
ver, Sachsen,  Würtemberg,  u.  s.  w.  Bei  aller  Achtung  gegen 
den  Hrn.  Verf.  können  wir  doch  nicht  umhin,  ihm  eine  solche 
Verwirrung  zum  grossen  Vorwurfe  anzurechnen ,  um  so  mehr, 
da  sein  Handbuch  „kein  Zeitungslexikon""  sein  soll.  Es  ist 
ausgemacht,  dass  Deutschland  o^wi^  Hochfläche  und  ein  Tief- 
land besitzt;  zwischen  beiden  muss  natürlich  ein  Stufenland 
sein.  Es  ist  immer  am  sichersten,  in  der  Darstellung  vom 
Hochlande  zum  Tieflande  hinabzusteigen.  Und  so  würden  auch 
wir  es  gemacht  haben,  und  zwar  nach  folgender  Ordnung: 
Wir  würden  beginnen  mit  dem  Hochlande  (zweiter  Grösse), 


Volger's  Handbuch  der  Geographie.  227 

das  in  einem  Viereck  Baiern  und  Würlemberg  (Baiern  und 
Schwaben)  umlasst  mit  den  natürlichen  Grenzen  (d.  h,  Gebir- 
gen, mit  denen  jede  llochlläche  umsäumt  ist)  nämlich:  den 
Alpen  im  S. ,  dem  Schwarzwalde  und  Odenwalde  im  W. ,  dem 
Böhmerwalde  imO.,  dem  Fichtelgcbirge,  dem  Rhöngebirge, 
dem  Spessart  im  N.  Die  Jurakette  der  schwäbischen  Alp  kann 
uns  nicht  wirren ;  sie  ist  bekanntlich  eine  jüngere  Kalkforma- 
tion, die  mit  ihren  Höhlen  in  Franken,  aus  Frankreich  her  bis 
zu  den  Ufern  des  Mains  reicht.  (Vgl.  L.  v.  Buch  in  d.Abhandl. 
der  Berliner  Akad.  der  physik.  Klasse  1822  u.  1823,  S.  03  flgd.) 
Sie  erleichtert  uns  nooli  die  Abgrenzung  zwischen  Würtemberg 
und  Baiern.  Dann  würden  wir  das  westliche  Stufenland  Baden 
nehmen  mit  dem  N.W.  Vorsprunge  des  Odenwaldes  in  Ilessen- 
Darmstadt.  Diesem  Stufenlande  fehlt  zwar  ein  unmittelbares 
Tiefland,  aber  der  hier  schon  entwickelte  Rheinstrom  giebt  ihm 
Holland  zum  Tieflande.  Baden  und  der  Elsass  bilden  hier  grade 
ein  solches  bassinförmiges  Stufenland,  wie  Böhmen  es  im  0. 
ist.  —  Hiernach  würden  wir  den  östlichen  Ausläufer  des  Hoch- 
landes, das  Erzherzogthum  Oesterreich ,  mit  der  Ausbildung 
des  Donaugebiets  betrachten,  von  hier  dem  Laufe  der  Moldau 
nachgehen  und  das  östliche  Stufenland  Böhmen  mit  der  Ent- 
wickelung  des  obern  Eiblaufes  beschreiben  und  durch  die  säch- 
sische Schweiz  treten.  Dann  Hessen  wir  die  nördlichen  Stu- 
fenländer folgen:  zuerst  das  Königreich  Sachsen  als  letzte 
Stufe  zur  tiefen  Flachebene  und  mit  einem  Rückblick  auf  Böh- 
men; dann  das  Thüringerland  mit  Rückblick  auf  Baiern  und  in 
Verbindung  mit  der  N.  O.  Tiefebene  Deutschlands;  dann  gin- 
gen wir  durch  die  thüringsche  Pforte  in  das  Hessenland ,  und 
durch  Nassau  zum  Rhein.  In  Rheinpreussen  gingen  wir  dem 
Strome  nach  (wobei  wir  das  Panorama  von  Delkeskamp 
empfehlen);  von  Rheinpreussen  und  Westphalen  nähmen  wir 
den  Weg  durch  die  Tiefländer  der  Nordsee  nach  dem  östlichen 
Theile  von  Preussen  und  schlössen  mit  den  Küstenländern  der 
Ostsee:  Pommern,  Mecklenburg  und  Holstein,  mit  Rückblick 
auf  die  Nordseeküsten  und  auf  den  untern  Lauf  der  Ströme 
Deutschlands. 

Wir  haben  hier  nur  kurz  andeuten  können ,  was  eine  wei- 
tere Ausführung  verdiente.  Bei  näherer  Ueberlegung  wird  sich 
der  Hr.  Verf.  von  der  Wichtigkeit  der  Anordnung  gewiss  über- 
zeugen. Höchst  erfreuliche  Resultate  gehen  aus  derselben 
hervor,  welche  „der  gebildete  Leser"  verlangen  kann,  wenn 
er  „hinreichende  Auskunft"  habensoll! 

Bei  Asien  Hesse  sich  ein  solcher  systematischer  Gang  noch 
genauer  verfolgen ,  als  es  bei  Deutschland  bis  jetzt  kaum  raög- 
Hch  ist. 

Warum  sind  Mainz  und  Coblenz,  iimriim  sind  Erfurt^ 
Leipzig  und  Torgau,  so  wie  auch  Wittenberg  politisch  so  sehr 


228  Geographie. 

wichtig?  Warum  die  Gegend  von  Günzbiirg  bis  Höchstädt? 
Warum  Jablunka*?  —  Solclie  Fragen,  die  der  gebildete  Leser 
und  der  forschende  Schiller  zu  hunderten  aufwerfen,  können 
durch  die  Anordnung  und  mit  kurzen ,  kräftigen  Zügen  beant- 
wortet werden. 

Betrachten  wir  endlich  das  Einzelne,  so  hat  der  Hr.  Verf. 
durcli  seinen  Fleiss  Tiichtiges  geleistet.  Wir  können  ihm  aber 
nicht  verliehlen,  dass  hin  und  wieder  Manches  fehlt,  was  nach 
seinem  Plane  nicht  fehlen  diirfte.  So  wird  man,  um  bei  dem 
stehen  zu  bleiben,  was  wir  schon  beriihrt  haben,  die  Darstel- 
lung des  Landes  Thiaingen  vermissen.  —  Ward  bei  der  Wart- 
burg das  Wartburgsfest  angeführt,  warum  ward  nicht  auch  die 
Wartburg  als  Mittelpunkt  des  Sängerlebens  im  Mittelalter  (der 
Krieg  auf  Wartburg)  berührt,  da  Weimar's  als  Mittelpunktes  der 
Dichtkunst  in  unserer  Zeit  erwähnt  ward?  So  erhält  Thüringen, 
das  Herz  von  Deutschland  ,  eine  dreifache  Wichtigkeit  für  die 
Ausbildung  deutscher  Caltur.  Thüringens  politische  Wichtig- 
heit ist  längst  anerkannt,  diese  muss  durchaus  hervorgehoben 
werden.  Die  Eifel^  S.  200,  ist,  wie  viele  andere  Gebirgsge- 
genden, mit  ihren  Produkten  nicht  anschaulich  genug  geschil- 
dert; zwar  findet  man  bei  Andernach  und  Mayen  (S  202)  das 
hieher  Gehörige  beigebracht,  aber  hier  steht  es  ausser  allem 
Zusammenhange. 

Es  ist  übrigens  lobenswerth,  dass  der  Hr.  Verf.  unserm 
Vaterlaiide  den  grössten  Fleiss  ufid  den  grössten  Raum  des 
Werkes  (Deutschland  umfasst  den  Raum  von  S.  12'i  —  348)  ge- 
schenkt hat. 

Seite  509  ist  nicht  einmal  des  Deioanagiri  (Götterberg) 
(nach  der  altindischen  Schreibart)  erwähnt.  Er  kommt,  als 
Dawalagiri  S.  569  in  Tibet  vor.  Wer  aber  liat  so  genaue 
Grenzen  zwischen  diesen  Riesengipfeln  gezogen'?  Es  offenbart 
sich  hier  wieder  die  grosse  Unbequemlichkeit  einer  fehlerhaf- 
ten Ordnung.  Tibet  steht  bei  dem  Hrn.  Verf.  zwischen  China 
und  der  Mongolei.  Besser  hätte  er  gethan,  dem  ganzen  Zug 
des  Himalaja  mit  seinen  eigeuthümlichen  Völkern  eine  Stelle 
zwischen  der  Hochfläche  Tibet  und  dem  Tieflande  der  Hindu 
anzuweisen.  —  So  fängt  auch  die  Beschreibung  von  Asien 
höchst  unbequem  und  unklar  mit  hidien  an,  und  Europa  hört 
mit  Dalmatien  auf.  Dagegen  hat  es  uns  gefreut,  das  nördliche 
Randgebirge  von  Dekan,  das  lindhyas-Gchivge.  (so  wird  es 
in  Ramajana  genannt  und  geschrieben)  aufgcnoiunien  zu  sehen. 
Auch  wird  der  Himalaja  in  Ramajana  noch  Ilimavan  (Schnee- 
wohnung) genannt;  dies  schehit  der  allgemeine,  altindische 
Wame  zu  sein. 

Das  Streben,  die  ächte  Schreibart  statt  der  oft  verdreh- 
ten, englischen  zu  geben,  finden  wir  sehr  lobenswerth;  so  z. 
B.  schreibt  der  Hr.  Verf.  richtig  Bramaputra.     (lieber  diesen 


Volger's  Handbuch  der  Geographie.  229 

Strom,  der  eine  besondere  Bearbeitung  verdiente ,  vgl.  man  v. 
Malten  Neiiestc  Bibliothek  182«  Bd.  VI  S.  122,  und  AUg. 
Litt.  Ztg.  1827  Nr.  6«.)  Dennoch  stellt  S.  9  Dolagiri  und  S. 
569  Dawalagiri.  Bei  der  Adamsbrückc  oder  der  Brücke  des 
Rama  S.  520  haben  wir  die  Erwähnung  der  köstlichen  Perlen 
vermisst.  Die  Hauptstadt  Cabul,  die  man  mit  Recht  eine  Welt- 
stadt nennen  kann,  da  sie  der  Schliissel  zu  der  vielleicht  wich- 
tigsten Strasse  im  Innern  Asiens  ist,  wird  mit:  „80,000  Einw. 
"Wichtiger  Handel."  abgefertigt.  Ueber  Persien  besitzen  wir 
so  wichtige  Reisebeschreibungen,  die  mehr  benutzt  werden 
müssen;  vorzüglich  J.  M.  Kinn  ei r  Geogr.  Mem.  Lond.  1813; 
ferner  Ker  -  Porter,  mit  den  ausgezeichneten  Darstellungen, 
und  Morrier.  Für  eine  künftige  Bearbeitung  dürften  wohl 
die  neuesten  Reisen  von  Frazer  und  von  Price  (London, 
1825.)  nicht  unbenutzt  bleiben.  Was  uns  aber  aufgefallen  ist, 
ist  der  Umstand,  dass  der  Hr.  Verf.  sowenig,  fast  gar  keine 
Rücksicht  auf  die  Pforten  und  Hauptpassage?!  genommen  hat, 
die  namentlich  bei  Persien  für  das  Verständniss  der  alten  und 
der  neuesten  Geschichte  von  grösserer  Wichtigkeit  sind,  als 
alle  andere  Angaben.  So  würde  auch  eine  Zusammenstellung 
und  kurze  Charakteristik  der  sckweizerischeji  Alpenpässe  für 
jeden  Freund  der  Geographie  eine  willkommene  Gabe  sein. 
Bei  Schiras  S.  543  fehlt  der  Wein,  der  selbst  in  Europa  be- 
sprochen ist.  Ebendaselbst  ist  Persepolis  mit  Istakar  bezeich- 
net; es  fehlt  die  Ruinengruppe  Tschil-Minar.  Vergl.  Nie- 
buhrs  Reisebeschr.  nach  Arab.  II  S.  120  flgd,  und  die  Abbil- 
dungen dazu,  welche  bei  Ker- Port  er  noch  prachtvoller  sind. 

So  findet  man  fast  auf  jeder  Seite  Lücken,  welche  uns 
nach  des  Firn.  Verf.  eignem  Plan  unerklärlich  sind.  Vor  allen 
Dingen  wünschen  wir,  dass  derselbe  bei  einer  zweiten  Auflage 
die  jetzige  Anordnung  verwerfe  und  dem  Ganzen  eine  festere, 
innere  Verbindung  gebe.  Dann  wird  das  Ganze  einen  noch  viel 
ehrenvolleren  Platz  einnehmen. 

Auch  finden  sich  hin  und  wieder  Unrichtigkeiten,  welche 
bei  einer  genauem  Verfolgung  der  Wahrheit  wegfallen  werden. 
So  z.  B.  soll  S.  597  „die  üeberschwemmung  des  Nils  durch 
die  tropischen  Regen  und  das  Schmelzen  des  Gebirgsschnees 
in  seinem  Quellenlande  Habesch  und  dem  Innern  Afrika's  er- 
zeugt" werden.  —  Habesch  hat  aber  keine  Schneegrenze,  und 
Schneefall  ist  dort  höchst  selten.  Kannten  doch  Habessinier 
den  Schnee  gar  nicht!  Ob  der  weisse  Nil  von  Schneegebir- 
gen komme,  wissen  wir  nicht;  wäre  dies  auch  der  Fall,  so 
könnte  er  doch  nicht  eine  solche  Üeberschwemmung  hervor- 
bringen, wie  der  Nil  sie  hat.  Man  vergl.  Ritter 's  Afrika. 
Zweite  Aufl.  S.  203  flgd.  und  835.  Die  Ueberschwemmungen 
kommen  nur  von  den  gewaltigen  Tropenregen ,  welche  sich  in 
die  Hauptzuströrae  desNilbtttes  sammeln.  Schon  Herodot  (II,  20 


230  Geographie. 

—  23)  wnsste,  tlass  die  Schneeschmelze  nicht  Ursache  der 
üeberschwemmung  sei.  S.  623  steht:  „Der  Sudan  ist  ein  von 
Gebirgen  durchzogenes  Land."  Der  eigentliche  Sudan  um  den 
See  Tschad  ,  also  die  Reiche  Begharmi ,  Bornu,  Haussa,  Fel- 
lasah  und  Timhuctu  sind  aber  durchaus  nur  Ebenen;  nur  an 
ilirem  Südrande  erheben  sich  die  Vorberge  des  Nordrandes  von 
Hocliafrika.  Der  sogenannte  Ilochsudan,  von  welchem  die 
JVIandingo- Terrasse  ein  Theil  ist,  hat  hohe  Alpen;  dieses  ist 
aber  nicht  der  eigentliche  Sudan.  Unbequem  ist  der  Ausdruck 
auf  jeden  Fall.  —  D  e  nh  am 's  Forschungen  sind  beim  Sudan 
schon  benutzt.  Nur  das  will  uns  nicht  gefallen ,  dass  über 
Mandara  nichts  weiter  gesagt  ist,  als:  „/>ßs  Reich  Mandara 
ayn  Shary  C?)".  Denham  hat  in  seinen  Reiseberichten  das 
Land  schön  und  ausführlich  geschildert,  so  viel  es  bei  den  Ge- 
fahren, die  ihn  umringten,  möglich  war.  Es  ist  das  erste 
schöne  und  romantische  Gebirgsland  im  Süden  des  Sudan,  die 
Vorstufe  zu  dem  südlichen  Hochlande,  von  welchem  Denham 
das  Platean  Adamuwa  nennt.  Wichtig  ist  Mandara  auf  jeden 
Fall,  da  die  Strasse  vom  Sudan  zum  Hochlande  durch  diese 
Terrasse  geht.  Epoche  machend  ist  Berghaus  Charte  von 
Afrika  bei  Cotta  1S26  mit  dem  zu  ihr  gehörigen  Carton  für  die 
Entdeckungen  im  Sudan. 

S.  172  steht:  ^^Stuhbenkammer ^  deren  höchster,  schön 
bewaldeter  Punkt,  der  Königsstuhl."  Der  Königsstuhl  ist  aber 
nur  ein  kleiner  Vorsprung  der  Küste,  dessen  platter  Gipfel  ei- 
nen radius  von  wenigen  Füssen  hat.  Man  sieht  auf  ihm  wohl 
einige  Bäume,  aber  keinen  Wald ,  der  auf  ihm  auch  keinen 
Platz  hat;  dieser  Wald,  die  Stubbenitz,  liegt  hinter  dem  Kö- 
nigsstuhl. — 

Da  der  Hr.  Verf.  vorzüglich  die  Bearbeitung  von  Nord- 
deutschland im  Auge  zu  haben  scheint,  so  möchten  wir  ihm 
für  Rügen,  Pommern,  Mecklenburg  und  Holstein  empfehlen: 
Brückner 's  Werk:  „  Wie  ist  der  Grund  u.  Boden  Mecklen- 
burgs geschichtet  und  entstanden?  Ein  geognostisch- geolo- 
gisches Fragment  über  Mecklenburg,  Holstein,  Vorpommern 
n.  Rügen.  Neu-Brandenburg,  1825".  und  vorzüglich  :  „Brück- 
ner's  Beiträge  zur  Geognosie  Mecklenburg'' s^  im  Schwerin- 
schen  Freimüthigen  Abendblatt  1827  Nr.  441  —  448  und  1828 
Nr.  470  — 472. 

Eine  Unbequemlichkeit  theilt  der  Hr.  Verf.  noch  mit  sei- 
nen Vorgängern.  Wenn  kleinere  Oerter  angeführt  werden,  die 
durch  grosse  Ereignisse  oder  Naturmerkwürdigkeiten  wichtig 
sind,  so  ist  ihre  Lage  nie  genau  bezeichnet;  auf  unsern  Char- 
ten finden  wir  sie  auch  nicht,  und  alle  Spezialcharten  pflegt 
man  nicht  zu  besitzen.  Gewöhnlich  und  solche  Oerter  doch 
nur  durch  ihre  Lage  wichtig.  Wo  lieg^i  Reinhardsbrunn  (das 
alte  berühmte  Kloster  im  Thüringerlanae),  Rossbach,  Auer- 


Volger's  Handbuch  der  Geographie.  231 

städt,  Scliulpforta,  Bertrich  (bei  welchem  Orte  die  Eäsegrotte 
übergangeil  ist)?   So  fragt  man  fast  auf  jeder  Seite. 

Alle  diese  Ausstellungen  lassen  sich  ieiclit  beseitigen,  wenn 
auf  die  Darstellung  und  Anordnung  der  Länder  (vulgo  Einlei- 
tung genannt)  mehr  Fleiss  verwandt  wird  und  die  einzelnen 
Oerter  gleich  mit  in  die  Besclireibung  liineingezogen  werden. 

Das  ganze  Werk  ist  vorziigiich  in  der  Anlage  und  innern 
Verbindung  mangelhaft;  es  würde  uns  zu  weit  fiihren.  Alles 
rügen  zu  wollen,  was  mit  des  Hut.  Verf.  Plan  nicht  überein- 
stimmen kann.  Manche  einzelne  Abschnitte  nähern  sich  mehr 
einer  tüchtigen  wissenschaftlichen  Darstellung.  Man  lese  z. 
B.  nur  die  Darstellung  der  vereinigten  Staaten  von  La  Plata 
und  Brasiliens  S.  719  llgd. ,  welche  dem  Hrn.  Verf.  selbst  zum 
Muster  dienen  können. 

Wir  wollen  zum  Schlüsse  die  Einleitung  und  den  Anhang 
betrachten.  Auch  in  der  Einleitung  erkennen  wir  ein  reges, 
wissenschaftliches  Streben ;  der  Hr.  Verf.  hat  auch  hier  ver- 
mieden, was  die  Einleitungen  seiner  Vorgänger  ungeniessbar 
macht.  Diese  gaben  dürre,  nothdürftige  Excerpte,  man  möch- 
te sagen,  aus  den  Ueberschriften  der  gewöhnlichen  Abschnitte 
der  mathematischen  und  physikalischen  Geographie.  Dies  nützt 
zu  nichts.  Der  Hr.  Verf.  stellt  dagegen  zuerst  die  Stellung 
unsers  Erdkörpers  zum  Sonnensystem  dar,  um  daraus  geogra- 
phische Folgerungen  zu  ziehen.  Darauf  giebt  er  in  einem  Ab- 
schnitte: .,.,  Die  Erde  als  physischer  Körper '•''^  eine  Darstellung 
der  Bildung  der  Erdrinde  in  ihren  festen  und  flüssigen  For- 
men. Die  Darstellung  ist  gut,  und  unterscheidet  sich  bedeu- 
tend von  dem ,  was  Andere  geben.  Wir  hätten  es  gerne  gese^ 
hen,  wenn  der  Hr.  Verf.  S.  8  die  wichtige  Erscheinung  der 
Stufenländer  und  der  Tiefländer  mit  ihren  Erzeugnissen  und 
Einwirkungen  entwickelt  liätte.  Hier  kann  nur  Ritter  in  sei- 
ner Einleitung  Muster  sein.  —  Aber  Plateaus  findet  man  (S.  9) 
gewiss  nicht  in  Sand-  und  Kalksteingebirgen.  Diese  sind  spä- 
tere Flötzgebirge,  den  Urgebirgen ,  also  den  Plateaus  aufge- 
lagert ;  und  so  finden  wir  auch  nur  den  Sandstein  als  Decke  des 
Granits  der  Hochebenen.  Man  betrachte  nur  die  sonderbare 
Sandsteinformation  des  südlichen  Afrika's.  Auf  den  Ebenen 
der  Hochfläche  finden  wir  gewaltige  Sandsteinlager,  dagegen 
steht  in  den  Cap-Colonien  der  Granit  oft  unter  dem  Sandstein 
zu  Tage  und  schafl't  hier  den  Wasserreiclithum ,  welcher  der 
Hochebene  fehlt.  Man  lese  nur  Lichten  st  ein' s  meister- 
hafte Reisen  im  südlichen  Afrika  I,  S.  298  flgd.  Vgl.  Rit- 
ter's  Afrika  I,  S.  118  flgd.  und  Link 's  Physik.  Erdbeschrei- 
bung \^2Q,  I,  S.  302. 

Auffallend  war  uns  die  Behauptung  S.  11:  „Eine  allge- 
meine, regelmässige  Strömung  der  Meere  giebt  es  nicht,  wohl 
aber  findet  dies  in  einzelnen  Meeren  statt."    Allem  Anscheine 


232  Geographie. 

nach  ist  aber  der  ganze  Ocean  in  einer  beständigen,  regelmä- 
ssigen Bewegung  begriffen  (Ritter  I,  S.  IC),  von  welcher  die 
ganze  Weltschifffahit  abhängt.  Und  diese  ist  doch  wohl  einer 
Entwickelung  werth.  Man  vgl.  über  die  Strömungen  Link  a. 
a.  0. 1,  S.  SH8  flgd.  Eben  so  bedarf  die  Darstellung  der  Ver- 
breitung der  organischen  Natur  nach  den  verschiedenen  Kliraa- 
ten  und  FJrhebungen  eine  anschaulichere  Darstellung;  Parrot 
in  Physik  der  Erde  S.  198  —  219  giebt  schon  treifliche  Ueber- 
biicke.  Dergleichen  Resultate  gehören  der  eigentlichen  Geo- 
graphie an  und  in  einer  Einleitung  zu  derselben  dürfen  deutli- 
che und  kräftige  Umrisse  dieser  Art  nicht  fehlen. 

Was  den  Anhang  betrifft,  so  verstehen  wir  darunter  die  6 
Tabellen.  Der  Ilr.  Verf.  hat  die  glückliche  Idee  gehabt,  Zah- 
lenverliältnisse,  welche  sich  in  der  Beschreibung  des  Einzelnen 
zu  sehr  verlieren,  in  Tabellen  in  eine  anschauliche  Uebersicht 
zu  bringen.  Auf  der  Tab.  Ä  sind  die  Zahlenverhältnisse  aus 
dem  Sonnensystem  aneinandergereihet.  In  den  5  übrigen  fin- 
den wir  die  statistischen  und  natürlichen  Verhältnisse  der  eu- 
ropäischen Staaten ,  des  deutschen  Bundes ,  von  Frankreich, 
der  Schweiz  und  den  vereinigten  Staaten  von  Nordamerika. 

Wir  können  nur  wünschen,  dass  der  Hr.  Verf.  diese  Idee 
künftig  noch  mehr  verfolge,  die  statistischen  Bemerkungen  der 
geographischen  Darstellung  entreisse  (wenn  sie  nicht  die  rein 
geographischen  Folgerungen  bestätigen  )  und  sie  Tabellen  ein- 
verleibe. Eine  vergleichende  Statistik  wäre  hiernach  gewiss 
willkommen. 

Wir  können  versichern,  dass  wir  das  Werk  studirt  und 
benutzt  haben.  Eine  eigentliche  Jagd  auf  kleinere  Fehler  ha- 
ben wir  nicht  angestellt;  aber  auf  dunkle  Ausdrücke,  wie  S. 
324:  „In  der  Nähe  der  herrliche  Park  Niederwald,  von  wo 
aus  die  entzückendste  Aussicht  und  die  Trümmer  von  4  i?M/- 
gen^'-''   müssen  wir  aufmerksam  machen. 

Der  Druck  des  Werks  ist  sehr  gut. 

Und  so  möge  denn  das  mühsame  und  tüchtige  Werk  die 
verdiente  Aufnahme  finden;  es  wird  ihm  Niemand  den  Vorrang 
vor  unsern  bisherigen  Compendien  und  Notizbüchern  streitig 
machen.  Ich  will  wünschen,  dass  der  einsichtsvolle  Hr.  Verf. 
mich  nicht  unter  die  Zahl  derjenigen  Recensenten  stellt,  wel- 
che er  am  Schlüsse  seiner  Einleitung  verwirft.  Ich  wollte  nicht 
sein  „Richter"  sein,  da  ich  die  grossen  Schwierigkeiten  sei- 
ner Arbeit  dankbar  anerkenne,  sondern  sein  Mitarbeiter ;  ich 
wollte  die  Welt  mit  seiaem  Standpunkt  und  mit  der  Frucht  sei- 
ner Arbeit  bekannt  machen,  dabei  ihn  aber  „mit  Humanität 
und  Anerkennung  auf  alle  Unrichtigkeiten  aufmerksam  ma- 
chen ,"  damit  die  Wissenschaft  gefördert  werde.  Deshalb  ha- 
be ich  auf  „Hauptsachen  gesehen"  und  nicht  „einzelne  Zahlen 
und  Namen  gemeistert."    Hätte  ich  alle  Lücken  ausfüllen  wol- 


PfaiTs  Handbuch  der  Weltkunde.  233 

len,  so  hätte  ich  viele  Bogen  füllen  können.  Was  ich  hätte  hin- 
zufügen können,  weiss  der  Ilr.  Verf.  vielleicht  eben  so  gut,  als 
jeder  andere  Geograph.  Ist  er  um  Namen  und  Zahlen  verlegen, 
so  kann  er  diese  in  den  vielen  neuesten  Recensionen  geographi- 
scher Compendien  und  in  diesen  selbst  in  UeberfüUe  finden. 
Dass  ich,  nach  meinem  Gewissen,  kein  Lobhudler  gewesen  bin, 
wird  der  Herr  Verf.  mir  nur  danken.  Keinem  zu  Lieb'  und  kei- 
nem zu  Leide. 

G.   C.  F.  Lisch. 


Handbuch  der  Weltkunde,  zum  Gebrauche  der  Jugendleh- 
rer und  zur  Belehrung  für  Gebildete  jeden  [es]  Standes.  Verfasst 
von  M.  Carl  Pf  äff ,  Conrector  am  Piidagog.  zu  Esslingen.  4ter  und 
5ter  Theil.  Tübingen  1826  und  1827.  In  Commission  bei  C,  F. 
Oslander.    27  u.  34  ßgn.  8.  1  Thlr.  4  Gr.  u.  1  Thlr.   10  Gr. 

[Bd.  1  —  3  sind  recensiert  in  den  Jahrbb.  Bd.  III  Hft.  3  S.  63  ff.] 

Indem  wir  an  die  Beurtheilung  des  vor  uns  liegenden  4teii 
u.  5ten  Bandes  oder  der  Schlussbände  des  Hatidbuchs  der  Welt- 
kunde V.  Pf  äff  gehen,  werden  wir  uns  um  so  kürzer  und  bün- 
diger fassen  können  und  müssen,  da  theüs  die  vorliegenden, 
in  den  Jahren  1826  und  1827  zu  Tübingen  erschienenen  zwei 
Bände  in  gleichem  Geiste  und  zu  gleichen  Zwecken  (zum  Ge- 
brauche der  Jugendlehrer  und  zur  Belehrung  für  Gebildete  je- 
des Standes)  wie  die  drei  vorhergehenden  gearbeitet  sind,  theils 
über  das  Ganze  nach  seiner  Anlage  und  muthmaasslichen  Aus- 
führung bereits  in  unserer  ersten  Anzeige  ein  vorläufiges  und 
beifälliges  Urtheil  gefällt  worden  ist.  —  Beschränken  wir  uns 
daher  auf  eine  blosse  Inhaltsangabe  dieser  beiden  Bände  und 
auf  die  Kritik  der  Behandlung  einzelner  Materien  in  denselben! 
Zu  dem  Ende  dürfte  es  nicht  unzweckmässig  sejn,  zuvor  einen 
Rückblick  auf  die  in  den  ersten  3  Bänden  enthaltenen  Materien 
und  Vorträge  zu  werfen,  theils  um  für  das  löbliche  Werk  wie- 
derholend Interesse  zu  erregen ,  theils  aber  auch  um  von  der 
nicht  ganz  zu  billigenden  Anordnung  desselben  Gelegenheit  zu 
einer  kritischen  Vorbemerkung  herzunehmen.  —  Der  Verf.  hat 
sein  Werk  in  3  Bücher  und  diese  zusammen  in  21  Capitel  ge- 
theilt,  ohne  jedoch  dieselben  mit  den  einzelnen  Bänden  gleich- 
massig  zu  beendigen;  vielmehr  ziehen  sich  die  Haupt-  und  Un- 
ter-Abtheilungen durch  mehrere  Bände  zerstückelt  und  zer- 
stückelnd hindurch  und  Seele  und  Leib,  innerer  Gehalt  und 
äussere  buchhändlerische  Form  schliessen  einander  nicht  ein^ 
sondern  aus.  —  Nur  der  Iste  Band ,  welcher  in  Einem  durch 
7  Capitel  zu  Ende  laufenden  Buche  die  jnathematische  Geogra- 
phie darstellt,  bildet  ein  für  sich  bestehendes  und  geschioss- 

Jahrb.  f.  Phil.  u.  Fädag.  Jahrg.  111.  Heß  11.  Iß 


234  Geographie. 

lies  Ganze.  Der  2te  Band  dajregen  ist  schon  ein  Torso;  denn  er 
beginnt  zwar  mit  dein  Uten  Buche  und  mit  der  physischen  Geo- 
graphie, fVihrt  dieselbe  aber  nur  in  4  Capitcin  bis  zur  Lehre 
vom  vesten  Lande;  der  3te  Band  oder  Theil  setzt  die  physi- 
sche Geograplne  in  5  Capitehi  (bis  zum  öten  Cap.)  fort,  aber 
ebenfalls  unvollendet,  wie  der  Verf.  selbst  am  Schluss  des 
Inhaltsverzeichnisses  bemerkt.  Erst  der  4te  Band  beendigt 
mit  dem  lOten  Capitel  die  physische  Geograpbie  und  das  2te 
Buch,  schliesst  aber  zugleich  auch  das  3te  Buch  mit  der  poli- 
tische?!  Geographie  an,  die  aber  mit  dem  2ten  Capitel  abgebro- 
chen und  erst  im  öten  Theile  oder  Bande  fortgesetzt,  und  end- 
licli  in  2  Capitein  abgeschlossen  wird.  Wenn  aus  dieser  Anord- 
nung für  den  praktischen  Gebrauch  ein  Uebelstand  hervorgeht, 
so  kommt  derselbe  auf  Schuld  des  Verfassers,  wiewohl  sie  der- 
selbe in  einer  Nachschrift  des  5ten  Bandes  ablehnt,  oder  auf 
Rechnung  des  Verlegers,  der  wahrscheinlich  von  dem  Debit 
des  Ganzen  sich  mehr  Vortheil  versprach  als  von  dem  precäreii 
Absatz  einzelner  Theile;  denn  allerdings  ist  das  Werk,  wie  es 
nunmehr  zertheilt  und  zerstiickelt  liegt,  entweder  g^rws,  oder 
gar  nicht  zu  kaufen,  mit  Ausnahme  des  Isten  Theils,  der,  wie 
eben  erinnert  wurde,  die  mathem.  Geographie  vollständig  ent- 
hält. Wer  dagegen  z.  B.  die  politische  Geographie  nach  des 
Verfs.  Bearbeitung  ausschliesslich  zu  besitzen  wünscht  (und  wie 
mancher  Jugend lehrer  und  üilettant,  der  Bodes  und  Kants 
hieher  gehörige  klassische  Schriften  auf  seinem  Repositorio  hat, 
sollte  das  nicht  wünschen?),  muss,  wenn  das  Werk  überhaupt 
buchhändlerisch  vereinzelt  wird  ,  das  Schlussstück  der  physi- 
schen Geographie  als  unnütze  Beilage  mit  in  den  Kauf  nehmen: 
ein,  wie  gesagt,  für  Käufer  und  Leser,  für  Gebrauch  und  Be- 
quemlichkeit nicht  geringer  und  dazu  bleibender  Uebelstand, 
der  Viberdiess  durch  eine  sorgfältigere  Oeconomie  des  Planes, 
oder  noch  während  der  Arbeit  durch  Zusararaendrängung  und 
Beschneidung  des  Materials ,  namentlich  der  zum  Theil  mit  he- 
terogenen Stoffen  überladenen  physischen  Geographie,  verhütet 
werden  konnte  und  musste.  Unserer  Ansicht  nach  waren  für 
den  pädagogischen  und  Dilettanten- Zweck,  den  Hr.  M.  Pf  äff 
bei  dem  Entwurf  seines  Werkes  vor  Augen  hatte,  vier  integri- 
rende  Theile,  von  denen  I  die  mathem.,  II  u.  III  die  phys.  u.  IV 
die  polit.  Geographie  in  selbstständiger  und  einander  ausschlie- 
ssender  Haltung  behandelten,  vollkommen  ausreichend  und  bei 
gedrängterer  Darstellung  auch  leicht  ausführbar,  zumahi  da  das 
Handbuch  wegen  des  weitschichtigen  Begriffs  ^,W  eltkuiide'"'  über 
die  an  sich  schon  verdienstliche  Leistung:  „die  zu  einer  Welt- 
kunde gehörigen  Objecte  in  einer  summarischen  und  fruchtbar- 
sten Kürze  nach  den  besten  vorhandnen  Hilfsmitteln  abgehan- 
delt zu  haben,"  —  nicht  hinausgeht,  und  keinesweges  Ansprü- 
che machen  kann,  gründliche  Special- Werke,  z.B.  die  Kanti- 


FfaiTe  Handbuch  der  Weltkunde.  235 

sehe  pliys.  Geographie  oder  ein  statistisches  Werk  von  Hassel 
zu  ersetzen.  —  Wie  gegründet  diese  Beliauptujig  sey  ,  hat  Re- 
ferent, der  sich  das  Werk  aiigeeig'net  und  zum  Unterrichte  be- 
nutzt Iiat,  aus  eig'ener  untri'fgliclier  Erfahrung  crselien.  Was 
nun  die  zur  kritischen  Anzeige  uns  vorliegenden  Theile  IF  u.  V 
insbesondere  anbetrifft,  so  sind  sie,  wie  im  Allgemeinen  schon 
berührt  wurde,  Fortsetzungen  und  Beendigungen  der  fri'ilier 
und  in  den  Jabren  1824  nnd  1825  erscliienenen  drei  Theile  und 
der  in  denselben  abgebandeltcn  Materien  der  niatli.  und  pbys. 
Geograpliie,  so  dass  den  Ilauptinlialt  derselben  das  3te  Lehr- 
object  der  allgemeinen  Weltkunde  ^,  dia  poiilische  Geographie'"'' 
ausmaclit. 

Wie  demnach  jene  drei,  so  sind  diese  beide?!  Bände  wei- 
tere Ausfiihrungen  derjenigen  Gegenstände,  weiclie  in  den  ge- 
wöhnliclien  geograpliischen  Lehrbiichern  als  Einleitungen  und 
Präliminarien  stehen.      So  gibt  denn  der  nächst  folgende  4te 
Band  ausser  dem  ]<Hen  oder  Scbluss  -  Capitel  der  physischen 
Geographie    (s.  oben)  den  Anfang  der  politischen  Geographie 
oder  die  beiden  ersten  Capitel  des  3ten  Buches,    welche  vom 
Mensclien  im  geselligen,  heben  nnd  im  Staate  handeln,  nnd  der 
5te  oder  Scbluss -TJieil  des  Ganzen  enthält  in  2  Capiteln  unter 
der  Aufschrift  Gewerbsanikeit  und  Hajidel  und  geistig-  sittlich- 
religiöse  Cultur  der  Menschheil —  eine  Darstellung  der  mensch- 
liciien  Civilisation  in  technischer,   wissenschaftlicher,    morali- 
scljer  nnd  religiöser  Bezieluing,  oder  eine  Geschichte  der  Cul- 
tur-Gänge  und  Cultur- Stufen^-des  menschlichen  Geschlechts  — 
nebst  einer  angehängten    statistischen  üebersicht   dieser  Mo- 
mente. —     Kehren  wir  zum  4ten  Theile  und  zwar  zur  Haupt- 
hälfte  desselben,  zur  politischen  Geographie  zuriick,  so  finden 
wir   als  Inhalt  derselben  oder   des  3ten  Buclies   folgende  Ab- 
schnitte verzeichnet:    Jb^rstes  Capitel:    der  Mensch  im  ge- 
selligen Leben.  —  §  1 :  des  Menschen  Bestimmung  zum  geselli- 
gen Leben.     §  2 :  Geschichte  des  Fortschreitens  der  Menschen 
in  der   Cultur.     §  3:    drei  Cultur  -  Stuf en.     §  4:   die  Sprache. 
§5:  die. Schrift.     §6:  die  bekannten  Sprachen  -  und  Schrift- 
Arten  der  Erde.     \l\\.  8:  Fortsetzung.  —      Zweites  Ca- 
pitel:   der  Staat.     §9:    Ursprung,  Begriff  und  Fintheilung 
der  Staaten.     §  10:    verschiedene  Staatsformen.     §   11:    der 
Staat  u.  sein  Oberhcnipt.     §  12:  die  Orden.    §  13:  die  Staats- 
verwcdtung,  Justiz- Departement .    §  14:  Finanz- Departement. 
§  15:  Ministerium  des  Innern  und  der  auswärtigen  Angelegen- 
heiten.    §  16:  Kriegsministerium.)  Militärtvesen.    §  17:  Krieg 
zmd  Kriegführung.     §  18:  Seeministerium.,  Seewesen.     §  19: 
IVohnplätze.     §  20:  Einwohner,  Stände.,  Adel.     §21:  Bürger 
und  Bauer  Tl.      §  22:    Sklaverei.,    Sklavenhandel,    Kasten.    — 
Wir  haben  diese  Folge  der  Materien  abschriftlich  genau  auch 
um  desswiiien  hier  verzeichnet,  um  zu  bemerken ,  dass  die  An- 

16* 


236  Geographie. 

Ordnung  derselben  mehr  den  vulgären  Statistiken  angemessen 
als  streng -wissenschaftlich  und  pädagogisch -fruchtbar  zu  seyn 
scheint.  Denn  zu  geschweigen,  dass  geselliges  Leben  und  Staat 
nicht  coordinirte  sondern  subordinirte  Zustäiide  sind,  inso- 
fern das  Leben  im  Staat  nichts  als  die  höchste  und  vollendetste 
Form  oder  die  endliche  u.  allgemeine  Uebergangsform  des  ge- 
sellschaftlichen Lebens  ist,  dass  ferner  die  3  sogenannten  Cul- 
turstufen  und  das  dadurch  bedingte  Sprach-  und  Schrii'tenthum 
erst  im  Verfolg  dieses  Ueberganges  und  in  der  Vollendung  des- 
selben —  in  ausgebildeten  und  geschlossenen  Staatsgesellschaf- 
ten —  entstehen:  so  erscheint  es  als  eine  unlogische  und  unhi- 
storische Anticipirung  der  Materialien ,  das  Kriegswesen  vor 
dem  Seewesen,  den  Hofstaat  vor  den  Einwohnern,  und  das  so 
historisch -wichtige  Kastenwesen  theils  hinter  dem  Ständewe- 
sen und  der  Sklaverei,  theils  auf  einer  einzigen  noch  nicht  vol- 
len Seite  höchst  dürftig  abzuhandeln.  —  Wie  zusammenhän- 
gender, ineinandergreifender,  gedrängter  u.  fruchtbarer  würde 
der  fragliche,  so  wichtige  und  lehrreiche  Abschnitt  ausgefallen 
seyn,  wennder  Vf.  den  rein -historischen  Weg  in  demEntwicke- 
lungsgange  der  menschlichen  Societät  u.  Civilisation  eingeschla- 
gen und  verfolgt ,  und  dem  zu  Folge  in  2  Havpt  -  Capiteln  erst 
von  den  Formen  und  sodann  von  dem  Geiste  des  gesellschaft- 
lichen Lebens,  oder  mit  andern  Worten  erst  von  der  allmähli- 
gen  Einrichtung  und  Verfassung  oder  den  äussern  Verhältnis- 
sen und  sodann  von  den  Innern  Verbältnissen  des  Staatslebens 
und  seinen  Bildungsarten  u.  Graden  (technischen,  artistischen, 
■wissenschaftlichen,  religiös -moralischen)  gehandelt  hätte! 

Eine  ähnliche  Ungenauigkeit  in  der  logischen  Disposition 
des  Stoffes  und  der  ebenmässigen  Ausführung  tritt  uns  im  5ten 
Theile  entgegen,  dessen  Inhalt  sich  über  2  Capitel  mit  folgen- 
den Rubriken  erstreckt.  Drittes  Cap  it  el:  Gewerbsamkeit 
und  Handel.  §  23  u.  24:  Erzeugende  Gewerbe.  §  25 —  35: 
verarbeiteiide  Gewerbe.  §  36:  der  Handel.,  seine  Geschichte. 
§  37:  verschiedene  Arten  von  Hajidel.  §38:  Geschichte  der 
Handels  -  Compagnien.  §  39 :  Hilfsmittel  des  Handels.  —  Wie 
in  dieser  Anordnung  §36  ein  vörtgov  tiqotsqov  ist  —  denn  erst 
kommt  und  komme  die  Beschreibung  der  Sache,  d.  h.  die  voll- 
ständige Angabe  dessen,  was  sie  ist  oder  wie  sie  erscheint  und 
sich  verhält,  und  hierauf  folgt  und  folge  die  Erzählung,  d.h. 
der  historische  Nachweis,  wie  sie  das,  als  eine  res  in  facto 
posita  geworden  ist; —  wer  wird  auch  der  Jugend  die  Ge- 
schichte einer  Wissenschaft  (der  Handels-  und  Gewerbskunde) 
früher  als  die  Wissenschaft  selbst  vorführen?!  — :  eben  so  er- 
scheint §  39  ungehörigen  Orts  und  muss  §  37  entweder  coordi- 
nirt  oder  subordinirt  seyn.  —  Auch  möchte  das  ganze  3te  Ca- 
pitel, insofern  es  eine  Technologie  nebst  Geschichte  derselben 
ist,  und  zwar  so  detaillirt  ist,  dass  sie  selbst  eine  Anweisung 


PfaiTa  Handbuch  der  Weltkunde.  237 

zum  Siel)  -  und  Kartenraacheii  nicht  rerschmäht ,  zu  weitläufig 
und  ohne  pädagogische  lliicksichten  ausgeführt  seyn.  Oder 
soll  die  Weitkunde  in  einen  so  vagen  Begriff  ausgedehnt  und 
verschoben  werden,  dass  sie  zu  einem  Magazine  oder  Reperto- 
rio  aller  mensclilichen  Kiinste  und  Wissenschaften  sich  erwei- 
tert*? Mit  welchem  Hechte  und  welcher  Consequenz  sind  dann 
politisclie  Geschichte  und  der  topische  Theil  der  Geographie 
ausgeschlossen  worden?  —  Das  4teCapitel,  welches  das  ganze 
Werk  beschliesst ,  erörtert  in  —  thcilweise  —  nicht  minder  un- 
angeraessner  Folge  und  Ordnung  folgende  Gegenstände.  §  43 
bis  46:  Encyclopädische  Uebersicht  der  Wissenschaften  und 
Künste  (die  sich  füglicher  zu  einem  Anhang  geeignet  hätte). 
§  47:  Pädagogik  ^  Bildungsanstalten.  §  48:  Gelehrte  Gesell- 
schaften und  Hilfsanstalten.  §  49 :  Straf-  u.  Wohlthätigkeits- 
anstallen  (eine  hieher  ganz  ungehörige  und  bei  der  Lehre  vom 
Staat  Th.  IV  Cap.  II  §  13  einzuschaltende  3Iaterie).  §  50: 
Monotheistische  Religionen.  §  51 :  Rlosterwesen ,  geistliche 
Orden.  §  52 :  Griechische  Kirche.  §  53 :  Abendländische 
Christen.  §  54:  Uebrige  monotheistische  Religionen.  §  55: 
Polytheistische  Religionen  —  also  eine  —  hier  kürzer  dort  län- 
ger gefasste  Geschichte  der  Wissenschaften,  der  Religion  und 
Kirche!  bei  deren  Einleitungen  uns  zwei  höchst  unbestimmte 
und  bei  der  Wichtigkeit  der  definita  doppelt  tadelnswerthe  Be- 
griffserklärungeu  aufgestossen  sind.  S.  259  heisst  es  nämlich: 
„andere  Wissenschaften,  die  blosse  Vernunftkenntnisse  umfas- 
sen, heissen  Vernunftwissenschaften'-''  —  eine  Definition,  die 
bei  ihrer  Kürze  weder  dem  Jugendlehrer  noch,  dem  gebildeten 
Leser  einen  erwünscht  -  deutlichen  Begriff  geben  dürfte.  — 
Eben  so  unbestimmt  und  ungenügend  äussert  sich  der  Verf. 
S.  337,  wo  er  sagt:  „das  Wort  religio  wird  bald  von  religare^ 
bald  von  relegere  (indem  die,  welche,  was  zum  Glauben  ge- 
hört, fleissig  wiederlesen,  religiös  genannt  werden),  bald  von 
relinquere  (was  man  aus  heiliger  Scheu  verlässt)  abgeleitet."  — 
Welche  philologischen  Quisquilien  und  — Antiquitäten!  und  wo- 
zu überhaupt  in  einem  Unterrichtswerke  für  Gebildete  derglei- 
chen etymologische  und  unfruchtbare  Spielereien?  —  Ange- 
häugt ist  dem  Schluss-Theile  oder  5ten  Bande  eine  politische^ 
Gewerbs.^- Handels.,- Kultur-  und  Religions- Statistik  der  euro- 
päischen u?id  der  wichtigsten  aussereuropäische?i  Staaten ,  die 
als  ein  corapendiarischer  Auszug  aus  grössern  Werken  alle  Vor- 
züge und  Mängel  derselben,  namentlich,  die  üeberladenheit  mit 
Zahlen  und  numerischeji  Angaben ,  die  oft  unter  dem  Druck 
schon  zur  Antiquität  werden,  im  Allgemeinen  theilt,  übrigens 
aber  den  eigenthümlichen Fehler  hat,  dass  sie  eben  nichts  mehr 
und  nichts  weniger  als  eine  Statistik,  d.  h.  ein  Namen-  u.  Zah- 
len-Register, und  in  dieser  Hinsicht  gegen  den  darstellenden 
Toa  u.  Geist  des  übrigen  Werkes  unangenehm  abstechend  ist. — 


238  Geographie. 

Docli  wir  eilen  zum  Schluss  unserer  Anzeige,  nachdem  wir  noch 
einen  Riickblick  auf  den  Anfang  und  die  erste  Hälfte  des  4ten 
Bandes,  der  denBeschluss  des  2ten  Buches  oder  der  physisclien 
Geographie  enthält,  geworfen  haben,  um  eine  Probe  von  des 
Verfs.  Darstellung  u.  Anordnung  seines  Stoffes  an  solchen  Stel- 
len zu  geben,  wo  er  unabhängiger  und  freier  von  fremden  Vor- 
bildern zu  arbeiten  scheint.  Der  Schluss  des  in  diesen  4ten 
Band  heriibergearbeiteten  2ten  Buchs,  oder  das  lOte  Cap.  fiihrt 
den  Generaltitel:  ^^vom  Menschen'-'- ^  und  der  lste§  desselben: 
„  Vorzüge  des  MenscheJi  vor  den  Thieren.'-'-  Die  Aufgabe  war 
also,  diese  Vorziige  vom  pädagogischen  oder  allgemein  beleh- 
renden Standpuncte  aus  in  einer  gedrängten  u.  lichtvollen  Ki'irze 
so  zusammen  zu  stellen,  dass  der  Mensch  als  ein  sinnlich -gei- 
stig organisirtes  Wesen  als  das  begabteste  und  bevorzugteste 
Geschöpf  auf  der  Stufenleiter  der  Erdenschöpfungen  erscheint. 
Wie  hat  der  Verf.  diese  seine  Aufgabe  wissenschaftlich,  logisch 
u.  stylistisch  gelöst'?  Nachdem  er  mehr  als  eben  zweckmässig 
scheint  über  den  physiologischen  Grundsatz,  dass  der  Mensch 
zum  zweibeinigen  und  nicht  zum  vierbeinigen  Gehen  geschaflFen 
und  organi^^irt  sey,  discutirt  und  polemisirt  hat,  setzt  er  die 
Vorzüge  der  Menschennatur  in  folgende  Ilaupteigenschaften: 
a)  in  die  aufrechte  Stellung ,  b)  in  die  Bildung  des  Gesichts^ 
c)  i7i  deti  Mangel  einer  natürlichen  Bedeckung  u.  in  die  Wehr- 
losigkeit ,  d)  in  die  Sprache  wid  Verminft  ^  e)  in  die  Kraft  u. 
Ausdauer  seiner  ISatur  und  in  die  Fähigkeit^  die  mannigfach- 
sten Lehensmittel  zu  gemessen.  —  Abgesehen  von  der  logi- 
schen Formlosigkeit  und  Unordnung,  die  in  dieser  Disposition 
herrscht,  so  ist  dieselbe  auch  nicht  cinmahl  materiell  vollstän- 
dig und  erschöpfend ,  sondern  w  ürde  etwa  folgender  Maassen: 
zu  berichtigen  und  zu  vervollständigen  seyn. 

I)  Vorzüge  des  Menschen  vor  den  übrigen  G'escÄö/j/eyz 
der  Erde  (den  Thieren). 

A)  Körperliche^     B)  Geistige   Vorzüge. 

A)  Körperliche  Vorzüge  (sinnlich -organische). 

a)  Allgemeine. 

«)  Gerade  Stellung  und  aufrecliter  Gang  mit  Bezug  auf  die 
wahren  und  schönen  Worte  des  Ovid : 

Pronaque  cum  finxit  animnlia  cetera  terrae, 
Os   homini   sublime   dedit   coeluraque   tueri 
lussit  et  erectüs  ad  sldcra  tollere  vultus. 

ß)  Verhältnissmässige  Stärke  und  Dauerhaftigkeit  (Energie 
und  Vivacität)  in  Hinsicht  auf  Ertragung  von  Arbeiten  und  An- 
strengungen, von  Bescliäftigungen  u.  Lebensweisen  unter  allen 
Zonen  und  Kiimaten  (von  Lebens -Art,  Zelt  und  Kraft). 


PfafTs  Handbuch  der  Weltkundc.  239 

y)  Bildsamkeit  und  VervoUkomnimingsfäliigkeit  (technische 
Anlagen  und  Vorzüge). 

d)  Vollkommenlieit  (verhUltnissmässig- grössere)  der  Glieder, 
der  Sinnen-  und  der  Yerdauungswerkzeuge. 

b)  Besondere. 

a)  Construction  des  Gehirns  (des  Mundes,  der  Kehle,  des 
Magens  U.S.  w.).  ß)  Sprachwerkzeuge  (Sprachfähigkeit),  Bil- 
dung des  Gesichts  (pathognoiiiischer  Ausdruck  desselben),  y) 
Der  freie  Gehrauch  zweier  vollkonimner  Hände,  ö)  Die  aufrechte 
Stellung  der  untern  Schneidezähne,  f)  Die  Feinheit  u.  Schärfe 
einzelner  Sinnenorgane  (des  Gefiihls,  Geruchs  u.  s.  w.)  —  der 
Tonsinn  —  Sinn  für  die  Harmonie  der  Töne.  —  ^)  Die  Sexual- 
organe (periodischer  Blutverlust  des  weiblichen  Geschlechts  — 
das  Zeichen  jungfräulicher  Integrität). 

B)  Geistige  Vorzüge. 
a)  Ve:rstand  oder  das  Vermögen  zu  denken  (der  Begriffe). 
b)  Vernunft  oder  das  Vermögen  zu  schliessen  —  vom  Sinnli- 
chen zum  Uehersinnlichen,  vom  Bedingten  zum  Unbedingten  — 
oder  das  Vermögen  der  Ideen  (der  sittlichen,  religiösen,  ästhe- 
tisclien  u.s.  w.).  — •  Der  Mensch  hat  eine  ver?iünftige  Seele  (das 
Thier  nur  ein  analogon  rationis)  und  freien  (sittlichen)  Willen 
(das  Thier  —  Instinct).  —  Durch  seinen  Verstand  macht  sich 
der  Mensch  die  Natur  unterthan,  durch  seine  Vernunft  erliebt 
er  sich  über  die  Natur  zum  Schöpfer  (u.  zur  Gottähnlichkeit). — 
Sprache  —  Schrift  —  FJrfindungen  (SoUertia,  Kunstsinn  u.  Er- 
findungsgeist) —  u.  s.  w. 

Ungeachtet  dieser  und  anderer  Mängel  quae  parum  cavit 
humana  natura  —  im  Einzelnen .^  empfehlen  wir  wiederholend 
und  im  Allgemeinen  das  fleissig  zusammengetragene  und  verar- 
beitete Werk  —  den  Freunden  einer  naturwissenschaftlichen 
Leetüre  und  den  Lehrern  der  Jugend  —  in  Ermangelung  grö- 
sserer Special -Werke  —  zum  pädagogischen  Gehrauche. 

Reuscher,  Gy mn.  Dir.  in  Cottbus. 


Deutsche    Sprache. 


I)  Theor  etisch  -  pr  actische  deutsche  Schulgram- 
matik^  oder  kurzgefasstes  Lehrbuch  der  deutschen  Sprache, 
mit  Beispielen  und  Aufgaben  zur  Anwendung  der  Regeln,  von 
Dr.  Joh.  Christ.  Aug.  Heyse,  Schul -Director  zu  Magdeburg  und 
Mitglied  (Warum  nicht  Mitgliede?)  der  Gelehrten -Vereine  für 


240  Deutsche    Sprache. 

deutsche  Sprache  zu  Berlin  und  Frankfurt  am  Main,  Siebente, 
verbesserte  Ausgabe.  Hannover,  im  Verlag  der  Hahn'schen  Ilof- 
Buchhandlung.  1827.  VIII  u.  392  S.   8.    16  Gr. 

II)  Zusätze  zu  J.  C.  A.  Hiyse'' s  Lehrhüchern  der 
deutsche 71  Sprache.  Von  Georg  Albr.  Phil.  Lorberg.  Er- 
ste Lieferung.  Nebst  einer  Abhandlung  über  den  Gebrauch  der 
grossen  Anfangsbuchstaben  in  der  deutschen  Sprache.  Wiesba- 
den. Verlag  von  H.  W.  Ritter.  1825.  4  Gr.  Zweite  Lieferung. 
Zur  siebenten  Auflage  der  Schulgrammatik.  Wiesbaden.  1828. 
8.    4  Gr. 

i^ur  für  ein  einseitiges  und  übereiltes  Urtheil  kann  es  gelten, 
wenn  sich  in  der  neuesten  Zeit  eine  Stimme  erhob ,  die  mit  al- 
lem Ernste  wieder  auf  Entfernung  des  Unterrichtes  in  der  deut- 
schen Sprache  aus  den  obern  Classen  unserer  Gelehrtenschulen 
drang,  wo  derselbe  vor  nicht  gar  langer  Zeit  erst  eingeführt 
worden  war.  Je  gewichtvoller  diese  Stimme  zu  sein  schien,  da 
eie  von  einem  Manne  herrührte,  der  zu  den  vorzüglichsten  der 
jetzt  lebenden  Lehrer  und  Gelehrten  in  unserem  Volke  ge- 
hört: um  so  mehr  hat  man  Ursache,  sich  zu  freuen,  dass  sie 
lebhaften  Widerspruch  gefunden  hat  und  bereits  so  gut  wie 
verschollen  ist.  Denn,  um  nur  wenige  Worte  zur  Widerle- 
gung derselben  zu  sagen,  beim  Uebersetzen  aus  fremden,  na- 
mentlich aus  den  alten,  todten  Sprachen  ,  hat  der  Lehrer  kei- 
nesweges  immer  Gelegenheit  das  Deutsche  fruchtbar  zu  behan- 
deln, auch  nicht  Zeit  genug  zu  weitern  Erörterungen.  Kaum 
dass  man  im  Stande  ist,  alle  die  Fehler  zu  rügen,  die  bei  dem- 
selben vorkommen.  Und  wie  viele ,  gewissenlose  Lehrer  thun 
nicht  einmal  dieses  und  gehen  flüchtig  über  alle  Verstösse  hin- 
weg, die  gegen  die  Regeln  unserer  Sprache  und  des  Styles  ge- 
macht werden!  Was  für  ein  Deutsch  ist  darum  in  den  gewöhn- 
lichen Uebersetzungen,  die  der  Scliüler  mündlich  oder  schrift- 
lich gibt!  Es  ist  kein  Deutsch;  es  ist  ein  nach  griechischer 
und  lateinischer  Weise  geformtes  d.  h.  geradbrechtes  Deutsch. 
Wo  lässt  sich  da  ein  Eindringen  in  den  Geist  unserer  Mutter- 
sprache denken  und  erwarten?  Wie  häufig  gewöhnen  sich  die 
Schüler  auf  solche  Weise  einen  schlechten  Styl  an ,  den  sie  ab- 
zuwerfen späterhin  oft  die  grösste  Mühe  haben.  Wie  gut,  wie 
wohlthätig  ist  da  der  Unterricht  in  der  deutschen  Sprache,  noch 
dazu  für  das  jugendliche  Alter,  in  welchem  man  schon  anfängt 
vom  Genius  einer  Sprache  Kenntniss  zu  erhalten,  und  der  Styl 
sich  zu  bilden  pflegt.  Und  dann  ist  es  ja  doch  eine  ganz  an- 
dere Sache,  einen  fortlaufenden  wissenschaftlichen  Unterricht 
zu  empfangen,  als  nur  beiläufig  einige  Regeln  kennen  zu  lernen. 
Zweitens  lassen  sich  durch  das  Deutsche  die  Gesetze  der  allge- 
meinen Grammatik  und  insbesondere  der  fremden  (also  auch 


Heysc's  Deutsche  Schulgramraatik ,  und  Lorberg's  Zusätze.     241 

der  alten)  Sprachen  weit  clier  verständlich  und  hegreiflich 
machen^  und  zwar  so,  dass  man  vom  üeutsclien  ausgeht  und 
an  den  Unterricht  in  dieser  Sprache  das  Allgemeine  und  Frem- 
de anknüpft.  Eine  Sache,  deren  Wichtigkeit  man  hisher  wohl 
noch  niclit  in  ihrem  ganzen  Umfange  erkannt  hat.  —  Allein 
das  kann  ja  schon  in  den  wilern  Classen  geschehen!  wirft  mir 
hier  vielleicht  Jemand  ein.  Sind  denn  nicht,  antwortet  der 
Recensent ,  gerade  den  Schülern  der  ohersten  Classen  das  Er- 
lernen und  Begreifen  der  schwierigsten  Regeln  aufbehalten*?  — 
Lasst  also  unsern  Schulen  durch  alle  Ordnungen  hindurch  den 
Unterricht  in  der  Äluttersprache;  er  ziemt  und  frommt  uns 
mehr  als  so  manches  Andere. 

„Aber  ein  grammatischer  Unterricht  in  einer  lebenden 
Sprache  zwängt  dieselbe,  die  sich  doch  frei  aus-  und  fortbil- 
den soll,  in  starre  Regeln I*-*-  höre  ich  Andere  schreien.  — 
Diess  würde  nur  dann  der  Fall  sein,  wenn  eine  Sprachlehre, 
und,  so  zu  sagen,  mit  stehenden  Lettern  auf  allen  Schulen 
zwangsmässig  eingeführt  würde.  Das  lässt  sich  bei  der  Libe- 
ralität und  Humanität  unserer  Regierungen  nicht  befürchten. 
Ein  solcher  Despotismus  wird  sich  unser  und  unserer  Sprache 
so  leicht  nicht  bemächtigen.  Der  Grammatiken  werden  immer 
mehre  sein;  es  werden  immer  neue  entstehen,  die  altern  ver- 
drängt werden,  und  jede  neue  vielleicht  wird  Neues  bringen. 
Wo  ist  da  ein  Stillstand  zu  erwarten?  Regeln  aber  werden  immer 
nöthig  sein;  indem  jedoch  die  Grammatik  dergleichen  fest- 
setzt, zeigt  sie  einer  solchen  Sprache,  als  unsere  deutsche  ist, 
gerade  die  Quellen  zur  Fortbildung.  Es  ist  also  mit  dem  Obi- 
gen nichts  gesagt. 

Recensent  wird  daher  nie  aufhören  den  deutschen  Schulen 
Glück  zu  wünschen ,  auf  welchen  bis  zu  den  obersten  Classen 
hinauf  der  Unterricht  in  der  Muttersprache  eingeführt  ist  und 
wissenschaftlich  betrieben  wird.  Eben  so  weiss  er  es  aufrich- 
tigen Dank  den  Männern,  welche  sich  durch  grammatische 
Schriften  um  die  Aufklärung  und  Feststellung  der  Regeln  un- 
serer Sprache,  besonders  zum  Behufe  des  Unterrichtes  der  Ju- 
gend, verdient  gemacht  haben. 

Zu  diesen  Männern  gehört  unbezweifelt  Hr.  Dr.  Ileyse 
in  Magdeburg,  dessen  deutsche  Schulgrammatik  nun  schon  die 
siebente  verbesserte  Ausgabe  erlebt  hat.  Wie  viel  Gutes  mag 
er  allein  durch  dieses  Werk  nicht  gestiftet  haben !  Aber  der 
Verf.  lohnt  auch  den  Beifall,  welchen  er  beim  Publikum  er- 
fahren, durch  sein  fortwährendes  Streben,  dem  Buche  eine 
grössere  Vollkommenheit  zu  geben:  jede  neue  Ausgabe  beweist 
dieses  auf  das  Klarste.  Keine  ist  erschienen,  ohne  dass  das 
Werk  an  verschiedenen  Theilen  wesentliche  Verbesserungen  er- 
halten hätte.  Aber  freilich  ist  es  dadurch  nur  dem  Ziele  nä- 
her gerückt;   dasselbe  erreicht  zu  haben,   wird  es  sich  noch 


2-12  DeutscheSp  räche. 

nicht  rühmen  können.  Keinesvveges  sei  damit  dem  Vf.  ein  Tadel 
gesagt,  der  ihn  kränken  sollte.  Wer  weiss  denn  nicht,  was 
dazu  gehört,  bei  seinen  eigenen  Producten  sich  selbst  so  zu 
entäussern,  dass  man  als  richtiger,  unparteiischer  Ueurtheiler 
derseibeji  auftreten  könne!  dass  man  sogleich  an  ihnen  die 
scliwachen  Seiten,  die  mancherlei  Mängel  entdecke!  Da  müs- 
sen Männer  hinzutreten,  die  auf  die  noch  Torhandenen  Fehler 
hinweisen,  und  wie  bereitwillig  der  Verf.  solche  Beiträge  auf- 
zunehmen pflegt,  lehrt  die  Vorrede  znr  fiten  Aufliage  unseres  Bu- 
ches. Unter  diesen  Verhältnissen  steht  der  unterschriehene  Re- 
censent,  der  mit  dem  Buclie  des  Ilrn.Heyse  dnrch  einen  melir- 
jährigen  Gebrauch  vertraut  geworden  ist,  durchaus  nicht  an, 
ihn  auf  Einiges  aufmerksam  zu  machen,  was  in  demselben 
Werke  entweder  ganz  falsch  oder  schief  gesagt  ist  oder  noch 
ganz  felilt,  wobei  er  nur  liemerkt,  dass  er  gelegentlicli  auch 
auf  Lorberg's  Zusätze  Rücksicht  nehmen  wird,  die  er  zur 
Benutzung  bei  einer  künftigen  Ausgabe  auf  das  Angelegentlich- 
ste empiiehlt. 

Einleitung. 
1)  Von  der  Sprache  überhaupt. 

S.  1:  ^^Die  Qeberdensprache'"'- ^  heisst  es  dort,  „rfz'e  zum 
gesellschnfäichen  Umgauge  äusserst  unzulänglich  ist  und  dann 
erst  ausdrucksvoll  und  dentlich  wird,^'-  n.  s.  w.  Hier  ist  der 
Recens.  angestossen  bei  den  Wörtern  äusserst  und  erst.  Eine 
so  grosse  Verkleinerung  und  Beschränkung  verdient  die  Geber- 
densprache durchaus  nicht.  Sie  ist  keinesweges  ohne  Ausdruck 
und  Deullichkeit ;  im  Gegentheil  liat  sie  in  mehrfacher  Hinsicht 
vor  der  Lautsprache  bedeutende  Vorzüge :  sie  ist  einfacher, 
schneller,  kürzer,  treftender,  kräftiger.  »S/e  macht  umgekehrt 
die  Rede  erst  recht  ausdrucksvoll.  Wir  wenden  sie  gerade  da 
an,  wo  die  Rede  uns  nachtheilig  wäre,  z.  B.  um  jemandem  et- 
was milzutheilen,  was  dem  andern,  dabei  stehenden,  verborgen 
bleiben  soll.  Recens.  würde  daher  lieber  so  sagen:  Die  Geber- 
densprache, die  im  Allgemeinen  und  an  sich  zum  gesellschaft- 
lichen Umgange  nicht  durchaus  geeignet  ist,  kann  hier  u.  s.  w. 
—  Der  folgende  Satz:  Obgleich  —  gab^  ist  genau  genommen 
falsch.  Die  Nebensätze:  die — liegen  und  aus  denen  —  ent- 
steht, sind  blosse  Erklärungssätze  der  Worte:  Die  Gesetze  des 
Denkens  und  Empfindens,  und  müssen  daher  unmittelbar  nach 
diesen  folgen.  Durch  die  Stellung,  Avelche  ihnen  der  Verf. 
gegeben  hat,  erhalten  sie  zu  viel  Gewicht,  und  die  ganze  Pe- 
riode wird  dunkel.  —  Uebrigens  ist  bei  dem  dort  vorgetrage- 
nen Gedanken  zu  erinnern,  dass  die  allgemeine  Sprachlehre 
sich  nicht  bloss  auf  das  Denken  und  Empfinden  gründet,  son- 
dern auch  auf  die  menschlichen  Organe  zum  Sprechen.  Der 
Verstand  und  das  Gefühl  bedingt  das  Innere  einer  Sprache; 


Heyse's  Deutsche  Schulgrammatik ,  und  Lorberg's  Zusätze,      243 

die  Spracliwerkzeuge  im  Munde  das  Aciissere  derselben.  Auch 
diese  letztem  sind  bei  allen  Menschen  gleicJi ,  und  die  Spra- 
chen docli  so  \erschiedeii.  J)er  Verf.  hat  diese  interessante 
Seite  der  allgemeinen  Grammatik,  die  allijemeine  Lautlehre, 
ganz  Vlbersehen.  —  Weiterhin  sind  die  Worter:  und  durch- 
aus iinveränderlich  zu  streichen.  Denn  die  lateinische  Spra- 
che Ijat,  obgleich  eine  todte  Sprache,  wenigstens  mancherlei 
Bereicherungen  im  Laufe  der  Zeit  erlitten.  Und  das  kann  man 
doch  auch  eine  Veränderung  nennen.  Li  jedem  Falle  ist  das 
Wörtchen  durchaus  raissfällig.  Oder  es  muss  hinzugelugt  wer- 
den :  im  Wesentlichen. 

2)    Deutsche  S  p  r  a  c  li  e   und  G  r  u  n  d  z  ü  g  e   ihrer 
B  i  1  d  u  n  g  s  g  e  s  c  h  i  c  h  t  e. 

VII  Zeitraum.  S.  12.  Dem  Recensent  ist  hier  die  Ordnung 
und  Auswahl  der  Männer,  die  sich  um  die  Ausbildung  der  deut- 
schen Sprache  verdient  gemacht  haben,  auffallend  gewesen. 
Zu  trennen  sind  die  Philosophen  und  Redner,  die  Geschichts- 
und Alterthumsforscher.  Mancher  Name  könnte  unbedenklich 
gestrichen  werden. 

Erster    Abschnitt. 

Von  den  Buchstaben   und  deren  richtiger 
Aussprache. 

S.  15.  Der  Verf.  schreibt  Silbe  gegen  die  Etymologie  und 
gegen  die  einzig  richtige  Aussprache  (^Sülbe).  In  den  altern 
Ausgaben  steht  richtig  Sylbe.  —  Zu  den  Worten:  ^^M(m  hat 
hiebei  (es  rauss  heisseu  hierbei  nach  des  Verf.  eigener  Vor- 
schrift S.  258.)  die  Ausdrücke:  Laut.,  Buchstaben  tind  Na- 
men der  Buchstaben  wohl  zu  unterscheiden''^  wäre  ein  Beispiel 
sehr  passend  gewesen.  Recensent  weiss  aus  Eirfahrung,  wde 
schwer  es  manchem  Schiller  fällt  diese  drei  Dinge  zu  unter- 
scheiden. Uebrigens  wiirde  diese  Bemerkung  nach  des  Recens. 
Ansicht  besser ,  nachdem  die  Buchstaben  aufgezählt  w  ären, 
folgen  und  könnte  sie  sehr  wohl  mit  dem  verbunden  werden, 
was  S,  16  erst  vorkommt:  Nur  bei  den  Vocalen  stimmt  der 
Laut  u.  s.  w.  —  Wäre  es  überflüssig  gewesen,  hier  einige  Wor- 
te über  die  Herkunft  der  deutschen  Buchstaben  zu  sagen  und 
über  ihren  ersten  Ursprung  bei  einem  semitischen  Volke  (nicht 
gerade  den  Phöniciern,  vgl.  Gesenius  Geschichte  der  hebr. 
Sprache  und  Schrift  S.  Voi  f. )  '?  —  Der  i\ame  Hauptlaute 
jür  Consonanten,  „ävveil  sie  die  wichtigsten  ('?)  Bestandtheile  ei- 
nes Wortes  sind,  in  denen  die  eigentliche  {'\)  Bedeutung  des- 
selben liegt",  ist  ganz  unpassend,  weil  der  angeführte  Grund 
falsch  ist.  Sind  denn  die  Vocale  minder  wichtig'?  Und  haben 
sie  nicht  auch  eine  Bedeutung'?  Aber  der  Verf.  wollte  wohl 
sagen:  Bedeutsamkeit!    Doch  auch  so  ist  der  Gedanke  unrich- 


244  DeutscheSprache. 

tig.  —  S.  16  heisst  es:  ^^wobei  entweder  bloss  die  Limge^ 
oder  der  Gaumeji. ,  oder  die  Lippen ,  oder  die  Zähne^  oder  die 
Zunge  vorzüglich  thätig  ist'-''.  Der  Satz  ist  unverständ- 
lich. Was  soll  das  Bloss,  da  vorzüglich  folgt?  —  Gleich  dar- 
auf:   „  Wird  ein  Buchstab wenig  oder  gar  nicht  gehört^ 

so  heisst  er  stumm'-'-.  Wenig  ist  durchaus  zu  streichen.  Kein 
Buchstabe  —  Recens.  findet  es  sehr  hart:  Buchstab  zu  sagen 
und  zuschreiben,  — ,  der  ein  wenig  nur  gehört  wird,  kann 
stumm  heissen.  —  Zu  S.  17  Z.  12  macht  Hr.  Lorberg  (II 
Lief  er.  S.  1.)  die  Bemerkung:  „Wenn  y  kein  deutscher  Buch- 
stabe ist  und  in  keinem  echt  deutschen  Worte  vorkommen  soll 
(vgl.  Heyse  S.  64.):  so  darf  es  auch  hier  nicht  unter  den  deut- 
schen Buchstaben  aufgeführt  werden."  Recensent  ist  anderer 
Meinung:  y  ist  ein  acht  deutscher  Buchstabe,  gebildet  aus  ij. 
Nur  ist  aber  dabei  zu  erinnern,  dass  dieser  Vocal  1)  zur  Be- 
zeichnung des  ii  z.  B.  Juny  =  Junii^  wo  man  mit  Unrecht  in 
der  neuern  Zeit  dieses  herkömmliche  y  verkannt  hat;  2)  zur 
Bezeichnung  des  griechischen  v  dient,  wo  es  auszusprechen 
ist  ü ,  z.  B.  Sylla  =  Sulla.  —  S.  17  heissen  die  üoppelvocale 
ai  u.  s.  w.  einsilbige  Laute.  Ein  ganz  unpassender  JName,  da 
er  viel  zu  aligemein  ist. 

Zweiter    Abschnitt. 

Von  der  Bildung,  der  Dehnung  u.  s.  w.   der  Silben 

und  Wörter. 

1)   Bildung  der  Silben   und  Wörter. 

S.  22.  Hier  wird  eine  Erklärung  des  Wortes  und  Begriffes 
Sylbe  gegeben,  die  etwas  verschieden  von  der  ist,  die  S.  15 
vorkam.  Die  jetzige  ist  klarer  als  die  frühere.  In  der  frühern 
sind  die  Worte:  mit  einem  Grundlaute.,  unverständlich,  auch 
das  Wort  Stimmabsatz  auffallend  und  verwerflich.  —  S.  23. 
Der  Satz:  „6e«  einzelnen  Silben  kann  ich  mir  nichts  Bestimm- 
tes denken'-'-,  ist  falsch.  Denn  wenn  ich  sage:  Schivermuth^ 
so  kann  ich  mir  bei  Schwer  u.  bei  Muth  etwas  Bestimmtes  den- 
ken. —  Das  Wort  Macht  kann  nicht  zu  den  Wurzelwörtern  ge- 
rechnet werden;  denn  es  kommt  her  von  machen^  mögen. 
Ebenso  wenig  recÄ/,-  denn  das  stammt  von  rectus  und  diess 
von  regere.  Auch  Haus  dürfte  nicht  dahin  geliören ;  denn  es 
kommt  her  von  Hut.,  und  diess  ist  verwandt  mit  xvrog,  dessen 
Stammverbum  ava  heisst. 

Hieraus  erhellt  zugleich,  wie  falsch  das  Folgende  sei: 
„rfee  abgeleiteten  Wörter  sind  daher  ( 1 )  natürlich  ( '? )  mehrsil- 
big.'-'-  Es  gibt  der  einsylbigen  eine  sehr  bedeutende  Menge.  —  S. 
24  heisst  es:  „Durch  diese  Zusammeiisetzungeii  und  Ableitun- 
gen wird  die  Bedeutung  eines  Stummwortes  sehr  verändert.'-'' 
Schon  das  Wort  verändern  ist  nicht  gut  gewählt ;   man  kann 


Heyse's  Deutsche  Schulgrammatik,  und  Lorherg's  Zusätze.     245 

desslialb  das  Ganze  leicht  missverstehen  und  glauben,  dass  die 
Bedeutung  des  Urvvortes  durch  Zusammensetzung  und  Ablei- 
tung ganz  anders  werde,  besonders  da  der  Verl'asser  noch 
das  Wörtchen  sehr  hinzugesetzt  hat.  Das  ist  aber  keinesweges 
der  Fall:  der  Grundbegriff  bleibt  immer.  Bestimmter^  voller 
wird  die  Bedeutung  eines  Wortes  durch  Zusammensetzung  mit 
andern  Wörtern  oder  durch  Ableitung. 

3)  Betonung  der  Silben  und  Wörter,  oder  Silben-, 
Wort-  und  Rede-Accent. 

S.  25  heisst  es :  ^^Ehi  guter  Leser  wird betonen.'''-  Wie 

kommt  der  Verf.  mit  einem  Male  auf  den  Leser?  Es  muss  hei- 
ssen:  Derjenige,  der  g^?/^  redet.  Allenfalls  konnte  hinzugefügt 
werden:  so  wie  der,  welcher  gut  liest.  —  S.  28  hätte  bei  der 
Regel,  „(iöss  der  Ton  jedes  Mal  (so  richtiger  als  jedesmal, 
wie  der  Verf.  schreibt ;  denn  Mal  ist  ein  Hauptwort,  wie  das 
französische  fois.)  avf  das  Wort  gelegt  werde  ^  welches  einen 
versteckten  (er  braucht  ja  nicht  immer  versteckt  zu  sein;  er 
kann  ja  auch  und  rauss  vielmehr  offen  daliegen  d.  h.  aus  dem 
Zusammenhange  erhellen.)  Gegeiisatz  oder  eine  Ausschlie- 
ssung enthalten  soll'"'- ,  der  Grund  mit  kurzen  Worten  angege- 
ben werden  sollen,  warum  es  so  ist.  Es  konnte  etwa  heissen: 
weil  der  Sprechende  den  Hörenden  auf  den  entgegengesetzten 
Begriff  recht  aufmerksam  machen,  ihm  denselben  recht  ein- 
dringlich und  bemerklich  darstellen  will. —  Bald  darauf  heisst 

es :    ,^ Dieser  Redeaccent  setzt ein  ganz  vollkommenes^ 

deutliches  Verstehen  Dessen  (warum  /dessen  und  nicht  rfes- 
gen?)  voraus^  was  man  vortragen  will.'-'-  Hier  musste  zugleich 
darauf  hingewiesen  werden,  dass  auch  umgekehrt  das  Ver- 
ständniss  eines  Satzes  oder  einer  Rede  vom  richtigen  Accentui- 
ren  abhänge.  —  Im  Folgenden  ist  zu  wenig  oder  gar  nichts 
von  der  Vortrefflichkeit  dieser  wahrhaft  schönen  Kunst  —  sie 
ist  eine  Art  Gesang,  —  gesprochen  worden.  Die  Anfänger, 
ja  selbst  manche  Lehrer,  bedürfen  einer  solchen  Hinweisung. 
Rec.  wünschte,  dass  der  Verf.  in  einer  neuen  Auflage  seines 
Buches  recht  eindringlich  davon  handeln  möge,  damit  diese 
schöne  Kunst  mehr  in  unsern  Schulen  als  bisher  geübt  werde. 

Dritter    Abschnitt. 

Von  der  Eintheilung der  Rede- 

tlieile  u.  s.  w. 

S.  31.  Der  Ausdruck :  ein  äusserliches  Dasein ,  ist  dem 
Schüler  durchaus  unverständlich  ,  und  sogar  auch  falsch.  Wie 
können  Gedanken,  die  ich  habe,  ausser  mir  Dasein  haben?  Es 
soll  heissen:  Der  Mensch  kann  sich  in  der  Sprache  und  durch 
die  Sprache  äussern ,  d.  h.  seine  Gedanken  und  Gefühle  ausser 


246  Deutsche    Sprache. 

sich  darstellen ,  ausdrücken ,  gleichsam  ahdrücken.  —  Ueher- 
haupt  ist  zu  erinnern,  was  auch  schon  Lorberg'  (11  S.  3ff.) 
gethan  Iiat,  dass  die  Sprache  in  diesem  Abschnitte  viel  zu  dun- 
kel und  unverständlich  ist.  —  Was  der  Verf.  damit  will,  wenn 

er  sagt:    „l>/e  Empfindwigslmite  sind Ausbiüclie  —  des 

Schmerzes  und  der  andern  Gefühle^  deren  s c htvankendes 
und  nnb  estiuiinte  s  Wesen  sie  an  sich  tragen'-'-^  das 
begreift  llecens,  nicht.  Ueber  das  Folgende  vergl.  man  Lor- 
berg a.  a.  O.  —  S.  32.  Der  beliebte  Ausdruck  aussagen  für 
praedicare  ist  im  Ganzen  für  den  Schüler  doch  unverständlich. 
Rec.  würde  rathen,  ihn  ganz  zu  verbannen  aus  der  Grammatik 
und  dafür  lieber  zu  sagen:  behaupten  oder  eine  Nebenvorstel- 
lung entnehmen^  und  eine  so  dem  Hauptbegriff  entnommene 
Nebenvorstellung  durch  fVorte  ausdrücken.  iJenn  worauf  deu- 
ten die  Redensarten :  praedicare  de  cdiquare.,  dicere  de  ali- 
quo  aliquid ^  reden,  sprechen,  behaupten  von  etwas,  anders 
hin,  als  auf  ein  Abstrahiren ,  entnehmen'?  So  auch  cogitare 
de  aliqua  re,  denken  von  etwas.  —  S.  34.  Wie  kann  Copula 
übersetzt  oder  erklärt  werden  durch  Aussage  des  Satzes  ! 

Vierter    Abschnitt. 

Lehre  von  der  Rechtschreibung  oder  Ortho- 
graphie. 

Rec.  gesteht,  dass  er  diese  Lelire  hier  ganz  am  unrechten 
Orte  findet.  Sie  unterbriclit  anfeine  sehr  störende  Weise  den 
Zusammenhang  des  dritten  u.  fünften,  sechsten  u.  der  folgenden 
Abschnitte,  welche  sich  auf  einander  unmittelbar  beziehen. 
Sie  gehört  eben  dahin  ,  wo  die  Lehre  von  der  Zeichensetzung 
steht,  in  den  Aiihang  der  deutschen  Grammatik.  —  S.  4!)  ist, 
die  Zahl  der  Fehler  in  der  ersten  Uebungsgabe  (34)  falsch 
angegeben.  —  Der  Ausdruck  Fremdwörter  für:  Wörter  aus 
einer  fremden  Sprache,  ist  nicht  zu  billigen.  Und  warum  hat 
er  unter  dieselbe  das  Wort  hysterisch  gesetzt?  Dafür  lieber  ein 
anderes!  Die  Zahl  12  ist  auch  unrichtig.  —  S.  50  lehrt  der 
Verf.,  man  solle  nicht  schreiben :  aufs  Neue.,  sondern  aufs 
neue  u.  s.  w.  ohne  allen  Grund.  Ich  sage  das  Neue  und  schrei- 
be Neue  mit  einem  grossen  Anfangsbuchstaben.  Also  muss  ich 
auch  schreiben  auf  das  Neue  oder  aufs  Neue.  Nicht  das 
Neue  ist  hier  Adverb,  wie  der  Verf.  meint,  sondern  die  ganze 
Redensart:  aufs  Neue  steht  als  Bezeichnung  eines  Adverbialbe- 
griffes.—  S.JiiJ,  Anra.  1.  Welche  Missverständnisse  könnten  wohl 
zu  einer  so  grossen  Inconsequenz  rathen,  als  der  Verf.  hier  em- 
pfiehlt! —  S.54,  Anm.  3-  Rec.  würde  alle  die  Wörter:  besten.^ 
preis.,  gute.,  wege.,  um  der  Gleichförmigkeit  willen  mit  einem  gro- 
ssen Anfangsbuchstaben  zu  schreiben  anempfehlen.  —  S.  88. 
Der  Rec.  heisst  es  sehr  gut,  wenn  der  Vf.  darauf  dringt,  dass 


Heyse's  Deutsche  Scliulgrararaatik ,  und  LorLerg's  Zusätze.     247 

man  schreiben  solle:  gofft/  ücrgoffne?,  t)crf)afft,  in  welchen  Wör- 
tern der  zweite  Zischlaut  zum  aus^estossenera  e  gehört.  Allein 
^anz  unpassend  und,  wie  es  dem  llec.  scheint,  ganz  ungegriin- 
det  ist  die  Neuerung,  ff"  am  Ende  eines.Wortes  statt  g  zu  schrei- 
ben. Der  Doppelconsonant  jj  ist  ott'enbar  entstanden  und  znisam- 
mengesetzt  aus  f  und  dem  damit  in  eins  verbundenen  End- ^,  so 
dass  das  9  eigentlich  so  geschrieben  oder  gebildet  werden 
müsste  fg  und  urspriinglich  gewiss  so  geformt  gewesen  ist. 
Warum  nun  von  der  allgemein  angenommenen  Hegel,  am  Ende 
eines  Wortes  und  einer  Sylbe  —  wenn  in  dem  letztern  Fall  nicht 
ein  [folgt,  —  ein  ä  zu  machen,  abgehen  wollen'?  Höchst  an- 
stössig  musste  eine  solche  Neuerung  in  einem  so  verbreiteten 
Schulbuche  sein.  —  S.  97.  (5.)  Der  llec  hält  es  gerade  für 
richtiger  und  der  Natur  der  Sache  ganz  angemessen  abzuthei- 
len:  bak-ken,  Kas-ten,  nüz-zen. 

Fünfter    Abschnitt. 

Das  Selbstandswort  oder  der  Artikel. 

S.  104.  Die  Benennung  Selbstandswort  deucht  dem  Rec. 
sehr  unglücklich  gewäblt;  er  vermag  sich  dabei  gar  nichts  zu 
denken.  Eher  geht  nocb  Einzier.  Wie  ferner  der  Artikel  ein 
Zeichen  der  logischen  ('?)  und  grammatischen  Würde  (?)  des 
Substantivs  sein  könne,  sieht  er  eben  so  wenig  ein.  Worin  soll- 
te denn  diese  Wurde  bestehen?  Wie  ist  es  denn  in  den  Spra- 
chen, wo  gar  kein  Artikel  sich  vorfindet?  Gleich  darauf  heisst 
es:  ^ly der  Artikel  habe  das  Substantiv  nicht  nur  als  solches 
überhaupt  anzukündigen  (wiederum  ein  Zweck  des  Artikels, 
den  er  gar  nicht  hat),  sondern  als  ein  so  und  so  bestimm- 
tes.^'' Wie  passt  hierzu  die  bald  darauf  folgende  Eintheilung 
des  Artikels  in  den  bestimmenden  und  nicht  bestimmenden? 
Demnach  wäre  ein.,  eine.,  ein  derjenige  Artikel,  der  zu  be- 
stimmen und  nicht  zu  bestimmen  pflegte.  FJin  olfenbarer  Wi- 
derspruch !  —  S.  107  f.  Die  Einth eilung  a)  b)  c)  ist  durchaus 
fehlerhaft.  Alles  Dreies  gehört  unter  eine  einzige  Regel.  Wird 
denn  nicht  auch  eine  Sache  im  Aligemeinen  angedeutet,  wenn 
ich  sage:  Menschen.,  Krebse.,  InsecteJi.,  eben  so  wie  wenn  ich 
sage :  Bier ,  Wein ,  Brod  ?  Auch  ist  ganz  unrichtig ,  wenn  es 
heisst :  der  Artikel  werde  weggelassen  vor  Substantiven ,  um 
kürzer  zu  reden.  Das  ist  doch  wahrlich  nicht  der  Zweck 
und  der  Grund!  Ist  denn  kein  Unterschied  im  Sinne,  wenn 
ich  sage:  Tugend  belohnt  sich  selbst.,  und:  die  Tugend  be- 
lohnt sich  selbst?  Leben  ist  süss^  und:  das  Leben  ist  süss?  — 
S.  108,  e  ist  der  Vei-f.  aus  der  Construction  gefallen:  Er  hatte 
S.  107  gesagt:  Diess  geschieht  (nämlich,  dass  Hauptwörter 
ohne  Artikel  gebraucht  Averden,)  a)  wenn  u. s.  w.  b)  tvenn  u.  s. 
w.  Mit  einem  Male  heisst  es  unter  e:  „Wenn  einHauptwort  im 


248  Deutsche    Sprache. 

Genitiv vorangeht ,    fällt  vor  dem  letztern  der  Artikel 

weg.'-''  Es  sollten  diese  Worte  so  lauten:  e)  wenn  ein  Haupt- 
wort im  Genitiv  einem  aiidern  Haiiptuwrte  unmittelbar  voran- 
geht.  Dann  fällt  nämlich  vor  dem  letztern  der  Artikel  weg.  — 
Die  Bemerkung;  unter  Nr.  9  ist  viel  zu  allgemein  und  kann  den 
Anfänger  ganz  irre  führen.     Ilec.  hält  sie  für  ganz  überflüssig. 

Sechster   Abschnitt. 
Das  Hauptwort   oder  Substantiv  u.  s.  w. 

S.  111.  Die  Eintheilung  2)  a)  b)  c)  ist  ganz  verfehlt,  wie 
auch  Lorberg  (II  S.  14  f. )  bemerkt.  —  S.  112  werden  un- 
ter den  Stamm-  oder  Wurzelwörtern  folgende  aufgeführt,  die 
nicht  dazugehören:  Licht  \oi\  lux  ^  luceo^  luken ;  Furcht  \on. 
fahren^  fahren.  Ueberhaupt  sind  die  Wörter  auf  t  bestimmt 
alle  abgeleitet  (vgl,  Lorberg  I  S.  2.),  und  der  Verf.  hätte 
diese  Endung  unbedenklich  unter  2)  aufführen  können.  —  Die 
Endsylbe  Ung  ^  die  unbezweifelt  aus  Ze/w,  lin^  entstanden  ist, 
daher  sie  auch  die  Bedeutung  des  Verkleinerns  hat,  soll  nach 
unserem  Vf. ,  der  darin  Lor  berg  (I  S.  16)  und  Becker  ge- 
folgt ist,  den  Begriff  der  Unthätigkeit  haben.  Als  ob  der  Säug- 
ling nicht  saugte^  und  sauge  keine Thätigkeit  bezeichnete!  Es 
muss  vielmehr  heissen:  den  Begriff  der  Passivität.  —  Von  der 
Sylbe  el  und  er  wird  komisch  genug  gesagt:  „s/e  zeigen  etivas 
Mänfilickes  (?)  «w."  —  S.  113,  III  heisst  es  vom  Geschlech- 
te der  Hauptwörter ,  ,,  in  jedem  Falle  iverde  es  durch  den  da- 
vor gesetzteri  Artikel  der ^  die^  das  ange geben'-'-.  Das  Wort 
angegeben  kann  hier  leicht  missverstanden  und  so  gedeutet 
werden,  als  ob  der  Artikel  Veranlassung  gäbe  zum  Geschlechte 
der  Substantive.  Der  Verf.  lasse  darum  diess  Wort  ganz  weg 
und  setze  erkannt  an  das  Ende  des  Satzes.  —  Im  Folgenden 
findet  es  Rec.  sehr  überflüssig  zu  sagen:  „Männlich  sind  mit 
dem  Artikel  der  ^  weiblich  sind  mit  dem  Artikel  die  (S.  115), 
sächlichen  Geschlechts  (so  würde  der  Rec.  nie  abkürzen  um 
der  unangenehmen  Härte  willen,)  sind  mit  dem  Artikel  das 
(S.  115).  Wozu  der  leere  Zusatz:  mit  dem  Artikel  der,  die., 
das? —  S.  115,  3,  b)  liest  man:  „^//e  Verkleinerungswört- 
chen auf  chen  und  lein  u.  s.  w. ;  ferner  die  Wörter^  welche  auf 
thum  und  niss  ausgehen.'-''  Welch  eine  Zusammenstellung!  Und 
gleich  darauf:  „(Sächlichen  Geschlechtes  sind)  alle  übrigen 
(das  ist  sehr,  und  viel  zu  sehr  allgemein;  Hessen  sich  denn 
keine  besondern  Regeln  geben '? )  Wörter  und  selbst  Buchsta- 
ben ,  die ,  ohiie  Substantive  zu  sein ,  doch  als  solche  gebraucht 
werden}'-  Was  soll  das  heissen:  sie  sind  keine  Substantive  und 
werden  doch  als  solche  gebraucht*?  Der  Ausdruck  ist  hier  sehr 
mangelhaft.  Es  muss  heissen:  die  eigentlich  keine  Substan- 
tive sindj  aber  doch  zu  solchen  erhoben  tverden  können,  —   S. 


Ileyse's  Deutsche  Schulgrammatik ,  und  Lorhcrg's  Zusätze.     249 

117.  Der  Scheuer  heisst  in  manchen  Gegenden  auch  das  Instru- 
ment zum  Sclicuern  der  Stuben, 

S.  118,  IV  Z.  2  (vgl.  S.  ä8. )  ist  die  Benennung  Zahlform 
für  numerus  gesetzt.  Ganz  unpassend  !  Es  nniss  heissen  »S]^/y/cä- 
formen.  Unter  Zahlfornien  denke  ich  mir  etwas  ganz  anderes, 
in  der  Grammatik  aber  gar  nichts.  Die  Regel  würde  am  besten 
so  lauten:  Das  Zahlverliältniss  (der  Numerus)  der  Hauptwör- 
ter ist  im  Deutschen  zwiefach,  da  man  entweder  ein  einzelnes 
Ding  in  seiner  Einzelheit  denken  und  nennen  kann  oder  mehrere 
Dinge  einer  Art  in  ihrer  Mehrheit.  Darnach  gibt  es  zwei  ver- 
schiedene Sprachformen  (  zum  Ausdruck  dieser  zwei  Zahlver- 
liäitnisse).  Vgl.  aucli  Lorberg  II  S.  18.  —  S.  120,  Anm.  4 
sagt  der  Verf. :  ^^Obgleich  die  Pluraleiidung  s  nhht  urspri'mg- 
lich  deutsch  sonderii  französisch  ist.'-'-  Diess  ist  unrichtig,  wie 
man  z.  B.  aus  Grimms  Grammatik  sehen  kann.  Wohl  ist  die 
Endung  s  im  Plural  acht  und  ursprünglich  deutsch,  wie  im  La- 
teinischen und  Griechischen.  Was  ist  das  r  in  Manne;',  Wei- 
ber anders  als  s?  Man  sehe  darüber  Grimms  Grammatik  nach. 
—  Ebcndas.  V.  Hier  würde  llec.  zur  grössern  Deutliclikeit  so 
gesagt  haben:  Ein  Hauptbegriff  kann  nämlich  gegen  andere 
Begriffe  in  gewisse  Fülle  kommen ,  d.  h.  in  gewisse  Beziehun- 
gen und  Verhältnisse  treten.  Zur  Bezeichnung  dieser  Fer- 
hältnisse  dienen  gewisse  IUjidungen  der  Iia//plwörter,  und  diese 
Endungen  nennt  Juan  Fälle,  Casus.  Der^ame  P  erhält nissf all 
ist  durchaus  falsch.  Dean  Fall  ist  hier  =  Verhältniss.  Was 
Iieisst  nun  Verhältnissfall?  —  Im  Folgenden  muss  es  lieissen: 
Sage  ich  z,  B.  mein  Freund  ist  mir  unvergesslich,  so  steht  der 
Begriff  Freund  (nicht,  wie  im  Buche  steht,  der  Freund)  u. 
s.  w.  Vgl.  Lorberg  II  S.  19.  llec.  erwartete  nun  eine  Auf- 
zählung der  Verhältnisse  im  Allgemeinen,  welclie  durch  die 
Casus  ausgedrückt  werden.  Allein  nichts  von  dem !  Es  ist  frei- 
lich wahr,  dass  die  Sache  noch  sehr  in)  Dunkeln  ruhet,  so 
iiothwendig  sie  auch  zur  Aufklärung  so  vieler  Tlieile  der  Gram- 
matik ist.  Allein  zu  versuchen  ist  sie  doch.  —  Mit  Recht  ta- 
delt Lorberg  (a.  a.  0.),  dass  die  Declination  der  Gattungs- 
namen von  der  der  Eigennamen  getrennt  ist.  Als  ob  niclit  al- 
len ein  und  dieselbe  Declination  zum  Grunde  läge!  —  S.  123. 
Was  hier  von  adjectivischer  Declinationsform  gesagt  wird,  muss 
nach  Lorberg  (S.  20)  verbessert  werden.  —  S.  lii).  Sagt  mau 
denn:  die  Nannijn  oder  die  Nannys?  die  Berthan  oder  die 
Berthas?  Rec.  däclite,  nur  die  letzte  Form  wäre  die  richtige, 
so  wie  er  es  für  überflüssig  hält  Foss's  Gedichte  zu  schreiben. 
Es  ist  hinlänglich:    T'oss  Gedichte.    Jacobs  Elementarbuch. 

S.  130,  VI.  Zur  Regel:  „f/as  Substantiv  kann  auch  als 
Prädicat  im  Nominativ  stehen.!''-  wird  hinzugefügt:  .^.^dann  wenn 
Etwas  mit  demSubJecte  in  ein  gleiches  ierhältniss  gesetzt  iver- 
den  soll'-'-  u.  s.  w.     Allein  das  wird  erst  im  Folgenden  erklärt, 

Jahrb.  f.  P.'iil.  u.  Pädag.  Jahrg.  III.  Heft  11.  -^'^ 


250  Deutsche    Sprache. 

steht  also  hier  am  unrechten  Platze.  Ueber  den  für  Anfänger 
sehr  schwierigen  Ausdruck:  gleiches  Verhält?nss^  hätte  mehr 
gesagt  werden  sollen.  Die  Sache  bleibt  beim  Verf.  noch  sehr 
im  Dunkeln.  —  Was  übrigens  hier  und  auf  der  folg.  S.  von  den 
Casibus  im  Allgemeinen  erinnert  wird,  gehört  in  die  Lehre  von 
den  Casibus  überhaupt,  nicht  hierher.  —  S.  132,  Anm.  2 
heisst  es :  „  Ohne  Noth  muss  man  auch nicht  Präpositio- 
nen gehrauchen  u.  s.  w.  Man  sage  daher  nicht:  diess  ist  der 
Sohn  von  meinem  Freunde''''  u.  s.  w.  Warum  denn  nicht?  fragt 
Rec.  Warum  soll  ich  denn  nicht  zum  Ausdrucke  einer  einzigen 
Sache  in  der  Sprache  zwei  Weisen  gebrauchen  können?  Ist  das 
nicht  gerade  ein  Vorzug  einer  Sprache?  ein  Zeichen  von  Fülle? 
Es  ist —  um  diess  hier  zugleich  ein  für  alle  Mal  zu  erinnern,  — 
eine  ganz  falsche  Ansicht  von  manchen  Grammatikern,  und  na- 
mentlich auch  von  Hrn.  Heyse,  die  Ansicht,  von  zwei  Sprech- 
weisen für  eine  und  dieselbe  Sache  wäre  eine  falsch  und  müss- 
te  aus  der  Sprache  verdrängt  werden.  Wozu  das?  Nein!  des 
Grammatikers  Verdienst  sei  auch  das  Streben ,  mehre  Sprach- 
formen für  eine  Sache  nachzuweisen!  So  kann  ich  sagen:  Preu- 
ssens  König  und  der  König  von  Preussen.  Rec.  möchte  doch 
wissen,  was  für  eine  Zweideutigkeit  und  Unbestimmtheit  durch 
die  letzte  Sprechweise  vermieden  würde!  Sie  ist  ja  gerade  die 
gewöhnlichere  und  jene:  Preussens Könige  für  den  höhern  Styl. 

—  Die  Regel  bei  Heyse  ist  also  durchaus  schielend  und  muss 
etwa  so  heissen:  Statt  des  Genitivs  hann  man  in  vielen  Fällen 
Präpositionen  gebrauchen ,  iveil  auch  sie  zur  Bezeichnung  von 
Verhältnissen  der  Begriffe  gehraucht  werden ;  ja  sie  sind  in 
manchen  Fällen  sogar  bestimmter.  Vgl.  Lorberg  I  S.  23. 

Siebenter  Abschnitt. 

Das  Fürwort  oder  Pronomen  u.  s.  w. 

S.  135.  Ueber  die  Einleitung  hat  sehr  Treffendes  gesagt 
Lorberg  II  S.  20lf.  —  S.  136.  Was  der  Verf.  zu  Ende  der 
Einleitung  hinzufügt ,  „  dass  die  Fürwörter  dieser  u.  s.  w.  ihre 
Selbständigkeit  verlieren  können'"''^  ist  gewiss  falsch.  Dem  Rec. 
scheint  gerade  das  Umgekehrte  richtig.  Jene  Pronomina  sind 
ursprünglich  adjectivischc  Wörter  und  werden  zu  selbstständi- 
gen Pronominibus ,  wenn  das  Substantiv  leicht  zu  ergänzen  ist. 

—  Im  Folgenden  unter  Nr.  I  spricht  der  Verf.  unklar  und  un- 
richtig von  der  Verschiedenheit  der  Personen.  Es  muss  hei- 
ssen: Person  ist  diejenige  Form  eines  Verbi,,  durch  welche 
das  Verhältniss  des  Gegenstandes  .^  von  welchem  gesprochen 
wird ,  zu  detn  Sprechenden  bezeichnet  zu  werden  pflegt.  Die- 
ses Verhältniss  ist  dreifach :  es  kann  nämlich  der  Sprechende 
1)  der  Gegenstand  selbst  sein,  von  dem  er  spricht;  2)  de?i  Ge- 
genstand vor  sich  haben,    von  dem  er  spricht;   3)  von  einem 


Heyse^s  Deutsche  Schulgrammatik ,  und  Lorberg's  Zusätze.     251 

Gegenstande  sp?  ecken  ^  der  abivesend  ist.  —  S.  137.  .,^  Ich  und 
du  sind  für  alle  drei  Geschlechter '•'■.  liier  koniite  der  Grund 
hinzugefügt  werden :  weil  es  keiner  näheren  Bestimmung  bei 
dem  bedarf,  was  dem  Sprechenden  und  Hörenden  klar  vor  Au- 
gen liegt.  Vgl.  Lorberg  II  S.  20.  —  S.  141,  3:  ,,  Anstatt 
meiner  u.  s.  w.  sagt  man  auch:  der.,  die ^  das  meine'"''  u.  s.  w. 
Allein  in  welchem  Falle'?  Das  ist  im  Folgenden  sehr  unklar  an- 
gedeutet. Es  rauss  heissen:  Anstatt  meiner  u.  s.  w.  sagt  man 
der.,  die.,  das  meine  u.  s.  w. ,  wenn  u.  s.  w.  —  S.  141,  2 
kommen  die  Benennungen:  die  bestimmte  Beugung.,  die  unbe- 
stimmte Beugung  der  Adjective,  vor.  Dieselben  sind  ganz  un- 
statthaft. Richtig  ist  doch  nur  der  Ausdruck :  Die  Beugung  für 
bestimmte  und  nnbestimmte  Sprechweise.  —  Ueber  den  un- 
passenden Namen:  beziehliche  Fürwörter  s.  L  or  b  erg  a.  a.  O. 
—  S.  145,  1.  Wenn  es  hier  heisst:  der,  die.,  das  ist  eine 
blosse  Verkürzung  für  welcher,  welche,  ivelches:  so  weiss  der 
Rec.  nicht,  was  er  zu  einer  solchen  Bemerkung  sagen  soll.  Der 
Verf.  will  doch  nicht  etwa  damit  andeuten,  dass  der,  die,  das 
durch  Verkiirzung  d.  h.  durch  Wegfall  von  Lauten  oder  Buch- 
staben aus  welcher,  welche,  loelches  entstanden  sei?  Das  wäre 
ein  in  seiner  Art  einziges  Etymologisiren.  Es  soll  wohl  bloss 
heissen:  der,  die,  r/ßs  ist  das  kürzere  Wort  fiir  ?f»e/cÄer,  wel- 
che, welches;  oder  das  kürzere  Relativpronomen  ist  der.  Aber 
welch  eine  gemeine  Bemerkung  ist  das!  Ob  nicht  jedes  kleine 
Kind  das  von  selbst  erkennt!  Statt  dessen  wäre  zu  erwähnen 
gewesen,  dass  der,  die,  das  das  ältere  Relativpronomen  wäre, 
das  für  welcher,  ivelche,  ivelches  noch  immer  und  zur  Ab- 
wechslung in  der  Rede  sehr  vortheilhaft  angewendet  werden 
könnte.  —  Anm.  2  enthält  wieder  eine  sehr  mangelhafte  Regel. 
^, Statt  des  Ge?iitivs  vo?i  welcher,  welche,  welches  nimmt  man 
seine  Zuflucht  gewöhnlich  zu  dem  Stellvertreter  der,  die,  das'"'' 
u.  s.  w.  Hier  ist  1)  nicht  der  Grund  angegeben,  warum  diess 
geschieht;  es  geschieht  um  der  grössern  Leichtigkeit  willen, 
mit  welcher  sich  dessen  und  derer  aussprechen  lässt ;  ivelches 
u.  s.  w.  ist  schwerfälliger.  Wohl  auch  um  der  Gleichheit  so 
vieler  Casus ,  die  ivelches  und  welcher  lauten,  zu  begegnen. 
2)  der  Ausdruck  ^e?f>öÄw/«cÄ  viel  zu  unbestimmt;  er  kann  den 
Anfänger  in  der  deutschen  Sprache  sehr  leicht  irre  führen.  Es 
gibt  nehmlich  ja  gewisse  Fälle,  wo  ich  nur  den  Genitiv  von  wel- 
cher gebrauchen  kann:  z.  B.  Napoleon,  welches  grossen  Man- 
nes Thaten  u.  s.  w. ;  die  Papageien,  welcher  Vogel  Gefieder  u. 
s.  w.  Wer  darf  denn  in  solchen  Fällen  deren  oder  dessen  sa- 
gen*? —  Anm.  4  heisst  es:  „So  wird  höchstens  nur  noch  bei 
Dichter?!  entschuldigt'-'-.  Diese  Worte  veirathen  das  Streben 
des  Verfs.,  diess  Wort  (Relativum)  so  ganz  aus  unserer  Sprache 
zu  verbannen.  Er  entschuldigt  es  höchstens  nur  bei  Dichtern ! ! 
Möge  er  doch  davon  abstehen  und  lieber  sagen:  Der  Gebrauch 

17* 


252  Deutsche    Sprache. 

des  Wortes  so  als  Relativ  ist  bei  Diclitern  und  in  der  liöhern 
Prosa  gar  nicht  ungewöhnlich,  und  gibt  der  Rede  bisweilen  eine 
wunderlicbliche  Anmuth.  —  Was  klingt  zarter  als  der  bekann- 
te Höltysche  Vers:  Ruschen^  so  der  Eltern  Freude^  so  der 
Stolz  des  Dorfes  war?  Man  verwandle  das  So  in  das^  was 
verliert  der  Vers'?  —  S.  146.  Dass  bei  was  für  ein  in  der 
Melirheit  der  Artikel  wegfällt,  und  wegfallen  inuss,  liegt  am 
Tage,  da  ein  als  Artikel  keine  Mehrheit  hat.  Ich  sage  ja  e?« 
Buch^  Plural:  Bücher.  So  ist  es  auch  hier.  —  Die  in  der  An- 
merk.  aufgestellte  Regel:  ^^Man  trenne  ja  nicht  den  Artikel 
eiji  von  was  für  nnd  saß;e  z.  B.  nicht:  Was  hast  du  für  einen 
Fisch  gefaiigen?  sondern  Was  für  einen  Fisch'-''  u.  s.  w. ,  ist 
durchaus  grundlos.  Rec.  würde  um  des  Wohlklanges  willen 
gerade  die  erste  Weise  sehr  häufig  wählen.  —  S.  148,  3.  „/^/e 
Fürwörter  ich  und  du  dürfen  nicht  ausgelassen  werden'-^  heisst 
es  da,  und  dann  kommt  als  verwerfliche  Redeweise  das  Bei- 
spiel: Hast  tvohl  i'iel  fergnügen  gehabt?  —  Der  Sprachge- 
brauch im  alltäglichen  Leben,  der  die  Kürze  liebt,  hat  beson- 
ders im  vertraulichen  Gespräche  diese  Auslassung  so  sanctio- 
nirt,  dass  der  Rec.  kein  Bedenken  trägt,  sie  gerade  recht  zu 
empfehlen,  und  des  Verfs.  Regel  für  ungegründet  und  tadelns- 
wei;th  zu  halten.  —  4.  Hier  ist  wieder  etwas  Falsches.  „  JFer- 
den  männliche  und  weibliche  Personen  durch  Verhleinerungs- 
Wörter  bezeichnet.^  tvelche  in  der  Sprache  sächlichen  Geschlech- 
tes sind,  so  muss  doch  im  Fortgange  der  Rede  das  Sprachge- 
schlecht dem  natürlichen  Geschlechte  tveichen'-''.  Diess  muss 
ist  ganz  unstatthaft;  es  streitet  g^^^ii  alle  Grammatik.  Es  darf 
und  kann  nur  heissen:  so  kann  u.  s.  w.  —  S.  149,  7.  Recens. 
begreift  nicht,  wie  der  Verf.  behaupten  kann,  „es  iväre  in  dem 
gebildeterji  Vortrage  welcher .^  welche.,  welches  dem  der ^  die, 
das  vorzuziehen'-'-.  Inwiefern  sollte  denn  der  Gebrauch  des 
letztern  geringere  Bildung  verrathen*?  J)er ,  die  ^  das  ist  ein 
eben  solches  Pronomen  relativum  als  welcher^  tvelche,  welches 
und  noch  obendrein  das  ältere. 

Achter    Abschnitt. 

Das  Beiwort  oder  Adjectiv  u,  s  av. 

S.  154.  Es  ist  dunkel,  Avenn  es  heisst:  „i>ßs  Beitvort 
dient  dazu,  irgend  ein  Merk?nal  des  Hauptivortes  zu  bestim- 
men'-''. Was  bedeutet  hier  bestimmen?  In  welchem  Sinne  ist 
es  zu  nehmen'?  —  Was  auf  derselben  Seiie  von  der  Bildung  der 
Adjective  aus  Adverbien  gelesen  wird ,  steht  hier  ganz  am  un- 
rechten Orte.  —  S.  155.  Unter  den  Stammwörtern,  welche  un- 
ter I,  1  aufgeführt  werden,  dürfte  vielleicht  kein  einziges  ein 
wahrhaftes  Wurzelwort  sein.  So  dürfte  dem  jung  iuvenis  von 
iuvo,  dem  alt  olo  (olesco),    dem  gross  creo  (xqslööcov  da- 


Hcyse's  Deutsche  Scliulgraramatik,  und  Lorberg's  Zusätze.     253 

mit  verwandt  und  cresco)  u.  s.  \v.  zum  Grunde  liegen.  —  S.  159. 
Äe//^  wird  liier,  wie  im  Vorhergelienden  (  S.  155. ),  sonder- 
bar genug,  unter  die  ^achsylben  d(!r  Adjective  gezählt,  und 
gesagt,  es  bedeute  eine  Menge.  Wie  falsch  das  sei,  hat 
Lorberg  schon  (II  S.  32)  trefflich  entwickelt,  indem  er 
die  Adjective  auf  selig  von  jener  alten  Substantivendung  sal 
herleitet.  Also  Trübsal^  trübselig  {ei^anilich  trübsälig).  Man 
sieht  hieraus  zugleich,  wie  unrichtig  es  sei,  seelig  zu  schrei- 
ben. 

S.  100.  Unter  den  Participien ,  welche  hier  als  fehlerhaft 
aufgeliihrt  werden,  dürften  sich  nicht  wenige  rechtfertigen 
lassen,  llecensent  verweist  den  Verf.  in  dieser  Hinsicht  auf 
Grimms  Grammatik.  —  Das  Wort  Sitzlebensart^  welches  der 
Verf.  vorschlägt,  statt  der  Redensart :  sitze7ide  Lebensart^  ist 
weit  schlechter  als  diese.  Die  Redensart:  fahrende^  reitende 
Pos^  (Post  in  der  Bedeutung  Postolficiant,  Postillion,  der  die 
Postsachen  fortschafft , )  findet  Rec.  gar  nicht  so  unrichtig.  Da- 
fiir  ist  aber  imPreussischen  jetzt  überall  der  Name  Fahr-  und 
Reitpost  gewöhnlich ;  oh  mit  Grund  und  Recht  eingeführt,  be- 
zweifelt Recensent.  Denn  was  ist  denn  streng  genommen  eine 
Reitpost '^ 

S.  161  b)  ist  das  Beispiel:  Edel  isfs  u.  s.  w.  nicht  passend 
gewählt ;  denn  sowohl  edel  als  edler  ist  Adverbium  ,  wie  die 
Form  des  Superlativs  am  edelsten  (vgl.  dazu  die  Note*)  auf 
das  Augenscheinlichste  zu  erkennen  gibt.  Zugleich  will  der 
Rec.  hierbei  den  Hrn.  Verf.  zu  bedenken  veranlassen,  ob  denn 
auch  z.  B.  rund,  in  dem  Beispiele  der  Tisch  ist  rmid^  das  Ad- 
jectivsei,  oder  nicht  vieiraehr  das  Adverbium.  Ich  frage  nach 
dem  Ist  eben  so  als,  wenn  ich  sage:  die  Blume  blüht  schön, 
nach  Blüht ^  —  nehmlich  tvie?  Mehr  hiervon  nachher!  —  An- 
merk.  1.  Warum  nennt  man  nicht  ganz  recht  denPositiv  u.  s.  w. 
Steigerungsstufen?  Dem  Anfänger  konnte  das  in  wenigen  Wor- 
ten angedeutet  werden.  —  Anm.  2.  Die  Bemerkung:  ^^yhich 
viele  Adverbien  sind  der  Steigerung  fähig'-''  u.  s.  w.,  gehört  nicht 
hierher,  sondern  in  den  Abschnitt  vom  Adverbio  —  Anm.  4. 
Hier  hätte  die  falsche  Form  mehrere  berücksichtigt  und  ge- 
zeigt werden  sollen,  dass  nur  mehre  (von  meh  d.  i.  mag 
magims,  yLhy  (x^yag,)  statt  meh  er  e ,  wie  schön  schönere  ^  rich- 
tig wäie.  Der  Verf.  hat  diese  Bemerkung  erst  S.  184,  Anm.  1. 
—  S.  162,  Anm.  5  erinnert  an  die  Art  Regeln  für  die  Gramma- 
tik zu  geben,  wie  sie  in  den  alten  Sprachlehren  vom  vorigen 
Jahrhunderte  aufgestellt  wurden,  nach  welchen  z.  B.  von  bonus 
der  Comparativ  melior,  der  Superlativ  optimvs  gebildet  wer- 
den sollte.     Der  Verf.  sagt  nämlich:    ^^ Einige  Adjective  mei- 

chen  in  der  Eildung  ihres  Comparativs  und  Superlativs 

ganz  ab  ^  nüinlich  gt/t,  besser^  best'"''  u.  s.  av.  In  toiejern  wei- 
chen sie  denn  ab?  Haben  sie  denn  nicht  im  Comparativ  er ^  im 


254  Deutsche    Sprache. 

Superlativ  st  als  Kenntzeichen ,  wie  alle  übrigen  Adjective? 
Und  die  scheinbare  Anomalie,  dass  es  lieisst:  hoch  (Jioch  ist 
doch  wohi  das  Adverbium,  nicht  das  Adjectiv?  dieses  lautet 
ja:  hohe  (/*),  hohe^  hohes ^  wie  7iach  ursprünglich  das  Adver- 
bium von  nahe.  Der  Verf.  durfte  also  nicht  die  Comparation  so 
machen  hock,  höher ^  höchst;  sondern  hohe,  höher,  höchst,^, 
höchst^  nahe,  nächst  gehört  nicht  hierher,  sondern  in  eine, 
vom  Verf.  in  dieser  Grammatik  ganz  übergangene  und  doch  so 
wichtige  Lehre  von  der  Verwandtschaft  der  einzehien  Laute 
und  ihrem  gegenseitigen Uebergehen  in  einander.  Ch  musste  im 
Superlativ  statt  des  blossen  H  hervortreten,  weil  ein  Ä,  ein  et- 
was harter  Laut,  davor  tritt.  Vgl.  mögen  möchte,  scribo 
scripsi.  Im  Adverbio  ist  es  nöthig,  damit  es  das  Wort  gehö- 
rig in  der  Aussprache  begrenzt.  Besser  dagegen  und  best  ist 
nicht  von  gut  gebildet,  sondern  vom  veralteten  bas.  Darnach 
ist  die  ganze  Anmerkung  zu  modeln ;  sie  ist  durchaus  verfehlt. 
—  Aum.  6.  Wie  der  Vf.  schlechthin  sagen  kann:  „/?er  neuere 
Sprachgebrauch  behandelt  die  Wörter  erst  und  letzt  als  Post- 
/iVe",  sieht  Rec.  nicht  ein.  Sie  bleiben  immer  Superlative; 
nur  bei  Eintheilungen  und  Zurückweisungen  auf  dieselben  kann 
ich  einen  Comparativ  (nur  keinen  Superlativ)  davon  bilden:  er- 
stere,  letztere.  —  Anm.  7.  Auch  hier  ist  Vieles  zu  bessern. 
Vgl.  Lorb  erg  schon  im  ersten  Hefte.  —  S.  165,  Aura.  8.  Mit 
wenigen  Worten  konnte  der  Grund  angegeben  sein ,  warum  ein 
anderer  Sinn  entsteht,  wenn  man  das  vorangehende  Adverb 
beugt. 

IV.  Beugung  des  Beiwortes.  Hier  vermisst  der  Rec.  eine 
recht  durchgreifende  Regel  über  die  Anhängung  und  Weglas- 
sung des  n  im  Nominativ  und  Accusativ  des  Pluralis  der  Ad- 
jective.  Die  Sache  ist  noch  immer  nicht  aufs  Reine  gebracht. 
Rec.  hält  dafür,  dass  die  Weglassung  oder  Hinzufügung  dieses  n 
lediglich  ihren  Grund  im  Wohlklange  hat  und  darnach  beur- 
theilt  werden  rauss.  —  S.  168,  Anm.  2.  Da  der  Wohlklang  in 
der  Sprache  eine  solche  Macht  übt,  dass  er  selbst  Regeln  über- 
treten lässt:  so  ist  demselben  keinesweges  zu  viel  eingeräumt, 
wenn  man  statt  des  übellautenden  bequemem  lieber  bequeme» 
sagt,  statt  lahmem  lieber  lahme72  u.  s.  w.  —  S.  169  ff.  V. 
Schon  Lorberg  (I  S.  29  if.  II  S.  34)  hat  auf  das  Mangelhafte 
dieses  Abschnittes  aufmerksam  gemacht.  —  Warum  denn,  um 
namentlich  darauf  noch  hinzuweisen,  die  Menge  Adjective  auf- 
zuzählen, die  den  oder  den  Casus  regieren?  Das  Einzelne  ge- 
hört ins  Wörterbuch;  die  Grammatik  gibt  und  hat  zu  geben 
das  Allgemeine  Die  Rection  der  Adjective  muss  hervorgehen 
aus  den  allgemeinen  Bemerkungen  über  Rection  oder  über  die 
Bedeutung  der  Casus.  —  S.  171.  Wozu  die  Bemerkung:  ,,Den 
Adverbien  folgt  der  Infinitiv  unmittelbar  ohne  zu'-'""}  Erstens 
gehört  sie  nicht  in  den  Text,  sondern  höchstens  in  eine  An- 


Heyse's  Deutsche  Schulg;rammatik ,  und  Lorbcrg's  Zusätze.     255 

merkung,  und  zweitens  ist  der  Satz  gar  nicht  richtig  gefasst. 
Was  soll  heissen:  folgt?  Das  kanu  der  Anfänger  so  nehmen, 
als  ob  der  Infinitiv  vom  Adverbio  regiert  werde.  Nichts  fal- 
scher als  das!  —  Die  gleich  darauf  unter  2  folgende  Regel: 
„fias  mit  seinem  Substantiv  verbundene  Adjectiv  steht  immer 
vor  dem  selb en'-'-  ist  wiederum  schielend.  Wenn  ich  nun 
sage:  der  Feind ^  grossmüthig^  schenkte  ihm  das  Leben.  Steht 
da  das  Adjectiv  nicht  hinter  seiiiem  Substantiv  *f  Sprechen  nur 
so  die  Dichter?  —  S,  172  f.  4  diirfte  einer  Umarbeitung  be- 
dürfen, da,  wenigstens  nach  des  llecens.  Dafürhalten,  wie  er 
schon  oben  erinnerte,  einfältig  Adverb  ist,  ich  mag  sagen:  er 
ist  einfältig.,  oder:  er  handelt  einfältig.  In  beiden  Fällen  frage 
ich  nach  dem  Verbo  wie?  In  beide»  Fällen  wird  der  allgemei- 
ne Begriff  des  Verbi  näher  bestimmt,  also  durch  ein  Adverb. 
—  S.  173  findet  der  Rec.  in  dem  Beispiele:  „er  beschreibt  ihn 
sehr  gut, '■''  keine  Zweideutigkeit.  Es  kann  nur  der  Sinn  darin 
liegen:  er  beschreibt  ihn  so,  dass  die  Beschreibung  gut  ge- 
heissen  w«rden  kann.  Im  andern  Falle  sage  ich:  er  beschreibt 
ihn  als  sehr  gut.  —  S.  174  muss  nach  den  Worten :  „so  schreibt 
man  es  mit  einem  kleinen  Anfa?igsbuchstaben,^'-  der  Grund  hin- 
zugefügt werden:  denn  dann  ist  es  blosses  Adjectiv,  sich  auf 
das  vorangehende  oder  nachfolgende  Substantiv  beziehend.  — 
S.  175  konnte  mit  wenigen  Worten  der  Grund  angefügt  werden, 
warum  im  sächlichen  Geschleclite  die  Adjective  als  Substantive 
keine  Mehrheit  haben. 

Neunter    Abschnitt. 

Das  Zahlwort  u.  s.  w. 

S.  178  f.  Das  Zahlwort  soll  dazu  dienen,  die  Zahl  von  Ge- 
genständen einer  Art  genauer  zu  bestimmen,  und  doch  theilt 
der  Verf.  die  Zahlwörter  ein  in  bestimmende  und  nicht  be- 
stimmende. Ist  das  nicht  ein  offenbarer  Widerspruch*?  —  S. 
184:  .,.,  Aus  nicht  etwas  ist  nichts  entstanden'"'-.  Nach  welcher 
Regel  der  Etymologie?  Ist  wohl  eine  solche  Zusammenziehung 
möglich'?  Warum  soll  es  denn  nicht  aus  nichtvmA.  dem  substan- 
tivischen Nominativ  -  s  entstanden  sein  ? 

Zehnter    Abschnitt. 

Das   Zustand  s  wort  (Verb um)  «.  s.  w. 

S.  187.  Dem  Rec.  ist  es  auffallend ,  zu  lesen:  .,,ei7i  Wort.^ 
welches  —  aussagt'-'-.  Ein  Wort  kann  wohl  etwas  besagen, 
aber  nichts  «wssagen.  In  dieser  Hinsicht  halteich  es  auch  nicht 
mit  Lorberg  (  il  S.  37.),  der  das  Verbum  deutsch  Aussage- 
wort will  geuannt  wissen.  Da  ist  immer  noch  Zustandswort  das 
erträglichere.  —  Weiterhin  heisst  es:  ^^Geivühnlich  gibt  man 
jedes  Verbum  in  einer  ganz  einfachen  und  rohen  Gestalt  ohne 


256  Deutsche    Sprache. 

Beziehung  auf  eine  Person  und  daher  ohne  Fürwort  an'-'-.  Was 
ist  denn  hier  eine  rohe  Gestalt  des  Verbi  fih*  eine  Gestalt*?  Soll 
ich  darunter  diejenige  verstehen,  in  welcher  nicht  der  Begriff 
einer  Beziehung  auf  Etwas  liegt,  (wie  es  zu  sein  scheint,)  so 
kann  ich  sie  doch  unmöglich  eine  rohe  nennen.  Vgl.  Lorberg 
II  S.  38.  Der  Satz  muss  so  gestellt  werden :  Geivöhnlich  gibt 
man  jedes  Verbum ,  wenn  man  von  demselben  als  ron  einem 
selbstständigen  J forte  spricht^  also  ohne  alle  Beziehung  auf  ein 
anderes  Wort  (auf  einen  andern  Begriff)  in  derjenigen  Form 
an ,  die  den  Begriff  des  f  erbi  ohne  weitere  Nebenbegriffe  als 
den  Begriff  der  Zeit ,  ausdrückt.  Diess  ist  der  Infinitiv.  Er 
ist  nämlich  die  Bezeichnung  u.  s.w.  (nacli  Lorberg  a.  a.  O. ).  — 
Grundweise  für  den  lateinischen  Namen  Inßnitivus  zu  gebrau- 
chen, ist  ein  neuer  verunglückter  Versuch,  die  römische  No- 
raenclatur  aus  der  deutschen  Grammatik  zu  verbannen.  Falsch 
ist  auch,  was  der  Verf.  weiterhin  sagt:  ^^der  Infinitiv  enthält 
in  der  lieget  den  Statum  des  ZustaJidswortes'-'',  oder  wie  Lor- 
berg (  a.  a.  0. ) :  „  der  Infinitiv  enthält  am  einfachsten  den 
Stamm  des  Verbs  (so  würde  Rec.  nie  schreiben)".  Denn  voti  ste- 
he?i  z.  B.  ist  der  Stamm  sta ,  wie  im  Griechischen  Gtdco ,  woher 
l'ötrj^i.,  zind  im  Latein,  stao  daher  sto;  den  Stanwi  behält  aber 
das  Iniperfectum :  ich  stand.  Brechen  kommt  her  von  brach, 
lateinisch  frag.,  woher  fr agor  und  frango.,  Imperfectum  nun 
brach.  —  Gleich  darauf  heisst  es:  „/^er  Infinitiv  ist  dein  Sub- 
stantiv am  meisten  verwandt'-''.  Was  will  der  Verf.  mit  dem 
am  7neisteJt  sagen'i  Eher  liesse  sich  noch  denken:  jiahe  ver- 
wandt. Und  das  wäre  ganz  richtig,  wenn  man  es  nehmlichreclit 
versteht.  Lorberg  (a.  a.  0.)  zwar  will  das  nicht  gelten  las- 
sen. Indessen  kommt  es  darauf  an  ,  was  man  sich  unter  Ver- 
Avandtschaft  in  diesem  Falle  denkt.  Versteht  man  darunter, 
was  die  beiden  Schmidt  in  ihren  Programmen  (Ratibor  und 
Prenzlau)  über  den  Infinitiv  verstehen:  eine  so  nahe  Verwandt- 
schaft, dass  der  Infinitiv  geradezu  ein  Substantiv  sei:  so  ist 
das  freilich  unrichtig.  Es  wäre  eben  so,  als  wenn  ich  sagen 
wollte:  G/osses  sei  ein  Substantiv,  weil  ich  sagen  kann:  Gro- 
sses ziemt  dem  grossen  Geiste.  Es  bleibt  darum  immer  ein  Ad- 
jectiv.  So  bleibt  der  Infinitiv  ein  nothwendiger  Theil  des  Verbi, 
wenn  ich  ihn  auch  als  Substantiv  gebrauchen  kann.  Insofern 
aber  als  der  Infinitiv  den  Begriff  des  Verbi  ganz  nackt,  ohne 
alle  Nebenbegriffe,  den  Nebenbegriff  der  Zeit  ausgenommen, 
gibt,  also  als  für  sich  bestehend,  als  für  sich  allein:  insofern 
ist  nur  ein  kleiner  Schritt,  denselben  als  wirklich  selbstsländig 
und  als  Ilauptbegrift"  zu  betrachten.  Und  darum  könnte  man 
allerdings  von  einer  gewissen  Verwandtschaft  zwischen  Sub- 
stantiv und  Infinitiv  sprechen.  —  S.  188.  Hinsichtlich  der 
Stammwörter  hat  sicli  der  Verf.,  der  sich  überhaupt  mit  der 
Etymologie  etwas  zu  wenig  befasst  zu  haben  scheint,  hier  wie- 


Heyse's  Deutsche  Schulgrammatik ,  und  LorLcrg  s  Zusätze.     257 

der  versehen.    Liefen  kann  doch  wahrlich  kein  Stammwort  ge- 
nannt werden;  es  kommt  ja  her  von  legen\    Auch  dürfte  trin- 
ken schwerlich  hierher  gcliören;  es  mag  wohl  mit  trecken,  d.  i. 
ziehen,   und  ^/-«Ac/e  verwandt  sein.  —   Bald  darauf  heisst  es: 
aus  drwf^en  (drang)  wäre  drängen^    aus  ertrinken  ertränken. 
Gerade  umgekehrt!  Auch  bücken  kommt  nicht  von  biegen^  son- 
dern biegen  von  bücken  (Bug).  —    S.  104.    Die  Lehre  von  den 
unpersönlichen  Verben  ist  sehr  unvollständig  abgehandelt  und 
verdient   eine  gänzliche  Umarbeitung.     Die  Anmerkung,    wel- 
che S.  195  dazu  gemacht  wird  :   „ÄeAr  oft  ist  das  es  ganz  ent- 
behrlich'\    ist  ganz  entbehrlich.  —  S.  200,  Anm.  1.    Der  Verf. 
scheint  eine  unrichtige  Vorstellung  von  der  Bedeutung  der  Par- 
ticipien  zu  haben ,  wenn  er  sagt ,  dass  die  Participien  keine  be- 
stimmte Zeit  bezeichneten,    vielmehr  auf  alle  Zeiten  bezogen 
werden  könnten.     Schliesst  denn  das  Letztere  das  Erste  aus*? 
—  Anm.  2.    Ganz   falsch  ist  der  Anfang  dieser  Anmerkung: 
„  Bas  zioeite  Particip  verliert  nur  dann  seine  leidentliche  Be- 
deutung,   tvenn  es  in  Verbindung  mit  dem  Hülfsworte  haben 
zur  Umschreibung  activer  Zeitfonneu  dient''''.     Als  ob   nicht: 
ich  habe  das  Buch  gelesen,  soviel  wäre  als :  ich  habe  das  Buch, 
das  gelesen  ist  (von  mir)!    Als  ob  cognitum  nicht  das  Particip. 
Perf.  Pass.  bliebe,   wenn  ich  auch  sage:    habeo  cognitu?n.  — 
S.  202,    3  sagt  der  Verf.:    „der  neuere  und  bessere  Sprach- 
gebrauch zieht  es  vor ,   nach  den  und  den  Wörterji  das  Particip 
zu  setzen .^   statt  dass  man  fri'iherhin  den  Infinitio  set:ite'-''.    Dem 
Rec.  ist  das  kein  besserer  Sprachgebrauch ;    er  glaubt  die  alte 
Redeweise  durchaus  beibehalten   zu  müssen;    denn  1)  ist  sie 
durch  das  Alter  und  Herkommen  hinlänglich  festgestellt;    2) 
lässt  sie  sich  recht  wohl  erklären  (vgl.  Ileyse  in  der  Anraei'k.); 
3)  vermeidet  sie  den  UebeJklang,    das  Schleppende  der  Parti- 
cipien geholfen,  geheissen  u.  s.  w.  am  Ende  eines  Satzes.  Oder 
lautet  es  besser  zu  sagen:    ich  habe  ihn  kommen  gesehen,   als: 
ich  habe  ihn  kommen  sehen?  Der  Begriff  des  Sehens  ist  in  die- 
sem Falle  dem  Gewichte  nach  unbezweifelt  der  untergeordne- 
te ;  und  er  sollte  in  dem  iängern  Worte  mehr  hervorstechen  als 
der  Begriff  des  Kommens*?  —  S.  203.   Hier  will  der  Rec.  noch 
nachtragen ,  was  er  eigentlich  zu  S.  188  ff.  hätte  erinnern  sol- 
len,  dass  der  Vf.  mit  Unrecht  die  Verba  mit  denVorsylben  be 
(=  bei),  emp  (=  e«^),  ent  (^z=:a?it  avtl),  er  (^=  es  d.  i.  ea.'), 
ver  (=  dwer  dwo  duo),    zer  (=  ziver  von  zive ,   ztrei)  zu  den 
abgeleiteten    rechnet.      Sie    sind   vielmehr  zusammengesetzte. 
Weil  aber  jene  Form  der  Präpositionen  sich  mit  der  Zeit  ei- 
genthümlich  für  die  Verba  bildete,    so  trennt  der  Sprachge- 
brauch dieselben  bei  der  Conjugation  nun  nicht  mehr  von  ihren 
Verben.  —  S.  204,  Anm.  2.  Hier  konnte  der  Grund  angegeben 
werden,    warum  esheisst:    ich  stehe  auf,  und:    tveil  ich  anj- 
stehe.     Auf,  an  u.  s.  w.  ist  nehmlich  durchaus  iu  diesem  Falle 


258  Deutsche    Sprache. 

Adverbium;  wir  nennen  sie  aber ,    obwohl  fälscblich  ,  Präposi- 
tionen.    In  den  Hauptsätzen  nun,  die  durch  keine  Relative  be- 
stimmt werden,  steht  das  Verbura  vor  seinem  Adverbio ;  in  re- 
lativen Sätzen  dagegen  ganz  am  Ende  des  Satzes,   also  auch 
das  Adverbium  vor  ihm,    dem  Verbo.  —    S.  205  hat  sich  der 
Verf.  sehr  versehen  (auch  Lo r berg  II  S.  43)  hinsichtlich  der 
Beispiele  zu  den  trennbaren  Verbis.     So  heisst  es :    ich  fahre 
oder  fuhr  durch  den  Fhiss ;  er  brachte  es  hinter  das  Haus;  er 
schrieb  unter  u.  s.  w.     Hier  sind  ja  offenbar  durchs  hinter^  un- 
ter Präpositionen  mit  ihren  Casibus!  Es  soll  und  rauss  heissen: 
ich  fahre  oder  fuhr  durch  ( z.  B.  wenn  von  einem  Flusse  die 
Rede  war  ) ,   er  brachte  es  hinter  (  z.  B.  wenn  von  einem  Hause 
gesprochen  wird).    Die  letzte  Redensart:  er  schrieb  unter  (der 
Linie),   ist  ohne  ein  Hauptwort  gar  nicht  gewöhnlich,  oder  es 
muss  heissen:  darunter.  —  S.  206.    Er  handelt  miss  sagt  kein 
Deutscher,  so  viel  Rec.  weiss,   es  miisste  denn  im  Scherz  sein. 
—  S.  207  f.  Anm.    Der  Verf.  hält  fälschlich  die  Redensarten: 
ich  triirde  haben  ^   ich  würde  gehabt  haben^    für  umschreibend 
statt:  ich  hätte ^  ich  hätte  gehabt.    Bei  ich  hätte  in  Bedingungs- 
sätzen habe  icli  in  Gedanken  das  Präsens:  aber  ich  habe  nicht; 
bei  ich  tvürde  haben  das  Futurum :  aber  ich  werde  nicht  haben. 
So  bei  ich  hätte  gehabt  das  Perfectum:    ich  habe  aber  nicht  ge- 
habt;  bei  ich  ivürde  gehabt  haben  das  Futunim  exactum:   ich 
werde  aber  nicht  gehabt  habe?i.  —  S.  234,  3.  Die  Worte:  „rfer 
Gebrauch  des  Modus  richtet  sich  im  Deutschen  nicht  ?iach  Bin- 
dewörter?i^  sondern  nach  dem  ganzen  Gedanken'"'- .,    lassen  ver- 
muthen,   dass  der  Verf.  in  der  That  glaubt,    in  andern  Spra- 
chen z.  B.  im  Lateinischen  wäre  es  der  Fall,  dass  Bindewörter 
den  Modus  bestimmten.    Darüber  sind  wir  aber  Gott  Lob !  hin- 
aus, und  denken  nicht  mehr,   dass  z.  B.  ut  den  Conjunctiv  re- 
giere, sondern  dass  es  bloss  das  grammatische  Zeichen  sei  ei- 
nes Absichtsgedankens,   welcher  nothwendiger  Weise  nur  als 
zweifelhaft  und   ungewiss  in  seinem  Erfolge  durch   die  Rede 
ausgedrückt  werden  kann  und  muss,   d.h.  in  dessen  Satze  das 
Verbum  im  Conjunctiv  stehen  muss.  —    S.  235,  b.    Der  Verf. 
spricht  hier  über  die  Bedingungssätze  sehr  karg  und  ungenau. 
Liess  sich  denn  nicht  näher  angeben,  was  das  für  Bedingungen 
sind,  welche  der  Verf.  wwx  gewisse  nennt*?  Die  Sache  ist  diese: 
In   allen  Sätzen   dieser  Art   steht   der  Conjunctiv    sowohl  im 
relativen  Satze  mit  ivenn,    als  im  Folgesatze,    1)  wenn  ich  ge- 
rade das  Gegentlieil  von  dem  subsumire  ,    was  in  der  Wirklich- 
keit  entweder  in   der  Vergangenheit   oder  in   der  Gegenwart 
oder  in  der  Zukunft  statt  gefunden  hat,   statt  findet  oder  statt 
linden  wird.      Dieses  Gegentheil    des   Subsumirten    liegt  dem 
Sprechenden  dabei  jedes  Mal  im  Gedanken.     Z.  B.  Ich  ginge 
gern  auf  Reisen  .^  wenn  mir  das  Geld  dazu  nicht  fehlte.    Hier 
liegt  im  Hintergründe  der  Seele:  Es  fehlt  mir  aber.  Der  Mann 


Heyse's  Deutsche  Schulgraramatik,  und  LorLerg's  Zusätze.     259 

würde  und  könnte  f>;lüc/dicher  leben ^  wenn  er  das  Spiel 
nicht  zu  sehr  liebte.  Hier  hat  man  im  Sinne:  er  liebt  aber 
zu  sehr  das  Spiel.  Subsumire  ich  iiierbei  etwas ,  was  der  Ge- 
genwart widerspricht,  so  nehme  ich  den  Conjunctiv  des  Iraper- 
fecti;  snbsxmiire  ich  etwas,  was  der  Vergangenheit  nicht  ent- 
spricht, den  Conjunctiv  des  Plusquaraperiecti ;  subsumire  ich 
endlich  etwas ,  was  in  der  Zukunft  nicht  statt  finden  wird, 
den  zweiten  Conjunctiv  (Optativ)  des  Futuri.  II)  wenn  ich  et- 
was subsumire,  dessen  Eintreten  in  die  Wirklichkeit  noch  un- 
gewiss ist.  Z.  13.  Wenn  Du  das  thälest ,  tvürdest  Du  klug  han- 
deln. Hier  hat  man  in  Gedanken :  ich  weiss  freilich  nicht ,  ob 
Du  es  thun  wirst ;  ich  überlasse  es  Dir.  —  d.  Was  soll  hier 
das  Wort  besonders?  Eben  weil  man  in  solchen  Sätzen  die 
Wahrheit  des  Angeführten  unentschieden  lässt,  darum  der  Con- 
junctiv. —  Beim  Folgenden  beriicksichtige  der  Verf.  ja  Lor- 
bergs treffliche  Bemerkung  (II  S.  43  f.).  —  S.  236  B)  1.  Re- 
cens.  begreift  nicht,  warum  der  Verf.  durch  alle  Ausgaben  hin- 
durch so  heftig  gegen  die  Weglassung  der  Hiilfs-Verba  in  Säz- 
zen  wie  :  Da  ich  ver7iommen.,  dass  u.  s.  w.  Dass  Sie  da  geive- 
sen  u.  s.  w.  geeifert  hat.  Wie  er  dieselbe  unerträglich  fehler- 
haft finden  kann  und  nur  höchstens  dem  Dichter  verzeiht,  ist 
dem  Rec.  über  die  Maassen  auffallend  und  befremdend.  Denn 
1)  ist  in  dieser  Redeweise  gar  nicht  selten  eine  wunderbare 
Lieblichkeit  von  Kürze ,  so  dass  Rec.  sie  gerade  recht  empfeh- 
len rauss.  Die  zu  Ende  des  Satzes  höchst  schleppend  nach- 
folgenden Hülfs-Verba  werden  dadurch  vermieden.  2)  ist  es 
bisweilen  nothwendig  das  Ilülfs-Verbura  wegzulassen,  wenn 
dasselbe  Hülfs-Verbum  unmittelbar  darauf  folgt,  z.  B.  Als  ich 
diess  vernommen  habe.,  habe  ich  u.  s.  w.  Wie  unangenehm,  wie 
widi'ig  diese  Sprache !  3)  die  besten  Schriftsteller  unserer  Na- 
tion, Dichter  sowohl  als  Prosaiker,  machen  von  dieser  Frei- 
heit Gebrauch  zu  nicht  geringer  Verschönerung  ihres  Ausdruk- 
kes.  Rec.  würde  nur  vor  dem  zu  häufigen  Gebrauch  warnen 
und  zugleich  hinzufügen,  dass  diese  Weglassung  nur  dann  statt 
findet ,  wenn  das  Hülfs  -  Verbum  am  Ende  des  Satzes  steht.  — 
2.  Die  hier  gegebene  Regel  über  die  Rection  eines  Verbi  erin- 
nert an  jene  erbärmliche  alte:  Wenn  zwei  Substantive  zusam- 
menkommen, steht  das  eine  im  Genitiv.  Der  Verf.  möge  ja 
bei  Verbesserung  derselben  berücksichtigen,  wasLorberg 
( 11  S.  44. )  getadelt  hat.  —  Das  Beispiel  zu  haben  mit  dem  In- 
finitiv: .,.1  Du  hast  gut  reden'-'' .,  ist  weniger  deutlich,  als  wenn 
es  hiesse:  Du  hast  viel  Geld  liegen.  —  S.  237,  Anm.  Doppel- 
sinnige Ausdrücke  sind  das  allerdings:  ich  Hess  ihn  rufen  u.  s. 
w.,  allein  doch  nur  an  und  für  sich.  Aus  dem  Zusammenhange 
wird  leicht  hervorgehen,  was  der  eigentliche  Sinn  jedes  Mal 
sei.  Es  war  daher  unpassend  zu  lehren,  man  müsse  dergleichen 
Redensarten  meiden;  nur  vor  ihrem  Missbrauch,  da  wo  eine 


260  Deutschte    Sprache. 

Zweideutigkeit  entstehen  könnte,  war  zu  warnen.  —  In  der 
zweiten  Anmerk.  lieisst  es  fälschlich:  „/sZ  der  Infiiiiliv  das 
Subject  eines  Satzes^  so  füllt  das  Zu  weg.'-'-  Kann  ich  denn 
nicht  sagen:  Seine  Felder  zu  bekennen  und  %u  bereuen  ist  schon 
halbe  Besserung?  Demnach  muss  die  Regel  so  lauten:  Ist  u.  s. 
w^,  so  liann  das  Zu  wegbleiben.  —  c)  „^Zs  Subject  steht  der 
Infinitiv  bald  ?nit^  bald  ohtie  Artikel.'-'-  Ist  es  denn  ganz  gleich- 
gültig zu  sagen:  das  Lügeti  schadet^  und:  Lügen  schadet? 
Findet  keine  Verschiedenheit  in  den  Bedeutungen  statt?  — 
Es  raussten  also  hier  die  Fälle  angegeben  werden,  wo  das  Eine 
und  wo  das  Andere  angewendet  werden  kann.  —  S.  238  wer- 
den Sätze  wie:  ^.,  ich  fand  ihn  weinen'- .,  für  fehlerhaft  erklärt, 
weil  sie  zweideutig  wären.  Der  Zusammenhang  und  die  Stel- 
lung des  Particips  wird  selten  eine  Zweideutigkeit  zulassen. 
Dem  Anfänger  muss  in  solchen  Fällen  nur  Vorsicht  im  Gebrau- 
che empfohlen,  nicht  der  Gebrauch  selbst  untersagt  werden. — 
S.  240,  2.  Rec.  bezweifelt,  ob  jeder  ohne  gehörige  Anleitung 
natürlich  (?)  sagen  wird:  ich  bitte  ineine  Mutter.  —  S.  251. 
Ob  fragen  und  lehren  mit  Inrecht  mit  einem  doppelten  Accu- 
sativ  verbunden  werden  ,  möchte  Rec.  nicht  behaupten. 

Elfter    Abschnitt. 

Das   Neben  wort   (Adverbium)  u.  s.  w. 

S.  255.  Der  Ausdi-uck  Nebenivort  ist  nicht  bezeiclinend 
genug  für  ein  Adver biuni.  Das  Adjectiv  ist  auch  ein  PVeben- 
wort.  —  Bei  den  Worten:  „f//e  nie  bei  einem  Haupt worte 
stehen'-'- .,  fragt  es  sich,  ob  das  wirklich  der  Fall  wäre,  dass 
Adverbia  niemals  beim  Substantivo  ständen?  Sagt  man  nicht: 
der  Mann  hier.,  der  Mann  da.,  der  Man?i  dort?  —  Die  Be- 
merkung .,.,dass  NebeJiwörter  nur  da  stehen  ?nüssten,  wo  sie 
nicht  scho7i  durch  das  Zustands-  oder  Beiwort  oder  durch  ein 
anderes  Nebe?iwort  —  es  soll  wohl  vielmehr  heissen:  durch  eine 
gewisse  Form  —  e?itbehrlich  gemacht  werdeJi'-'- ^  ist  zum  Theil 
überflüssig,  zum  Theil  schielend.  Vgl.  Lorberg  II  S.  47.  Die 
Beispiele  können  die  Anfänger  durchaus  verwirren.  Es  heisst: 
.i^Z.B.  statt:  eine  mehr  erfreuliche  Nachricht  sagt  man  besser  {'i) 
ohne  ]\  ebenwort :  eine  erfreulichere  Nachricht'-'- .  —  Aber  in  wel- 
chem Falle  denn?  Jenes  kann  ja  eben  so  und  in  seiner  Art  einzig 
richtig  sein,  das  durch  den  ('oniparativ  gar  nicht  ersetzt  wird? 

—  „»So  auch  (heisst  es  weiter):  ein  Jiicht  erwarteter  Besuch; 

—  besser  (?):  ein  unerwarteter  Besuch'-'-.  Jenes  kann  in  sei- 
ner Art  eben  so  richtig  sein ,  als  dieses.  Die  stärkere  Vernei- 
nung ist:  ein  nicht  erwarteter  Besuch,  im  Gegensatze  eines  er- 
warteten Besuches.  —  Die  Bemerkung:  es  könnten  auch  einige 
Adver bia  zu  Adjectiven  gebildet  und  dann  declinirt,  zum  Theil 
auch  comparirt  werden,  wirft  zu  vielerlei  mit  einem  Male  zu- 
sammen.   DasErstere:   die  Bildung  von  Adverbien  zu  Adjecti- 


Ileyse's  Deutsche  Schulgramniatik ,  und  Lorlierg's  Zusätze.      261 

ven  gehört  gar  nicht  hierlier.  Vgl.  Lorherg  II  S.  47.  Von  der 
Comparatioii  der  Adverbia  ist  S.  238  die  Rede.  —  S.258,  III,  2. 
Warum  soll  man  denn  nicht  sagen:  bang^  behend^  heul'l  Reo. 
wird  diese  Form  immer  vorziehen,  wenn  ein  Vocal  auf  die  genann- 
ten Wörter  folgt.  Das  in  unserer  Sprache  überhaupt  zu  häufige 
A'muss  man  sich  möglichst  zu  ersparen  suchen.  Sein  Zweck  ist 
ja  auch  im  Allgemeinen  nur,  das  Zusammentreffen  der  Conso- 
uanten  zu  vermeideji.  Darum  lässt  Rec,  auch  das  E  des  Dativs 
im  Singular  weg,  wenn  das  darauf  folgende  Wort  mit  einem 
Vocale  beginnt.  Aber  warum  liess  es  denn  lleyse  auf  dem  Ti- 
tel seines  Uuches  weg'?  Dort  ist  es  offenbar  ein  Fehler,  selbi- 
ges weggelassen  zu  liaben.  —  3.  Der  Rec.  hat  noch  nie  gehört 
oder  gelesen  den  Comparativ  und  Superlativ  von  ger?i:  genier^ 
am  gemsten.  Sie  sind  gar  nicht  gewöhnlich.  Eher  noch  von 
ballig  bälder  ^  nur  nicht  bald  er  ;  doch  ist  auch  das  nicht  gut  zu 
lieissen.  Aitfs  eheste  diirfte  nicht ,  wie  der  Verf.  behauptet, 
zu  billigen  sein.  —  S.  251) ,  Anm.  Statt  mehr  unten  sagt  man 
nur:  weiter  unten.  —  4.  Das  gemeine  A\ort  %iiig  wird  ersetzt 
durch  bedeckt.  Es  muss  vielmehr  heissen:  zugemacht. —  Die 
folgende  Beiherkung  scheint  dem  Rec.  nach  dem,  was  schon 
früher  von  der  Verwechslung  der  Adjectiva  und  Adverbia  erin- 
nert worden  ist,  ganz  überflüssig.  —  5.  Hier  wird  die  Regel 
gegeben:  .,.,Gew'ühnlich  stehen  die  Adverbien  unmittelbar  vor 
dem  Worte.,  das  sie  bestimmen  sollen  2.  B.  er  hat  sich  dar- 
über sehr  gefretiet.,  nicht:  er  hat  sehr  sich  darüber  gefreuet'-''. 
Aber  der  Reo.  würde  in  einem  gewissen  Falle  gerade  sagen:  er 
hat  sich  sehr  darüber  gefreuet.  Die  ganze  Bemerkung  gehört 
übrigens  nicht  hierher,  sondern  in  die  Lehre  von  der  Wortstel- 
lung. —  S.  2(50,  6.  Die  Bemerkung  über  auf  und  offen  findet 
Rec.  ganz  überflüssig;  er  wüsste  nicht,  dass  selbst  vom  Pöbel 
beide  Wörter  verwechselt  würden.  Das  letzte  Beispiel:  ich  war 
diesen  Morgen  schoji  früh  offen.,  ist  mindestens  lächerlicli, 
wenn  nicht  gar  unschicklich.  Des  Rec.  Schüler  haben  nie  ohne 
Lachen  dasselbe  gelesen.  Auch  die  Bemerkung  b)  kann  ohne 
Weiteres  wegbleiben.  Wenn  die  beiden  Wörter:  beiläufig  und 
ungefähr  verwechselt  werden,  so  ist  es  bloss  provinciell  und  ge- 
hört nicht  in  eine  allgemeine  Grammatik :  höchstens  in  eine  An- 
merkung. —  Die  Bemerkung  unter  c)  bedarf  einer  durchgän- 
gigen Verbesserung.  AVir  sagen  ja:  loenn  iverden  wir  uns  itie- 
dersehen'f     Wann  ist  dichterisch  und  der  höhern  Prosa  eigen. 

—  Zuletzt  heisst  es  noch,  ganz  schülermässig:  .,.,Wenn  ist  im- 
mer ein  Bindewort'-':     Was  ist  denn  wann?     Nicht  auch  eins? 

—  üeber  die  Bemerkung  d)  hat  sich  Lorberg  (  S.  49  f.)  ge- 
nügend ausgesprochen.  —  S.  201 ,  g.  Der  Rec.  gesteht,  dass 
die  Bemerkung  ihm  ganz  Viberflüssig  vorkömmt,  eben  so  h).  — 
S.  2f)2,  8.  Die  Bemerkung:  .,.,EbeJi  so  übeiflüssig'-''  u.  s.  w.,  ist 
durchaus  falsch.    Nicht,  gar  nicht  überflüssig  ist  hinaus.,  her- 


262  Deutsche   Sprache. 

mis^  hinanfln  den  Beispielen:  ich  sah  aus  dem  Fe7ister  hitiaus^ 
er  kam  aus  dem  Hause  heraus^  er  kletterte  auf  den  Baum  hin- 
auf. Ist  denn  nicht  ein  Unterschied  zwischen :  er  sah  aus  dern 
Fenster^  und:  er  sah  aus  dem  Fenster  hinaus'^  Im  ei'stern 
Falle  verbindet  man  nicht  denjenigen  NebenbegrifF  mit  der  Re- 
densart: aus  dem  Fenster  sehen .^  den  man  mit  der  zweiten: 
aus  dein  Fenster  hinaus  sehen  ^  verbindet,  nehinlich  den,  dass 
Jemand  die  Dinge  wirklich  sieht,  die  draussen  sind,  z.  B.  auf 
der  Strasse,  wo  der  Sprechende  nicht  ist.  Im  erstem  Falle 
kann  Jemand  bloss  den  Kopf  zum  Fenster  hinausstecken  und  so 
in  Gedanken  versunken  sein ,  dass  er  nicht  einmal  die  Dinge 
sieht,  welche  draussen  sind.  So  ist  es  auch  mit  den  übrigen 
Beispielen.  —  ü.  Es  heisst  liier:  „M«;z  sagt  unrichtig:  Es  ist 
verboten  nicht  zu  sprechen;  richtiger'"''  u.  s.w.  —  Wozu 
der  Comparativ?  Das  setzt  voraus  ,  dass  jenes  auch  richtig  sei ! 
Und  das  möchte  wohl  der  Fall  sein.  Der  gemeine  Sprachge- 
brauch heisst  es  gut ,  zu  sagen :  es  ist  ihm  verboten ,  nicht  zu 
sprechen.  In  dieser  Sprechweise  wird  verbieten  in  dem  Sin- 
ne des  blossen  Befehlens  genommen.  —  Die  Anmerkungen 
am  Ende  der  Seite  sind  durchaus  verfehlt.  Ueber  die  erste 
hat  Lor  berg  (S.  50  f.)  schon  das  Richtige  gesagt.  Aber  auch 
die  zweite  ist  grundfalsch.  Der  Satz:  ,,  IVie  schön  ist  die  Ein- 
tracht unter  Brüdern !'•'■  ist  verschieden  von  dem  Satze:  Wie 
schÖ7i  ist  nicht  die  Eintracht  unter  Brüdern!  Der  erste  ist 
ein  allgemeiner  Ausruf,  der  erst  zu  beweisen  ist.  Der  zweite 
ist  das  Ergebniss  einer  Demonstration  z.  B.  mittels  Beispiele, 
und  ich  erwarte  bei  diesem  Ausrufe  sicher  die  Bestätigung  des 
Andern,  zu  dem  ich  spreche.  Ich  erwarte,  dass  er  sagen  soll: 
Ja!  Du  hast  Recht!  Deine  Demonstration  hat  mich  überzeugt! 
Es  verhält  sich  also  mit  diesen  Ausrufsätzen  gerade  so  wie 
mit  den  Fragesätzen.  S.  Lorberg  a.  a.  0.  Wie  kann  nun  der 
Vf.  sagen:  Nicht  wäre  in  solchen  Fällen  ein  blosses  Flickwort! 

Zwölfter    Abschnitt. 

Das  Verhältniss-    oder  Vorwort  u.  s.  w. 

S.  264,  letz.  Z.  JFegen  meiner  sagt  Niemand.  Wie  kann 
es  also  eben  so  richtig  sein ,  als  meinetwegen  ?  —  S.  265.  Die 
Präposition  nach  ist  kein  Stammwort ;  sie  kommt  her  von  nahe. 
—  Die  Präposition  zufolge  (=  zu  Folge)  gehört  zu  den  zusam- 
mengesetzten. Dahin  kann  auch  gerechnet  werden  zu  Ehren^ 
was  dieselbe  Natur  hat,  als  zufolge;  man  findet  es  freilich 
nirgends  als  Präposition  aufgeführt ,  aber  mit  Unrecht.  — ■  Die 
letzte  Abtheilung  (4)  kann  und  muss  ganz  gestrichen  werden. 
Sind  denn  nicht  alle  Präpositionen  von  andern  Sprachtheilen 
entlehnt?  Von  sehr  wenigen  wird  es  sich  nicht  sogleich  d.  h. 
ohne  tiefere  etymologische  Forschungen  nachweisen  lassen.  Bei 


Heyse's  Deutsche  Sclmlgrammatlk,   und  Lorberg's  Zusätze.     263 

den  meisten  springt  es  ohne  Weiteres  in  die  Augen.  —  Anra. 
Unter  die  fehlerhaften  Präpositionen  reclinet  der  Verf.  von  we- 
gen, llec.  hc^reiit  nicht,  aus  welchem  Grunde.  Was  ist  denn 
Fehlerhaftes  darin,  wenn  ich  sage:  von  Rechtswegen?  Dana 
wiirde  auch  um  —  willen  falsch  sein.  Wegen  kommt  nehra- 
licli  her  von  Weg,  und  Weg  heisst  in  diesem  Falle  Richtung, 
Beziehung.  Daher  der  Genitiv  bei  von  —  wegen.  Wie  un- 
richtig ist  nun  die  Anmerkung  S,  210,  von  Rechtswegen  stände 
als  Adverbiuni  und  wäre  nebst  von  Jllers  her  die  einzige  Aus- 
nahme, wo  von  den  Genitiv  nach  sich  hätte ! !  Hängt  denn  der  Ge- 
nitiv Rechts  von  von  ab,  oi[(iv  \o\\  wegen?  —  Nur  den  J)ichtern 
(nicht  auch  der  höhern  Prosa?)  soll  erlaubt  sein,  die  Präposi- 
tionen sonder,  gen  zu  gebrauchen.  Ais  ob  es  nicht  allgemein 
üblich  wäre  zu  sagen:  sonder  Gleichen,  gen  Himmel.  (Vgl. 
S.  273. )  —  Ueber  den  Grund  der  Rection  der  Präpositionen 
erfälirt  man  doch  gar  nichts.  Der  Rec.  will  nur  darauf  hin- 
weisen ,  dass  alle  deutsche  Präpositionen ,  die  den  Genitiv  re- 
gieren, von  Substantiven  herkommen,  ungeachtet  ausgenom- 
men, das  darum  den  Genitiv  bei  sich  hat,  weil  es  von  achten 
herstammt,  und  unweit,  weil  dieses  den  Begriff  der  Entfernung 
hat.  Während  ist  gebildet  aus :  im  Währen  des  u.  s.  w.  — 
S.  206.  Wie  bei  diesseit,  jenseit  die  Herkunft  angedeutet  ward, 
so  konnte  es  auch  bei  den  übrigen  geschehen,  z.B.  anstatt,  halb 
(Halbe  =  Seite)  u.  s.  f.  —  S.  268.  In  der  Anmerkung  unter 
bei  hat  sich  der  Verf.  wieder  des  Comparativs:  richtiger  be- 
dient, wo  es  nur  heissen  kann:  einzig  und  allein  richtig.  — 
S.  269.  Entgegen  und  zuwider.  Hierbei  macht  Lorberg  eine 
falsche  Bemerkung.  Er  fragt :  „  Sollte?!  entgegen  und  gegen- 
über nicht  vielmehr  blosse  Adverbien  sein,  da  sie  oft  ohne 
Hauptwort  gebraucht  werde?!?'"''  —  Viele  Präpositionen  sind  ja 
überhaupt  ursprünglich  Adverbia,  treten  aber  augenblicklich 
in  den  Kreis  der  Präpositionen,  sobald  sie  einen  Casus  regieren. 
—  S.  270,  Anm.  Der  Rec,  möchte  nicht  sagen,  dass  in  der  Re- 
densart „von  Alters  her'-''  von  den  Genitiv  regiert.  Es  scheint 
diess  s  nur  das  Binde -s  zu  sein.  —  S.  285  wird  die  Regel  ge- 
geben: „Man  sage  nicht:  für  von  ihm  erhaltene  Waaren'-'-  u. 
s.  w.  Allein  wenn  ich  nun  keine  bestimmte  Waaren  nenne? 
Wie  dann*?  Dann  kann  und  muss  ich  docli  so  sprechen!  —  4. 
Dass  die  hier  aufgezählten  zusammengesetzten  Verhältnisswörter 
gar  nicht  zusammengesetzte  Verhältnisswörter  sind,  hat  Lor- 
berg (S.  53  f.)  dargethan.  Es  springt  in  die  Augen,  dass 
der  Verf.  sich  geirrt  hat.  —  S.  286,  5.  Der  Verf.  ladet  hier 
wieder  den  Vorwurf  der  üngenauigkeit  auf  sich.  Es  ist  doch 
wahrlich  nicht  einerlei ,  ob  ich  sage :  ich  habe  es  an  Dich  be- 
richtet,  und:  ich  habe  es  Dir  berichtet?  Im  erstem  Falle  gibt 
der,  der  den  Bericht  empfangen,  ihn  weiter  an  die  Behörde. 
Im  zweiten  Falle  kommt  er  direct  an  die  Behörde.    Ein  glei- 


264  Deutsche    Sprache. 

eher  unterschied  findet  statt,  wenn  ich  sage:  ich  habe  es  an 
ineitie  Schwester  gesagt,  und:  ich  habe  es  meiner  Schwester 
gesagt.  —  Ist  es  endlich  einerlei  zu  sagen :  ick  kenne  alle  Gas- 
sen  in  der  Stadt  (d.  h.  innerhalb  der  Ilingmauer)  und  alle  Gas- 
sen der  Stadt  (d.h.  innerhalb  und  ausserhalb  der  Ringmauer)'? 
—  7.  Dass  die  Präposition  Adverbium  würde ,  wenn  sie  vor  ei- 
nem Infinitiv  zu  stehen  käme,  hält  Rec.  für  unwahr.  Auch  keine 
Conjunction  wird  sie,  wie  Lorberg  (S.  54.)  meint.  Sie  be- 
hält ihre  Natur  als  Präposition  bei. 

Dreizehnter   Abschnitt. 

Das  Bindewort  (Conjunction)  u.  s.  w. 

S.  288  fF.  Ueber  die  verschiedenen  Arten  der  Conjnnctio- 
nen,  wie  sie  der  Verf.  aufstellt,  lässt  sicli  gar  vielfach  mit 
demselben  rechten.  Er  sagt  z.  B.:  .,^  Durch  die  Bindewörter 
werden  Sätze  in  eine  solche  Beziehung  zu  einander  gestellt,  in 
welcher  sie  gleich  wichtig  neben  einander  erscheine?! ''. 
Das  stimmt  keinesweges  mit  der  Ansicht  des  Rec.  und  mit  der 
Natur  gewisser  Conjunctioneniibereiii.  So  wie  es  uehnilich  Con- 
junctionen  der  Gleichstellung  (der  Gedanken  oder  Sätze)  gibt, 
so  gibt  es  auch  Conjunctionen  des  Ilervorhebens  und  des  Tie- 
fersetzens: z.  ^i.  vorzüglich ,  vornehmlich,  zumal,  besonders, 
weniger,  tvenigstens ,  mindestens ,  minus  —  quam  u.  s.  w.  — 
Das  Folgende  ist  wieder  sehr  mangelhaft  ausgedriickt :  „durch 
die  Fügewörter  ivird  ein  Satz  als  unselbständig  oder  als  Theil 
im  Gebiete  eines  andern  diesem  zu-  oder  eingefügt'-'-.  Denn 
unselbstständig  können  u.  müssen  nach  des  Rec.  Ermessen  auch 
die  beigeordneten  genannt  werden;  auch  diese  stehen  nicht  für 
sich  selbst,  für  sich  allein  da,  sind  unselbstständige  Sätze.  — 
Die  beiordnenden  Conjunctionen  oder  Bindewörter  zerfallen  zu- 
erst in  einfach  verbindende:  der  Mann  und  die  Frau ;  und  in 
doppelt  verbindende  (verknüpfende):  der  Mann  sowohl,  als 
die  Frau.  Gleiclier  Weise  kann  das  Verhältniss  der  Ueber- 
und  Unterordnung  einfach  oder  doppelt  (  d.  h.  durch  eine  Con- 
junction der  Ueberordnung  und  eine  Conjunction  der  Unterord- 
nung) ausgedrückt  werden.  Hierauf  hat  der  Verf.  gar  nicht 
Rücksicht  genommen.  Zugleich  ist  zu  bemerken ,  dass  die  Be- 
nennungen :  Bindewörter  und  Fügewörter  sich  nicht  genug  ein- 
ander ausschliessen.  Die  anfügenden  und  fortsetzenden  Con- 
j*unctionen  können  auf  keine  Weise  als  zwei  besondere  Arten 
aufgestellt  werden.  Auch  die  eintheilenden  dürften  keine  be- 
sondere Art  ausmaclien.  Die  Ordnung  des  Ganzen  wünschte 
Rec.  weit  einfacher  und  natürlicher.  Das  Uebrige  übergehen 
wir  vor  der  Hand,  um  bei  der  Lehre  vom  Satze  noch  Einiges 
beizubringen.  —  S.  291.  Ueber  den  Einllnss  der  Conjunctionen 
auf  die  Wortstellung  scheint  hier  zu  viel  gesprochen  zu  sein; 


Hcyse's  Deutsche  Schulgramraatib ,  und  Lorberg's  Zusätze.     265 

die  Sache  gehört  doch  zumeist  in  die  Lehre  von  der  Wortstel- 
hmg.  —  S.  292  ist  als  und  da  und  indein  ohne  Grund,  und  zum 
Nachtheil  der  Erklärung  zusammengeworfen  worden.  Da  be- 
zeichnet ja  jedes  Mai  den  Grund,  und  nicht  etwas  Gleichzeitiges. 

Fünfzehnter  Abschnitt. 
Die  Lehre  vom  Satze. 
Bei  dieser  Lehre  hat  sich  der  Verf.  besonders  an  Herling 
gehalten.  Er  wird  aber  wissen,  was  für  Anfechtungen  derselbe 
hinsichtlicii  seines  Systemes  von  Schmittlien  ner ,  Krü- 
ger, Grotefend,  Etzler,  Ger nhar d  erfahren  hat.  Und 
nocli  ist  die  Saclie  niclit  gehörig  aufgeklärt ;  noch  immer  be- 
darf sie  einer  neuen  grüudlichen  Untersuchung,  die  wir  ihr 
zum  Heil  der  allgemeinen  wie  jeder  besondern  Grammatik  recht 
bald  wünschen,  llecensent  versucht  sein  Scherflein  dazu  bei- 
zutragen. S.  304  ff.  Es  kann  gar  nicht  mehr  bezweifelt 
werden,  dass  der  einfachste  Satz  nur  aus  Subject  und  Prädicat 
bestehe.  Vgl.  die  Aussprüche  vieler  trefflichen  Grammatiker 
bei  Lorberg  S.  55  f.  Das  einfachste  Prädicat  eines  Subjectes 
oder  der  einfachste,  zuerst  in  die  Augen  fallende,  bemerkbar- 
ste Begriff,  den  ich  von  einer  selbstständigen  Sache  abstrahi- 
ren  und  im  Sprechen  ihr  beilegen  kann,  ist  der  Begriff  sein. 
Jedes  Wort,  welches  ich  hinzufüge  zu  dem /si,  ist  eigentlich, 
und  einzig  und  allein  eine  nähere  Bestimmung,  eine  Ergänzung, 
Füllung,  weitere  Ausführung  des  Begriffes  sein.  Z.  B.  Gott 
ist;  Gott  ist  ewig.  Im  letztern  Falle  frage  ich:  wie  ist  das 
Sein  Gottes?  —  Wenn  icJi  spreche:  Gott  ist  wirksam^  so  will 
das  so  viel  sagen  als:  Gottes  Sein  äussert  sich  in  seinem  Wir- 
ken^ durch  sein  Wirke7i.  JVirksayn  ist  also  ebenfalls  eine  blo- 
sse Ergänzung  des  allgemeinen  Begriffes  sein.  Man  sieht  diess 
ganz  deutlich  ,  wenn  ich  spreche:  Gott  erscheint  wirksam.  Ist 
wirksam  in  diesem  Falle  nicht  eine  eben  solche  Ergänzung, 
Erfüllung,  nähere  Bestimmung  des  Wortes  erscheinen"*  Er- 
scheinen aber  und  sein  sind  sehr  verwandte  Begriffe.  Vgl.  hier- 
über Grotefend:  Grundzüge  einer  neuen  Satztheorie.  Han- 
nov.  1827.  S.  18  ff.  Freilich  lässt  sich  auch  jede  andere  Ei- 
genschaft eines  Dinges  ausser  dem  Sein  an  demselben  bemerken 
und  von  ihm  aussprechen,  ihm  unmittelbar  beilegen,  z.B.  mensa 
rotunda.  Nur  ist  diese  Art  zu  sprechen  im  Deutschen  nicht 
üblich,  ausser  in  sogenannten  Appositionssätzen,  z.  B.  Gott^ 
gross  von  Rath  imd  That^  u.  s.  w.,  und  dadurch  sind  Philoso- 
phen wie  Grammatiker  verleitet  worden,  sein  eine  Copula  des 
Subjects  und  Prädicats  zu  nennen.  Als  ob  nicht  sein  schon 
allein  ein  Prädicat  wäre!  —  S.  300.  ^^Sollen'-''^  heisst  es  da, 
„  einzelne  Bestimmungen  in  einem  Satze  Jioch  bedeutender  her- 
vortreten ,  so  können  sie  selbst  zur  Form  von  Sätzen  erhoben 
werden'"'-.     Rec.  findet  dagegen ,  dass  kein  Satz,  relativ  ausge- 

Jahrh.f.  Phil.  u.  Pädag.   Jahrg.  III.  Heß  11.  ;|g 


266  Deutsche   Sprache. 

drückt,  den  Gedanken  sonderlicher  hervorhebe,  als  z.  B.  ein 
Participialsatz.  Man  vergl.  nur  das  von  Heyse  gegebene  Bei- 
spiel. —  Die  Eii/theilnng  der  Sätze  in  Haupt-  und  Nebensätze 
deucht  dem  Recens.  ganz  unpassend,  so  allgemein  sie  auch  ist. 
Sie  verwirrt  von  vorn  herein  die  ganze  Lehre  vom  Satze.  Man 
theile  sie  vielmehr  ein  in  selbstständigc  (für  sich  bestehende 
und  für  sich  verständliche)  und  in  nicht  selbstständige  (die 
nicht  für  sich  bestehen  und  für  sich  vollkommen  verstanden 
werden  können,  die  nicht  ohne  eine  gewisse  Beziehung  auf 
andere  Sätze  sind).  Voran  ist  aber  noch  zu  schicken  die  Ein- 
theilung  der  Sätze  in  bejahende  und  verneinende,  ferner  in  zu- 
verlässig gewisse,  schlechthin  behauptende,  und  ungewisse.  Zu 
den  letztern  gehören  die  Fragsätze ,  zu  den  ersten  die  Ausruf - 
und  Heischsätze.  Hiervon  hat  der  Verf.  gar  nichts  gesagt.  — 
Die  unselbstständigen  Sätze  zerfallen  wieder  1)  in  solche,  die 
mit  andern  verbunden  sind  durch  das  Band  der  Beiordnung, 
welches  Band  entweder  einfach  (z  B.  das  blosse  iind^^  oder 
doppelt  d.  h.  so  sein  kann,  dass  von  den  zwei  verbundenen  Säz- 
zen  jeder  ein  Bindewort  hat  (z.  B.  et  —  et^  theils  —  theils^  nicht 
mir — sonder?i  auch);  2)  in  solche,  die  im  Verhältniss  der 
Unterordnung  stehen  (untergeordnete,  abhängige  Sätze),  wo- 
bei zu  merken  ist,  dass  diese  Unterordnung  im  Allgemeinen 
nur  geschieht  unter  ein  Wort,  das  den  BegriflF  einer  Operation 
des  Geistes  (in  logischer,  moralischer,  ästhetischer  Hinsicht) 
oder  des  Sprechens  andeutet.  Man  nehme  z.  B.  die  Sätze  und 
Redensarten:  ick  denke,  dass  u.  s.w. ,  es  ist  glaublich,  dass 
u.  s.  w. ,  die  Vernmthimg,  dass  u.  s.  w. ,  es  ist  gut,  dass  u. 
g.  w. ,  es  ist  recht,  dass  u.  s.  w. ,  es  ist  schö?i,  dass  u.  s.  w.,  ich 
behaupte,  dass  u.  s.  w. ,  ich  frage,  ob  u.  s.  w.  —  Die  Unselbst- 
ständigkeit  der  ersten  Art  und  zwar  der  nur  einfach  verbunde- 
nen Sätze  wird  grammatisch  angedeutet  a)  durch  ein  Deraon- 
strativum,  sei  es  Pronomen  oder  Partikel  (demonstrative  Sätze); 
b)  durch  ein  Relativum  ,  sei  es  Pronomen  oder  Partikel  (rela- 
tive Sätze);  c)  durch  eine  Conjunction  von  Substantiven,  Ad- 
jectiven,  Zahlwörtern  u.  s.  w.  hergenommen  z.  B.  erstens,  fer^ 
ner  u.  s.  w.  Die  Unselbstständigkeit  der  doppelt  verbundenen 
Sätze  wird  ausgedrückt:  ])  durch  ein  Determinativ  (sei  es  Pro- 
nomen oder  Partikel)  und  ein  ihm  entsprechendes  Relativ  z.  B. 
so  (von  t6,  tc5)  —  wie  (von  wer)',  umnn  (von  wer)  — dann 
(von  der);  2)  durch  Conjunctionen  von  Substantiven  u.  s.  w. 
hergenommen  z.B.  theils  —  theils.  —  Die  Unselbstständigkeit 
der  untergeordneten  Sätze  wird  a)  gar  nicht  besonders  ausge- 
drückt; der  untergeordnete  Satz  wird  ganz  nackt  dem  über- 
geordneten Worte  beigesetzt  z.  B.  der  Glaube,  es  ist  ein 
Gott,  b)  eingeleitet  durch  ein  Relativum,  sei  es  Pronomen 
oder  Partikel  z.  B.  der  Glaube,  dass  (==  ort,  quod,  eigent- 
lich eine  Art  von  Attraction   für:    der  Glaube   dessen,  dass 


Hcysc's  Deutsche  Schulgrammatik ,  und  Lorbcrg'ä  Zusätze.     267 

11.  s.  w. )  ein  Gott  sei;  ich  zweiße^  ob  u.  s.  w.,  d/t  weisst^ 
wie  angenehm  mir  es  ist  u.  s.  w. ,  ich  frage,  tvelchei'  es 
gewesen  ist?  In  den  letztern  Fällen  verwechsele  man  nicht  das 
Frag  -  und  Ausrufwort  mit  dem  Relativ ,  wie  es  so  häufig  ge- 
schieht. Wenn  ich  sage:  ich  frage:  welcher  ist  da  geivesen? 
so  ist  welcher  das  BVagwort;  wenn  ich  dagegen  spreche:  ich 
frage ,  welcher  da  gewesen  ist ,  so  ist  tvelcher  das  Relativ.  Man 
sieht  es  im  Deutschen  sogleich  an  der  Stellung  des  Verbi.  Auf 
gleiche  Weise  verhält  es  sich  mit  den  Ausrufsätzen.  —  Weiter 
kann  man  nun  die  Sätze  noch  eintheilen  nach  ihrem  verschiede- 
nen Inhalte.  Die  Ausführung  gehört  nicht  hierher;  hier  sollte 
bloss  auf  das  Richtige  in  der  allgemeinen  Anordnung  der  Lehre 
von  den  Sätzen  hingewiesen  und  damit  stillschweigends  ange- 
deutet werden ,  wie,  dem  Reo.  wenigstens,  weder  H er lings, 
noch  Krügers,  noch  Grotefends  Theorie  geniiget. 

S.  312,  A.  1.  „Z>2e  erstere  [Art  der  Versetzung],  loo  die 
Aussage  (  soll  und  muss  heissen :  das  Verbum  )  de?i  Satz  eröff- 
net ufid  das  Ausgesagte  defiselben  schliesst ,  kommt  als  tpill- 
kürlicher  Zierr ath  der  Redemir  selten  bei  Dichtern  vor, 
ist  hingegen  immer  nothwejidig  in  fragenden^  befehlenden,  bit- 
tenden und  uninschenden  Sätzen'-''.  Hier  ist  zu  bemerken ,  1) 
dass  der  Ausdruck  tvillkür lieber  Zlerrath  schlecht  gewählt  und 
falsch  ist.  Sage  ich  denn  nicht  —  darauf  hat  der  Verf.  gar 
nicht  aufmerksam  gemacht  —  :  a)  fragweise :  Sie  haben  mei- 
nen  Wunsch  erfüllt?  b)  befehlend:  Das  Glas  hole!  Sie  thun, 
ums  sie  können!  c)  bittend:  Das  Glas  hole  doch!  2)  konnten 
die  bedingenden  und  einräumenden  Sätze,  von  denen  erst  S. 
313  die  Rede  ist,  hier  gleich  mitgenommen  werden.  —  S.  313, 
2.  Rec.  begreift  nicht,  wie  der  Verf.  sagen  kann:  ,^die  ztveite 

Versetzung ist  bloss  ivillkürlich'-'' ,    noch  obendrein, 

da  er  ganz  richtig  hinzufügt:  ,,iind  dient  zu  stärkerer  Hervor- 
hebung des  Prädicatbegriffes'-'-.  Ist  sie  denn  also  willkVirlich? 
Hier  waren  gerade  gesetzliche  Bestimmungen  nöthig,  wo  diese 
Versetzung  anzubringen  sei.  —  S.  314f.  Anmerk.  ^, In  fragen- 
den  Sätzen,  die  mit  der  Aussage  (?)  selbst  beginnen,  müssen'-'' 
u.  s.  w.  Müssen'?  Kann  ich  denn  nicht  sagen:  Die  Kirche  ist 
schön?  Schön  ist  die  Kirche?  Der  Verf.  hat  durchaus  überse- 
hen, dass  die  Fragsätze  eine  verschiedene  Wortstellung  haben 
und  haben  müssen,  je  nachdem  der  Sinn  anders  ist.  —  Die 
schöne  Redeweise,  die  er  im  Folgenden  berührt,  musste  mit 
weit  mehr  Geschmack  behandelt,  ihr  weit  grössere  Aufmerk- 
samkeit geschenkt  werden. 

Se chzehnter    A bs  chnitt. 
Von  der  Zeichensetzung  oder  Interpunction. 
Hier  fehlt  das  Zeichen  des  Tadels,    der  Verwunderung  (! 
oder  !  !  )  und  der  ironischen  Frage  (  ?  oder  ?  ! ). 

18* 


268  Deutsche    Sprache. 

Siebzehnter   Ab schiiitt. 
Von   der   Verslehre    oder  Metrik. 

Hier  vermisst  der  Rec.  eine,  wenn  auch  nur  kurze  Darstel- 
hing  der  Bedeutiu^g  der  Buclistaben  und  Sylben  hinsichtlich 
der  Malerei  durch  den  Vers;  sodann  eine  kurze Wiirdigung  der 
einzehien  Fiisse,  Verse  und  Versarten,  für  welche  Gedichte 
sie  passen  ,  bei  welchem  Stoffe  sie  anzuwenden  u.  s.  w.  Je  sel- 
tener davon  in  den  Schulen  gesprochen  wird,  je  geringere 
Kenntniss  davon  selbst  manche  Lehrer  haben,  desto  mehr  muss 
eine  solche  Anweisung  zur  Verskunst ,  als  die  gegenwärtige  ist, 
darauf  liinweisen. 

Das  im  Obigen  Gegebene  möge  dem  verdienten  Verf.  ein 
Zeugniss  sein ,  welch  lebhaftes  Interesse  der  Ilec.  an  der  Ver- 
vollkommnung des  grammatischen  Unterrichtes  in  der  deut- 
schen Sprache  iiberhaupt  und  insbesondere  des  angezeigten  und 
beurtheilten  Werkes  nimmt,  und  wie  sehr  er  wünscht,  dass 
des  Verfs.  Ruhm  sich  noch  mehr  verbreite,  nocli  fester  be- 
gründe. Möchte  sich  der  würdige  Mann  nur  veranlasst  fühlen, 
uns  nun  bald  auch  eine  systematisch,  nach  Etymologie  und  Syn- 
tax geordnete  deutsche  Grammatik  zu  liefern,  wie  wir  sie  auf 
Gymnasien  hauptsächlich  nöthig  haben. 

Was  Nr.  II  oder  die  Zusätze  von  Lorberg  zii  Heyse's 
Lehrbüchern ,  namentlich  zur  Schulgrammatik  anbetriift :  so 
verfolgte  der  Verf.  dabei  diese  Idee:  „üra  allmälig  ein  voll- 
komraneres  Lehrbuch  der  deutschen  Sprache  zu  erhalten,  schien 
es  ihm  weit  zweckmässiger,  wenn  Viele  zu  diesem  Zwecke  zu- 
sammenwirkten ,  als  wenn  Jeder  bei  dem  Gefühle  der  Mängel 
eines  frühern  Lehrbuches  ein  neues ,  besseres  abzufassen  be- 
mühet wäre".  (S.  I  Hft.  Vorrede.  S.  IV.)  Eine  treffliche  Idee, 
der  wir  recht  viele  Anhänger  und  Freunde  wünschen,  nicht 
bloss  bei  Bearbeitung  der  deutschen  Grammatik ,  sondern  auch 
anderer  Wissenschaften.  Was  könnte  dadurch  Herrliches  ge- 
schaffen werden.  —  3Ian  kann  dem  Verf.  nicht  das  Lob  versa- 
gen, dass  er  mit  Liebe  zur  Saclie  verfahren  und  mit  Freimü- 
thigkeit,  die  zugleich  mit  Scharfsinn  verbunden  ist,  auf  viele 
und  wesentliche  Mängel  der  Heyseschen  Lehrbücher  liingewie- 
sen  hat.  Heyse  liat  das  erkannt ,  und  bei  der  siebenten  Aus- 
gabe seiner  Schulgrammatik  das  erste  Heft  der  Lorberg'schen 
Schrift  vielfach  benutzt.  Hoffentlich  wird  er  es  auch  mit  dem 
zweiten  so  machen.  Zugleich  einpfehlen  wir  allen  Freunden 
der  deutschen  Grammatik  diese  Zusätze  sowohl  zur  Beachtung 
beim  Unterrichte  als  zu  vielfältiger  Belehrung  und  Anregung 
ihrer  selbst.  Wir  wünschen,  dass  Hr.  Lorberg  seinen  Zweck 
fernerhin  verfolgen  möge  und  könne,  auch  dass  ihm  zu  die- 
sem  Ende   seine  im   ersten  Hefte    (Vorrede  S.  VII.)  geäu- 


Anzeigen.  209 

sserte  Bitte   erfüllt,    und   er  mit  Uciträgcn  von  Andern  ver- 
seben werde. 

Hefftcr  in  Brandenburg  a.  d.  Havel. 


11     z     c     1    g     e    11. 


Memoire  geographique  et  numismatique  sui  la 
partie  Orientale  de  la  B  urbar  ie  appellee  ^fri- 
kia  par  les  Ar  ahes  ^  suivi  de  Rech  er  dies  siir  les 
B erheres  Atlantiques^  anciens  habitans  de  ces 
cont r e  e S.  Par  le  C'*=.  Ch".  Od''.  CastigUoni ,  membrc  associe 
ctranger  de  la  Societe  Asiaüque  de  Paris.  *A  Milan  de  rimprime- 
rie  imp.  et  royale.  1826.  127  S.  gr.  8. 

Wiese  sebr  gelebrte  und  für  die  Numismatik  und  Gescbicbte 
der  Araber  in  Africa  sebr  wicbtige  Scbrift  gebort  nacb  beiden 
genannten  Beziebungen  weniger  in  den  Bereich  der  Jabrbücber, 
wobl  aber  binsicbtlicb  der  geograpbiscben  Forscbungen ,  wel- 
che in  ihr  über  Nordafrica  niedergelegt  sind  und  welche  iiber 
die  alte  und  mittle  Geographie  dieses  Landstriches  viel  neue 
Resultate  geben.  Der  Verf.  hat  die  geographischen  Untersu- 
chungen auch  selbst  zur  Ilauptrichtung  seiner  Schrift  gemacht, 
und  erklärt  in  der  Vorrede:  „Les  progres  que  la  Geographie 
Numismatique  des  Mohametans  a  fait  en  Europe  n'  empechent 
pas  qu'clle  ne  nous  offre  encore  bien  des  problemes  ä  re'soudre. 
Cela  a  lieu  surtout  par  rapport  de  VJfrikia.,  ou  Afrique  pro- 
prement  dite,  des  Arabes.  Cette  considcration  m'  a  engage  ä 
essayer  d'eclaircir  l'origine  et  les  vicissitudes  des  villes  de  cette 
contree ,  dont  les  monnoies  arabes  sont  arrive'es  jusqu'  a  nous." 
Die  Scbrift  zerfällt,  wie  schon  der  Titel  zeigt,  in  zweillaupt- 
tbeile,  von  denen  der  erstere  mehr  für  die  mittle,  der  zweite 
mehr  für  die  alte  Geographie  wichtig  ist.  Der  erste  Theil  näm- 
lich (S.  5  —  66)  weist  die  geograph.  Beschaffenheit  von  Africa 
propria  zur  Zeit  der  Araber  u.  namentl.  die  Lage  u.  damal.  Wich- 
tigkeit der  Städte  Afrikia,  Mahdia,  Abbasia,  Cairoan,  Mansura, 
Tunis,  Tripolis  und  Algier  nach,  und  verbreitet  sich  zugleich 
über  die  Geschichte  der  Feldzüge  der  Araber  in  dieser  Gegend, 
welche  noch  S.  67  —  82  durch  besondere  Exciuse  und  Unter- 
suchungen über  mehrere  Arabische  Fürstenfamilien  in  Africa 
aufgehellt  wird.  Der  zweite  Theil,  8.83  —  127,  verbreitet 
sich  über  Ursprung,  Alter  und  Sprache  der  Berbern,  verwirft 
lütter 's  Vermuthuugeii  über  den  Ursprung  dieses  Worts  und 


270  Anzeigen. 

stellt  eine  eigene  Meinung  über  Wort  und  Volk  auf.  Beide 
Theile  sind  mit  ganz  vorzüglicher  Gelehrsamkeit  ausgestattet, 
und  die  Resultate  mit  einem  Scharfsinn  und  einer  Umsicht  ge- 
zogen ,  tlass  sie  auch  da,  wo  man  mit  denselben  nicht  überein- 
stimmen möchte,  wenigstens  sehr  geistreich  bleiben.  Diess 
nun,  verbunden  mit  der  Wichtigkeit  des  Gegenstandes  selbst, 
liat  uns  bewogen,  eine  gedrängte  Uebersicht  der  gezogenen  Re- 
sultate in  soweit  zu  geben,  als  wir  alles,  was  Arabische  Ge- 
schichte und  Münzkunde  angeht,  ausgeschieden,  und  nur  das 
Geographische  festgehalten  haben.  Da  die  Schrift  in  Deutsch- 
land nicht  so  gar  häufig  seyn  wird,  so  hoffen  wir  auf  diese 
Weise  wenigstens  mit  den  für  das  classische  Studium  wichtigen 
Resultaten  und  der  Hauptbeweisführung  bekannt  zu  machen, 
wenn  wir  auch  die  ausführlichere  Erörterung  des  Einzelnen  und 
namentlich  die  zahlreichen  Beweisstellen,  besonders  die  aus 
den  Arabischen  Schriftstellern  entnommenen  ,  übergehen  müs- 
sen.    Der  Hauptinhalt  der  Schrift  ist  demnach  folgender: 

Das  Africa  propria  der  Römer  nannten  die  Arabischen 
Geographen  Afrikia^  umfassten  aber  mit  diesem  IVamen  nicht 
bloss  die  Landstriche  Zeugitana  undByzakion,  sondern  dehn- 
ten dessen  Umfang  auch  auf  Tripolis,  Numidien  u.  einen  Theil 
von  Mauritania  Caesariensis,  ja  in  weiterem  Umfang  selbst  auf 
Cyrenaica,  die  Oase  des  Amnion  und  einen  Tlieil  des  Gebiets 
von  Piiazania  aus.  Afrikia  umfasste  sonach  das  Gebiet  des 
lieutigen  Tripolis  und  Tunis,  die  östlichen  Theile  von  Algier, 
die  Oase  von  Sivvah,  Gadamis  und  einen  Theil  von  Fezzan.  Seine 
westliclien  Grenzen  sind  unbestimmt,  indem  es  bald  bis  Bugia, 
bald  bis  Meliana  vorgerückt  wird.  Als  Hauptstädte  dieses  Lan- 
des in  der  Araberzeit,  welche  auf  den  bis  jetzt  bekannten  Mün- 
zen vorkommen ,  werden  sieben  erwähnt,  nämlich: 

I)  Afrikia  und  Mahdia.  (S.  5  — 23.)  Die  Stadt  Afri- 
kia kommt  auf  Arabischen  Münzen  von  113  — 192  der  Hid- 
schret  (731 — 808  n.  Ch. )  vor,  und  wird  von  Fr  ahn  und 
Mars  den  für  Cairoan  gehalten,  weil  dieses  während  dieser 
Zeit  die  Hauptstadt  der  Provinz  Afrikia  war,  die  Araber  aber 
überhaupt  die  Sitte  haben ,  den  Namen  der  Provinz  aucli  zu- 
gleich als  Namen  der  Hauptstadt  zu  gebrauchen.  Allein  offen- 
bare Zeugnisse  streiten  dagegen:  denn  Baku i  und  Ibn  Hau- 
kai führen  geradezu  Afrikia  und  Cairoan  als  zwei  verschiedene 
Städte  dieser  Provinz  auf,  und  in  demFriedensschluss  zwischen 
Tunis  und  Pisa  von  1^(55  (bei  Lunig  Cod.  diplomat.  T.  I  p. 
1067.)  wird  Afrikia  als  Seestadt  erwähnt ;  Cairoan  aber  lag  36 
Meilen  vom  Meere  entfernt.  Afrikia  ist  also  wohl  eine  Stadt, 
welche  vor  Cairoan  Hauptstadt  war.  Diess  aber  ist  die  von  den 
Geographen  wenig  gekannte  Stadt  Zuveila^  welche  man  nur 
nicht  mit  dem  in  Fezzan  liegenden  Zuveila  [Zuilah,  Zuela, 
Sylah  bei  Ritter,   Erdkunde  Th.  1  S.  990  u.  995.]  verwech- 


Castiglioni ;   Mc-nioire  gcographiciue  et  numismatiquc.         271 

sein  darf.  Letzteres  ward  den  Arabern  erst  unter  Obeidallah 
ben  Khabkliab  bekannt,  ersteres  aber  schon  unter  dem  Kliali- 
fen  Othman.  Denn  schon  im  ersten  Feldzuge,  welchen  die 
Araber  in  Airica  machten,  und  bei  welchem  ihr  Zug,  wie  die 
Eroberung  von  Suiietula  (Sebtala)  zeigt,  durch  Cyrenaica, 
Tripolis  und  Byzacina  [Byzakion]  ^^ing,  kamen  sie  nach  den 
Berichten  Orientalischer  Schriftsteller  von  Barca  bis  Zuveila, 
und  die  Statthalter  wohnten  vor  der  Griinduiig  Cairoans  (im  J. 
C70.  )  bald  in  Barca,  bald  in  Zuveila.  Dieses  Zuveila  nun  lag 
nach  Nuvairi  nur  einen  Lanzenwurf  von  Mahdia  und  galt  zu 
Yakuts  Zeit  für  eine  Vorstadt  des  letzteren.  Mahdia  aber 
ward  erst  vom  Khalilen  Obeidallah  el  Mahdi,  nachdem  er  sich 
296  durch  Vertreibung  der  Agiabiten  zum  Herrn  der  Berberei 
gemacht  hatte,  im  J.  300  (911  und  912  n.  Chr.)  erbaut,  und 
konnte  sich  natürlich  erst  nach  und  nach  zu  einer  bedeutenden 
Stadt  und  dahin  erheben,  dass  man  Zuveila  als  einen  Theil  da- 
von ansah  ,  und  beide  Städte  unter  dem  Namen  Mahdia  verein- 
te. Zuveila  war  also  vom  Anfange  Hauptstadt  der  Provinz,  und 
dass  es  Afrikia  genannt  wurde,  wird  nicht  bloss  durch  die  Sitte 
der  Araber,  die  Hauptstadt  nach  der  Provinz  zu  benennen,  son- 
dern auch  durch  folgende  Umstände  erwiesen.  Baku!  und  Ihn 
Haukal  führen  unter  den  Städten  der  Provinz  Afrikia,  neben 
Cairoan,  Mahdia  u.  Zuveila  inFezzan  auf,  lassen  aber  die  See- 
stadt Zuveila  unerwähnt  *).  Italische  Chronisten  aber  legen 
den  Namen  Afrikia ,  den  sie  nur  in  Affrica  oder  Africa  verän- 
dert haben,  nicht  bloss  der  Stadt  Zuveila,  sondern  auch,  ge- 
gen den  Gebrauch  der  Araber,  der  Stadt  Mahdia  bei.  Daher 
erzählen  sie,  dass  die  Pisaner  und  Genueser  1088  Almadia 
(Mahdia)  um\  Sibilia  (Zuveila)  an  einem  Tage  eroberten  (s. 
Muratori  Rer.  Ital.  T.  VI  c.  168.)?  während  die  Orientali- 
schen Geschichtschreiber  nur  von  der  Eroberung  der  Stadt  Zu- 
veila durch  die  Franken  und  Griechen  in  diesem  Jahre  spre- 
chen; dass  die  Sicilier  die  Stadt  Africa  eine  Zeitlang  besa- 
ssen  (3Iuratori  V  c.  65,  VII  c.  271,  XII  c.  283;  wo  die 
Orientalen  wieder  diese  Stadt  mit  dem  Namen  Mahdia  bezeich- 
nen.); dass  rex  Maroc  reddidit  regi  Siciliae  Africam  et  Sibi- 
liam  (oder  Sybillam)^  u.  a.  ra.  —  Uebrigens  scheint  mau  in 
dieser  spätem  Zeit  Afrikia  oder  Zuveila  für  den  Hafen  von 
Mahdia  angesehen  zu  haben,  und  es  wird  erwähnt,  dass  der- 
selbe östlich  von  der  Stadt  lag.  Die  Lage  von  Afrikia  aber 
giebt  Berlinghieri  im  4teu  Buch  seiner  Geographie  sehr 
genau  an: 


*)  Diess  könnte  wohl  auch  daher  kommen ,   weil  sie  Mahdia  und 
Zuveila  bereits  für  eine  Stadt  ansahen.  [  C.  J.  ] 


212  A    n  z  e   i   g   e  n. 

Ruspina  vedi  et  Lepti  parva  insino 

Ad  Tliapso  nilra  ove  si  vede  Susa, 

Acliola ,    et  piü  verso   Euro   matutlno 
Affrica  et  Ruspe,    et  poi  vedi  diffu&a 

Brachode  puncta,  etUsilla,  et  Paphrura  [  Taphrura? ] 

La  Sirte  breve  echo   che  si  recusa. 

und  der  Venetianer  Alvise  da  Mosto  berichtet,  dass  Jlf- 
frica  260  Millieu  von  Tripolis  lag.  Die  Stadt  Mahdia  aber  darf 
man  nicht  verwechseln  mit  dem  ebenfalls  von  Obe'idallah  el 
Mahdi  erbauten  [oder  erweiterten]  Almadia ^  das  15  Lieues 
südlich  von  Algier  lag  und  früher  Aljara  hiess.  Eben  so  we- 
nig mit  dem  von  Muhammed  ei  Mahdi  erbauten  Mahdia  in  Fez, 
welclies  wahrscheinlich  das  Kalaat  Mahdi  (Schloss  des  Mahdi) 
bei  Edrisi  ist.  Auch  die  Stadt  Temmelet  in  Marocco  und  die 
Städte  Mahmora  (am  Ausfluss  des  Subu)  und  Rabat  (am  Aus- 
fluss  des  Burragrag)  in  Fez  führten  den  Namen  MßArf/ß.  Die 
letzte  ist  das  Kalaat  Mahdi  des  Abulfeda.  —  Afrikia  und 
Mahdia  aber  lagen  jedenfalls  auf  der  Stelle  eines  schon  zur  Rö- 
raerzeit  nicht  unbedeutenden  Ortes:  denn  Shaw  fand  dort 
Ruinen ,  die  über  der  Araber  Zeit  hinaus  zu  gehen  schienen. 
Nur  darf  man  in  diesen  Ruinen  nicht  das  Aphrodisiuin  des  Pto- 
lemaeus  wiederfinden  wollen;  denn  dieses  hat  Shaw  gewiss 
richtig  in  Faradis  gesucht.  Auch  Adrumetum  ist  es  nicht,  wel- 
ches man  aber  auch  nicht  mit  Shaw  nach  Herclah  (Ilerekla) 
setzen  darf.  Herclah  ist  die  alte  Horrea  Coelia ,  Adrumetum 
aber  ist  Susa^  wie  sich  sogleich  ergiebt,  wenn  man  dieDistance 
zwischen  Herclah  und  Susa  und  zwischen  Susa  und  Lempta 
(Leptiminus,  Leptis  minor)  auf  Shaw's  Charte  mit  dem  Itine- 
rariura  des  Antoninus  vergleicht.  Auch  ist  es  erwiesen ,  dass 
Susa  einen  Hafen  hatte  und  noch  hat  [Ritter  Ip.  921.],  was 
Shaw  bezweifelte.  Er  irrt  also  eben  so  als  Danville,  wei- 
cher Susa  in  dem  Cabarussis  des  Augustinus  sucht,  welches  ein 
von  Adrumetum  verschiedener  Bischofssitz  war,  dessen  Lage 
ungewiss  ist.  Die  Araber  bezeichneten  mit  dem  Namen  Sus  und 
Magreb  die  Küsten  von  Africa,  Spanien  und  Portugal,  und  weil 
sie  die  Hauptstädte  der  Provinzen  mit  gleichem  Namen  nannten, 
so  findet  man  in  Africa  vier  Susa.  Das  erste  ist  das  alte  Ar- 
sinoe,  das  heutige  Suez;  das  zweite  Marza  Stisa  (der  Hafen 
Susa),  das  alte  Apollonia  (der  Hafen  von  Cyrene);  das  dritte 
Adrumetum^  welches  in  der  letzten  Zeit  der  Römerherrschaft 
Hauptstadt  von  Byzakion  war  und  von  Justinian  Justinianopolis 
(s.  Corippus  Johann.  IV,  64  u.  75.  Procop.  de  aedific.  VI,  0.) 
genannt  ward;  das  vierte  Tartidant,  welches  die  Hauptstadt 
des  Theils  von  Africa  gewesen  zu  seyn  scheint ,  den  die  Ara- 
ber Sus  elAksa  (das  entfernte  Sus,  s.  Ritter  I  p.  887.)  nen- 
nen.    Afrikia  aber  lag  zwischen  Leptiminus  und  Sallecto  (Casr 


Castiglioni :  Memoire  gcograplüque  et  numläiuatiquc.         273 

Sallecta  bei  Edrisi ).  Auf  dem  Wege  zwischen  diesen  beiden 
Orten  lag  nach  der  Peiitingersclicn  Tafel  auch  Thapsua  in  sol- 
chem Zwischenräume,  dass  man  daselbst  (iuThapsus)  zwei 
Drittel  des  Wegs  zuriickgelegt  hatte:  wesshalb  Shaw  dessen 
Ruinen  richtig  zu  J)etnass  sucht.  Aus  Strabo  p.  831  ed.  Ca- 
saub.  ergiebt  sich,  dass  Ituspinu  ^  Thapsus ^  Zella  uwA.  Acholla 
an  der  Kiiste  auf  einander  folgten  (vgl.  Morcelli  Afiica  Cliri- 
sliana  T.l  p.  310  u.  370,  Labbeus  Cojtcü.  T.  II  c.  1577.), 
und  dass  Zella  nur  in  geringer  Entfernung  östlich  von  Thapsus 
lag.  Dieses  Zella  nun,  welches  nach  Cellarius  mit  dem 
Zetta  [Zeta]  des  Ilirtius  (Bell.  Afric.  (iH.)  einerlei  und  dort  in 
Zella  zu  verbessern  ist,  scheint  Zuveila  oder  Afrikia  zu  seyn. 
Als  Bestätigung  kann  dienen ,  dass  auch  das  Fezzanische  Zu- 
veila nach  Lyon  Zella  *)  genannt  wird. 

II)  Abbasia.  (S.24  —  29.)  Diesen  Namen  findet  man 
häufig  auf  Miinzen  aus  der  Khalifenreihe  der  Abbasiden ,  und 
man  verstellt  ihn  gewöhnlich  von  einem  Quartier  der  Stadt  Bag- 
dad. Doch  hat  schon  Fr  ahn  (Nura.  Kuf.  ex  var.  museis  p.  35 
if.)  diese  Meinung  abgewiesen.  Eine  Stadt  Abbasia  lag  bei 
Naharmalca  zwischen  dem  Tigris  und  Euphrat,  eine  zweite  in 
Aegypten ,  eine  dritte  bei  Cairoan  in  Afrikia.  Die  letzte  ist 
■wahrscheinlich  das  Casr  Cairoan  ( Schloss  von  Cairoan )  bei 
Yakut  und  derselbe  Ort,  der  gewöhnlich  Raccada  oder  Ri- 
fada  ( bei  C  a  r  d  o  n  n  e  fälschlich  Rica  ) ,  was  nur  verschiedene 
Schreibart  ist,  genannt  wird.  P^s  lag  4  Meilen  von  Cairoan, 
und  ward  ohne  Zweifel  von  den  Arabern  befestigt  und  dann 
Abbasia  genannt.  Doch  hat  es  wohl  nicht  lange  über  die  Herr- 
schaft der  Abbasiden  hinausgedauert;  denn  gleich  nach  dem 
Beginn  der  Regierung  der  Fathimiten  wird  es  nicht  weiter  er- 
wähnt. 

III)  Cairoan  (Kairouan  bei  Ritter  S.  913).  S.  30  — 
33.  Falsch  hat  man  diesen  Namen  lange  Zeit  von  Cyrene  ge- 
deutet**), welches  jedoch  von  dem  in  Byzakion  liegenden 
Cairoan  iiber  600  Meilen  östlich  lag.  Cyrene  ward  im  zweiten 
Feldzuge  der  Araber  in  Africa  [im  J.  605.]  zerstört,  und  die 
Ruinen  heissen  bei  Elmacinus  Knren^  jetzt  Grenna.  Cai- 
roan aber  ward  erst  im  J.  50  der  H.  (660  u.  670.)  unter  dem 
Khalifen  Moavia  von  Ocbah  ben  Nafeh  erbaut  und  befestigt, 
und  lag  nach  den  Arabischen  Geographen  mitten  in  einem  Ge- 
hölz der  Wiiste,  nach  S  h  a  w '  s  Untersuchungen  und  den  alten 
Itinerarien  an  der  Stelle  des  Bischofssitzes  Vicus  Aiigusti  in 
Byzakion.  s.  AI  o  r  c  el  1  i  Air.  Christ.  I  p.  352.    Es  war  der  Sitz 


*)  Vielleicht  das  C/iiaia  des  Plinius.      Vgl.  Ritter  I  p.  990. 

•*)  Audi  Beck  in  s.  Anleitung  zur  allgem.  Weltgeschichte  II 
S.  658  hat  noch  diese  Meinuns:. 


21-4  Anzeigen. 

des  Arabisclieii  Statthalters  und  die  Hauptstadt  des  Landes,  bis 
Ibu  Ischak  Ibrahim  seinen  Sitz  in  Ilaccada  naliin.  Ais  aber  die- 
ses von  Moez  Zereide  zerstört  ward,  erhielt  Cairoan  sein  altes 
Ansehn  wieder,  und  selbst  später,  als  der  Sitz  der  Regierung 
nach  Tunis  kam,  blieb  es  der  ßegräbnissort  und  der  Sitz  einer 
beriihmten  Universität.  Es  hatte  eine  sehr  prachtvolle  und  alte 
Moschee ,  die  von  den  Arabern  hoch  verehrt  ward :  wesshalb 
auch  die  Stadt  auf  Münzen  nicht  selten  der  Ruhm  des  Islam 
genannt  wird. 

IV)  Manstira.  S.  34  f.  Ismael  el  Mansur,  der  dritte 
Khalif  aus  dem  Stamme  der  Fathimiten ,  baute  diese  Stadt  auf 
einer  Halbinsel  am  Ausfluss  des  Flusses  Mansurea.  s.  Hart- 
mann zu  Edrisi  S.  216.  Edrisi  nennt  sie  Mansuria.  Ein 
zweites  Mansura  lag  in  Aegypten  ,  ein  drittes,  welches  Yakub 
el  Mansur  aus  der  Dynastie  der  Almohaden  gründete,  in  Fez, 
ein  viertes  bei  Telemsan.  Noch  wird  der  Stadt  Aschir  gedacht, 
welche  zwischen  Mcliana  und  Mesila  im  jetzigen  Gebiet  von 
Algier  lag,  und  fälschlich  für  das  Assurus  des  Ptoleniäus  ge- 
halten worden  ist ,  welches  aber  im  jetzigen  Gebiet  von  Tunis 
zu  suchen  ist. 

V)  Tunis.  S.  36  —  42.  In  diesem  Abschnitt  wird  meist 
Geschichtliches  behandelt,  und  in  geographischer  Hinsicht  nur 
erwähnt,  dass  Tunis  eine  sehr  alte  Stadt  (  üiod.  Sic.  XX  p.  418 
Wessel.,  Liv.  XXX,  7,  Polyb.  I,  73  u.XIV,  10.)  und  zur  Zeit 
der  Africanischen  Christen  Sitz  eines  Bischof th ums  war.  Wich- 
tiger ward  es  unter  den  Arabern  nach  der  Zerstörung  Cartha- 
go's  um  700  n.  Chr. 

VI)  Trijyolis.  S.  43  —  58.  Bei  den  Alten  ist  diess  der 
Name  einer  Provinz,  nicht  einer  Stadt,  obschon  man  das  letztere 
aus  Ptolemäus  hat  schliessen  wollen,  wo  statt  der  gewöhnlichen 
Lesart  NBccnolig  iq  %al  Asmig  fisyccXt]  einige  Handschriften  le- 
sen: NsuTtohg  r]  nal  TgiytoXis-  Allein  die  gewöhnliche  Lesart 
steht  nicht  nur  in  der  Strassburger  Ausgabe  v.  1513  und  in  ei- 
nem ausgezeichneten  Manuscript  aus  dem  13ten  Jahrb.,  das  von 
der  Insel  Chios  auf  die  Ambrosianische  Bibliothek  gekommen 
ist,  sondern  wird  auch  bestätigt  durch  Strabo  XVII  p.  835  und 
durch  die  Charte  des  Theodosius,  welche  Lepfis  Magna  an  die 
Mündung  des  Cinyps  ebendahin  setzt,  wo  Skylax  JSeapolis  hin- 
stellt. Auch  erwähnt  ausser  Ptolemäus  Niemand  eine  Stadt 
Tripolis  in  Africa.  Die  Provinz  Tripolis  war  auf  der  einen  Seite 
von  Byzakion  begränzt  und  getrennt  durch  den  bis  Theiiä  ge- 
henden (Plin.  IL  N.  V,  3.)  Graben,  den  Scipio  Africanus  d.  j. 
als  Gränze  zwischen  dem  Itömischcn  Gebiet  und  dem  des  Kö- 
nigs Ptolemäus  von  Cyrenaica  und  Libyen  ziehen  liess :  woher 
die  Namen  Tap/ira  und  Taphrura^  welchen  Namen  eine  Stadt 
an  dieser  Gränze  der  Provinz  führte.  Tripolis  ward  die  Pro- 
vinz genannt  von  den  drei  Städten  Ocea ,  Sabrata  und  Leptis 


CastigUoni:    Meiiioirt!  f^copfraphiqiic  et  numisiuatiquc.         275 

Magna.  Solin.  Polyli.  17.  In  der  cliristHchen  Zeit  werden  füni' 
Bischofsitze  dieser  Provinz  genannt,  nämlich  ausser  den  drei 
erwähnten  Städten  noch  Gt'Ui  u.  Airbis  oder  Girbis^  und  Mor- 
celii  (AlricaClnist.  T.  T  p.  2-12.)  setzt  noch  eine  sechste  Stadt, 
Neapolis^  hinzu.  Und  allerdings  fuhren  Plinius  und  die  Acta 
eccles.  Afric.  NeapoUs  und  Leptis  Magna  als  zwei  verschiedene 
Siädte  auf.  Weil  aber  Ptolemäus  und  Strabo  sie  als  eine  an- 
fuhren, so  lässt  sich  verinuthen,  dass  sie  beide  so  nahe  bei 
einander  lagen,  dass  man  sie  fiir  eine  halten  konnte:  woher  es 
auch  kommen  mag,  dass  in  dem  Itinerarium  des  Antonin  und 
auf  der  Charte  des  Theodosius  Neapolls  nicht  angegeben  ist. 
Orientalische  Schriftsteller  erzählen  jedoch,  dass  die  Araber 
die  Stadt  Tripolis  erobert,  bald  darauf  zerstört  und  in  gerin- 
ger Entfernung  davon  das  jetzige  Tripolis  angelegt  haben; 
und  allerdings  finden  sich  noch  jetzt  in  geringer  Entfernung 
westlich  von  Tripolis  bedeutende  Ruinen  an  einer  Stelle,  die 
nocli  den  Namen  des  alten  Tripolis  führt.  Es  fragt  sich  da- 
her, welche  alte  Stadt  von  den  Arabern  Tripolis  genannt  wor- 
den ist.  Gewiss  ist  es,  dass  man  darunter  nicht  Leptis  Magna 
oder  NeapoUs^  das  heutige  Lebida  am  Wadi  Quaam  verstehen 
darf;  ebensowenig  Girbis ^  jetzt  Gherby ^  auf  der  Insel  gl.  N. , 
oder  Gilti^  das  nach  xlntonin  u.  Ptolemaeus  ziemlich  weit  westlich 
von  Sabrata  lag.  Häufig  hat  man  das  alte  Tripolis  an  der 
Stelle  des  ehemaligen  Sabrata  gesucht.  So  liegt  z,  B.  das  alte 
Tripolis  auf  der  Charte  der  Voyage  a  Tripoli,  ou  Relation  d'un 
sejour  de  dix  annees  en  Afrique  (Paris  1819.)  35  Meilen  west- 
lich von  dem  heutigen  Tripolis,  und  Sanson  und  Danville 
stellen  geradezu  die  beiden  Namen  vieux  Tripoli  und  tour  de 
Sabrata  als  gleichbedeutend  neben  einander.  Allein  die  Ara- 
bischen Schriftsteller  unterscheiden  einstimmig  Sabrata^  das 
bei  Leo  Africanus  Zoara^  bei  Marmol  Zaorath  lieisst, 
von  dem  alten  Tripolis.,  und  die  beiden  genannten  Schriftstel- 
ler sagen  klar ,  dass  das  alte  Tripolis  viel  näher  bei  dem  heuti- 
gen Tripoli  liege  als  Sabrata.  Die  Charten  von  Coronelli 
und  Marmol  führen  ebenfalls  beide  Orte  als  verschieden  und 
das  alte  Tripoli  viel  näher  bei  der  jetzigen  Stadt  auf.  Bella 
Cella  und  Badia  (Aly-Bey)  bestätigen  dasselbe  und  sagen, 
dass  Zovara  oder  Sovara  ( d.  i.  Sabrata)  viel  westlicher  liege. 
Auch  bemerkt  Badia,  dass  bei  dem  alten  Tripolis  ein  jetzt 
ziemlich  versandeter  Hafen  sich  finde,  was  für  das  Alter  des 
Platzes  zu  beweisen  scheint.  An  die  Stelle  aber,  wohin  die 
genannten  Schriftsteller  das  von  Sabrata  verschiedene  alte  Tri- 
polis setzen ,  stellt  die  erwähnte  Voyage  a  Tripoli  einen  Ort 
Zavia,  und  bemerkt,  dass  der  Ort  eine  Tagreise  von  Tripoli 
«ach  der  Seite  von  Tunis  hin  liege,  und  dass  man  in  ihm  noch 
ein  vollkommen  erhaltenes  Amphitheater  finde ,  dessen  Inneres 
148  Fuss  im  Durchmesser  habe.     Noch  erinnert  sie ,   dass  auch 


276  Anzeige  n. 

zu  Sabrata  Spuren  von  Alterthümern  sich  finden.  Marmol 
erwähnt  dieses  Zavia  unter  d.  Namen  Zaouith  beu  Giarba,  und 
Leo  Al'ricanus,  der  es  Zaviath  ben  Jai bah  nennt ^  stellt  es 
ganz  nalie  an  die  Stelle,  wo  die  übrigen  das  alte  Tripoli  setzen, 
zwischen  die  Orte  Garelgara (Gargara  bei  Bdrisi)  und  Zan- 
zor,  deren  erster  10,  der  zweite  12  Meilen  von  dem  heutigen 
Tripoli  liegt.  Die  Charte  von  Seutter  aber  setzt  12  Meilen 
westlich  von  Tripoli  einen  Ort  mit  dem  Namen:  Tripolis  vel 
Zavias  beni.  Das  alte  Tripolis  ist  also  Zavia^  und  liegt  zwi- 
schen Tripoli  und  Zaorath,  viel  näher  bei  dem  ersten  als  bei 
dem  ZAveiten.  Zavia  aber  scheint  das  alte  Ocea  zu  seyn ,  wel- 
ches wahrscheinlich  Hauptstadt  des  Landes  war,  weil  es  Pli- 
nius  zuerst  erwähnt  und  civitas  (die  übrigen  Städte  der  Provinz 
nur  oppida)  nennt.  Für  Ocea  beweist  schon  das  alte  Amphi- 
theater, und  der  Name  Zavia  ist  verstümmelt  aus  Eoa^  wie  nach 
Ptolemäus  die  Stadt  Ocea  beiden  Griechen  hiess.  Nach  dem 
Itinerarium  Antonini  betrug  der  Weg  von  Leptis  Magna  bis  Ocea 
03,  von  Ocea  bis  Sabrata  56  Rom.  Meilen.  Edrisi  rechnet 
von  Lebida  bis  Tripoli  10  —  74,  von  Tripoli  bis  Zaorath  35 
Arabische  Meilen.  Rechnet  man  dazu  die  Tagereise  von  Tri- 
poli bis  Zavia,  so  ist  nach  ihm  die  Distance  von  Lebida  bis  Za- 
via 82  —  86,  von  Zavia  bis  Zaorath  25  Arab.  Meilen:  und  diess 
stimmt  mit  den  Angaben  des  Itin.  Ant.  ziemlich  ü6erein.  Die 
Tabula  Theodosiana  setzt  von  Leptis  Magna  bis  Osa  (  Ocea ) 
75  —  76,  von  da  bis  Sabrata  49  Rom.  Meilen;  allein  darin  liegt 
ein  Fehler ,  denn  dann  müsste  man  Ocea  um  ein  paar  Meilen 
westlich  von  Tripoli  suchen,  wo  sich  keine  Spur  von  Ruinen 
ßndet.  Noch  ist  zu  bemerken,  dass  alle  diese  Angaben  Sabrata 
oder  Zaorath  zu  weit  westlich  stellen ,  weil  es  nach  Marmol 
nur  17  Lieues  von  der  Insel  Gherby  entfernt  ist.  Doch  nimmt 
Della  Celia  von  Tripoli  bis  Sovara  25  Lieues  an,  so  dass  von 
Zavia  bis  Sovara  etwa  18  Lieues  wären.  B  a  d  i  a  setzt  zwischen 
Alt-  Tripolis  und  Sovara  24  Lieues. 

Auch  das  heutige  Tripoli  liegt  an  einem  zur  Römerzeit  be- 
wohnten Orte,  wie  ausser  andern  Alterthümern  der  dort  be- 
findliche, dem  Marc  Aurel  und  Lucius  Yerus  errichtete  mar- 
morne Triumphbogen  zeigt.  Es  ist  diess  der  vom  Ptolemäus 
erwähnte  Hafen  Garapha  (bei  Skylax  Giaphara) ,  der  in  ähn- 
licher Entfernung  östlich  von  Ocea  oder  Eoa  lag,  wie  jetzt 
Tripoli  von  Alt- Tripolis.  Denn  Ptolemäus  stellt  Ocea  unter 
41^  30'  und  Garapha  unter  40^*  45'  *).     Ai^ivts  nannten  die 


*)  Diess  ist  niiinlich  dort  die  richtige,  von  der  erwähnten  Anibros. 
Handschr.,  der  Stiasshurg.  Ausg.  von  1513  und  der  Ital.  Uelicrsetzung 
V.  Magini  (Venedig  15!)8.)  bestätigte  Lesart.  Die  andere  Lesart,  nach 
der  Garapha  unter  41^  25'  liegen  soll,  stellt  dessen  Lage  in  einer  klci- 


Castiglioni :  Memoire  geographiquc  et  numisraatiquc.         271[ 

Alten  solche  Orte,  die  an  und  für  sich  nicht  von  grosser  Be- 
deutung waren,  sondern  nur  den  Ilafenplatz  einer  grössern 
Stadt  bildeten,  die  nicht  am  Meere  oder  doch  nicht  an  einem 
gi'justigen  Laudungsplatze  lag.  Solch  ein  Ort  war  wahrschein- 
lich Garopha;  daher  wird  es  auch  nicht  unter  den  Episcopal- 
städten  des  Tripolitauischeu  Gebiets  genannt  und  gelangte  erst 
unter  den  Arabern  zur  Wichtigkeit.  Und  in  der  That  liegt  das 
jetzige  Tripolis  auf  einer  Halbinsel  an  einer  sehr  günstigen  Ila- 
fenstelle :  was  alles  für  die  Lage  von  Garapha  spricht.  Auch 
darf  man  dieses  nicht  weiter  östlich  stellen,  weil  Della  Cella 
versichert,  dass  sich  zwischen  Tripoli  u.  Lebida  nirgends  Spu- 
ren Römischer  Alterthümer  finden. 

VII)  Algier.  S.  59  —  60.  Algiei-  ist  nicht  das  alte  Cae- 
sarea Mauritaniae ^  wie  man  geglaubt  hat:  diess  hat  Shaw 
richtig  in  den  Ruinen  von  Scherschell  wieder  gefunden.  Vergl. 
Belley  in  d.  Äle'moires  de  l'acad.  des  inscriptt.  et  bell,  lettr. 
T.  XXXVIII  p.  93.  Doch  liegt  auch  Algier  an  der  Stelle  eines 
Römerplatzes ,  wie  man  aus  einigen  dort  gefundenen  Latein. 
Inschriften  sieht.  Die  Lage  von  Tipasa  (^Tefessai)  u.  der  Fluss 
Hameese  (der  Savus  d.  Alten)  führen  darauf,  dass  Algier  auf 
der  Stelle  des  alten  Icoslum  liegt,  in  welcher  sehr  alten  Stadt 
(Solin.  28.)  in  der  christlichen  Zeit  ein  Bisthum  war.  Vergl. 
Ruinart  histor.  persecut.  Vandal.  p.  171.  Der  Name  ^/^eer 
stammt  vom  Arab.  Algezair  (^Al  DJezair)^  Insebi.,  und  hat  sei- 
nen Ursprung  vielleicht  von  einem  luselchen,  das  bei  Algier  lag 
und  jetzt  durch  die  Türken  mit  dem  Festlande  verbunden  ist 
und  an  dem  Eingang  des  Hafens  liegt.  Wichtiger  ist,  dass  bei 
den  Arabern  die  Stadt  auch  den  Namen  führt :  Inseln  der  Kin- 
der Mozganan^  und  dass,  nach  einer  Sage  bei  ihnen,  diese 
Kinder  Mozganan  die  Stadt  vor  der  Römerherrschaft  gebaut 
haben.  S.  Morgan  A  coraplete  history  of  Algiers  p.  214.  Leo 
Afric.  und  Marmol  führen  den  alten  Namen  Mezgana  von 
Algier  an.  Mozganan  stammt  von  Amzig  oder  Mazig^  dem  Na- 
men der  Ureinwohner.  Die  Römer  machten  daraus  Mazices 
(beiPtolera.)  oder  Mazaces  (Lucan.  IV,  681;  Coripp.  Johann. 
I,  549  u.  IV,  724 ;  Sueton.  Ner.  30  etc.).  Daher  stammt  auch  der 
Name  Fundus  Mazucamis  bei  Ammian.  Marceil.  XXIX,  5,  nach 
Danville  die  jetzige  kleine  Stadt  Mazuna  im  Gebiet  von 
Algier ;  daher  auch  der  Stadtname  Mazaca  in  Numidien.  Siehe 
M  0 r  c  el  1  i  Afric.  Christ.  T.  I  p.  221.  Vielleicht  hiess  auch  zur 
Römerzeit  die  kleine  Insel  vor  Algier  Insula  Mazucana^  woher 
der  Arabische  Name  entstand. 

Die  angehängten  geschichtlichen  Untersuchungen  überge- 
hen wir  als  für  unsern  Zweck  unwichtiger,  und  heben  nur  noch 


nen  Entfernung  westlich  von  Ocea,  was  schon  der  Reihenfolge  wider- 
streitet, in  der  Ptolemäus  die  Orte  aufführt. 


278  Anzeigen. 

den  Hauptinhalt  der  Abhandlung  über  die  Berbern  aus.  In  die- 
ser wird  zu  erweisen  gesucht,  dass  die  Berbern  das  älteste 
Volk  Nordafrica's  sind  ,  w  elches  wir  kennen  und  welches  schon 
vor  der  geschichtlichen  Zeit  der  Griechen  u.  Römer  aus  Asien 
einwanderte ,  und  dass  die  Berbernsprache  die  Ursprache  jener 
Gegenden  ist.  Aus  ihr  stammen  die  meisten  geographischen 
Namen  der  Berberei,  nicht  aber  aus  dem  Griechisclien,  wie 
Plinius  V,  5  und  Saliustius  lug,  77  angeben,  oder  gar  aus  dem 
Hebräischen  und  Arabischen,  wie  Boc hart,  Malte-Brun, 
Langle's,  Shaw  u.  A.  meinten.  Sie  ist  aber  nicht  eine  ver- 
dorbene Punisclie  Sprache :  denn  diese  glich  nach  Hieronymus 
u.  Augustinus  ganz  den  Semitischen  Sprachen,  die  Berbernspra- 
che aber,  obgleich  sie  aus  Asien  stammt,  hat  mit  diesen  doch 
nur  eine  entlernte  Aehnlichkeit.  Wenn  daher  Procopius  de  bell. 
Vand.  H,  10  die  Sprache  der  Mauren  fiir  die  Phönicische  hält, 
so  hat  er  nur  die  Colonieen  der  Phönicier  mit  den  Mauren  ver- 
mengt.    Die  Beweisfiihrung  ist  folgende: 

Der  Name  Berber^  womit  die  Araber  alle  Völkerstämme, 
die  in  Africa  an  der  Gränze  des  Römerreichs  sich  hinzogen, 
bezeichnen,  ist  mit  Malte  -  Brun  von  Barbari  abzuleiten. 
BdgßaQog  hiess  bei  den  Griechen,  wie  im  hsitem.  balbus^  einer 
welcher  stammelt,  und  dann  einer,  welcher  eine  andere  Spra- 
che spricht.  Daher  gehörte  selbst  Italien  zur  Barbaria.  Bei 
den  Römern  bezeichnete  das  Wort  zu  Cicero's  u.  August's  Zeit 
solche,  welche  weder  Griechen  noch  Römer  (Italier)  waren. 
Später  jedoch,  als  unter  den  Kaisern  das  Römische  Bürgerrecht 
häufiger  vertheilt  wurde,  hiessen  alle  im  Römerreich  Gehörnen 
Ro7nani^  und  Barbari  nur  die,  bei  welchen  diess  nicht  der  Fall 
war.  Alle  den  Römern  nicht  unterjochten  Länder  fiihrten  daher 
den  Namen  Barbaricum^  die  Bewohner  derselben  den  Namen 
Barbari,  Noch  bildete  man  ausserdem  das  Wort  Barbaricini^ 
womit  man  die  innerhalb  der  Gränzen  des  Reichs  Wohnenden 
bezeichnete,  während  diejenigen,  welche  ausserhalb  dieser 
Gränzen  ihre  Wohnplätze  hatten,  Barbari  gentiles  hiessen. 
Daher  der  Name  Barbagia  u.  Barbaricini  von  der  Maurischen 
Colouie  in  Sardinien,  welche  die  Vandalen  dahin  brachten  und 
welclie  von  den  Römern  nicht  unterjocht  werden  konnte.  Nach 
diesem  Sprachgebrauche  nun  hiess  das  Indische  Meer,  weil  es 
das  Römerreich  nicht  berührte,  Mare  barbaricum  (s.  Steph. 
Byz.  s.  V.  ßaQßagta.).,  und  eben  daher  muss  man  die  Namen 
Barbaricum  emporinm  an  der  Mündung  des  Indus  und  Barbari 
auf  dem  Delta  dieses  Flusses  ableiten.  Auch  die  freien  Gegen- 
den Deutschlands  und  die  Uferstriche  der  Donau  nannte  man 
Barbarias.  s.  Mamert.  paneg.  Juliani  7,  Ducange  s.  v.  barbarias. 
Barbaria  war  auch  nach  Steph.  Byzantinus  u.  Cosmas  Indicopl. 
der  Name  für  die  Länder  südlich  von  Aegypten,  und  dass  man 
die  Gränzstriche  in  Mauritanien  unter  dem  Worte  Barbaricum^ 


Castiglioni:  Memoire  gcograplüquc  et  nuralsmatiqiic.  279 

ihre  Bewohner  unter  Barbari  zusammenfasste,  ist  von  Ducange 
s.  V.  Barbaricum  nachgewiesen,  vgl.  Jul.  Ilonor.  cosmogr,  p.  20. 
Selbst  AiG  BarbaciiiinwA  Baurbarras  am  Senegal  sclieincn  da- 
her benannt  zn  seyn.  vgl.  Ritter  IS.  555.  Die  Byzantinischen 
Schriftsteiler  behielten  nach  Casaub.  z.  Ilistor.  Äug.  scriptt. 
p.  174  tlen  Namen  Barbarin  nur  für  die  Länder  Africa's  bei, 
welche  durch  die  Muhammedaner  vom  llömerreiche  losgerissen 
wurden.  Die  Araber  machten  Berber  aus  Barbari  und  Berbe- 
ralcotn  aus  Barbaricum  ^  und  unterschieden  die  Aethiopischen 
Berbern  {Berberinen^  südlich  von  Aegypten)  von  den  westlichen 
oder  Atlantischen  (westlich  von  den  Provinzen  Africa's). 

Die  westlichen  Berbern  nun  nennen  sich  selbst  ^/n;:?')?',  Imazig 
oder  Amazirg^  d,  h.  Freie^  Herren^  was  nichts  Anderes  ist  als 
Mazig^  wie  sich  diese  alten  Berbern  am  Hofe  des  KhalifenOmar 
nannten,  s.  Ritter  I  S.  TsOO,  Shalerin  Malte  -  Brun's  Nouv. 
Annal.  des  voyages  T.  XXV II  p.  86.  Von  Mazig  aber  stammen 
die  Namen  Mazices  (Mazyces) ,  Mazaces  und  Mat,vsg.  Zwar 
führt  Ptolemäus  die  Mdt,vsg  nur  als  ein  Volk  Mauritaniens  an, 
aberHerodot  IV,  191  erwähnt  sie  als  Anwohner  am  Tritonsee  — 
denn  Mat,v8g^  nicht  Md^veg  ist  dort  zu  lesen  —  und  aus  der 
Exposit.  tot.  mundi  in  Gronov.  Geogr.  ant.  p.  269,  Stephan.  By- 
zant.  s.  V.  Mä^vsg.,  Ethicus  cosmogr.  p.  47,  Eustath.  ad  Dio- 
nys.  Per.  195,  Euagrius  liist.  eccies.  p.  259  ed.  Reading,  Phi- 
lostorgius  bist.  ecci.  XI  p.  542  u.  A.  ergiebt  sich ,  dass  Md^vsg 
der  Gemeinnatne  aller  Völker  des  nördlichen  Africa  war,  der 
eigentliche  Name  der  Eingebornen  also,  während  die  Namen 
Numidae  und  Mauri  nur  von  dem  Nomadenleben  und  der  brau- 
nen Farbe  hergenommen  sind.  Von  Amzig  stammt  nun  der 
Name  des  Flusses  ^yn^^sog^ß,  welcher  zwischen  den  Reichen  des 
Masinissa  und  Syphax  floss.  Plin.  V,  2.  Mit  Mazig  aber  stim- 
men überein  die  Namen  Mdxat  und  Macii  bei  Ilerod.  IV,  175, 
Polyb.  III,  33  und  Plin.  V,  3,  Ma.vita?ii,  wie  Justinus  XVIII,  6 
die  Urbewohuer  Africa's  nennt,  Macomades  u.  Macmnia?ii  hei 
Coripp.  Joh.  II,  116  u.  210,  d.  h.  Macae  Ammonii  oder  Macae 
Aminii^  Adyrmachidae,  d.  h.  Adrar  -  Macae  =  Bergniazig ;  ja 
selbst  die  Mesamnioneii  oder  Nasamonen  (Herod.  11,42,  Plin. 
V,  5.)  scheinen  daher  genannt  zu  seyn.  Nasamonen  aber  hiessen 
nicht  bloss  die  Bewohner  der  Oase  des  Ammon ,  sondern  alle 
Völker  Libyens  bis  an  die  Küsten  des  Mittelmeers,  s.  Steph. 
Byzant.  s.  v.  'A^^arta,  Stat.  Silv.  II,  93,  Coripp.  Joh.  V,  198. 
Daher  Ammonium  südlich  von  der  grossen  Syrte,  und  AWAxQa 
"Ayi^avog  bei  Strabo  XVII  p.  834,  =  das  Caput  Vada  der  Rö- 
mer, wo  Justinian  eine  Stadt  baute  (Procop.  de  aedif.  VI,  6.), 
welche  die  Araber  daher  Cammuniah  oder  Capudia  nennen. 
Zu  Mazig  gehören  auch  die  Cijiyphii  Macae  (Sil.  Ital.  B.  Pun. 
III,  275,  Herod.  IV,  198.)  am  Cinyps  und  an  der  Syrte,  wo  Ara- 
bische Schriftsteller  die  Stadt  Sort  oder  Serie  erwähnen ,  die 


280  An   zeigen. 

Macaei  Syrtitae  des  Ptolemaeus  oder  die  Macomades  Syrtis 
nach  Ren  eil  the  geogr.  syst,  of  Ilerod.  p.  050.  Auch  die  Mas- 
sylii  sind  nichts  anderes  als  Maööatlißvsg,  d.  h.  Libysche  Ma- 
zig  (Strabo  XVII  p.  829.),  und  die  Massaesyli  (Piin.  V,  1.)  fin- 
det man  in  den  Schilluh  {ßchilluh- Mazig)  in  Fez  wieder.  Vgl. 
Ritter  I  S.  903. 

Dass  aber  diese  Mazig  aus  Asien  kamen,  geht  aus  raehrerii 
Gründen  hervor.  Ilerodot  lässt  seine  Mazyes  von  den  Troja- 
nern abstammen,  Sallust  lug.  18  iässt  eine  Asiatische  Colonie 
von  Persern,  Medern  und  Armeniern  nach  Africa  kommen,  und 
Leo  Africanus  sagt,  dass  die  Uerbern  aus  Palästina  durch  Grie- 
chenland nach  Africa  einwanderten.  Vergl.  Ritter  I  S.  900. 
Procopius  (de  bell.  Vaiid.  II,  10,  vgl.  Joseph.  Antiqq.  I  p.  44.) 
und  Arabische  Schriftsteller  berichten,  dass  die  Uerbern  Nach- 
kommen der  Urbewohner  Palästina'»  sind  ,  welche  von  den  Ju- 
den von  dort  vertrieben  wurden,  vgl.  Ritter  I  S.  500.  Die 
Arabische  Sage  fügt  hinzu,  dass  sich  diese  Palästinenser  mit 
einer  Colonie  der  Hemiariten  aus  dem  glücklichen  Arabien  ver- 
mischten, und  dass  aus  dieser  Mischung  die  Berbern  hervor- 
gingen. Und  allerdings  stellen  die  Berbern  ihrer  physischen 
Beschaffenheit  nach  den  Asiaten  viel  näher,  als  den  Negern: 
schon  Strabo  bemerkte  ihre  Aehnlichkeit  mit  den  Arabern,  vgl. 
Ritter  I  S.  901.  Merkwürdig  ist  auch  die  auffallende  Aehn- 
lichkeit, welche  zwischen  den  Spraclien  der  verschiedenen  Ber- 
bernstärame  von  der  kleinen  Oase  und  der  Oase  des  Ammon  an 
bis  an  den  Atlantischen  Ocean  und  auf  die  Canarischen  Inseln 
sich  findet  (vgl.  Jones  de  linguaShilensi  und  Ritter  1,900.); 
woraus  sich  ergiebt ,  dass  alle  diese  Landstriche  vor  Alters  von 
Einem  Volksstamme  bewohnt  wurden.  Diese  Berbernsprache 
darf  man  aber  nicht  mit  Mars  den  und  L  an  gl  es  für  ein  Ge- 
raisch aus  den  Sprachen  aller  der  Völker  halten ,  w  eiche  nach 
und  nach  Herren  dieser  Küsten  waren;  denn  dagegen  streitet 
die  grosse  Armuth  und  Rohheit  dieser  Sprache,  welche  alle  ab- 
stracte  Begriffe  aus  dem  Arabischen  borgen  muss.  Ueberhaupt 
hat  auch  vor  den  Arabern  kein  früheres  Volk  eine  dauernde  und 
ausgebreitete  Herrschaft  über  diese  Gegenden  ausgeübt  oder 
neben  dem  politischen  auch  einen  religiösen  Einflnss  geliabt. 
Noch  weniger  darf  man  mit  Che'nier  (Recherches  sur  lesMau- 
res  etc.)  die  Berbernsprache  aus  der  alten  Karthagischen  ablei- 
ten. Die  Punische  Sprache  war  nur  an  den  Küsten  im  Gebrauch 
und  gelangte  nie  in  das  Innere;  vielmehr  nahmen  gerade  iniGe- 
gentheil  die  Karthager  in  Leptis  die  Landessprache  an.  s.  Sal- 
lust. lug.  77.  Auch  hatte  Karthago,  das  mehr  nach  der  Herr- 
schaft auf  dem  Meere  als  nach  Eroberungen  auf  dem  Africani- 
schen  Continent  strebte,  nur  sehr  spät  erst  einen  unbedeuten- 
den Einflnss  auf  das  Innere  des  Landes,  s.  Justin  XII,  XIX,  XX 
u.  XXI,  Polyb.  I,  05  u.  XIV,  1,  e.^cerpt.  CXVIU,  Liv.  XXXIV, 


Castiglioni :  Memoire  g^JograpliIque  et  numismatiqiic.        281 

33-  Daher  ging  diese  Sprache  schnell  unter,  als  die  Römer  da- 
hin kamen.  Der  Einüuss  der  Itömer  selbst  war  noch  geringer, 
und  auch  die  christliche  lleligion  drang  niclit  bis  iiber  die  Grun- 
zen der  Römischen  Provinzen.  Sic  kam  nicht  bis  zu  den  Ber- 
bern der  Wüste,  sondern  diese  blieben  Heiden,  s.  Clandian.  I 
cons.  Stiiich.  I,  255,  Coripp.  Job.,  Ducange  s.v.  BaQßaQLKOv, 
Die  Cultur  blieb  immer  gering  und  nur  ein  Theil  der  Eingebor- 
nen,  die  Bewohner  der  Kiiste,  kannte  die  Schreibkunst;  aber 
sie  hatten,  wie  aufgefundene  Inschriften  und  Miinzen  Maurita- 
nischer  Könige  beweisen,  ganz  andere  Schriftzeichen,  als  die 
erwähnten  Völker.  Von  der  Arabischen  Sprache  hat  die  Ber- 
hernsprache  allerdings  vieles  genommen ,  aber  in  ihrem  innern 
Wesen  ist  sie  sehr  von  derselben  verschieden.  Wenn  nun  die 
Araber  behaupten,  dass  schon  vor  der  Einführung  des  Islams 
auf  einem  Theile  der  Küste  die  Arabische  Sprache  gesprochen 
ward,  so  beweist  diess,  seihst  wenn  es  wahr  wäre,  niclits,  als 
dass  schon  früher  Araber  hier  eben  so  einwanderten ,  wie  sie 
schon  vor  Plinius  (VI,  32  f.)  und  Curtius  (IV,  7.)  nach  Aegypten 
und  dem  Südrande  der  Saliara  kamen.  Doch  zeigt  der  ganze 
Bau  der  Berbernsprache  ihre  \erwandtschaft  mit  den  Orienta- 
lischen Sprachen  Südwestasieus,  und  beweist  also  die  Asiati- 
sche Abstammung  dieses  Volkes.  Auch  wird  diese  Behauptung 
nicht  dadurch  aufgehoben,  dass  nach  Jackson's  Meinung  die 
Sprache  der  Schillu  (der  Zyalah  bei  Edrisi)  von  der  alten  und 
allgemein  herrschenden  Berbernsprache  sehr  verschieden  ist  *). 
vgl.  Ritter  I  S.  900  u.  004. 

Aus  der  Berbernsprache  erklären  sich  die  meisten  geogra- 
phischen Namen  ganz  einfach,  und  ihre  Abstammung  aus  der- 
selben ist  augenscheinlich.  Die  Arabischen  Schriftsteller  von 
Ihn  Ilaukal  an  theilen  die  Berbern  in  fünf  Stämme  (Ritter 
I  S.  901.),  die  Gomara  (Gumeri),  Huouaru  (Tuariks),  Zenaten^ 
Sajihagiaw.  Musamcdi  (Musmudä),  und  die  jiämliche  Einthei- 
lung  kannten  die  Römer ,  wie  die  Qim/qiiege/itani  bei  Vales.  z. 
Ammian.  Marc.  XXII,  16,  bei  Aurel.  Vict.  39,  Oros.  VII,  25  u. 
Eutrop.  IX,  22  beweisen.  Aber  auch  die  Namen  der  Unterab- 
theilungen dieser  Ilauptstämme  waren  bei  den  Römern  die  näm- 
lichen. Die  Leouatha  (Lebatha)  der  Araber  sind  die  Ahvä%ai 
oder  Aißäv%ai  des  Procopius  und  die  Lunguanteii  des  Corippus 
(s.  Mazzucch  eili  z.  Joh.  p.  167.),  wahrscheinlich  auch  die 
Libyer  der  frühern  Schriftsteller,  s.  Rennel  the  geogr.  syst. 
of  Herod.  p.  410.  Die  Mozabis  sind  die  Musubei  des  Jul.  Hono- 
rius  (cosmogr.  p.  20.)  und  die  Musonii  der  Tabula  Theodosiana. 

*)  Dieser  Pnnct  dürfte  Iiidcss  docli  eine  grössere  Beachtung  ver- 
dienen nnd  nicht  so  leicht  zu  beseitigen  seyn;  denn  eben  diese  Schillu 
(Schelluh) ,  nicht  aber  die  Berbern ,  führen  nach  Jackson  den  Namen 
Amazirg.  [  C.   J.  ] 

Jahrb.  f.  Phil.  n.  Pädag.  Jakrff.  III.  Heft  11.  J() 


282  Anzeigen. 

Aus  dem  Namen  Atlas  machten  die  Araber  Lamta^  und  Lemtu- 
nen  aus  AÜantes.  Diese  Lemtunen  wohnten  in  der  Sahara  west- 
lich von  Fezzan  an  der  Stelle  der  Herodotischen  Atlanten  (IV, 
184.)  und  zogen  sich  nach  Corippns  (Joh.  11,19. )  nordöstlich 
bis  Tillibaris  an  die  Gränze  von  Tripolis  hin.  Atlanten  und 
Ataranten  aber  sind  nur  durch  verschiedene  Aussprache  ent- 
standene Namen,  so  sehr  man  auch  dariiber  gestritten  hat.  s. 
Steph.  Byz.  s.  v.  "ArlavTsg^  Larcher  z.  Ilerod.  T.  III  p.  483 
und  Rennel  ebend.  p.  035  u.  643.  Der  Berg  Atlas  nämlich 
heisst  bei  den  Eingebornen  Dyriii  oA.  Addyrin  (Solin.  24,  Stra- 
bo  XVIi  p.  825,  Plin.  V,  1.),  und  daher  bildeten  die  Araber  ne- 
ben dem  Namen  Lamta  auch  die  Form  Deren  oder  Daran  *). 
Die  Gezuliten^  welche  an  das  Gebiet  der  Lemtunen  gränzen, 
sind  die  Gaetuli  desPlinius.  s.  Dombay  Gesell,  der  Maur.  Kö- 
nige Th.  I  S.  194.  Die  Mograva  oder  Magroa  auf  dem  Gebirge 
südlich  von  Mostgannim  nennen  Ptolemäus  und  Plinius  (V,  2.) 
Macurebes  und  Corippus  (Job.  II,  62.)  Macares.  In  den  Zeoua- 
gha,  welche  an  der  Stelle  der  Stadt  Fez  wohnten,  erkennt  man 
leicht  die  an  die  Gränze  vonMauritanien  gestellten  Zauekes  des 
Ilerodot  (IV,  193.)  und  die  Vacuates  der  Römer  (Ptolem.,  Jul. 
Honor.  cosmogr.  p.  20).  Rennel  (geogr.  syst,  of  Her.  p.  639.) 
ist  im  Irrthum,  wenn  er  die  Zauehes  mehr  östlich  stellt;  denn 
die  Insel  Cyraunis  ist  nicht  das  heutige  Querkiness .,  sondern 
muss  viel  westlicher  von  Karthago  gesucht  werden  und  ist  wahr- 
scheinlich mit  Cerne  einerlei,  dessen  Lage  ungewiss  ist.  vergl. 
Gosse lin  geogr.  des  anciens  T.  1  p.  77.  Die  Sanhagia  nörd- 
lich vom  Senegal^  welcher  daher  seinen  Namen  hat,  sind  die 
Salrnaggenites  bei  Jul.  Honorius;  die  mehr  östlich  wohnenden 
Olleletys  aber  die  Auloles  oder  Aiitololes  bei  Aethicus  p.  64, 
Plin.  V,  1,  Sil.  It.  III,  306,  Lucan.  IV,  677,  Claudian  I  Cons. 
Stil.  1,356.  Die  Nefusa^  welche  man  nur  nicht  in  der  Marok- 
kanischen Provinz  Nefis,  sondern  in  den  Bergen  nordwestlich 
von  den  Haroudje  (Harusch)  suchen  muss,  sind  die  Navusi  bei 
Coripp.  Job.  II,  146.  Von  den  Haouara^  welche  vor  Alters  in 
den  Gebirgen  von  Tripolis  wohnten,  hat  die  Stadt  Abaris  und 
die  Provinz  Abaritana  (Plin.  XVI,  36;  Victor  Vitens.  histor. 
persec.  Vand.  p.  5  u.  dort  Ruinart.)  ihren  Namen.  Den  Namen 
Hascora in  der  Prov.  Nefis  findet  man  in CiemSascar  des  Corippus 
(Job.  11,74.)  wieder.  Die äM^oms  (Schillu)  indenBergen  vonFez 
und  Marocco  (Ritter  I  S.  902.)  sind  die  Salinses^  welche  Ptolem. 


*)  Daher  haben  wohl  die  Gaetuli  Darae  und  Aethiopes  Daratitae 
ihren  Namen ,  und  aus  Addaran  dürfte  Atras  und  dann  Atlas  sich  viel 
natürlicher  herleiten  lassen ,  als  wenn  man  die  Etymologie  des  Wortea 
im  Griechischen  sucht,  wie  noch  neulich  Rucks  tuhl  in  den  Quac- 
stton.  ^«anticis  getban  hat.    Vgl.  Ritter  I  S.  895  ff,  [C.  J.] 


CastigHoni :  Mf'^moirc  g<';ographique  et  numismaliquc.        283 

in  der  Gebirji^skette  des  Atlas  südwestlich  von  Gibraltar  woh- 
nen lässt.  Ein  Stamm  von  ihnen,  die  Silzaclae  (^Shillous  ffa- 
choul)  bei  Coripp.  II,  fi6  (n.  das.  Mazzucchelli)  wohnten  an  den 
Ufern  des  Subjis  oder  Suöti  (des  Vadara  des  Corippus),  welcher 
auf  dem  noch  jetzt  so  geiiaiuiten  Gebirge  Selilgo  entspringt. 
Die  yJcas^  Margumnias  und  Tahounis  im  Gebiet  von  Tripoli 
scheinen  die  Bacates,  Anagoinbri  und  Tapaniles  des  Ptoleraäus 
zu  seyn.  \\Y\GGoniera  der  Araber  (Ritter  906.)  sind  die  Canarii 
des  Suetonius  Paulimis  bei  Plin.  V,  1,  jenseits  des  Atlas,  und 
von  ihnen  entstand  wahrscheinlich  der  Name  Gannaria  extrema 
bei  Ptolemäus.  Mit  dem  Namen  hängen  noch  die  Canorischen 
Inseln  zusammen,  von  denen  die  eine  Gomera  heisst.  Dass 
übrigens  die  Canarii  viel  südlicher  wohnten,  als  die  heutigen 
Gomera ,  darf  nicht  aufi'allen ,  da  sie  von  den  Arabern  wahr- 
scheinlich eben  so,  wie  die  Lemtunen  und  Sanhagia,  aus  ihren 
Sitzen  verdrängt  worden  sind.  WiQ  Mazoulas^  welche  Shaw 
in  der  Gegend  von  Bona  und  Tabraca  fand,  sind  die  Massyli^ 
welche  Strabo  XVII  p.  832,  Liv.  XXIX,  19  und  Plin.  V,  2  eben 
dahin  setzen.  Ferner  behaupten  die  Araber,  der  Name  Ajrica 
stamme  vom  Könige  der  Ileiniariten  Ifricus^  welcher  Africa  er- 
obert habe.  Daraus  lässt  sich  vielleicht  folgern,  dass  in  den 
Ifuraces  des  Corippus  II,  113  der  Ursprung  des  Namens  Africa 
zu  suchen  sey.  Mehr  beweist  der  Ort  Ghernia ,  das  Garrama 
bei  Ptolemäus  und  Plinius ,  welcher  in  der  Berbernsprache 
Ghur-mnan  =r  an  dem  Wasser  heisst  und  in  einem  Thal  zu  su- 
chen ist  in  welchem  mehrere  Seen  sich  befinden  und  welches  bei 
denAi'abernO?/ßf/e^-(Wady-)  C'hati=  das  die  Seen  umufernde 
Thal  genannt  wird. 

Auch  der  von  Plinius  beschriebene  Zug  des  Baibus  zu  den 
Garamanten  stimmt  ganz  mit  der  Caravanenstrasse  iiberein,  wel- 
che noch  jetzt  von  Algier  nach  jenen  Gegenden  fiihrt.  Sie  ist, 
wie  Plinius  selbst  bemerkt  (vgl.  Tacit.IIistor.  IV,  50.),  etwas  län- 
ger als  die  von  Ocea.  Die  letztere  geht  iiber  den  Anfang  des 
Gebirges  Harondje^  welches  Wort  von  Azgrew^  d.  h.  Stein., 
stammt:  und  diess  stimmt  ganz  mit  Plinius,  wenn  er  sagt: 
hoc  iter  vocatur  praeter  caiiut  sacüi.  Aber  auch  die  Aehn- 
lichkeit  der  Ortsnamen  ist  auffallend.  Das  Tabidimn  oppidum 
(TßÄMrfa  bei  Ptolem.  vgl.  lluinart  bist,  persec.  Yand.  p.  12X) 
findet  sich  wieder  in  Tebid  auf  Renne I's  Charte  zu  Horne- 
mann's  Reisen;  Nieteris  natio  in  Nudrama .,  wie  einer  der  fünf 
Districte  der  Mozabis  heisst;  JS'eglige/nela  in  Necau.  Die  Btc- 
bejum  natio  findet  sich  zwar  unter  den  jetigigen  Stämmen  nicht; 
aber  von  ihr  stammt  der  Name  Limes  Bnbensis  an  der  Gränze 
des  Tripolitanischen.  Enipi  natio  ist  Klianniba  und  der  Mons 
niger  (Ritter  885  f.)  die  Fortsetzung  der  schwarzen  Haroudje. 
Thube?i  und  Tapsagum  [  d.  i.  Tibbous  -  akha?n  =  Haus  der  Tib- 
bous]  haben  ihre  Namen  von  dem  im  Distrlct  Tibesty  woliuen- 

19* 


284  Anzeigen. 

den  Stamme  der  Tibboiis.  Auch  die  heisse  Quelle  [Vege^^rjy^] 
i'aiul  Lyon  in  den  Herren  von  Tibesty  wieder.  Boin  erkennt 
man  in  ^äo,  Baracum  in  Brac^  Maxula  in  Mejula;  den  Berg 
Gyri  [Girgir  bei  Ptoiemäus]  in  dem  Fezzan  umschiiessendeii 
Eyri  ^  welcher  an  die  Wüste  Hair  stösst;  Alele^  die  Haupt- 
stadt der  Phacanü  (Fezzaner),  in  Zela^  wie  die  Bewohner  von 
Bornu  die  Stadt  Mourzouk  nennen;  Cillaba  in  Zoiivcila  oder 
Zella  (welches  freilich  die  Araber  erbaut  haben  w  ollen :  indess 
bezeichnet  hier,  wie  häufig,  die  von  ihnen  angegebene  Zeit  der 
Erbauung  nur  den  Zeitpunct ,  wo  sie  dahin  kamen.) ;  Oydamis 
[  Gadabis  bei  Corippus  II,  117.]  in  Gadamis.  Generelle  Namen 
sind  Debiis  oppidum  und  Desciia  natio :  AennJJescira  [Dasch- 
Irci)  lieisst  Stadt  der  Bergberbern ^  u.  Bebris  {^Doivara^  Stadt 
der  Beduinen  in  der  Ebeiie.  Von  dem  letztern  Worte  stammt 
dabberani  und  dabrikan ,  oder  vielmehr  ,  weil  die  Berbern  kein 
b  zu  haben  scheinen,  daouerani  u.  daonrikan,  womit  die  Berg- 
berbern nicht  allein  den  Fremden^  sondern  auch  den  Schwar- 
zen bezeichnen,  weil  die  Bewohner  der  Ebene  südlich  von  den 
Bergen  diese  Farbe  haben.  Ein  ganzes  Negergebiet  südlich  von 
Fezzan  führt  den  Namen  Daoura. 

In  der  Ammons-Oase  erwähnen  die  Arabischen  Geographen 
einen  Ort  Sunteria  oder  Schanteria^  was  jedenfalls  \o\\  Alexan- 
der stammt ,  weil  die  von  ihm  benannten  Orte  nur  Escanderia 
oder  Scanderia  geschrieben  werden  konnten.  Zweifelhaft  aber 
ist  es,  ob  dies  Santeria  das  von  Ptoiemäus  hier  erwähnte  'Aks^- 
dvÖQOv  TtccQE^ßokrj  (s.  Brown  travels  in  Afr.  p.  22.),  oder  die 
Stadt  des  Amnion^  das  heutige  Siivah  sey,  wo  Alexander  den 
Tempel  vergrösserte  und  schmückte,  s.  Jul.  Valer.  de  reb.  gest. 
AI.  I,  18.  Das  Letztere  behaupten  Rennel  in  geogr.  syst,  of 
Her.  p.  590  und  Langles  zur  Franz.  Uebers.  v.  Ilornemann's 
Reisen  Th.  II  S.  383.  Soviel  ist  ausgemacht,  dass  der  Stadt- 
name Siivah  (Siouah)  gleichbedeutend  ist  mit  Skouwiah,  wie 
der  hier  gesprochene  Dialect  heisst. 

Der  Berberndialect,  welcher  in  Sokna  gesprochen  wird, 
heisst  Ertana^  und  diess  zeigt  uns  die  Lage  der  Artennites  bei 
Jul.  Honor.  p.  20.  Die  Astrices  bei  Coripp.  Job.  II,  75  sind  in 
Mauritanien  auf  dem  Gebirge  gl.  N.  zu  suchen,  vgl.  Oros.  I,  2, 
Aethic.  p.  f>4,  Isidor.  de  Orig.  XIV.  Diess  ist  so  genannt  von 
Stress,  womit  die  Berbern  steile  und  senkrechte  Berge  bezeich- 
nen. Die  Silvaizan  (d.  i.  Self-eivdan)^  welche  Coripp.  II,  62 
zugleich  mit  den  Macares  nennt,  sind  das  Volk  von  Seif  oder 
Shelf^  welches  an  den  Ufern  des  Seif  oAgy  Sh elf -wohnte^  wo- 
hin die  Arabischen  Geographen  auch  die  Stadt  Shelfa  setzen. 
Die  Misulani  bei  Plin.  V,  4  {Musiilanii  auf  der  Tab.  Theodos. 
und  bei  Flor.  IV,  12 ,  Musulini  bei  Tacit.  Ann.  II,  52  u.  IV,  24, 
MiGovlanol  bei  Ptolera.)  ergeben  sich  leicht  als  die  Bewohner 
des  heutigen  Me'sila;  die  Tulemii  als  Bewohner  von  Te'lemsan; 


Castig-IIonl :  Memoire  geographiquc  et  numismatlqnc.         285 

die  Beggnenses  bei  Jul.  Jlonor.  p.  20  als  Bewohner  des  heuti- 
gen Beggia  in  Tunis  oder  des  alten,  von  Nnmidern  erbauten 
Baga^  Viicca  oder  oppidum  Vagense.  vgl.  Plin.  V,  4,  Procop. 
de  aedif.  V,  5,  Salinst.  lug.  47.  Verschieden  davon  ist  die  Stadt 
Bugie  in  Algier,  das  Bedjdia  der  Araber.  Die  Darae  bei  Plin. 
V,  ]  wohnten  in  der  heutigen  Provinz  Dara  in  Marokko,  und 
die  Cnpsitaiii  \\\  der  Stadt  Gafs^  dem  alten  Capsa  ^  welches  an 
den  Ui'ern  des  Gafs  oder  Tritonis  lag,  dessen  Lauf  früher  län- 
ger gewesen  seyn  jnuss  als  jetzt.  Von  dem  Worte  azgrew,  d.h. 
Stein.,  stammt  Jlaroushe  oder  Ilaroudje.,  womit  man  Basaltge- 
birge bezeichnet,  vgl.  Ritter  S.  1)88.  Die  Alten  machten  dar- 
aus Ar::,nges  oder  Azruges  .^  welches  ebenfalls  eine  allgemeine 
Bedeutung  hatte,  aber  wie  das  jetzige  Haroudje  vorziiglich  die 
siid liehen  Striche  der  Provinz  Tripoli  bezeichnete.  Dort  lag 
in  der  christlichen  Zeit  die  provincia  Arziigitana^  nördlich  von 
den  Garamanten.  Nach  Labbeus  Concilia  T.  III  c.  242  gab 
es  auch  eine  Stadt  Arzugitana.  Den  Römern  war  die  Bedeu- 
tung des  Wortes  bekannt,  und  darum  heisst  das  nördliche  Ende 
der  Haroudje  -  Kette  bei  ihnen  Caput  saxi.  Die  Form  dieser 
Basaltgebirge,  die  häufigen  Versteinerungen  aller  Art  und  Rö- 
mische Ruinen  wurden  die  Veranlassung  zu  der  Fabel  von  der 
versteinerten  Stadt,  welche  sich  nach  den  Berichten  der  Ara- 
ber in  dieser  Gegend  finden  soll,  vgl,  Ritter  S.  1)26  und  933. 
Sie  heisst  bei  ihnen  Bas-sem,  d.  h.  Kopf  des  Fisches  ;  und  in 
der  That  fand  Ilornemann  in  den  Haroudje  grosse  versteinerte 
Fischköpfe.  Die  Augiles  des  Herodot  führen  noch  jetzt  diesen 
Namen  (Rennel  a.  a.  O.  S.  508,  Porapon.  Mela  I,  4  u.  8.),  und 
der  Mons  Aurasiiis  ist  der  Auraz  der  Araber,  s.  Mazzucch. 
z.  Coripp.  p.  377.  Die  Wüste  Gadajae.,  welche  die  Römer  pas- 
sieren mussten,  um  zu  den  Astrices  zu  kommen,  ist  die  Wüste 
Angad.  Coripp.  V,  285.  Aus  Angad-Sir  (Wüste  von  Angad) 
entstand  der  Name  Anaciitasur .,  wie  Corippus  II,  75  ein  Volk 
in  der  Nähe  der  Astrices  nennt.  Den  von  demselben  (II,  77.)  er- 
wähnten Berg  Gallida  erkennt  man  indem  Giialhasa  oder  Geliz 
bei  Telemsan  wieder.  Der  Fluss  Ghir  des  Leo  Africai^us  jen- 
seits des  Atlas  ist  der  Ger  des  Plinius  (V,  1.),  verschieden  vom 
Gir  in  Nigritien  (bei  Ptolem.  u.  Claudian.  de  prim.  consul.  Stil. 
I,  252.),  welcher  noch  jetzt  so  heisst.  Der  Berg  Ziccar  ist  der 
Suggarus  der  Alten  (Aethic.  p.  64),  und  eine  Fortsetzung  die- 
ses Gebirgsastes  der  Zuccabar^  in  welchen  Ptolemäus  die  Quelle 
des  Cinyps  setzt.  Er  ist  so  wie  der  Stadtname  Zuccabar  bei 
Ruinart  histor.  persec.  Vand.  p.  166  entstanden  aus  Zouc - 
ebrid^  d.  h.  f^eg  des  Marsches^  weil  man  dieses  Gebirge  pas- 
sieren mu8s,  um  nach  Fezzan  zu  kommen.  Auch  Mourzouk  be- 
deutet Stadt  des  Marsches.  Von  Adrar  [Berg)  und  Moiirt 
{Stadt)  stammt  Adrumetiim^  d.i.  adrar  -  mourt^  Stadt  des 
Berges:  das  jetzige,  auf  einer  Anhöhe  liegende  Äj^s«.   Igilgilis, 


286  Anzeigen. 

das  heutige,  auf  einer  Steinklippe  liegende  Gigel^  stammt  von 
Ighily  d.  Ii.  Hügel.  Zuchis  mit  dem  See  von  Ziicha  ist  von 
Zouk  {ßlarkt)  gebildet  wegen  des  Handels,  den  es  mitPurpur- 
waren  und  Salz  (?  salaiso7is)  trieb,  s.  Strabo  p.  834.  Agaly- 
mnus^  wieCoripp.  11,(59  die  höchste  Gegend  des  Atlas  nennt,  ist 
entstanden  aus  cighal  emaii,  d.  h.  Gebirge  der  Wasser.  Daher 
ergiebt  sich,  dass  die  Fluminenses  des  Jul.  Ilonorius  (cosmogr. 
p.  20.)  dieUevvohner  des  Landstriches  sind,  welcher  von  den  dort 
oben  entspringenden  Flüssen  bewässert  wird  und  jetzt  Edaute- 
iiam^i  unter  den  Gewässern  (inferienre  aux  eaux),  heisst. 

Die  Wüste  lieisst  bei  den  Berbern  Siiir  (woher  Syrles^ 
welches  Wort  man  fälschlich  mit  Sahara.,  Ebene.,  gleichbedeu- 
tend genommen  hat.)  und  das  Gebirge  aghal:  daher  stammen 
Vsargala  (wo  das  u  praefixum  ist)  u.  ZerquUis^  d.  i.  Zer- aghal, 
13ergwüste.  So  aber  nennen  Ptolemäus  und  Corippus  (II,  ^6  u. 
145.)  das  wasserarme,  untere  Plateau  des  Atlas.  Von  Aidou- 
aghal,  d.  h.  grosses  Gebirge  (Ritter  S.  886.),  kommt  Duccala, 
bei  Leo  Africanus  Name  einer  Provinz  Marokko'«  amFusse  der 
Gipfel  des  Atlas.  Von  Warr^  welches  ein  kleines  Felsenpla- 
teau (plateaux  pierreux  d'une  petite  etendue)  bedeutet,  stammt 
Warr-aghel,  welches  in  Vareclan.,  Farcala.,  Fargala,  Gur~ 
gala^  Wurglah  (bei  den  Arabern)  verdorben  worden  ist.  So 
heisst  aber  nicht  nur  ein  District  der  Mozabis  südlich  vom  Ge- 
biet von  Algier,  sondern  auch  eine  Gegend  hinter  dem  Atlas 
bei  Segelmesse.  In  der  letztern  wohnten  wahi'scheinüch  die 
Aethiopes  Africerones  des  Ptolemäus,  welche  vielleicht  ihren 
Namen  von  A- Fargalan  haben.  Sie  waren  die  Nachbarn  der 
Aethiopes  Agangines  oder  Gangines .,  d.  i.  der  Zuenziga  des 
Leo  Africanus,  weichein  der  Wüste  südlich  von  Mauritanien 
wohnten,  vgl.  Aethic.  p.  64.  Tinginent  heisst  hei  den  Berbern 
ein  Weinberg:  daher  erklärt  sich  des  Pompon.  Mela  Bemerkung 
I,  5,  die  Griechen  hätten  das  Promontorium  Tingi  Ampelusium 
genannt.  Martamalus  oder  Martamolum  bei  Coripp.  II,  81  ist 
nichts  anderes  als  Mourt-Tamal^  Stadt  von  Tamal,  und  also 
gleichbedeutend  mit  Turris  Tamal  in  ^niow.  Itiner.,  mit  Tur- 
ris  Tamallcni  bei  Ruinart  S.  151  und  mit  Limes  Tamalleiisis, 
8.  Casaub.  z.  histor.  August,  scriptt.  S.  24.  Der  Name  Marma- 
rica  scheint  von  marragh ,  salzig  (sale) ,  zu  stammen  und  wäre 
dann  eben  so  durch  emphatische  Verdoppelung  gebildet,  wie 
Digdiga.,  Putput.,  l^7/2ai'//za